Montag, 18. Januar 2010

Eine kritische Bilanz von fünf Jahren Hartz IV

  1. Die sog. Hartz-Gesetze, vor allem das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene vierte [Gesetz] als ihr unrühmlicher Höhepunkt, sind Kernbestandteil eines Projekts zur Restrukturierung der Gesellschaft, das die ganze Architektur und die innere Konstruktionslogik des bisherigen Sozialstaates in Frage stellt. Es ging dabei nicht bloß um Leistungskürzungen in einem Schlüsselbereich des sozialen Sicherungssystems, vielmehr um einen Paradigmawechsel, anders formuliert: um eine gesellschaftliche Richtungsentscheidung, die das Gesicht der Bundesrepublik seither prägt. Die rot-grüne, durch eine Mehrheit der damaligen Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP im Bundesrat und die Kompromissbereitschaft der Regierungsparteien radikalisierte Arbeitsmarktreform hat unser Land so tiefgreifend verändert, dass es kaum übertrieben erscheint, von der "Hartz-IV-Republik" oder der "Hartz-IV-Gesellschaft" zu sprechen. (...)

    Da trotz des irreführenden Namens "Grundsicherung für Arbeitsuchende" auch immer mehr (voll) Erwerbstätige das ALG II als sog. Aufstocker, d.h. im Sinne eines "Kombilohns" in Anspruch nahmen bzw. nehmen mussten, um leben zu können, etablierte Hartz IV ein Anreizystem zur Senkung des Lohnniveaus durch die Kapitalseite. Ein staatlich subventionierter Niedriglohnsektor vermehrt die Armut, statt auch nur ansatzweise zur Lösung dieses Kardinalproblems beizutragen. Mittlerweile hat die Bundesrepublik unter den entwickelten Industriestaaten den breitesten Niedriglohnkorridor nach den USA.

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  2. Nach fünf Jahren Hartz IV wetteifern Union und SPD darum, das schikanöse Arbeitslosen-Gesetz sozialverträglicher zu machen. Mit echter Einsicht hat das allerdings nichts zu tun. (...)

    Mit dem fünften Jubiläum hat das freilich wenig zu tun, mit echter Einsicht auch nicht. Die Parteien reagieren schon vorab auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das in wenigen Wochen erwartet wird. Die Kernelemente von Hartz IV werden die Prüfung nicht überstehen.

    Das ist ein Desaster für die SPD, die diese Regelungen verteidigt hat, als handele es sich um die geheime Offenbarung. Das ist auch ein Desaster für die Union, die lange Zeit so getan hat, als müsse man das Ganze weiter verschärfen und den Arbeitslosen noch mehr Beine machen.

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Anmerkung: Dem Kommentar in der Süddeutschen zum Trotz, arbeiten CDU und FDP weiter daran, die Situation zu verschärfen, wie man unter anderem einem "Bild"-Artikel entnehmen kann, in welchem die ehemalige Familien- und heutige Arbeitsministerin von der Leyen sich dafür ausspricht, die "Sanktionen (...) konsequenter anzuwenden". Man fasst es wieder einmal nicht. Alle wissenschaftlichen Bilanzen scheinen keine Bedeutung für diese Leute zu haben, die weiter ihrem neoliberalen Irrglauben nachhängen und einfach nicht bemerken (wollen), was sie da anrichten. Es drängt sich wahrlich der Verdacht auf, dass diese Kreise sehr wohl wissen, was sie da tun - und dass genau das beabsichtigt ist. All den kürzlich arbeitslos gewordenen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen in diesem Land sollte also klar sein, was diese Regierung mit ihnen vorhat: Sie sollen noch schärfer sanktioniert, gegängelt, schikaniert werden, damit sie entweder keine Leistungen mehr beziehen (und in die Illegalität oder in die Obdachlosigkeit entlassen werden), oder aber sie sollen jede auch nur denkbare miese Arbeit zu den niedrigsten Löhnen in Kauf nehmen, um dieses Schicksal zu vermeiden. Man findet dafür kaum mehr Worte. Deshalb ein Verweis auf einen anderen Kommentar dazu:

Die alimentierte Ministerin

(...) Es sei nicht akzeptabel, wenn jemand ohne nachvollziehbaren Grund nicht oder nur wenige Stunden arbeitet, erklärt von der Leyen. Wir werden es nicht akzeptieren..., ist ihr genauer Wortlaut. Wer Wir sein soll, bleibt unkenntlich - vermutlich die Lobbyisten, die rund um ihr Ministerium kampieren. Dies in Zeiten, in denen weitere Arbeitsplätze im Sterben liegen, weitere Menschen in Arbeitslosigkeit geraten werden! In solchen Zeiten hat diese Frau und die gesamte Clique, die sich derzeit als reformerisches Sozialgewissen aufführt, nichts anderes zu verkünden, als Drohgebärden und existenzielles Kurzhalten. So, als gäbe es eine endlose Auswahl an Arbeitsplätzen, die von Faulpelzrotten partout nicht in Anspruch genommen würden. Arbeitslosigkeit wächst an, das Aufstocken mit Arbeitslosengeld II ist zum Renner geworden und wird wahrscheinlich erst noch Hochsaison haben - und von der Leyen stellt sich provokativ hin und baut schon mal vor, stachelt die Kommunen zur strengeren Sanktionsmentalität an und tut so, als sei Arbeitslosigkeit eine Sache freier Wahl: eine freie Wahl zwischen Sofa und Werkbank, eine Wahl zwischen Faulheit und Fleiß.

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