Donnerstag, 18. März 2010

Die Westerwelle, reloaded

  1. Es ist schon viel gesagt worden zu Westerwelles abstrusen Äußerungen auf Welt.de: Weil das höchste Gericht im Land festgestellt hat, dass die Berechnung der Hartz-IV-Sätze unsinnig ist, und demnach darüber nachgedacht werden muss, ob gerade Kinder, deren Leistungen pauschal und prozentual gegenüber dem Regelsatz heruntergerechnet werden, eine Aufstockung erhalten sollten, ist unser Außenminister empört. Er fragt, was denn die Kellnerin (verheiratet, zwei Kinder) über diese Diskussion denken sollte, deren Einkommen ja geringer sei als das eines Otto-Normal-Hartz-IV-Empfängers [was schlichtweg nicht stimmt].

    Dieses Argument ist so genial grotesk, es passte wunderbar ins politisch-satirische Kabarett, um die wahre Gesinnung des höchsten Liberalen im Lande zu entlarven. Vielleicht weil er ein Freund des Kabaretts ist, hat er es nun einfach selbst gesagt: Da die Löhne so unsäglich im Keller sind, dürften die Hartz-IV-Sätze auf keinen Fall angehoben werden. Und impliziert zwischen den Zeilen, man täte wohl daran, sie herunterzuschrauben. Dass man durch eine ähnliche Überlegung zu dem Schluss kommen könnte, dass es vielmehr notwendig ist, eine Lohnuntergrenze per Gesetz vorzuschreiben, um dem Prekariat, das arm trotz Arbeit ist, unter die Arme zu greifen, um den Abstand zwischen Hartz-IV und Niedriglohnsektor zu vergrößen bzw. überhaupt einen Abstand zu schaffen, ist ihm sicherlich bewusst. Und egal.

    Da wird dann auch ganz schnell deutlich, was die sogenannten Liberalen damit meinen, wenn sie von Leistung schwadronieren, die sich wieder lohnen müsse. Es geht nicht wirklich um all diejenigen, die früh aufstehen und viel leisten. Es geht um diejenigen, die vielleicht viel leisten, vielleicht auch nur aus einer Familie stammen, in der irgendwer irgendwann einmal viel geleistet hat, hauptsächlich aber Geld genug haben, dass sie die Einführung eines Mindestlohnes wenig interessiert oder sogar abträglich für ihre Geschäfte ist. Wäre es nämlich anders, müsste Westerwelle der Erste sein, der der Kellnerin ein anständiges Auskommen garantierte.

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  2. Guido Westerwelle ist es gelungen, im Alleingang die politische Konfliktlage zuzuspitzen. Der FDP-Vorsitzende hat sich nicht gescheut, zwei Stränge offen miteinander zu verbinden: sein Steuersenkungsprojekt und die Hartz-IV-Sätze; sollten von der Regierung selbst eingesetzte Sachverständige zu dem Schluss kommen, dass die Sätze erhöht werden müssen, um dem Gerichtsurteil Genüge zu tun, würde er sich querlegen aus Angst, die steuerliche "Entlastung der Bürger" zu gefährden. Um dies zu begründen, redet er sich um Kopf und Kragen. Er scheint den Satz illustrieren zu wollen, den Marx irgendwo fallen lässt, dass "es nie die originellsten Geister sind, welche die absurden Konsequenzen ziehn".

    Westerwelles Einlassungen kreisen um zwei fixe Ideen, die der "Leistung" und die des "Sozialismus", und wie wir sehen werden, stellen sie faktisch eine Verbindung zur Debatte über das Grundeinkommen her. Nicht leistungsgerecht sei es, wenn Hartz-IV-Empfänger mehr Geld bekämen als Lohnabhängige. Das ist wohl wahr. Aber Westerwelle zieht die eigenartige Konsequenz, dass der Fehler dann bei der Höhe von Hartz IV und nicht bei der Lohnhöhe liegt.

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  3. Der Missbrauch von Sozialleistungen ist eines der kleinsten Probleme dieses Landes. Das scheint FDP-Chef Westerwelle nicht zu gefallen. Wider jede Vernunft bezweifelt er schlicht gesicherte Daten. (...)

    An einer Stelle aber gibt es doch Grund zu stutzen. Illner erklärt dem Außenminister im Nebenjob gerade, dass die Sozialmissbrauchsquote in Deutschland gerade mal bei 1,9 Prozent liege. Das ist die neueste Zahl der Bundesagentur für Arbeit (BA), einer der neuen Regierung unterstellten Bundesbehörde. Westerwelle aber widerspricht kühl und in bester Demagogenmanier: "Ich habe da meine Zweifel."

    Das muss wohl reichen. Woran genau und warum er an den Zahlen der BA zweifelt, erklärt Westerwelle nicht. Welche Zahlen er für die glaubwürdigeren hält, auch nicht. Aber er hat Misstrauen gegenüber den Daten der Bundesagentur geschürt.

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  4. Eine Richtigstellung zu "Dr. Guido Westerwelle und die Hartz IV-Ausgaben"

    Der Vizekanzler, Außenminister und FDP-Vorsitzende hatte zu den Hartz IV-Ausgaben geschrieben ...: "45 Milliarden Euro haben wir vergangenes Jahr für Hartz IV ausgegeben. Obwohl wir heute 1,5 Millionen Arbeitslose weniger haben als im Jahr 2004, sind es trotzdem 6,5 Milliarden Euro mehr als damals."

    ... und in diesem Zusammenhang den folgenden Satz "vergessen": "2004 wurden von der Bundesagentur für Arbeit für das beitragsfinanzierte Arbeitslosengeld I, das vorrangige Sicherungssystem bei Arbeitslosigkeit, 29 Milliarden Euro ausgegeben, im Krisenjahr 2009 waren dies 12 Milliarden Euro weniger (17 Milliarden Euro)."

    Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe hatte dies zum Anlass genommen, die folgende Frage zu stellen: "Wurde der Satz aus Unkenntnis der sozialen Sicherungssysteme 'vergessen' oder sollten die Leserinnen und Leser des Gastkommentars durch das Verschweigen ('Vergessen') bewusst belogen werden, um Stimmung zu machen (Demagogie)?"

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Statt einer Anmerkung ein Leserbrief aus der Printausgabe des Spiegel:


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