Herr K. sprach über die Unart, erlittenes Unrecht stillschweigend in sich hineinzufressen, und erzählte folgende Geschichte: Einen vor sich hin weinenden Jungen fragte ein Vorübergehender nach dem Grund seines Kummers. "Ich hatte zwei Groschen für das Kino beisammen", sagte der Knabe, "da kam ein Junge und riss mir einen aus der Hand", und er zeigte auf einen Jungen, der in einiger Entfernung zu sehen war. "Hast du denn nicht um Hilfe geschrien?" fragte der Mann. - "Doch", sagte der Junge und schluchzte ein wenig stärker. "Hat dich niemand gehört?" fragte ihn der Mann weiter, ihn liebevoll streichelnd. "Nein", schluchzte der Junge. "Kannst du denn nicht lauter schreien?" fragte der Mann. "Nein", sagte der Junge und blickte ihn mit neuer Hoffnung an. Denn der Mann lächelte. "Dann gib auch den her", sagte er, nahm ihm den letzten Groschen aus der Hand und ging unbekümmert weiter.
(Bertolt Brecht [1898-1956]: Geschichten vom Herrn Keuner. In: Kalendergeschichten. Berlin 1948. Erstveröffentlichung wahrscheinlich bereits in den 20er Jahren.)
(Bild: Wikipedia)
(Bertolt Brecht [1898-1956]: Geschichten vom Herrn Keuner. In: Kalendergeschichten. Berlin 1948. Erstveröffentlichung wahrscheinlich bereits in den 20er Jahren.)
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