Oder: Willkommen in Dystopia
Seit Anfang August 2017 ist es nun "amtlich": In Deutschland gibt es ein Gesinnungsstrafrecht, das es erlaubt, Menschen "rechtskräftig" zu verurteilen und jahrelang einzusperren, die keine Straftat begangen haben, sondern denen lediglich "plausibel" unterstellt wird, derartig Schändliches in der Zukunft möglicherweise begehen zu wollen. n-tv berichtete:
In dem Fall ging es um einen Deutschen aus München, der zweimal vergeblich versucht hatte, ins syrische Bürgerkriegsgebiet zu reisen, um dort für einen islamischen Gottesstaat zu kämpfen. Im Oktober 2015 wurde er am Flughafen München festgenommen. Vom dortigen Landgericht wurde der damals 27-Jährige im Mai 2016 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil ist nun rechtskräftig.
Der Bundesgerichtshof [sic!] hat dieses Freisler'sche Urteil bestätigt. So intensiv ich auch nachdenke – mir fällt dazu kein sinnvoller Kommentar ein, den ich hier auch veröffentlichen könnte, ohne ausfällig zu werden. Ich stelle stattdessen einfach die Frage in den Raum, wie man gemeinhin (autoritäre) Staaten bezeichnet, welche die eigenen Staatsbürger aufgrund eines Ausreiseversuches – aus welchen Gründen der auch immer geplant gewesen sein mag – strafrechtlich verfolgen und in den Knast sperren? Ob das Urteil wohl ebenso ausgefallen wäre, wenn dem Mann nicht die Ausbildung in einem "Terror-Camp" in Syrien, sondern beispielsweise in einem "Terror-Wolkenkratzer" der menschenfeindlichen Bankmafia an der Wallstreet als Ziel unterstellt worden wäre – oder gar eine Teilnahme am Krieg auf Seiten der "gemäßigten Rebellen" [*lol*] in Nahost oder sonstwo? – Die Antwort liegt klar auf der Hand.
Es ist nicht allzu weit hergeholt, dass demnächst auch wieder Schwerstkriminelle wie ich vor Gericht gestellt und weggesperrt werden, denn ich träume ja – wenn auch ohne jede Hoffnung – nach wie vor von einer sozialistischen Revolution, die dieses furchtbare kapitalistische System endlich, endlich in die finstere Kanalisation der Geschichte spült, wo es schon so lange hingehört – und das sogar öffentlich und ganz und gar nicht "verdeckt". Wie lange mag es noch dauern, bis wieder einmal nicht mehr "erst" der Ausreiseversuch "geahndet" wird, sondern die Männer in den schwarzen Mänteln schon lange vorher hämmernd vor der Türe stehen? – Cogito ergo criminalis sum?
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Wer läutet draußen an der Tür?
Wer läutet draußen an der Tür,
kaum dass es sich erhellt?
Ich geh schon, Schatz. Der Bub hat nur
die Semmeln hingestellt.
Wer läutet draußen an der Tür?
Bleib nur; ich geh, mein Kind.
Es war ein Mann, der fragte an
beim Nachbarn, wer wir sind.
Wer läutet draußen an der Tür?
Lass ruhig die Wanne voll.
Die Post war da; der Brief ist nicht
dabei, der kommen soll.
Wer läutet draußen an der Tür?
Leg du die Betten aus.
Der Hausbesorger wars; wir solln
am Ersten aus dem Haus.
Wer läutet draußen an der Tür?
Die Fuchsien blühn so nah.
Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein
und wein nicht: sie sind da.
(Theodor Kramer [1897-1958], geschrieben am 18. Juni 1938, in: "Gesammelte Gedichte Bd. 1-3", 1989)