Sonntag, 19. September 2010

Wie aus der bürgerlichen Mitte Sozialrassismus wieder hoffähig gemacht wird

"Es handelt sich in der Geschichte um das Leben und immer nur um das Leben, die Rasse, den Triumph des Willens zur Macht, und nicht um den Sieg von Wahrheiten, Erfindungen oder Geld", schreibt 1923 Oswald Spengler in "Der Untergang des Abendlandes". Darin entwirft er das Bild einer organischen Struktur der Geschichte, in der Völker und Kulturen aufblühen und wieder vergehen. Er schreibt von der "Heraufkunft des Cäsarismus", der die Diktatur des Geldes und "ihrer politischen Waffe, der Demokratie", breche. Es handele sich um den "letzten Kampf", dem "zwischen Geld und Blut".

Oswald Spengler und sein Geschichtsentwurf sind eine Stimme in dem gesellschaftlichen Raunen aus der Mitte des Bürgertums, das der Ersetzung der "jüdischen Zinsknechtschaft" durch "deutsche Blutsbande" nach 1933 voranging. Dieses Raunen und Rufen aus der bürgerlichen Mitte galt den Inhalten der zeitgenössischen Ideologien, und in ihnen ist viel von Zuchtwahl, Auslese, völkischem Denken und Antisemitismus, von Euthanasie und deutschem Wesen die Rede. Die Demokratie der Weimarer Zeit fand aus diesen gutbürgerlichen Kreisen heraus nicht die Verteidiger, die notwendig gewesen wären.

Heute erleben wir erneut die Neigung bürgerlicher Kreise, das Grundgesetz der Republik in seinen konkreten Paragraphen und in seinem zugrundeliegenden Geist zu verneinen. Diese Verfassungsfeinde tragen nicht die Kapuzenshirts des "Schwarzen Blocks" bei Demonstrationen, sondern feines Tuch und Professorentitel. Wie in der Weimarer Zeit entsteht aus der bürgerlichen Mitte heraus eine neue Art militanter Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen, eine neue Art Sozialrassismus. Vor dem Hintergrund einer erneuten tiefen Wirtschaftskrise, dem Anwachsen von Armut, Prekariat und sozialer Unsicherheit, einer unvermindert hohen Arbeitslosigkeit, von sinkenden Reallöhnen und einem wachsenden Heer von "Überflüssigen", von Angst um den Arbeitsplatz und Angst vor dem sozialen Abstieg ist mittlerweile in der bürgerlichen Mitte eine Diskussion angekommen, die die Menschen in "Leistungsträger" und "nicht Leistende" einteilt. Eine Diskussion, die offensichtlich zwischen wertvollen und weniger wertvollen Menschen unterscheidet. Und die für die "nicht Leistenden" die Minderung der Unterstützung bis hin zum Entzug aller Lebensmittel fordert. 65 Jahre nach dem Ende des Endkampfs zwischen "Geld und Blut" diskutiert man in Talkshows und Zeitungsbeiträgen wieder die durch die "demographische Entwicklung" bedrohte Zukunft des Abendlandes.

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Anmerkung: Was soll man dazu noch sagen, wenn man sich nicht ständig wiederholen möchte? Der Faschismus lugt nicht mehr zögernd über den Horizont und grinst diabolisch in unsere Richtung, er steht auch nicht mehr vor der Tür und fordert lauthals Einlass - er ist schon längst da und sitzt fett und schmierig in den etablierten Parteien und ihren Systemmedien herum, er greift immer weiter um sich und kippt ein scheinbares Tabu nach dem anderen in den vergessenden Sumpf der zurechtgeschusterten Geschichte.

Der sehr lesenswerte Telepolis-Artikel endet mit den Worten: "Dass dieser Sozialrassismus nicht nur mehr in den Spalten bürgerlicher Zeitungen vertreten wird, sondern mittlerweile massive Konsequenzen für Hartz-IV-Empfänger nach sich zieht, zeigt das Sparpaket der Bundesregierung. Gemäß der Heinsohnschen Parole, das Elterngeld schaffe 'vor allem Gebäranreize in der Unterschicht', bleibt dieses Elterngeld den Gutverdienenden weitgehend erhalten, wird aber den Bedürftigen gänzlich gestrichen." Man müsste indes noch so viele andere Beispiele hinzufügen, um dieser Wirklichkeit werdenden Horrorwelt tatsächlich gerecht zu werden. Das "Elterngeld", das eigentlich "Zuchtgeld für Besserverdienende" heißen müsste, ist doch nur ein kleines Mosaiksteinchen neben so vielen anderen.

Gerade eben war es auf 3sat (natürlich tief in der Nacht) wieder zu sehen, wie diese schleichende Entwicklung ihren unheilvollen Gang nimmt - nämlich in der Wiederholung des Mehrteilers "Victor Klemperer - Ein Leben in Deutschland". Exakt dasselbe passiert zurzeit wieder. Ob es diesmal wieder so "konsequent zuende geführt" wird wie damals, ist noch offen. Vielleicht entscheidet man sich diesmal wieder eher für eine dauerhafte Niederhaltung der "Untermenschen"? Noch spricht einiges dafür. Aber dem erwähnten Filmwerk (und vielen anderen Quellen) ist auch zu entnehmen, dass genau das auch sehr viele Menschen in den schlimmen Jahren zwischen 1930 und 1945 gedacht oder gehofft haben - wobei die Hoffnung auf eine dauerhafte Unterdrückung ja auch nicht gerade fröhlich stimmt.

Ich sehe nur noch braun für dieses Land. Das Narrenschiff steuert mit direktem Kurs das Riff an und fast alle an Bord schreien laut "Hurra!" Auf auf, in den Untergang.

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