Samstag, 13. Februar 2010

Über den Rechtsdrift im deutschen Justizwesen

Deutschland fällt immer weiter auseinander. Dies lässt sich nicht nur ökonomisch an der Zunahme des materiellen Reichtums und der Armut, sondern auch juristisch anhand der Entwicklung des Rechts für Individuen verschiedener Einkommensgruppen nachvollziehen. Während die am oberen Ende der sozialen Skala in wachsenden Maßen über dem Gesetz stehen, sind Lohnabhängige und Erwerbsleben von Regelungen betroffen, die mit den Prinzipien eines Rechtsstaats schwerlich in Einklang zu bringen sind. Telepolis sprach mit dem Sozialwissenschaftler Werner Rügemer und Herausgeber des Buches "Arbeits-Unrecht. Anklagen und Alternativen" über das legale Unrecht. (...)

Werner Rügemer: In der neoliberalen Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft findet seit langem auch ein scheibchenhafter Wechsel des Rechtsparadigmas statt. Allgemein gesprochen werden die Rechte der privaten Eigentümer, also der Investoren, Aktionäre, Unternehmer, Manager, vor allem der großen Kapital- und Finanzakteure gestärkt, die Rechte aller anderen, vor allem der Beschäftigten und Arbeitslosen werden geschwächt. Im Vorgriff darauf brechen die Privateigentümer auch schon mal Gesetze, die noch gelten und die Justiz wendet geltende Gesetze nicht an. Die Handlungen der Finanzakteure werden vom Staat mit einem gnädigen Dunkel geschützt, in extremer Weise gegenwärtig bei der Bankenrettung: Die Gläubiger werden nicht offengelegt und in aller Heimlichkeit erfüllt der Staat die Forderungen der Bankrottbanken auf Kosten der Bürger.

Gleichzeitig verletzen prekäre Arbeitsverhältnisse und Ausspähung von Beschäftigten und Arbeitslosen die Menschenwürde. Wenn wir die Menschenrechte zugrundelegen, wird das Unrecht, das den Beschäftigten und Arbeitslosen angetan wird, vom Staat in Rechtsform gebracht (Hartz I, II, III und IV). (...)

Telepolis: Wie ist es in der Ära der Bagatellkündigungen und der Bankenrettungsschirme um das Verhältnis von Kapital und Arbeit bestellt?

Werner Rügemer: Vereinfacht gesagt: Die privaten Kapitaleigentümer haben alle Rechte einschließlich des "Rechts", das geltende Recht zu brechen bzw. brechen zu lassen, und sie haben den Zugriff auf die staatlichen Gelder, während Beschäftigte und Arbeitslose immer mehr dem verrechtlichten Unrecht unterworfen werden.

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