Samstag, 27. Dezember 2014

Weihnachten im Kapitalismus: Gitter gegen Obdachlose


In der südfranzösischen Stadt Angouleme sind öffentliche Sitzbänke mit Gittern verbarrikadiert worden, um Obdachlose davon abzuhalten, darauf zu nächtigen - so berichtet es die heimische Propagandapresse (Beispiel Tagesschau) in christlich-empörtem Tonfall. Ausgerechnet zu Weihnachten sei so etwas ja skandalös, finden denn auch viele KommentatorInnen und stimmen ein in den weihnachtlichen Chor der Empörten.

Wieder einmal geht dabei aber völlig unter, dass es an und für sich bereits eine menschenverachtende Schande sondergleichen ist, dass dieses furchtbare System der Raffgier überhaupt Obdachlose inmitten des pervertierten Konsumterrors produziert und sich um deren Wohlergehen noch dazu nicht im Geringsten kümmert. Es gibt mehr als genügend Ressourcen, um allen obdachlosen Menschen - ob nun in Frankreich, in Deutschland oder anderswo im reichen Westen - eine anständige Wohnung bereitzustellen und damit die bittere Not der Armut etwas erträglicher zu machen. Dies wird jedoch nicht einmal experimentell angedacht - weder von der Politik, noch von den "empörten" Mainstreammedien. Eine solche Bigotterie bringt mich - "gerade zu Weihnachten" - unentwegt zum Kotzen, zumal es ja auch in Deutschland gang und gäbe ist, Obdachlose aus den Innenstädten zu vertreiben und sie zu kriminalisieren, anstatt ihnen zu helfen.

Letzten Endes sind auch die vergitterten Bänke nichts anderes als ein Symptom unter so vielen anderen für das unaufhaltsam wuchernde Krebsgeschwür des raffenden Kapitalismus, das allen anderen Menschen weder die herabrieselnden Brotkrumen, noch das Schwarze unter den Fingernägeln gönnt. Empören kann sich darüber eigentlich nur jemand, der noch immer nicht begriffen hat, in welchem perversen System wir hier leben müssen - und in welche braunen Gefilde es unweigerlich führen muss.

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Abseits



(Zeichnung von Anton Hansen [1891-1960], in "Simplicissimus", Heft 42 vom 12.01.1925)

Freitag, 26. Dezember 2014

Realitätsflucht (8): Drakensang


Es gibt Dinge, die ein Mensch wie ich einfach nicht beherrscht - dazu gehört zweifelsfrei das kluge und ausgewogen-taktische Vorgehen in Computerspielen. Es wird sicher eine gewisse Verwunderung hervorrufen, dass ich trotz dieses Wissens um meine Schwächen ausgerechnet ein Spiel wie "Das schwarze Auge: Drakensang" gespielt habe und auch noch etwas dazu schreibe.

Es begann, wie so oft, mit einer maßlosen Selbstüberschätzung: "Wenn so viele Idioten dieses Spiel meistern", so dachte ich mir irgendwann, "dann dürfte es doch auch für mich keine unüberwindbare Hürde darstellen!" - Gedacht, getan: Ich hatte die "Gold-Edition" des Spieles schon seit einiger Zeit im Schrank herumliegen, installierte es nun endlich und startete es - um nach den ersten fünf Minuten nach dem Spielstart völlig entnervt das Handtuch zu werfen, weil die Spielsteuerung so gar nicht meinem "gewohnten Luxus" entsprach. Dieses Spiel verlangte doch tatsächlich von mir, dass ich beispielsweise die rechte Maustaste gedrückt halten solle, damit die Kamera den Laufrichtungsänderungen meiner Heldin folgt! Man stelle sich das vor! Das ging gar nicht, das war unzumutbar, das war wie eine ranzige Kaviardose auf dem sterneumwobenen McDonald's-Tresen - und so beendete ich das Spiel sofort wieder und vergaß es. Das war vor etwa einem Jahr.

Nun habe ich aber - aus mir unbekannten Gründen - einen neuen Versuch gestartet und es diesmal tatsächlich geschafft, mich auf die veränderte Situation einzustellen. Ich war sehr stolz auf mich, auch wenn ich bis dahin immer noch nicht wusste, worauf ich mich da eigentlich eingelassen hatte - als gemächlicher Rollenspieler, der sich locker-flockig durch allerlei Fable-, Gothic-, Risen- und Elder-Scrolls-Geschichten geschnetzelt hat, erwartete ich nichts, das nicht zu lösen sei. Ich wurde schnell eines Besseren belehrt: Bereits das erste verkümmerte Wildschweinchen, auf das ich im Tutorial (!) stieß, beförderte mich unter mühelosem, fast schon verächtlich klingendem Grunzen innerhalb von Sekunden ins Jenseits - und spätestens an diesem Punkt wusste ich, dass es in diesem Spiel offenbar nicht ausreicht, beherzt auf Gegner zuzulaufen und dabei wild das Schwert oder die Axt zu schwingen.

Ich hatte nun gelernt, dass es verschiedene Arten von Rollenspielen gibt - "Drakensang" gehört zur Kategorie der "taktikorientierten", "rundenbasierten" Spiele, in denen es zudem nicht nur einen einzelnen Helden, sondern gleich eine ganze Gruppe davon gibt, die man steuern und ausrüsten muss. Das war weiteres, aufwühlendes Neuland für mich, dem ich mich aber beherzt genähert habe - mit anfänglich recht guten, im weiteren Spielverlauf aber immer schlechter werdenden Ergebnissen. Um es vorwegzunehmen: Ich habe das Spiel nicht geschafft - nach vielen verschiedenen kleineren und größeren Problemen und einer verdammt langen, äußerst erfreulichen Spielzeit bin ich letztlich am "Grolmenkönig" gescheitert - und der ist noch immer nicht der Endgegner in diesem Spiel.

Bis dahin allerdings hatte ich eine Menge Spaß, obwohl ich von der DSA-Welt zuvor überhaupt keine Ahnung hatte: Die mittelalterliche Fantasywelt von Aventurien ist hier grandios umgesetzt, es macht einen Heidenspaß, sie zu erkunden und all die Nebenquests in Angriff zu nehmen, die man in den Dialogen mit den vielen NPCs in den Städten und Dörfern bekommt. Dabei handelt es sich nicht, wie sonst in vielen Spielen üblich, um langweilige Sammel-Quests wie "Bring mir 10 Bärenfelle", sondern fast durchweg um eigenständige Geschichten, die längst nicht immer etwas mit dem Abmurksen irgendwelcher Monster zu tun haben. Man muss Erkundungen einholen, zwielichtigen Gestalten unbemerkt (!) folgen, in Häuser einbrechen - und sehr viele Aufgaben lassen sich auf ganz verschiedene Weise lösen: Es liegt allein beim Spieler, ob jemand nun durch Wortgewandtheit "überredet", durch Magie "betört" oder schlicht mit dem Schwert bearbeitet werden soll, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Dabei hängt es natürlich von den jeweiligen Fähigkeiten des Helden, die man im Laufe des Spieles sehr detailliert beeinflussen kann, ab, ob die gewählte Strategie erfolgreich ist oder nicht. Ich habe jedenfalls bisher in keinem andern Spiel so viel Zeit damit verbracht, die erspielten Steigerungspunkte möglichst sinnvoll zu verteilen - wenn man keine Ahnung hat, worauf man dabei zu achten hat, kann das eben auch tief in die Hose gehen, so wie es bei mir der Fall war.

Zum Kampfsystem muss ich noch sagen, dass mir diese Art des Spielens einfach nicht liegt. Hier besteht ein Kampf größtenteils aus der Pausenfunktion, die sich zu jedem Zeitpunkt einschalten lässt. In dieser Ruhephase kann bzw. muss man den verschiedenen Gruppenmitgliedern bestimmte Positionen, Angriffsziele und Kampftechniken zuweisen; ebenso kann man auch Heiltränke oder andere magische Essenzen oder Praktiken anwenden - letztlich bleibt das aber eine für mich eher langweilige Angelegenheit, weil ich es weitaus mehr schätze, ganz direkt zu kämpfen oder aber - wie ich es beispielsweise in "Skyrim" so genossen habe - mich an Gegner unbemerkt heranzuschleichen und sie nach und nach mit dem Bogen oder der Armbrust zu meucheln. Das geht in "Drakensang" nicht.

Trotzdem fällt mein Fazit sehr positiv aus, denn Kämpfe sind nicht das Zentrum dieses trotz aller Schwierigkeiten gemächlichen Spieles. Es ist ein wunderbares Abenteuer, auf das ich mich zum Glück doch noch eingelassen habe; und auch wenn ich letztlich gescheitert bin: Ich bin mir sehr sicher, dass ich es irgendwann ein zweites Mal versuchen werde. Vielleicht habe ich bis dahin ja gelernt, die taktischen Potenziale des Spieles tatsächlich zu nutzen, um auch das letzte Drittel des Spieles kennen lernen zu können.


Montag, 22. Dezember 2014

Zitat des Tages: Garderobenständer und Sterne


Wo auf dem schiefgewickelten Globus noch leben,
an welchen Garderobenständer den Hut hängen,
wohin den Postboten zu Tisch bitten,
der mir gerade den Brief gebracht hat,
dass die Miete eine halbe Etage höher steige,
bis zu den Regenrinnen.
Woraus mir die Putzbrocken auf den Kopf flattern.
Was tun, auf einem wackeligen Fußboden,
der mir Kündigungen beschert,
die ich jeden Tag neu erwarte.
Und all die untröstlichen Hoffnungen in der Stadt.
In der ich nicht der erste bin,
nicht der letzte sein werde, dem das Dach überm Hut
und das Bett unterm Rücken weggezogen wird.
Sichtbar in all seiner Schönheit
der blanke Himmel darüber mit geputzten Sternen.

(Johannes Schenk [1941-2006], in: "Spektakelgucker. Gedichte", DVA 1990)





Anmerkung: Ein Kommentar ist hier eigentlich unnötig - der weihnachtlich-kapitalistische Konsumterror geht an den zunehmenden Millionen der Zwangsverarmten in diesem furchtbaren Land ohnehin völlig vorbei. Zu dieser Jahreszeit geziemt es sich sowieso nicht, ausgerechnet an die vielen MitbürgerInnen zu denken, denen von der raffgierigen "Elite" das Einkommen, die Krankenversicherung, die Wohnung geraubt wird - das passt nicht so recht in dieses scheinheilige, vollkommen pervertierte "Weihnachten". So jedenfalls scheint es die vom Kapital zum Abschuss freigegebene "Mittelschicht", die ihren drohenden Absturz zwar erahnt, dafür aber ausgerechnet - einmal mehr - schwächere Minderheiten als Ursache erkannt zu haben glaubt, zu empfinden, wenn ich meinem persönlichen Umfeld Glauben schenken darf.

Es geht alles seinen gewohnten, faschistischen Gang. Habgier, Dummheit und Menschenfeindlichkeit triumphieren auf allen beteiligten Seiten - bei den Geldspeicherbesitzern ebenso wie bei den dumpfen Horden, die "irgendwann" selber mal zu solchen raffenden Arschlöchern werden wollen, wenn es ihnen denn je gelänge. In der Tat weihnachtet es sehr. Und ich kotze mir - natürlich wirkungslos - unentwegt die Seele aus dem Leib und verzweifle an dieser völlig verblödeten Menschheit.