Freitag, 17. Oktober 2014

Song des Tages: This Is War




(Thirty Seconds To Mars: "This Is War", aus dem gleichnamigen Album, 2009 [Video: 2011])


If we don't end war
war will end us. (H.G. Wells)
This is a song about peace.

A warning to the people, the good and the evil
This is war
To the soldier, the civilian, the martyr, the victim
This is war

It's the moment of truth and the moment to lie
The moment to live and the moment to die
The moment to fight, the moment to fight
To fight, to fight, to fight

To the right, to the left
We will fight to the death
To the edge of the earth
It's a brave new world from the last to the first

To the right, to the left
We will fight to the death
To the edge of the earth
It's a brave new world, it's a brave new world

A warning to the prophet, the liar, the honest
This is war
Oh, to the leader, the pariah, the victim, the messiah
This is war

It's the moment of truth and the moment to lie
The moment to live and the moment to die
The moment to fight, the moment to fight
To fight, to fight, to fight

To the right, to the left
We will fight to the death
To the edge of the earth
It's a brave new world from the last to the first

To the right, to the left
We will fight to the death
To the edge of the earth
It's a brave new world, it's a brave new world

I do believe in the light
Raise your hands up to the sky
The fight is done, the war is won
Lift your hands toward the sun

Toward the sun ... the war is won

To the right, to the left
We will fight to the death
To the edge of the earth
It's a brave new world from the last to the first

To the right, to the left
We will fight to the death
To the edge of the earth
It's a brave new world, it's a brave new world
It's a brave new world

A brave new world
The war is won
The war is won
A brave new world.



Anmerkung: Das Video spricht für sich selbst. Am Schluss wird uns dort lapidar mitgeteilt: © 2011 Sisyphus Productions. Ob beabsichtigt oder nicht: Eine feinere und gleichzeitig so bittere und bitterböse Ironie habe ich wirklich selten zuvor so bewusst wahrgenommen.

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Realitätsflucht (5): Oblivion


Es ist mal wieder soweit: Die sirenenhaften Rufe aus den virtuellen Welten haben mich genötigt, mich ein weiteres Mal auf eine Abenteuerreise zu begeben, diesmal ins Land bzw. die Tamriel-Provinz "Cyrodiil". Ich habe das Spiel "The Elder Scrolls IV: Oblivion" vor einigen Jahren schon einmal gespielt, muss aber sagen, dass ich es jetzt - nachdem ich "Skyrim" gespielt habe - noch um einiges besser finde als damals.

Das Spiel ist, wie man es inzwischen aus der Elder-Scrolls-Reihe gewohnt ist, extrem opulent, sehr detailverliebt und dialogreich. Und auch wenn sich ein Vergleich mit dem Nachfolger "Skyrim" förmlich aufdrängt, sollte man den (abgesehen von der Story) tunlichst unterlassen, denn 2006 waren die grafischen Möglichkeiten und die so genannte "Künstliche Intelligenz" (KI) für derartige Spiele noch nicht in der Lage, das zu leisten, was für "Skyrim" fünf Jahre später bereits obligatorisch war. Wenn überhaupt ein Vergleich vonnöten ist, sollte man dafür Spiele wie "Risen" oder "Fable - The Lost Chapters" heranziehen.

Man merkt dem Spiel das Alter zwar an, selbst dann, wenn man die Auflösung, grafischen Details etc. aufs Maximum stellt, aber ich persönlich empfinde das keineswegs als störend - ich kann mich nach wie vor an dem grafischen Standard dieser Zeit erfreuen und brauche für ein gutes Spielerlebnis keine "HD-Grafik". Ich habe mich nach dem Start des Spiels in wenigen Minuten daran gewöhnt und im weiteren Verlauf nichts vermisst. 2006 gehörte "Oblivion" im Bereich der Grafik zum Besten, was damals möglich war.

Kommen wir aber zum eigentlichen Spiel, also zur Handlung und deren Umsetzung (eine Inhaltsangabe voller Spoiler lässt sich bei Wikipedia nachlesen). Das Spiel beginnt in einer fast schon traditionellen Szenerie: Unser Held, den wir spielen und dessen Erscheinungsbild wir wie gewohnt recht detailreich bestimmen können (Geschlecht, Spezies, Erscheinungsbild etc.), findet sich in einer Gefängniszelle wieder und erhält als erste Quest den Auftrag, daraus zu entkommen. Der Beginn ist, wie gewohnt, wie eine Art "Tutorial" gestaltet, in dem der Spieler die grundlegenden Funktionen und Aktionen kennen lernt. Gleichzeitig ist dieser Teil auch ein dramatischer Prolog, der den Auftakt für das folgende Spiel darstellt - ohne groß spoilern zu wollen, kann ich doch verraten, dass wir auf unserer Flucht Zeuge des Mordes an "Kaiser Uriel Septim VII." werden und von diesem, kurz bevor er stirbt, den "Hauptauftrag" erhalten, der durch das gesamte weitere Spiel führt.

Die Spielwelt, in die man nach der erfolgreichen Flucht gelangt, ist riesig und frei begehbar. Es gibt unzählige Orte (Städte, Dörfer, Höhlen, Ruinen, Grabstätten, Schreine etc.) zu entdecken, und man sollte tunlichst einen Notizblock neben der Tastatur liegen haben und akribisch jeden Ort, den man entdeckt und nicht sofort besucht, aufschreiben - ansonsten verliert man nach kurzer Zeit den Überblick und weiß nicht mehr, wo man bereits gewesen ist und wo noch nicht. Das Spiel gibt dazu nämlich leider keine Hinweise.

Überall trifft man auf NPCs, mit denen man sich unterhalten kann und dies auch in jedem Fall tun sollte, denn oft gelangt man so an wichtige Informationen oder erhält eine der unzähligen Quests, die in diesem Spiel zu erledigen sind. Dabei ist es allerdings wichtig, wie "freundlich" einem ein NPC gesonnen ist - dies lässt sich während jedes Dialoges mittels eines Minigames beeinflussen. Alternativ kann man auch "Bezauberungs-Magie" einsetzen, sofern man über diese Fähigkeit verfügt, um Personen "positiv zu stimmen". - Subjektiv empfinde ich "Oblivion" als weitaus dialoglastiger als jedes andere mir bekannte Rollenspiel (einschließlich "Skyrim"), was ich persönlich auch sehr gut finde. Allerdings sollte man das Spiel besser auf Englisch spielen, denn die deutsche Übersetzung wie auch die deutsche Synchronisation sind teilweise unterirdisch schlecht.

Was die Quests und Questreihen betrifft, muss ich ebenfalls feststellen, dass es in "Oblivion" weitaus abwechsungsreicher zugeht als in vergleichbaren Spielen. Hier heißt es nicht ganz so oft: "Betritt den Ort X, haue alles zu Klump, was sich dir in den Weg stellt, besiege den Endgegner und kassiere die Belohnung!" Es gibt ganze Questreihen, in denen man Leute beispielsweise verfolgen, belauschen, manchmal auch bestehlen soll, um weiterzukommen, und gelegentlich wird der Spieler auch völlig im Regen stehen gelassen und muss selber herausfinden, wie ein Problem denn nun zu lösen ist - Hinweise gibt es in diesen Fällen nicht. Das mag ich an solchen älteren Spielen sehr - leider ist diese Facette inzwischen fast gänzlich ausgestorben. Natürlich gibt es in "Oblivion" auch die verschiedenen "Gilden" (Magier, Kämpfer, Diebe) sowie die "Dunkle Bruderschaft" samt den jeweils zugehörigen Questreihen.

Außerdem gibt es noch die zweite Ebene dieses Spiels, nämlich die namensgebende Welt von "Oblivion", in der die "Daedra-Fürsten" und ihre bestialische Brut hausen. Ich möchte dazu nicht viel schreiben, dies hier muss reichen: "Cyrodiil" wird von den "Daedra" aus "Oblivion" bedroht und angegriffen, überall in der ganzen Provinz tun sich immer weitere "Tore" in dieses Höllenland auf, und es versteht sich von selbst, dass unser Held sie allesamt beherzt durchschreiten und in "Oblivion" gegen die "Daedra" kämpfen muss, um die Höllentore wieder zu schließen.

Bei diesem zweiten Ausflug in diese Welt von "Cyrodiil" und "Oblivion" habe ich eine Spielweise gewählt, die mir eigentlich gar nicht liegt: Ansonsten schwinge ich in solchen Rollenspielen stets mit Wonne große Schwerter oder dicke Äxte, diesmal aber habe ich mich entschieden, endlich auch einmal den Weg des Magiers auszuprobieren - obwohl ich zu Beginn gar keine Lust dazu hatte. Aber was soll ich sagen: Ich habe das Spiel jetzt etwa zu zwei Dritteln durch, und es macht wahrhaft höllischen Spaß, all die Skelette, Zombies, Goblins, Orks, Trolle, Geister, Daedra und was sich da sonst noch so alles in den finsteren Abgründen tummelt, mit Feuerbällen oder Blitzen zu überziehen, sie einzufrieren oder ihnen den Lebenssaft einfach aus der Ferne abzusaugen. Die Möglichkeiten für einen Magier sind äußerst vielfältig. Freilich muss man auch hier mit entsprechender Gegenwehr rechnen - es ist manchmal schon extrem witzig, mit welchen fiesen Zaubern und Flüchen starke Gegner agieren, auf die man als Spieler wiederum kreativ reagieren muss, wenn man nicht plötzlich in Unterhose völlig schutzlos vor dem Monstrum stehen und in kurzer Zeit den Löffel abgeben will.

Ich spiele die "Game-of-the-year"-Edition, welche die beiden Add-ons "Knights of the Nine" und "Shivering Isles" enthält. Beide sind durchaus empfehlenswert, allerdings sollte man beim ersten, das nahtlos in die Spielwelt integriert wird und schlicht eine eigene Questreihe darstellt, darauf achten, dass man sie konsequent von Anfang bis zum Ende weiterverfolgt und zwischendurch nichts anderes unternimmt - sonst kann es zu Problemen bei der Lösung kommen, die ich hier aus Spoilergründen nicht näher ausführen möchte. "Shivering Isles" hingegen ist eher das Rollenspiel-Äquivalent zu einem schrillen, abgefahrenen LSD-Trip, den ich so noch in keinem anderen Spiel dieser Art gefunden habe.

Fazit: "Oblivion" ist ein Spiel, das 2006 Maßstäbe gesetzt und Grenzen gesprengt hat und das auch heute noch zum Besten gehört, das auf dem Gebiet der Rollenspiele geschaffen wurde.


Mittwoch, 15. Oktober 2014

Song des Tages: Welcome to the Black Parade




(My Chemical Romance: "Welcome to the Black Parade", aus dem Album "The Black Parade", 2006)

When I was a young boy, my father took me into the city
To see a marching band, he said: "Son, when you grow up,
Would you be the savior of the broken, the beaten and the damned?"

He said: "Will you defeat them, your demons and all the non-believers,
The plans that they have made, because one day I'll leave you,
A phantom to lead you in the summer to join the Black Parade."

Sometimes I get the feeling he's watching over me,
And other times I feel like I should go,
And through it all, the rise and fall,
The bodies in the streets, and when you're gone
We want you all to know:

We'll carry on, we'll carry on,
And though you're dead and gone, believe me,
Your memory will carry on! - We'll carry on,
And in my heart, I can't contain it,
The anthem won't explain it.

And while that sends you reeling from decimated dreams,
Your misery and hate will kill us all,
So paint it black and take it back,
Let's shout out loud and clear,
Defiant to the end we hear the call:

To carry on, we'll carry on,
And though you're dead and gone, believe me,
Your memory will carry on! - We'll carry on,
And though you're broken and defeated,
Your weary widow marches.

On and on we carry through the fears,
Disappointed faces of your peers,
Take a look at me 'cause I could not care at all.

Do or die, you'll never make me,
Because the world will never take my heart,
Though you try, you'll never break me,
We want it all, we wanna play this part.

Won't explain or say I'm sorry,
I'm unashamed, I'm gonna show my scar,
Give a cheer for all the broken,
Listen here, because it's who we are.

I'm just a man, I'm not a hero,
Just a boy who wants to sing his song,
Just a man, I'm not a hero,
I don't care ...

We'll carry on ...



Statt einer Anmerkung: Das Schlussbild zu diesem Song aus dem offiziellen Musikvideo. Mehr gibt es dazu wohl nicht zu sagen - es geht eben alles immer wieder denselben Gang und fängt stets immer wieder von vorne an, ganz egal, was zuvor geschehen sein mag. Wir lauschen der hörbar gemachten Sinnlosigkeit der bisher gelebten Erfahrungen. Wenn man da nicht resignieren soll - wann denn dann?


Dienstag, 14. Oktober 2014

Enddarmleckerei in den Propagandamedien: Die "Mär vom Heiligen Heinz-Horst"


Heinz-Horst Deichmann ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Anlässlich dieses Sacks Reis, der in China bzw. Essen (NRW) umgefallen ist, beehrten uns die kapitalistischen Propagandamedien in den vergangenen Tagen mit vielerlei "Nachrufen" auf diesen "bedeutenden Mann". Herausgreifen möchte ich hier die Variante des WDR, die ganz besonders schmierig-schleimig und hirnzersetzend ausgefallen ist. Dort lesen wir:

Selbstdisziplin, Bescheidenheit im Privaten und Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und Gesellschaft prägten Heinz-Horst Deichmann. Er hat das elterliche Geschäft zur größten Schuhhandelskette Europas aufgebaut.

Damit ist die Richtung vorgegeben und der für diesen Text verantwortliche "Journalist" Christoph Stehr kann so richtig vom Leder bzw. aus dem Enddarm ziehen - ich empfehle vor der Lektüre den Konsum einer Flasche billigen Fusels, um den Inhalt des erbrochenen Textes satirisch auffassen zu können und nicht den Drang zu verspüren, den Schädel unentwegt gegen die Wand zu schlagen oder sich stundenlang unter die Dusche zu stellen.

Stehr zeichnet hier das Bild eines seligen Heiligen, der an Güte, Menschlichkeit und Selbstaufopferung kaum mehr zu überbieten ist. "Deichmann tut Gutes", fasst der Autor das zusammen, und nennt danach gleich reihenweise "soziale" Stiftungen und Projekte, die der Verblichene monetär unterstützt habe; sogar eine völlig verblödende, an biblische Jesus-Geschichten erinnernde Formulierung wie die folgende rutscht ihm aus dem Enddarm des Kapitalismus' auf die Zunge:

1977, während eines Besuchs in Indien, trifft er eine Gruppe von Leprakranken. Diese Begegnung veranlasst ihn, das Hilfswerk "wortundtat" zu gründen. Seit Jahrzehnten fördert es humanitäre Projekte in Indien, Tansania und der Republik Moldau. Kranke werden versorgt, Kinder erhalten eine Ausbildung, um später eine Familie ernähren zu können.

Man sieht den Heiligenschein über des Deichmanns Haupt förmlich leuchten, während man diese salbungsvollen Zeilen liest - und ich könnte noch weitere Beispiele anführen, was ich aufgrund meines akuten Brechreizes aber unterlasse. Interessierte lesen die "Mär vom Heiligen Heinz-Horst" ohnehin direkt beim WDR. - Lassen wir Herrn Deichmann lieber selber zu Wort kommen. Der Autor zitiert ihn so: "Unternehmer ist für mich nur der, der immer wieder sein ganzes Besitztum in das Geschäft steckt." Nur einen Absatz später schreibt er aber: "Deichmann steht wieder einmal auf der Liste der reichsten Menschen Deutschlands." - Ja, wie denn nun? Offenbar war der Mann doch nicht ganz so selbstlos, sondern hat stets so wenig wie möglich "investiert", um den größtmöglichen Profit für sich selbst daraus zu ziehen, wie es die kapitalistische Ideologie vorgibt - und keineswegs "sein ganzes Besitztum".

Es wird aber noch kruder: "Ohne Wachstum kein gesundes Geschäft", zitiert der Autor den Heiligen und geht, wie gewohnt, nicht weiter auf das kapitalistische Paradoxon des "unendlichen Wachstums" ein. Dieser Satz wird einfach als "Pater noster" der "Marktwirtschaft" in den textlichen Kontext gerotzt, das selbstverständlich nicht zu hinterfragen, sondern lediglich zu verbreiten ist. Passend dazu wird dann auch die offizielle religiöse Büchse aufgemacht, denn der Heilige war natürlich nicht nur raffender Kapitalist ("Unternehmer"), sondern auch Christ - ein studierter zumal. Stehr dreht auf:

Den Antrieb für seine karitative Arbeit schöpft Deichmann aus dem christlichen Glauben. In seinem Elternhaus wird zu jeder Mahlzeit gebetet und täglich aus der Bibel vorgelesen. "Der Ruf Gottes trifft einen auch als Unternehmer", sagt Deichmann. Seine Mitarbeiter sollten gern für ihn arbeiten, denn "sie gehören zum Unternehmen genauso wie der Unternehmer".

An dieser Stelle habe ich mich schnaufend übergeben - diese schrille Zeichnung eines "karitativen", gar "bescheidenen" Milliardärs ist an Wahnwitz gar nicht mehr zu überbieten. Man könnte genausogut auch vom "humanistischen" Nazi oder vom fleischfressenden Veganer schwadronieren. Der "Ruf Gottes" hat für Deichmann, wie für alle Kapitalisten ähnlichen Rangs, stets nur bedeutet, möglichst viele Menschen möglichst gnadenlos auszubeuten, um für sich persönlich möglichst viel absurden Reichtum anzuhäufen. Auf andere Weise wird in diesem furchtbaren System niemand zum Milliardär, ohne zu erben.

Mein persönlicher Nachruf auf diesen Habgierigen fällt entsprechend anders aus: Deichmann war einer dieser skrupellosen Verbrecher, die Billigware in Fernost zu Dumpinglöhnen produzieren und diese trotz des vergleichsweise niedrigen Preises anderswo äußerst gewinnbringend verkaufen ließen. Die vielen, vielen Millionen Euro, die andere Menschen so für ihn erwirtschaftet haben, hat er gerne an sich genommen, und es tat ihm nicht weh, einen Portokassenanteil davon für "soziale Projekte" auch wieder auszugeben. Wenn es einen Gott gäbe, schmorte diese Figur jetzt in der Hölle - so aber dürfen sich bloß die Erben seines ergaunerten Superreichtums darüber freuen, in die perversen Fußstapfen ihres bigotten Erblassers zu treten und das perfide Ausbeutungs- und Zerstörungswerk fortzuführen, bis das kranke System wieder einmal kollabiert.

Der Herr Stehr vom WDR hat sich mit diesem Orwell'schen Stück zu höheren Weihen im "Qualitätsjournalismus" bzw. Enddarm des Kapitals qualifiziert. Herzlichen Glückwunsch. Der Heilige Heinz-Horst wird ihn sicher reich beschenken.

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[Der Heilige Heinz-Horst]


"Tja - große Gewinne erfordern kleine Opfer!"

(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 7 vom 12.05.1920)

Montag, 13. Oktober 2014

Zitat des Tages: Flockenfall


Es hat geschneit, mein Leben zugeschneit.
Hat zugeschneit,
zur Ruh geschneit,
was gestern war, Vergangenheit,
was ich vergaß, was ich besaß,
besaß und dennoch nie besaß:
die Kindheit und der Jugend Zeit,
Hass, Liebe, das erlittne Leid ...
(Das zugefügte liegt schon weit,
so weit vielleicht, dass nie ein Schnee
es decken wird. Wer weiß das je ...)
Und weiter schneit es und begräbt,
was sich nur noch als Hügel hebt,
darunter ich begraben hab
der Wünsche viel im Massengrab:
die Hoffnung auf Gerechtigkeit,
Vernunft, auf Frieden allezeit,
ein reines Bett für jedermann ...
ist alles, alles zugeschneit,
ist zugeschneit,
zur Ruh geschneit.

So wäre dann, was jeder haben kann
zu seiner Zeit
und keiner Zeit
das reine Bett Vergessenheit ...
in dem ihm endlich Ruh gedeiht,
in dem er ruht und doch nicht ruht;
denn immer ist sein Fuß beschuht,
und immer, wie die Flocke treibt,
des Vogels Fittich Spannung bleibt,
sind wir im Fallen, sind der Fall
der Flocken hier und überall,
sind eine leichte Flocke Schnee,
die diesen Ort seit eh und je
geschlechterweis im Fall bedeckt
und die kein zweiter Frühling weckt.
Denn wo wir sind, ist dünne Luft,
und wo wir landen, ist schon Gruft.
Nicht mehr als eine Flocke breit
so schnein wir zu, was zugeschneit,
und sind bald selber zugeschneit,
sind zu
und sind zur Ruh geschneit.

(Rudolf Hagelstange [1912-1984], in: "Zwischen Stern und Staub. Gedichte", Insel 1953)


Anmerkung: Auch Hagelstange gehört zu den hunderten von AutorInnen der Nachkriegszeit, die in den vergangenen drei bis vier Jahrzehnten konsequent dem kollektiven Vergessen preisgegeben wurden - es ist ein unerhörter literarischer Schatz, der da allein in deutschsprachigen Landen in Gänze zu verloren gehen droht. Ich will hier gewiss keine wilden Verschwörungstheorien bemühen - aber die gängige "marktwirtschaftliche" Erklärung (so sie denn überhaupt auf die Literatur angewandt werden sollte oder auch nur darf - aber das ist ein anderes Thema), nach der das "Alte" eben vom "Neuen", gar "Besseren" ersetzt werde, zieht hier einmal mehr nicht: Wo sind denn all die "neuen" LyrikerInnen, ErzählerInnen, DramaturgInnen unserer heutigen Zeit, die auch nur ansatzweise eine vergleichbare kritische Qualität aufzuweisen haben?

Mich erinnert das - wenn auch etwas zeitversetzt, also "in die Länge gezogen" - an das Los so mancher ehemals sehr erfolgreicher, sogar populärer Schriftsteller aus der Zeit des expressionistischen Jahrzehnts zu Beginn des 20. Jahrhunderts, von denen so viele nur zwei, drei Dekaden später (und damit oft noch zu ihren Lebzeiten) dasselbe Los erlitten haben. Wer kennt heute beispielsweise noch einen Walter Hasenclever, der einstmals als Begründer des expressionistischen Dramas und der neuen politischen Lyrik galt und der bis ca. 1920 im deutschsprachigen Raum etwa so populär war wie es heute ein Michael Schumacher ist? Abgesehen von einigen alten literaturwissenschaftlich Interessierten wohl niemand, nehme ich an. Hasenclever, ein Freund Tucholskys, musste nach 1933 miterleben, wie auch seine Bücher verboten und verbrannt wurden und floh danach aus Deutschland. Auch er nahm sich, wie Tucholsky, kurze Zeit später im Exil das Leben.

Heute allerdings ist es nicht mehr nötig, theatralische Bücherverbrennungen von unliebsamen Werken aus der Nachkriegszeit durchzuführen - die AutorInnen sind größtenteils sowieso bereits verstorben und ihre Bücher auch ohne offensichtliche Repressionen aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Das ist die "marktwirtschaftliche" Version der Bücherverbrennung: Das "kennt niemand" (weil es nicht neu aufgelegt oder in Anthologien nicht berücksichtigt wird), das "will niemand" (weil es eben deshalb niemand mehr kennt), das ist also "irrelevant" (weil es nicht in den kapitalistischen Zeitgeist passt).

Auch literarisch sind wir dem Jahr 1933 bedenklich nahe.

Als ich in den 80ern ein junges Bürschlein war, habe ich mich glühend für die Lyrik des so weit entfernten expressionistischen Jahrzehnts interessiert - ob es heute wohl auch junge Menschen gibt, die ein ebenso glühendes Interesse beispielsweise an der Lyrik der Nachkriegszeit entwickeln? Ich bin damals von außen dazu angestoßen worden, das zu tun (Schule, Bücher, Umfeld) - und wie ist das heute?

Oder haben die neuen, flammenlosen Bücherverbrenner bereits gewonnen?