Freitag, 13. April 2012

Song des Tages: Die Verschwörung der Idioten




(Heinz Rudolf Kunze: "Die Verschwörung der Idioten", aus dem Album "Brille", 1991)

Aufstehn, pissen gehn,
schaudernd in den Spiegel sehn
Donnerstag, Zahnbelag,
überwiegend Niederschlag

Spät dran, Dusche an,
kalter Strahl auf alten Mann
Kaffee stark, Frühlingsquark,
Biber nagt am Rückenmark

Wenn das hier schon das Leben ist -
was machen dann die Toten?
Wer kennt sich hier aus?
Wer hilft mir hier raus
aus der Verschwörung der Idioten?

Radio, klingt wie Klo,
Wirbelsturm in Mexiko
UFO rammt Kanzleramt,
Deutschlammt einig Vaterlammt

Titelblatt: Lügen satt,
Bonn, die Lumpensammlerstadt
Zug entgleist, Blutdruck beißt,
leider nach Diktat verreist

Wenn das hier schon das Leben ist -
was machen dann die Toten?
Wer kennt sich hier aus?
Wer hilft mir hier raus
aus der Verschwörung der Idioten?

Chicken Mac schmeckt wie Dreck,
Magen schrumpft zum Leberfleck
Fahrstuhl kocht, Schädel pocht,
wer nicht lacht, wird eingelocht

Stoßverkehr, kann nicht mehr,
trink erst mal den Kühlschrank leer
Nimm doch den, schlafen gehn,
ausgeknockt die Sterne sehn

Wenn das hier schon das Leben ist -
was machen dann die Toten?
Wer kennt sich hier aus?
Wer hilft mir hier raus
aus der Verschwörung der Idioten?

Welch eine Überraschung: Armut, Schikane, Willkür - Hartz-Terror macht krank

Manchmal hinkt die moderne Wissenschaft dem gesunden Menschenverstand hoffnungslos hinterher. Wir hatten es doch schon längst gewusst, aber nun ist es auch erwiesen. So überrascht uns also die Erkenntnis der Leipziger Psychologin Gisela Mohr nicht mehr sonderlich, dass Arbeitslose häufiger von psychischen Krankheiten betroffen sind als Erwerbstätige.

Aber manchmal braucht es eben gewissermaßen einen amtlichen Stempel, damit auch noch der letzte mit Blindheit geschlagene Politiker, Beamte, "Arbeitsagent", Leiharbeitsfirmeninhaber oder sonstwie in dieser Hinsicht mit Scheuklappen versehene Zeitgenosse einen eigentlich nicht zu übersehenden Missstand wahrnimmt. So schätzt die Psychologin, die an der Universität Leipzig den Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie innehat, dass etwa jeder dritte Arbeitslose eine professionelle Psychotherapie benötigt.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Ein durchaus interessanter Artikel, der die gesamte Unlogik und Menschenfeindlichkeit des kapitalistischen "Arbeitsmarktes" aber leider nicht hinterfragt. Es liegt in der Tat auf der Hand, dass erzwungene Armut, Schikane und die ständige willkürliche Bedrohung der familiären Existenzgrundlage durch das Amt massive schädliche Auswirkungen auf die Betroffenen haben müssen. Dasselbe gilt allerdings auch für Erwerbstätige, die in unsicheren, oftmals ebenfalls prekären Arbeitsverhältnissen ausharren müssen.

Es wäre mindestens ebenso interessant zu erfahren, welche schädlichen Auswirkungen der unaufhörliche Zwang zur Prostitution für all die ausgebeuteten Menschen hat, der dem Kapitalismus zugrundeliegt. Ebenso wäre es sehr interessant, die Psyche der Menschen zu erforschen, die auf der anderen Seite im überquellenden Luxus schwelgen und seit jeher offensichtlich keine Skrupel haben, sich selbst massiv zu bereichern, indem sie die große Mehrheit ausplündern, unter Druck setzen, schikanieren, versklaven, in Kriege stürzen und sogar millionenfach verhungern lassen. Ich befürchte aber, dass diese psychotische Hölle selbst für gestandene Psychologieprofessoren zu angsteinflößend ist.

Zu guter Letzt dürfen wir nun alle raten, was unsere liebe Bundesregierung, die schließlich nur das Wohl aller Bürger im Sinne hat, mit dieser nun auch wissenschaftlich bestätigten Information, dass der Hartz-Terror krank macht, anfangen wird. Ich bin sicher, die Antwort kennen wir alle.

Donnerstag, 12. April 2012

Zitat des Tages: Stellenjagd

Was hab' ich nicht alles schon probiert:
jeden Morgen die Arbeits-Annoncen studiert.
Ich stehe um fünf Uhr auf, um der erste zu sein,
aber nie bin ich allein.

Ich notiere schnell und laufe im Trab
auch die entferntesten Stellen ab.
Freilich, mein Äußeres ist nicht mehr repräsentativ -
die Absätze sind schief,
und jung bin ich auch nicht mehr.
Mit leerem Magen fällt Haltung schwer.

Wenn ich Adressen zu schreiben bekäme,
ich machte es billig.
Wenn man mich wo als Ausgeher nähme,
ich liefe willig.

Ich war einmal Bürochef in erster Firma
und sah dazumal bessere Zeit;
meine Frau stammt aus gutem Haus und heißt Irma,
nun geht es ihr schlecht, und das tut mir leid.

Die wertvollen Sachen sind im Pfandhaus verfallen.
Die Halsabschneider haben uns längst in den Krallen.

Zum Glück gibt das Wohlfahrtsamt jetzt Kohlen und Holz,
damit unser Hunger nicht friert.
Früher hätten wir uns der milden Gaben geniert,
aber Not kennt keinen Stolz.

Die Buben sollten aufs Gymnasium gehn -
das ist nun aus.
Ich weiß nur eines bestimmt, wir sehn
uns nicht mehr hinaus.

Neulich fuhr mein Abbaudirektor vorbei,
er lehnte im Auto in molligen Polsterkissen.
Zwischen ihm und mir steht mein christlich' Gewissen
und schließlich - die Polizei.

(Julius Zerfaß [1886-1956], in "Simplicissimus", Heft 46 vom 09.02.1931)

---

Heilmittel


"Sehnse, Gnädige, in 'nem neuen Krieg die Arbeitslosen wieder so'n bisschen vor Verdun geführt, und sie wären wenigstens in Ehren weg!"

(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 48 vom 23.02.1931)

Anmerkung: Der Zeichner Erich Schilling gehörte - ganz im Gegensatz zum Dichter Julius Zerfaß - zu den schmierigen Zeitgenossen, die nach der Übergabe der Macht an die Nazis im Jahre 1933 von ehemals "scharfen Gegnern" zu "glühenden Verehrern" der braunen Terrorbande avancierten. Ist es legitim, Werke dieses schäbigen Opportunisten aus der Zeit vor 1933 trotzdem zu würdigen - was meint Ihr? Ich bin unschlüssig.

Mittwoch, 11. April 2012

Hartz-Terror: "Sanktionen" sind verfassungswidrig

Die Menschenwürde ist absolut. Das menschenwürdige Existenzminimum muss durch den Staat in jedem Einzelfall "stets" gewährt werden. Kürzungen des ALG-II-Anspruchs (Sanktionen) durch die Jobcenter sind verfassungswidrig. Jeder Mensch in einer existenziellen Notlage hat einen Anspruch auf ein Minimum staatlicher Leistung. Ihre Gewährung darf nicht von "Gegenleistungen" abhängen. Dies macht den Kern des Sozialstaats aus.

(Weiterlesen - pdf)

Anmerkung: Dieser fundierte Text stammt von ausgewiesenen Fachleuten - nämlich von einem ehemaligen Richter des Bundesgerichtshofs sowie einer Assessorin und derzeitigen Doktorandin der Rechtswissenschaften. Er beleuchtet den juristischen Hintergrund einer Frage, die auch hier in diesem Blog in laienhafter Weise (ich bin kein Jurist) bereits einige Male aufgeworfen wurde, und es ist wenig überraschend, dass auch dieser Fachtext zu demselben Ergebnis kommt: "Sanktionen" sind klar verfassungswidrig.

Es wird auch Kritik am Bundesverfassungsgericht geübt, das sich hinsichtlich dieser Thematik bisher bekannter Weise nicht zu einer klaren, eindeutigen Aussage durchringen konnte, sondern sich zumeist in eher nebulösen Andeutungen ergangen und auch in Widersprüche verstrickt hat.

Ich jedenfalls habe noch nie nachvollziehen können, wie eine als "Existenzminimum" ausgewiesene Leistung überhaupt in irgendeiner Form "sanktioniert" - also gekürzt oder sogar ganz verweigert - werden darf. So wird der Begriff "Existenzminimum" ad absurdum geführt, weil eine "Sanktion" gleichbedeutend mit der erheblichen Verkleinerung oder gänzlichen Aufhebung der Existenzberechtigung wäre. Unterhalb eines Minimums kann es per definitionem nichts geben. Ein "negatives Existenzminimum" wäre mit dem Ende der Existenz - also mit dem Tod - verbunden.

Leider werden in diesem Text viele andere Fragen, die bei diesem Thema evident sind, nicht behandelt. Die allerwichtigste scheint mir dabei die Frage nach der Höhe der Leistung zu sein, die man als "Existenzminimum" bezeichnet. Jedem Betroffenen, aber auch jedem klar denkenden anderen Menschen muss sofort klar sein, dass die Höhe des ALG II in einem so reichen Land wie Deutschland eine Farce, ein Almosen, ein äußerst übler und menschenverachtender Scherz ist. Während einige Wenige nicht mehr wissen, was sie mit ihren stetig hereinfließenden Millionen noch alles Sinnloses oder Katastrophales anstellen sollen und der Staat als Handlanger und Spucknapfhalter dieser Superreichen den großen Rest der Bevölkerung und sich selbst zunehmend verarmt, speist man Millionen von Menschen mit ein paar lausigen Abfällen ab und stellt sie gleichzeitig unter Generalverdacht und in die Abhängigkeit von einer monströsen Bürokratie, die mit einer schieren Allmacht bezüglich Überwachung, Kontrolle, Willkür und jederzeit verhängbaren "Sanktionen" ausgestattet ist.

Dieser faschistoide Wahnsinn muss endlich gestoppt werden. Die Uhr tickt, und sie tickt schnell.

Ich hoffe sehr, dass sich bald Menschen finden, die die nötige Kraft, den familiären / freundschaftlichen Rückhalt und den nötigen kompetenten juristischen Beistand haben, um die Frage nach der Verfassungswidrigkeit von "Sanktionen" und möglichst auch die dringend notwendige Korrektur bezüglich der Höhe der Leistungen höchstrichterlich klären zu lassen. Ich befürchte, dass dazu nicht mehr allzu viel Zeit bleibt.

---

Dieser Zeichner jedenfalls kam zu spät - als seine Karikatur an der Zensur vorbeirutschte, war die Diktatur bereits bittere Realität:


"Gut, dass ich dich treffe, Gustav, mir fehlen gerade zwei Mark für Benzin!" - "Bedaure, die fehlen mir gerade für Schuhsohlen."

(Zeichnung von Josef Sauer [1893-1967], in "Simplicissimus", Heft 1 vom 01.04.1934)

Montag, 9. April 2012

Ungebrochener Privatisierungswahn: Kahlschlag im Klinikum

(...) Seit die hessische Landesregierung eine Universitätsklinik an einen privaten Klinikkonzern namens Rhön verkauft hat, fallen mir ganz andere Dinge ein, wenn ich den Namen Rhön höre: Haustarifvertrag, unbezahlter Sonderurlaub, Rhön-Vorstandsmitglied Christoph Straub wird Chef der Barmer Ersatzkasse (nachdem die bisherige Chefin Birgit Fischer Chef-Lobbyistin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller wurde),

(...) Aufkauf von Kassenarztsitzen zur Gründung konzerneigener medizinischer Versorgungszentren, der hessische SPD-Sprecher Frank Steibli wird Pressesprecher des Rhön-Klinikums, verfassungswidrige Überleitungen der Arbeitsverträge, unerträgliche Arbeitshetze und unbezahlte Überstunden, bis an die Grenzen ausgedünnte Personaldecke, Schließung "unrentabler" Abteilungen, Aushilfen statt qualifiziertem Personal.

(Weiterlesen)

Anmerkung: CDU und FDP machen mit der schon in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begonnenen und von SPD und Grünen danach zur Perversion getriebenen Privatisierung der öffentlichen und allgemeinen Daseinsfürsorge in allen Bereichen einfach weiter - so als habe es all die katastrophalen Berichte über die für fast jeden Menschen wahrnehmbaren Auswirkungen gar nicht gegeben. Der hier verlinkte kleine Artikel aus der Frankfurter Rundschau steht nur stellvertretend für sogar in der Mainstreampresse mannigfaltige Katastrophenberichte aus allen [sic!] betroffenen Sparten.

Wie schon so viele Male zuvor muss einmal mehr das irreführende Wort "Privatisierung" relativiert werden - denn auch die in diesem Text erneut massiv kritisierte Rhön Klinikum AG ist ja nicht im Besitz irgendwelcher "Bürger", sondern gehört der Kaste der Superreichen, die auch diese AG - wie die Rechtsform schon zeigt - einzig deshalb betreibt, um damit erheblichen zusätzlichen Profit zu ergaunern. Der eigentliche Sinn und Zweck einer Klinik gerät dabei - wie immer bei solchen "Privatisierungen", die eigentlich Kapitalvermehrungschimären heißen müssten - ins Abseits. Und natürlich liegt es auf der Hand, dass dabei erhebliche Summen aus dem ehemals solidarischen Gesundheitssystem unwiderruflich in die Kassen dieser wenigen Personen abfließen.

Es war mir schon immer ein Rätsel, wieso es offenbar nicht jedem Menschen sofort klar ist, dass ein Krankenhaus nicht dasselbe ist wie ein Autohaus. Die neoliberale Bande will uns aber genau dies seit Jahrzehnten auf die verdunkelte Brille malen: Patienten in Krankenhäusern seien nichts anderes als Autokäufer, die verschiedene "Anbieter" nach dem "besten Angebot" abklappern und dabei "Schnäppchen" machen wollen, weswegen die "Anbieter" in einem "Wettbewerb" stünden ... - Lacht da vielleicht jemand? Ich tue es, wenn auch unter argen, stechenden Bauchschmerzen - denn das Groteske dieser Sichtweise, die zugleich zutiefst menschenverachtend und gesundheitsgefährdend (und oft genug auch tödlich) ist, ist kaum anders kommentierbar.

Dass dieser Privatisierungswahn, wie im Artikel angedeutet, natürlich stets mit Korruption verbunden ist, kann da nur noch Unbedarfte überraschen. Es geht dabei schließlich einzig und allein und die Profite einer kleinen Minderheit, die sich dann auch erkenntlich zeigt, wenn ihre raffgierigen Wünsche umgesetzt werden. Niemand in irgendeinem Staat dieser Welt profitiert von solchen Privatisierungen und der daraus zwangsläufig resultierenden Mehrklassenmedizin - mit Ausnahme derer, die über sehr viel Geld verfügen.

Wundern darf sich darüber allerdings auch niemand, denn genau dies ist das Prinzip des Kapitalismus. Eine Politik, die diesen spalterischen Interessen folgt, ist eine Politik der Superreichen, die sich gegen die gesamte restliche Bevölkerung richtet. Sogar einige privilegierte Ärzte scheinen das inzwischen erkannt zu haben, wie es beispielhaft der verlinkte Text und die verschiedenen Initiativen gegen weitere Privatisierungen von Kliniken zeigen. Dessen ungeachtet machen die Parteien der Neoliberalen Einheitspartei Deutschlands (NED) unaufhaltsam weiter - und dabei ist es unerheblich, welcher der Blockparteien CDU, CSU, SPD, FDP oder Grüne sie sich zugehörig fühlen.

Regelmäßige Leser dieses Blogs dürfte es nur wenig überraschen, dass auch diese humanistische Perversion keineswegs neu ist - es handelt sich auch hier lediglich um die Wiedereinführung eines sehr alten und allzu bekannten Klassensystems:

---

Klassenunterschied


"Sehen Sie, Kollege, den Dritte-Klasse-Patienten darf man wenigstens ganz offen gestehen: 'Das Leben des Menschen steht in Gottes Hand!'"

(Zeichnung von Marcel Frischmann [1900-1952], in "Simplicissimus", Heft 46 vom 16.02.1932)