Freitag, 4. November 2016

Die "Lilis": Linksliberale und Kapitalismus - eine glühende Liebesgeschichte


"Liberal heißt im liberalen Sinne nicht nur liberal!" (Loriot)

Ein Gastbeitrag des Altautonomen

Nicht alles an der Agenda 2010 war schlecht. Aber es gibt zentrale Elemente, die den sozialen Zusammenhalt in Deutschland zerstört oder gefährdet haben, und da muss man ran. Die ganze prekäre Beschäftigung, das demütigende Hartz-System zum Beispiel. Hier sind Veränderungen dringend nötig.

(Dietmar Bartsch im Interview mit rp-online vom 28.10.2016)

Es ist nicht irgendein Hinterbänkler oder namenloses MdB aus der Provinz, der so etwas sagt, sondern der von der Basis auf den Schild gehobene Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE im Bundestag, der den Startschuss gibt für den Run auf die Futtertröge unter Aufgabe von bisher als "unverhandelbar" deklarierten Programmeckpfeilern. "Hartz IV" abzuschaffen, ist schließlich nicht mehr en vouge, wenn man sich inszestuös mit dessen Eltern ins Bett zu legen gedenkt. Mit "Veränderungen" könnte Bartsch höchstens den Verzicht auf Sanktionen meinen. Von der SPD und den Grünen ist allerdings nicht zu erwarten, dass sie es sich mit den Gönnern, Protegees und Lobbyisten, die sie bisher üppigst bedient haben, plötzlich wieder verscherzen.

Eitelkeit korrumpiert und führt nicht selten auch zum Positionswechsel

Was sich bei Bartsch verbal zugespitzt herauskristallisiert, ist die Einlösung der Tickets vieler Reform- und anderer Halblinker, auf diesen langsam anrollenden Zug "heim ins System" aufspringen zu dürfen. Wer sich als Publizist, Taschenträger, Schulterklopfer, Plakatekleber, Flugblattverteiler und fleißiger Blogger geschmeidig bei den Parteihäuptlingen anbiederte, sich entsprechend hartnäckig als pseudo-konstruktiver Kritiker des Systems oder als „schwerdenkender Parteisympathisant“ und Klugscheißer profilierte, hofft nun offenbar, dass mit dem sich intensivierenden, verlockenden Duft künftiger Diäten in einer rot-rot-grünen Koalition das Ende der eigenen Bedeutungslosigkeit und materiellen Zwangsbescheidenheit naht.

Schließlich haben linksliberale Schleimer ("Lilis") doch schon immer zu beweisen versucht, dass das kapitalistische System nicht abgeschafft werden könne, und sich gleichzeitig stets von all denjenigen dogmatisch distanziert, die bürgerliche Konservative als politisch pseudolinke Schmuddelkinder definierten: Antifa, Autonome, Anarchisten, Veganer, Feministen, Anarchisten und undogmatische radikale Linke. Völlig anders und damit nicht zu vergleichen ist ihr Umgang mit "Querfrontlern" aller Richtungen: Berührungsängste mit prominenten Vertretern diverser rechtsdrehender Grüppchen kennen sie nicht, da es angeblich so viele inhaltliche Übereinstimmungen (nicht aber mit den radikalen Linken) gebe. Beispielsweise halten sich einige Blogger offenkundig für tolerant und liberal, wenn sie auf ihren Plattformen Videos und Texte von Interviews mit Rechtspopulisten oder deren öffentlichen Reden publizieren.

Dieses Liebäugeln mit rechtspopulistischen Strömungen und die penetrante Tendenz, die Unterschiede zwischen Rechts und Links aufzuheben, zielen somit in Richtung "Querfront". Kritiker dieser unheilvollen Allianzen werden als "Spalter" und Zyniker diffamiert.

Reformistische Träume oder doch nur schnödes Eigeninteresse?

Hierarchische Verhältnisse, strukturelle Gewalt, repressive Intoleranz und das Gewaltmonopol des Staates werden von solchen "Lilis" nicht infrage gestellt, sondern als naturgegeben und verfassungskonform angebetet. Sie vergöttern die parlamentarische Demokratie als Ausdruck des Mehrheitswillens der Wählerschaft, sehen in den Gewerkschaften ein reformistisches Potenzial und träumen von der Übernahme des Staates "auf legalem Wege" anstelle sozialer Kämpfe. Die protestantische Arbeitsethik nebst der damit verbundenen Unfreiheit, Abhängigkeit und Ausbeutung ist für "Lilis" so etwas wie ein Naturgesetz. Ihre Vorstellungen vom "ökologischen und sozialen Gleichgewicht" entsprechen daher Ihrer Forderung nach "gerechter Umverteilung" statt rigoroser Enteignung (Abschaffung des privaten Eigentums an Produktionsmitteln) bzw. sozialer Revolution (Generalstreik).

Dem unvermeidlichen Vorwurf des Opportunismus' begegnen solche Leute reflexhaft mit dem Gegenvorwurf eines angeblichen Dogmatismus' der linken Kritiker, indem sie diese überheblich-spöttisch wahlweise als Vertreter der "reinen Lehre" oder als "die wahren Linken" verhöhnen. Ihre systemkonforme Liberalität mit pseudolinkem Feigenblatt bedeutet jedoch nichts anderes als dass sich diese Leute mit den Herrschenden über den Typus und die Anzahl der Opfer Ihrer "Reformen" endlich einigen möchten. Wer den unbändigen Willen der "Lilis" zur Macht bezweifelt, kann sich anhand exemplarischer Statements, Publikationen und nicht zuletzt auch Bloggertexte der letzten Zeit davon überzeugen. Diese Behauptung hier und jetzt zu dokumentieren, möchte ich mir wegen der zu erwartenden Kommentare einiger argumentationsbefreiter und kritikresistenter Leser meiner Texte ersparen.

---

Anmerkung von Charlie: Es ist sehr schade, dass der Altautonome hier ganz bewusst auf die Nennung von Namen und illustrierenden Beispielen verzichtet. Mir fallen da auf Anhieb gleich reihenweise Hohlköpfe, Opportunisten, Schulterklopfer, Dampfplauderer, Papageien, esoterische Spinner und selbstverständlich ganze Legionen korrupter PolitikerInnen von der kommunalen bis zur Bundesebene ein, die man hier benennen könnte bzw. müsste - aber selbstverständlich respektiere ich die Entscheidung des Gastautors und halte mich hier entsprechend zurück.

---

Lokalpolitiker



(Gemälde von George Caleb Bingham [1811-1879] aus dem Jahr 1849: "Country Politician", Öl auf Leinwand, Fine Arts Museum of San Francisco, USA.)

Mittwoch, 2. November 2016

Song des Tages: Illisit (This is a Criminal Age)




A police state invents you
Give me your name
Your birth reconnects you
To a number and age
To see through the mountain
Master and serv'
A failed-state connects us

This is a criminal age
(Your age!)

The threat aside us
Blow-back reblame
So we are the suspect
Again and again
A terrorist is suspect
A terrorist is blamed
We're the receivers
Living in a game

This is a criminal age
(Your age!)



(Skinny Puppy: "Illisit", aus dem Album "Weapon", 2013)

Anmerkung: Wer nach dem Anschauen dieses Clips sein Dumpf-Phone noch immer nicht unverzüglich zerstört oder in den Tiefen des Atlantiks versenkt, ist selber schuld - auch wenn die nächste Generation der kapitalistischen Überwachungsschergen schon mit gezogenen Waffen an der Pforte wartet.

---

"Shall we further go down the SocioPath?"


(Bild: Skinny Puppy)

Montag, 31. Oktober 2016

SPD/CSU: Menschenfreunde in Aktion


Die asoziale "Sozialministerin" Andrea Nahles (SPD) ist aktuell darum bemüht, sich in populistischem, wirkungslosem Aktionismus gegen die auch von ihrer Partei herbeigesehnte und in langer Lobby-Arbeit minutiös herbeigeführte Altersarmut zu ergehen. Die olle Schrapnelle geht dabei nach dem gewohnten, kapitalistischen Muster der korrupten Bande vor: Zuerst fluten sie bewusst die Sandburg, um im nächsten Schritt lauthals deren folglich unvermeidbare Zerstörung zu bejammern und im gleichen Atemzug die Zerstörung voller Zynismus zu zementieren und auszubauen. Im Fall der Armutsrente, die unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegt und Millionen von Menschen in diesem Land zunehmend betrifft, klingt das dann beispielsweise so:

Die Bundesregierung hat laut einem Zeitungsbericht die Bürger vor unzureichender eigener Altersvorsorge gewarnt. Das Versorgungsniveau der künftigen Rentner werde "ohne zusätzliche Altersvorsorge in den kommenden Jahren deutlich zurückgehen", zitiert die Süddeutsche Zeitung aus dem ihr vorliegenden Alterssicherungsbericht 2016. Ein erhebliches Risiko bestehe vor allem für Geringverdiener. "Wird in diesem Einkommensbereich nicht zusätzlich für das Alter vorgesorgt, steigt das Risiko der Bedürftigkeit im Alter stark an", heißt es in der Regierungsanalyse.

Diese hochwissenschaftliche Analyse ist selbstverständlich ein massiver Anreiz für die Betroffenen, ab sofort mindestens 1.000 Euro monatlich auf die Seite zu legen, damit die bittere, drohende Altersarmut doch noch abgewendet werden kann. Ich mache das auch so, seit ich diesen äußerst wichtigen Hinweis unserer lieben Bundesregierung gelesen habe. Wo landete ich im Rentenalter bloß, wenn diese hellsichtigen Menschenfreunde mich nicht darauf aufmerksam gemacht hätten! Danke!

Nun wäre die korrupte Bande aber nicht konsequent, wenn sie ausschließlich die Alten und jene, die es bald sein werden, bis aufs Hemd ausplündert - zur Füllung der Geldspeicher der "Elite" müssen schließlich alle beitragen, und ganz besonders eben jene, die ohnehin nichts oder nur sehr wenig haben. Das werden sich auch Andrea Nahles und ihre widerlichen KumpanInnen aus dem Ministerium zur Förderung des Faschismus' gedacht haben, als sie vor einigen Wochen einige Ausländer-Babys brieten und verspeisten und sodann beschlossen haben:

Die Bundesregierung will Ausländer aus anderen Staaten der Europäischen Union (EU) für fünf Jahre von Hartz-IV-Leistungen und Sozialhilfe ausschließen, wenn sie in Deutschland noch nie gearbeitet haben. Einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) brachte das Kabinett nach Angaben von Teilnehmern auf den Weg. (...) / In dem Gesetzentwurf heißt es, arbeitslose EU-Ausländer könnten aber für die Dauer von einem Monat einmalige Überbrückungsleistungen etwa für Essen und Unterkunft erhalten. Zudem könnten sie für die Rückreisekosten in ihr Heimatland ein Darlehen bekommen.

Hier sprühen die Menschenfreundlichkeit und der europäische Solidaritätsgedanke förmlich aus jeder Silbe. Eine solche Regelung, die nicht nur dem Grundgesetz, sondern auch jedem ernstzunehmenden europäischen "Unionsrecht" widerspricht, kann in guter, alter Schröder-Tradition selbstverständlich nur aus einem SPD-Ministerium kommen - und erntet, ebenfalls wie immer, besonders lauten Applaus von ganz rechts außen: "Bundessozialministerin Andrea Nahles bekommt für ihre Pläne zur Begrenzung von Sozialleistungen für EU-Ausländer Lob von der CSU."

Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang wieder einmal der hirnzersetzende Begriff "EU-Ausländer", der ähnlich sinnvoll ist wie "Bundesrepublik-Ausländer", wenn es um Menschen aus Bayern geht, die beispielsweise in Niedersachsen durch Krankheit, Alter oder Arbeitslosigkeit hilfebedürftig werden. Sollen die doch erstmal fünf Jahre [sic!] unter der Brücke oder illegal im Wald oder auf der Müllkippe hausen, bevor sie auch in den "Genuss" des überwachenden staatlichen Hartz-Terror-Almosens kommen - oder aber in ihre christlich-soziale Alpenenklave zurückkehren!

Ja, die Willkommenskultur ist in diesem furchtbaren Land des Vorzeige-Kapitalismus mindestens ebenso legendär wie die Menschenfreundlichkeit und die Solidarität. Mir quillt die kalte Kotze durch die längst säuregeschädigte Speiseröhre nach oben, wenn ich mir ausmale, in welchen schwelenden, erbärmlichen Ruinen meine Kinder in wenigen Jahren vegetieren müssen, wenn diese zerstörerische Brut nicht endlich, endlich aufgehalten wird.

---

Das Frieren



(Kreidelithografie von Walter Gramatté [1897-1929] aus dem Jahr 1917, unbekannter Verbleib)