Donnerstag, 18. März 2010

Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Gruselige Aussichten

  1. Mit dem warnenden Urteil zur Vorratsdatenspeicherung weicht das Bundesverfassungsgericht von seinem bisherigen Credo ab: Die Gegner der Datenspeicherung haben gewonnen, aber nicht gesiegt.

    Der Jubel der Beschwerdeführer ist berechtigt, muss aber doch im Hinblick auf die mittel- und langfristigen Folgen im Hals stecken bleiben. Die Beschwerdeführer haben gewonnen, aber nicht gesiegt: Zum ersten Mal wird vom Karlsruher Gericht die Speicherung von Daten auf Vorrat zu noch unbestimmten Zwecken für zulässig erklärt, ohne dass es einen konkreten Anlass oder gar einen Verdacht geben muss.

    Seit dem Urteil zur Volkszählung im Jahr 1983 hatte das Gericht immer wieder betont, dass das Grundgesetz den Bürger "gegen die unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner Daten" schütze. Das ist nun nicht mehr der Fall. Das höchste deutsche Gericht weicht von seinem bisherigen Credo ab.

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  2. Ein Pyrrhus-Sieg: Aus diesem Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht gehen die 35.000 Kläger auf Dauer eher geschwächt hervor. Das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung hat zwar die innerdeutsche Regelung für nichtig erklärt, dennoch ist eine Speicherungspflicht in dem im Telekommunikationsgesetz vorgesehenen Umfang mit Art. 10 Grundgesetz "nicht schlechthin unvereinbar". Vor allem aber ist die EU-Richtlinie 2006/24/EG, die durch die als verfassungswidrig erklärten innerstaatlichen Gesetze nur umgesetzt werden sollte, durch das Urteil nicht tangiert.

    Wie beim Hartz-IV-Urteil wird pathetisch die Unverletzlichkeit des Grundrechts beschworen, um dann dem Gesetzgeber viel Gestaltungsfreiheit zu geben, das Fernmeldegeheimnis wieder einzuschränken. Und wie beim Urteil über den EU-Reformvertrag schreckt das höchste deutsche Gericht vor einer Auseinandersetzung mit dem EU-Recht zurück. Das kann man eigentlich nur verfassungsrechtlichen Opportunismus nennen.

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  3. Ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof zum BVerfG-Urteil

    Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung habe die Freiheit Schaden genommen, betont der Linken-Politiker Wolfgang Neskovic. Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses kritisierte, dass künftig die Speicherung ohne Anlass möglich werde.

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  4. Terror-Angst schlägt Datenschutz - Karlsruhe hat ein halbherziges Urteil gesprochen und alle Bürger unter Generalverdacht gestellt. Die FDP [sic!!!] muss verhindern, dass es zu einer Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung kommt.

    Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht tot. Ungeachtet all des Jubels, den das Karlsruher Urteil am Dienstag bei Datenschützern, Netzaktivisten und den vielen Klägern zunächst ausgelöst hat, wirkt der Kern der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts seltsam unterbelichtet.

    Die höchsten Richter des Landes haben entschieden, dass es durchaus mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass alle Bürger einem gewissen Generalverdacht ausgesetzt werden. Die Speicherung aller Verbindungsdaten von Telefon und Internet ohne Anlass verstößt nach Auffassung der Richter nicht gegen die Verfassung. Polizei, Staatsanwälte und unter gewissen Umständen die Nachrichtendienste dürfen auf diese sensiblen Daten zugreifen.

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Anmerkung: Wie der Verfasser des ansonsten sehr lesenswerten Kommentars aus der Frankfurter Rundschau auf die abstruse Idee kommt, ausgerechnet die FDP "müsse" eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung verhindern, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Wieso sollte eine käufliche Klientel-Partei das auch tun? Die FDP ist alles mögliche, aber ganz gewiss keine "Bürgerrechtspartei". Vereinzelte, zumeist ältere Parteimitglieder mögen diesem hehren Glauben ja noch nachhängen, aber die konkrete Politik in Regierungsverantwortung setzt für alle sichtbar konträre (Ausrufungs-)Zeichen. - Wenn selbst die Mainstream-Presse fast einmütig die Bedrohung moniert, die von diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgeht, sollten wir uns sehr warm anziehen - und gewiss nicht auf die FDP hoffen.

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