Die Zeit Online ist aktuell wieder einmal in vorderster Front dabei, die fatalen Auswirkungen des kapitalistischen Systems zu vernebeln und in dumpfe, natürlich "eigenverantwortliche" Bereiche der jeweiligen Opfer zu entführen. In einem Bericht zur wachsenden Armut in den USA heißt es dazu:
In den USA ist es einfacher, auf Pump zu leben, als zu sparen. Die Armut nimmt zu. Fast die Hälfte aller Bürger kann sich eine Autoreparatur von 400 Dollar nicht leisten.
Es lohnt sich, den ganzen Text zu lesen, auch wenn das bisweilen arg schmerzt. Mit keinem Wort wird hier der Kapitalismus erwähnt - laut Zeit sind die Menschen in den USA offenbar einfach zu dumm und verschulden sich deshalb massenhaft. Der publizistische Irrsinn könnte indes gar nicht offensichtlicher sein. Ein hanebüchenes "Bildungssystem", das Menschen nach der Uni mit immensen Schulden ins Dasein des Ausgebeuteten entlässt, wird hier ebenso als gottgegebene Rahmenbedingung angesehen wie die perversen Niedrigstlöhne, die trotz einer Arbeit in Vollzeit nicht ausreichen, um ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen.
Sehr berühmt ist die Zeit ja für ihre nicht vorhandenen Übertragungen. Es fällt jedenfalls mir nicht sonderlich schwer, von den beschriebenen Auswüchsen in den USA auf deutsche Verhältnisse zu schließen, wo sich ja ganz ähnliche Tendenzen abzeichnen. Es gibt nicht mehr nur "ein paar" Menschen, die sich beispielsweise nicht nur keine Reparatur, sondern überhaupt kein Auto mehr leisten können - die Zahl geht längst in die Millionen (mit zunehmender Tendenz), und der Kapitalismus setzt darauf, dass es dafür eben mehr "privilegierte" Menschen gibt, die sich zwei oder noch mehr Autos leisten können, um den Rubel weiter rollen zu lassen. Das lächerliche, menschenfeindliche Spiel ist so alt und übel wie der Kapitalismus und Faschismus selbst.
Dasselbe betrifft das unsägliche Verschuldungsthema. Schulden bzw. Kredite sind der Nährboden des Kapitalismus, ohne den er gar nicht existieren könnte. Entsprechend werden auch hierzulande die Menschen - auch vom Staat, nicht bloß von den verbundenen Konzernen - in die Schuldenfalle gestoßen. Das fängt beim Hartz-Terror-Opfer, das beispielsweise eine neue Waschmaschine benötigt und dafür ein "Darlehen" beim Amt aufnehmen muss [sic!], an und hört beim Angestellten, der sich ein "Eigenheim" schaffen will, noch lange nicht auf.
Der Zeit-Artikel von Thorsten Schröder liest sich so, als habe der Autor eine finstere Haftanstalt besucht (ohne das dem Leser mitzuteilen) und sich nun darüber echauffiert, dass alle Insassen sich perversen Regeln unterwerfen - als gebe es keine Alternative. Ich formuliere es - extra für Herrn Schröder - einmal aus: Im Kapitalismus gibt es in der Tat nur die Wahl zwischen Ausbeutung, Verschuldung und Sklaventum auf der einen und der "völlig freien" Obdachlosigkeit auf der anderen Seite. Das ist die "Freiheit", die Kapitalisten - und mit ihnen auch die Zeit - in höchsten, gerne elfischen Tönen besingen.
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Das Ende des Kapitalismus
(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 6 vom 06.05.1919)
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Anmerkung: Der Text zur Zeichnung bezieht sich auf Heinrich Heines Gedicht "Lyrisches Intermezzo" aus seinem "Buch der Lieder" (1827):
Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.
Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Vögel sangen,
Da hab ich ihr gestanden
Mein Sehnen und Verlangen.
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