Samstag, 11. Juni 2016

Schöne neue Welt: Reklamepest


In Jörg Schiebs WDR-Blog "Digitalistan" war kürzlich zu lesen:

Und plötzlich zeigt der Fernseher Werbung / Die Hersteller von Fernsehgeräten stecken ganz schön in der Klemme: In den letzten Jahren haben die meisten von uns schicke HD-Fernseher gekauft: flache Geräte, die eine Menge können. Mittlerweile ist jedoch eine Marktsättigung eingetreten – und neue Trends wie 3D oder 4K werden vom Kunden nicht angenommen. Der Kauf-Boom ist vorbei. Womit also Geld in die Kassen spülen? Mancher Hersteller kommt da auf abenteuerliche Ideen. Samsung zum Beispiel: Der Koreaner zeigt Werbung in seinen Geräten.

Gut, ich fragte mich beim Lesen verwundert, wer denn wohl mit den "meisten von uns" gemeint sein könnte, denn Erwerbslose, Armutsrentner, Kranke, Aufstocker oder prekär dahin vegetierende junge Menschen - also etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung - müssen selbstredend auf ein TV-Gerät dieser Preisklasse, das selbst im irrwitzigen "Sonderangebot" noch mehr kostet als das vierfache "Existenzminimum", verzichten - aber an diese Unnützen richtet sich der innovative Vorstoß der schlipsgewürgten Habgierigen auch gar nicht, denn wieso sollte man Verarmte auch mit dämlicher, zusätzlicher Reklame zumüllen. Das tut man doch lieber dort, wo zumindest noch ein wenig zu holen ist und sorgt auf diese Weise dafür, dass der unbedarfte, ausgebeutete Noch-Mittelschichtler selbst beim Anschauen einer DVD oder eines bezahlten - also eigentlich werbefreien - Streams in regelmäßigen Abständen mit "Verbraucherinformationen" versorgt wird, damit er nicht vergisst, wo er seine in der Sklavenarbeit sauer erworbenen Penunzen lassen soll.

Das ist ein richtig tolles Konzept: Wer tatsächlich so blöd ist, TV zu glotzen und dafür auch noch ein "smartes" [sic!] TV-Gerät zu benötigen glaubt, hat es nicht anders verdient, von den Arschgeigen der kapitalistischen Abzocker bis zum Zustand der Besinnungslosigkeit für dumm verkauft zu werden.

Die Reklamepest ist schon jetzt - natürlich nicht bloß im TV - längst nicht mehr erträglich; wir dürfen aber sicher sein, dass sie erst am Anfang ihres Siegeszuges steht, solange dieses grauenvolle System den Planeten zerstört. - Vielleicht könnte dem Herrn Schieb beizeiten noch jemand leise mitteilen, dass diese Geschäftsidee im Rahmen des Kapitalismus keineswegs "abenteuerlich", sondern vollkommen logisch und regelkonform ist - auch wenn der gute Mann das gewiss nicht verstehen wird bzw. darf, wenn er seinen fürstlich bezahlten Job als "Internetexperte" beim WDR behalten möchte.

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Fortschritt


"Um die unerhört gestiegenen Unterhaltskosten der Friedhöfe aufzubringen, dürfen von jetzt ab gegen entsprechende Gebühren an den Grabmälern Reklametafeln angebracht werden."

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 29 vom 12.10.1921)

Donnerstag, 9. Juni 2016

Song des Tages: Mistreated




(Deep Purple: "Mistreated", live in Kalifornien, USA, 1974; Original aus dem Album "Burn", 1974)

Anmerkung: Der Text dieses Songs ist irrelevant. Man genieße das Werk in brüllender Lautstärke - David Coverdales Stimme und Ritchie Blackmores Gitarrenspiel haben nicht umsonst Musikgeschichte geschrieben. Solche entwaffnend emotionale Musik, die den Blues ins totale Extrem treibt, gibt es in der weichgespülten Glitzerwelt heute nicht mehr. - Dasselbe gilt allerdings für die Frisuren. ;-)

Mir fällt momentan kein anderes Musikstück ein, das den ausgepressten, aussortierten Verlierern des kapitalistischen Systems noch besser aus der Seele spräche.


Mittwoch, 8. Juni 2016

Leseempfehlung: Über die Sklaverei


Nach einer längeren Zeit des Schweigens hat der Kollege vom "Dudentity"-Blog nun einen äußerst beachtenswerten Text ins Netz gestellt, der sich mit verschiedenen, medial kaum beachteten Facetten des staatlichen Hartz-Terrors beschäftigt. Es ist in unserer Orwell-Zeit geradezu selbstverständlich, dass auch weiterhin die SPD federführend an vorderster Front dabei ist, das Asoziale zur Gewöhnlichkeit auszubauen und Minderheiten unentwegt die Stiefel in die Fresse zu treten - hier kann man das aber komprimiert und nett aufbereitet in wenigen Zeilen nachlesen.

Ich habe drüben schon einen Kommentar dazu hinterlassen und möchte hier nicht allzu viel hinzufügen. Es bleibt zu wünschen, dass zukünftig noch viel mehr Berichte aus der Hölle der kapitalistischen Zwangsverarmung, die sich selbstverständlich zuerst an den Schwächsten abarbeitet, bevor sie ihren Siegeszug in der restlichen Bevölkerung antritt, geschrieben werden.

Wenn ich hier verlauten lasse, dass ich mich aktuell entscheiden muss, ob ich Lebensmittel einkaufen oder doch lieber dem Telekom- oder Energiekonzern meine letzten Mücken in den Rachen werfen soll, lockt das niemanden mehr hinterm Ofen hervor - und ich kann nicht einordnen, ob dafür Abstumpfung und Zustimmung oder doch eher bittere Ohnmacht verantwortlich sind. So geht der Faschismus seinen anfangs schleichenden Weg - der aber rapide an Fahrt aufnimmt:

An Demenzkranken und geistig Behinderten sollen künftig auch Medikamente getestet werden, von denen die Probanden keinen Nutzen haben.

Auschwitz lugt mit gierigen Augen wieder in unsere pervertierte Welt. Das überflüssige Menschenmaterial, das der Kapitalanhäufung unnötig im Wege steht, ist nun wieder Verfügungsmasse. Man wird in dieser narkotisierten, dummgehaltenen, konsequent verarmten Bevölkerung nicht lange nach einem neuen Dr. Mengele suchen müssen.

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Sparmaßnahmen


"Wir müssen unsere Lebenshaltung jetzt auf eine schmalere Basis stellen!"

(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 41 vom 07.01.1924)

Filmtipp: Wie der Wind sich hebt


Am kommenden Sonntag (12. Juni) läuft auf Arte der bislang und womöglich überhaupt letzte Film des japanischen Anime-Regisseurs Hayao Miyazaki, den ich sehr verehre: "Wie der Wind sich hebt" aus dem Jahr 2013 (dt. 2014). Das Werk ist danach hoffentlich für einige Tage auch in der Mediathek verfügbar - und kann von halbwegs versierten Menschen, die eine entsprechende (kostenlose) Software installiert haben, auch heruntergeladen und lokal archiviert werden.

Der Film ist trotz aller gesungenen Lobeshymnen und erhaltenen Preise durchaus auch kontrovers diskutiert worden - eine kleine Übersicht mit entsprechenden weiterführenden Verweisen bietet der oben verlinkte Wikipedia-Artikel. Ich selbst bin hier ebenfalls zwiegespalten und kann mich noch immer nicht entscheiden, ob ich dem unvergleichlichen Zauber, der den Filmen von Miyazaki stets innewohnt, oder doch eher der inhaltlichen, teils durchaus nachvollziehbaren Kritik folgen soll. In jedem Falle lohnt sich das Ansehen sehr - und sei es auch nur aus schnödem Unterhaltungsinteresse. Es versteht sich von selbst, dass auch dieser Film des japanischen Meisters nichts mit dem üblichen Hollywood- oder gar Disney-Kitsch gemein hat. Auf der Arte-Seite zum Film heißt es dazu schlicht:

Ein atemberaubender Film, der zeigt, wie wichtig Fantasie und Träume sind. Taumelnde Zeit und wirres Wetter, rollendes Gelände und schwebende Flugobjekte - man möchte eintauchen in diese Welt ...

Meine persönlichen Favoriten unter den Filmen dieses Genies bleiben aber "Das Schloss im Himmel" (1986), "Mein Nachbar Totoro" (1988), "Das wandelnde Schloss" (2004) und vor allem "Chihiros Reise ins Zauberland" (2001).


Dienstag, 7. Juni 2016

Zitat des Tages: Am gleichen Strang


Für Erich Fried.

Wir ziehen doch beide
am gleichen Strang:
Sagte der Boss
zum Proleten.

Sagte der Henker
zum Mann unterm Galgen:
Wir ziehen doch beide
am gleichen Strang.

(Volker von Törne [1934-1980], in: Born / Delius / von Törne: "Rezepte für Friedenszeiten. Gedichte", Aufbau 1973; geschrieben 1971)




Montag, 6. Juni 2016

Rassismus: Deutsche Kultur und Werte


Wieder einmal hat Stefan Gärtner in seiner Titanic-Kolumne den verdorbenen Nagel auf den Kopf getroffen und diesmal den latenten Rassismus, der in Deutschland quer durch alle "Klassen" aufblüht, in genau die Jauche einsortiert, in die er gehört:

Nehmen wir abschließend an, ein Politiker der sog. Alternative für Deutschland hätte gesagt: "Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut, aber wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben", und nach dem üblichen Entrüstungsgeplärre hätte eine Umfrage ergeben, 82 Prozent der Deutschen (sogar 87 Prozent der AfD-Anhänger) hätten einen Boateng sehr gern als Nachbarn, praktisch lieber als jeden anderen: müssten wir da nicht finden, Alexander Gauland habe ganz unrecht, und dieselben Leute, die sonst Schaum vorm Mund kriegen, wenn ihnen wer verbieten möchte, "Neger" zu sagen, möchten durchaus mit und neben Artfremden wohnen, mindestens dann, wenn es sich um solvente Nationalspieler handelt und nicht um die türkische oder sonstwie südliche Großfamilie, die die Wohnungen runterwohnt, die Kindergärten verstopft und die wir uns immer dann vom Hals halten, wenn sie nicht gerade Gemüse verkauft?

Mir persönlich sind vereinzelte Fußballspieler, die in jungen Jahren immer wieder erfolgreich mit für den Normalsterblichen monströsen, für Superreiche allerdings müde belächelten Summen gekauft werden, ohnehin schnurz - ganz egal, welche Pässe oder Migrationshintergründe sie besitzen. Dumm bleibt dumm, und das gilt nicht nur für stupide Balltreter, sondern in weitaus gesteigertem Maße erst recht für die dumpfen Fans dieser pseudosportlichen Veranstaltung, die nicht bemerken, wie sie permanent ausgelacht, ausgenutzt und bloßgestellt werden. Von der offensichtlich korrupten "Führungsmannschaft" (FIFA & Co.) und der begleitenden Medienkakophonie schweige ich an dieser Stelle lieber.

Ich will mir gar nicht ausmalen, welche diabolischen Vorhaben die finstere Bande der Merkels, Schäubles, Gabriels & Co. geplant hat, während die Tölpel der europäischen Bevölkerung wie erwartet zuhauf im nationalistischen Wahn verharren bzw. immer tiefer darin versinken. Der gemeine, stumpfsinnige Rassismus, der Deutschland nach 1945 nie verlassen hat, ist mit vollen Segeln, schriller Prachtbeleuchtung und lauthals kreischend wieder da und innerhalb kürzester Zeit erneut zum bitteren Alltag geworden.

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Tender Lie



(Gemälde von Francesco Clemente [*1952] aus dem Jahr 1984, Mischtechnik auf Holz und Aluminium, Privatbesitz [sic!], Zürich, Schweiz)