Dienstag, 10. November 2009

Willkommen zur geistig-moralischen Wende

Als Helmut Kohl 1982 Kanzler in einer schwarz-gelben Koalition wurde, drohte er dem Volk mit einer „geistig-moralischen Wende“. Aus der von Kohl erhofften Rückkehr der konservativen Werte in die Köpfe der Meinungsbildner wurde bekanntlich nichts. Die Revolution in den Köpfen der Eliten löste vielmehr Kohls kleiner Koalitionspartner aus. Die im gleichen Jahr verfassten „Lambsdorff-Papiere“ wurden über die Jahre hinweg zur politischen und medialen Agenda. Doch der Neoliberalismus der „Lambsdorff-Papiere“ hat noch nicht einmal im Kern etwas mit konservativen Werten zu tun. Wer konservativ denkt, will meist die „guten alten Werte“ bewahren und die „gute alte Zeit“ zurückhaben. Im Jahre 1982 war die „gute alte Zeit“ die Periode vor den tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungen um das Jahr 1968 herum.

Chancengleichheit und Egalitarismus nehmen für Konservative keinen besonderen Stellenwert ein. Für waschechte Neoliberale – die sich im politischen Spektrum eher bei den Libertären, als bei den Liberalen verorten lassen – spielen solche Begriffe keine Rolle. Die Freiheit ist das Maß aller Dinge, der Staat hat sich nur um die Sicherung der individuellen Freiheit zu kümmern und den Rest erledigt der Markt. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied und wer eine schlechtere Ausgangsposition hat, der hat nun einmal Pech. Das Leben ist schließlich kein Ponyhof.

Mehr als ein Vierteljahrhundert später hat erneut eine schwarz-gelbe Koalition die Regierungsgeschäfte übernommen. Heute spricht niemand mehr von einer „geistig-moralischen Wende“. Konservative Werte sind allenfalls noch in den Köpfen einiger „ewig gestriger“ Unionspolitiker vorhanden. Eine Rückkehr in die „guten alten Zeiten“ der 50er und 60er will heute niemand mehr. Wenn man heute öffentlich von den „guten alten Zeiten“ und den „guten alten Werten“ spricht, so spukt in den meisten Köpfen – abhängig vom Lebensalter und von der Herkunft – das Bild von einer Zeit, in der Chancengleichheit und soziale Mobilität noch mehr waren als bloße Phrasen. Von einer Zeit, in der man den Begriff Zukunft noch mit Hoffnung und nicht mit Angst verband. Von einer Zeit, in der man fest davon überzeugt war, dass der eigene Nachwuchs gute Chancen hat, sich ein eigenes Leben aufzubauen, das nach sozio-ökonomischen Standards besser ist als das eigene Leben. In diesen Zeiten sorgte der Staat noch dafür, dass die individuellen Freiheiten aller Bürger in einem hohen Maße gewahrt blieben. Eine Rückkehr in diese Zeit wollen paradoxerweise genau diejenigen nicht, die sich die Maximierung der individuellen Freiheiten auf ihre Fahnen geschrieben haben. Denn nun zeigt sich, was zu Zeiten der „Lambsdorff-Papiere“ vielen Beobachtern noch nicht klar war – den Neoliberalen und den Libertären sind die Freiheiten der Masse egal, es geht ihnen letztendlich nur um die ökonomischen Freiheiten einiger Weniger.

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