Ein Gastbeitrag von Stefan Rose
Jetzt, da am Sonntag ein neuer Frühstücksdirektor in einem Akt gelebter Demokratie alternativlos auf den Schild gehoben wird, ist es vielleicht eine gute Gelegenheit, dem scheidenden Präsi noch schnell ein Arbeitszeugnis auszustellen. Es ist hierzu nicht ganz unwichtig, sich klarzumachen, dass ein Bundespräsident zwar formell die Funktion hat, das Land nach innen und nach außen zu repräsentieren, ansonsten aber vor allem gewählt wird, damit alles beim Alten bleibt und die Geschäfte ungestört weiter laufen können. Will heißen, sich um Himmels Willen nicht mit denen anzulegen, die wirklich etwas zu sagen haben und erst recht nicht die herrschenden (Besitz-) Verhältnisse infrage zu stellen. Allzuviel an Kontroverse im Sinne konträrer Gesellschaftsentwürfe ist hierzulande eh nicht allzu beliebt.
Blödsinn ist natürlich das Geraune, Gauck habe die durch den vorzeitigen Rücktritt Köhlers und die springerseits betrommelte Tapsigkeit Wulffs angeblich nahezu irreparabel beschädigte, ominöse 'Würde des Amtes'™ wiederhergestellt. Gauck hat gar nichts wiederhergestellt, sondern im Gegenteil aufgerissene Gräben weiter verbreitert. Zudem hat Das Amt™ auch zuvor schon etliche Peinsäcke überlebt. Jasager (Heuss), Dorfdimpfel (Lübke), Troubadixe (Scheel), notorische Wandersmänner (Carstens), ehemalige Chemiemanager und Wehrmachtsoffiziere, die nie von etwas gewusst haben (v. Weizsäcker), Altnazi-Protegés (Herzog), Frömmler (Rau) und andere Ausfälle. Dass Das Amt™ bzw. dessen Würde™ all das überstanden hat, kann nur eines bedeuten: Es ist längst nicht so wichtig wie's gern hingestellt wird.
Bundespräsidenten geben seit einiger Zeit bei Amtsantritt gern vor, 'unbequem' sein zu wollen. Auch Joachim Gauck bildete da keine Ausnahme. Und die Journaille sekundierte brav. Denn einen auf unbequem zu machen, so hat sich's gezeigt, das kommt an beim Volke. Spätestens seit der alles andere als rebellische Richard von Weizsäcker seiner zähneknirschenden konservativen Peergroup seinerzeit einschenkte, der 8. Mai 1945 sei mitnichten ein Tag der Niederlage gewesen, sondern vielmehr einer der Befreiung. Dass er damit lediglich das aussprach, was damals jenseits furzkonservativer und revisionistischer Kreise eh längst Konsens war - geschenkt. Einen vergleichbaren Ausrutscher eines Amtsträgers hat es seither meines Wissens nicht mehr gegeben. Hotte Köhler, der ewige Sparkassenonkel, ist vielleicht gerade noch rechtzeitig zurückgetreten.
Was unbequem zu sein für einen Bundespräsidenten konkret bedeutet, dafür hat von Weizsäckers kürzlich verstorbener Amtsvorgänger Roman Herzog den bis heute gültigen Standard gesetzt: Ein unbequemer Präsident interpretiert unbequem zu sein dergestalt, vor allem für diejenigen im Lande unbequem zu sein, die sich am wenigsten wehren können. Ihnen streng ins Stammbuch zu predigen, nun sei aber mal Schluss mit Faulenzen, üppigen Löhnen und sozialer Hängematte. Sie auf harte Zeiten und eng geschnallte Gürtel einzustimmen. Gauck lag völlig auf dieser Linie, als er den Deutschen mahlenden Unterkiefers den Zuchtmeister machte und ihnen was von Genusssucht reintat, von mangelnder Bereitschaft fürs Vaterland zu leiden und zu sterben. Auch sonst reüssierte der "eitle Zonenpfaffe" (Deniz Yücel, 2012) schon als Frischgewählter beträchtlich:
So mag der künftige Bundespräsident keine Stadtviertel mit "allzu vielen Zugewanderten und allzu wenigen Altdeutschen", will das "normale Gefühl" des Stolzes aufs deutsche Vaterland "nicht den Bekloppten" überlassen, missbilligt es, "wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird", besteht darauf, dass der Kommunismus "mit ausdrücklichem Bezug auf die DDR als ebenso totalitär eingestuft werden muss wie der Nationalsozialismus", trägt es den SED-Kommunisten nach, das "Unrecht" der Vertreibung "zementiert" zu haben, indem "sie die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten", und fragt – nicht ohne die Antwort zu kennen –, "ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen." (Yücel a.a.O.)
Legt man das eingangs umrissene Anforderungsprofil zugrunde, dann kann man nicht anders als Joachim Gauck sehr gute Arbeit zu bescheinigen. Brav gemacht. Und Frank-Walter Steinmeiers Vergangenheit als einer der maßgeblichen Mitarchitekten der Agenda 2010 lässt diesbezüglich für die Zukunft einiges erhoffen.
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Dieser Text erschien unter dem Titel "Zeugnis für J.G." zuerst im Blog "Fliegende Bretter" und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Verfassers wiedergegeben.
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13 Kommentare:
Vielen Dank für den Beitrag.
Zur Ergänzung dazu, Daniela Dahn "Oberhaupt der Mächtigen": https://www.freitag.de/autoren/daniela-dahn/oberhaupt-der-maechtigen.
Als ich in den Nachrichten den einen oder anderen Namen eines Prominenten hörte, der zu der Wahl heute nominiedret wurde, dachte, ich erst "Oh, so viele, die evtl. für
Butterwegge stimmen und eine Überraschung abliefern könnten!" Gleichzeitig dachte ich mir abe auch, dass keine Partei jemanden nomniert, von dem sie nicht sicher sein kann, dass sie "ihren" Kandidaten wählt.
Also ging ich mal diese Liste hier durch und war sehr überrascht, was für "kritische" Leute von der CDU (Hape Kerkeling, Peter Maffey), der SPD (Stefanie Kloß von Silbermond, Iris Berben) und erst recht von den Grünen (Drag-Queen Olivia Jones, Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim Gorki Theaters, Carolin Kebekus) ernannt wurden. Am meisten enttäuscht hat mich Volker Pispers (Piraten). Nach Lafo, Kipping, Wagenknecht usw. ein weiterer, den ich vom Sockel kippe.
Quelle: http://www.spiegel.de/fotostrecke/bundesversammlung-die-prominenten-wahlleute-fotostrecke-144894-28.html
Nein, ich setze keinerlei Hoffnung in diese Systemnarren. Aber es ist schon interessant, zu sehen, wie die ticken.
Entschuldigt bitte die vielen Tippfehler!
@ altautonomer:
Warum enttäuscht von Pispers? Ist das nicht konsquent, den Kandidaten "Der Partei" zu unterstützen?
Die volle Liste gibt's übrigens hier:
https://www.bundestag.de/blob/490834/3aeedee57a1dc9a2b09bf343c01a2e1d/mitglieder_bv-data.pdf
Auch für die Piraten: Tilo Jung, Raul Krauthausen und Rayk Anders.
@topic:
Vor ca. fünf Jahren schrieb ich zu Gauck:
"Statt einen progressiven Ideengeber, werden wir nun einen Präsidenten bekommen, der uns den Protestantischen Arbeitsethos eintrichtert. Den sozialen Randgruppen wird damit eine geradezu masochistische Askese abgefordert, schließlich sei jeder seines/ ihres Glückes Schmied. Mit seiner Freiheitsideologie wird Gauck eher der Zementierung sozialer Verhältnisse Vorschub leisten, als soziale Verwürfnisse zu benennen. Gauck als Bundespräsident besitzt den morbiden Geschmack eines neoliberalen Wiedergangs."
Im Grunde habe ich Recht behalten. Bei Steinmeier wird es nicht ganz so mit Pathos geladen, aber von der Ausrichtung her ähnlich sein.
Arbo: Natürlich kann man sich daraus einen Joke machen.
Mich würde doch mal intessieren, wer unter den aus den "Volk" Nominierten der Länder aus einer Hartz-IV-Initiative, einer Tafel, einer Obdachloseninitiative, von Greenpeace oder "Pro Asyl" kommt.
Was dort heute geschieht, läßt meine Grundstimmung von pessimistisch in apokalyptisch übergehen.
...und die Journaille sekundierte brav.
Ganz Gallien? Nein!
Ein eiskalter Untertan
@altautonomer:
Ja, so gesehen hast Du Recht. Auf der anderen Seite ist z.B. Pispers immer auch einer gewesen, der sich entsprechend kritisch geäußert hat. Gut, Du kannst sagen, er hätte das ablehnen können. Aber mit dem gleichen Argument, das Du bringst - die Benachteiligten in der Gesellschaft werden nicht repräsentiert - hätte er dann auch sagen können: "Wenn schon nicht die Hartzer mit berücksichtigt werden, dann wenigstens ich als Stachel im Fleisch des neoliberalen Zombies".
Kurz, den Vorwurf solltest Du lieber gegenüber den Parteien machen - in dem Falle also den Piraten.
Ansonsten stimme ich Dir zu. Hartz IVer usw. sind halt nicht erwünscht. Insgesamt hat sich die Linke dazu übrigens auch nicht sonderlich nett verhalten. Denn war da nicht mal vor wenigen Jahren was mit einer ehemalige ALG-II-Bezieherin, die nicht mehr auf die Landesliste zur Wahl gesetzt wurde, weil die den Linken zu undiplomatisch, zu unbedarft usw. war? Butterwegge zu nominieren ist zwar irgendwie schon konsequent, macht den miesen Eindruck aber nicht wirklich wett.
By the way: Wenn die Piraten und "Die Partei" wirklich c00L gewesen wären, hätten sie Murnaz oder el Masri nominiert. Murnaz war zwar im Gespräch, weshalb der aber nicht genommen wurde, weiß ich nicht. Aber wenn ich mir die Interviews von ihm ansehe, scheint es nicht so zu sein, dass er keinen Bock gehabt hätte. Jedenfalls wäre das mal eine symbolische Ohrfeige gewesen, auch wenn absehbar gewesen wäre, dass es zu mehr als Symbolik nicht gereicht hätte.
Arbo:
Kurnaz wäre der Knaller gewesen. Schade. Die LINKE hat ja auch nicht einmal daran gedacht, Delegierte aus dem oben von mir beschriebenen Spektrum zu nominieren.
(Petitesse am Rande: Dietmar Bartsch duzt sich mit Steinmeier wg. langjähriger guter Zusammenarbeit (?)
Zu Pispers und seiner Rolle als Hofnarr unter dem Label "repressive Toleranz" wäre eine eigene Diskussion notwendig.
Warum macht ihr um das Amt/die Wahl des Bundespräsidenten solche Verrenkungen?
Es ist genau die Person gewählt worden, und das mit grosser Mehrheit, der man zutraut, Politik für den Bürger so zu übersetzen, dass dieser Notwendigkeiten und Sachzwänge, auch wenn er diese gegen sein eigenes Interesse gerichtet wahrnimmt , sie dennoch für nützlich in einem allgemeinen Interesse akzeptiert.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass diesem Amt des Bundespräsi der Anspruch zugrunde liegt, Präsident aller Deutschen zu sein. Bereits darin enthalten, die bewusste Täuschung der Demokratie und ihrer Parteien einem allgemeinem Interesse verpflichtet zu sein.
Es ist sicherlich auch nicht verwunderlich, dass bisher insbesondere Personen mit einem religiösem Hintergrund weitaus höhere Kompetenzen für die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft zugetraut worden sind, die sich zunehmend auseinander entwickelt hat.
Möglicherweise auch kein Zufall, dass in dem Moment, wo die extremen Rechten den Zerfall der bürgerlichen Demokratie für sich nutzen können, diesmal ein Sozze als Ausputzer ins Amt gehieft wird. Der Kanzlerkandidat Schulz hat schon mal die Leimspur gelegt, wo der deutsche Wähler gern hineintritt, in dieses linke Mantra von der hart arbeitenden Bevölkerung, von gerechtem Lohn für gute Arbeit und immer wieder Arbeit, Arbeit, Arbeit und soziale Gerechtigkeit... .
Hat er schon was von sich gegeben, der neue Bundespräsi?
"Hat er schon was von sich gegeben, der neue Bundespräsi?"
@Rainer hat bei Flatter eine Rede von Dr. Frank-Walter Steinmeyer auf dem Deutschen Arbeitgebertag 2013 verlinkt. Lohnt sich reinzuhören!
@ altautonomer: Ja richtig, Kurnaz (nicht Murnaz). Und was Pispers anbelangt, würde mich das schon auch mal interessieren - sprengt hier aber den Rahmen.
LG
Arbo
P.S.: Die 'Petitesse' ist wirklich widerlich. Aber warum wundert mich das bei Bartsch nicht? Der hat in etwa so viel Sympathie wie eine ölige Sardine...
@ Troptard: Die verlinkte Rede von Steinmeier habe ich keine zwei Minuten ausgehalten. Hätte ich nicht abgeschaltet, wäre mein Monitor verunreinigt worden - aus rein hygienischen Gründen bin ich Dir also sehr dankbar, dass Du den Link hier nicht gepostet hast. ;-)
Die korrupte Eule leckt da in aller Öffentlichkeit Kapitalärsche und plärrt den versammelten "Arbeitgeber"-Lobbyisten u.a. entgegen - ich zitiere wörtlich:
"Wenn Sie sich in gerechter Weise zurückerinnern, dann hat es eigentlich die entscheidenden [sic!] Steuersenkungen - und zwar in einem Volumen von mehr als 60 Milliarden Euro - unter einer sozialdemokratischen Regierung gegeben: Mit der Senkung des Spitzensteuersatzes, mit der Senkung des Eingangssteuersatzes, mit der Senkung der Unternehmenssteuern. Sie haben bis dahin Ihre (...) Kapitalzinsen nach dem Einkommenssteuergesetz bezahlt, und seit der Zeit nur noch für die Hälfte ungefähr versteuert (...). Das war damals immerhin sozialdemokratische Steuerpolitik, und ich finde bis heute, ist das nicht so ganz schlecht."
Und so geht das munter weiter. - Dass ein solcher menschenfeindlicher Widerling nun in einer medial groß aufgebauschten, völlig grotesken Wahlsimulation als "Präsident aller Deutschen" hingestellt wurde, sagt mehr über politische und mediale Korruption aus als den Verantwortlichen lieb sein dürfte. Selbst bei der Tagesschau (!!!) war die Mehrheit der Kommentare eindeutig. Da mussten die aufgeschreckten Praktikanten die Reißleine ziehen und haben die Kommentarfunktion kurzerhand gesperrt.
Gauck war ja wirklich furchtbar, aber ich gehe davon aus, dass Steinmeier in diesem politischen Schmierenkomödienspiel namens "Wieviel schlimmer kann's noch werden?" noch mindestens einen dampfenden Haufen mehr hinterlässt als der Kriegspfaffe. Nach unten gibt es offenbar keine Grenzen in diesem verkommenen System.
Liebe Grüße!
Rainald Grebe singt "Ich bin der Präsident" - YouTube
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