Samstag, 25. November 2017

Schwarz-gelbe Entfesselungskünstler: Die Einheitspartei


Es ist allseits bekannt, dass es völlig einerlei ist, ob nun die kapitalistische Blockpartei SPD oder deren Schwester im Geiste CDU das Sagen in Herrschaftsfragen hat. Auch die Handlanger – ob es sich nun um Grüne, die FDP oder die Linkspartei handelt – sind egal, da die Ergebnisse stets dieselben sind.

Manchmal tun sich einige ProtagonistInnen in diesem Einheitsbrei aber ganz besonders widerlich hervor; vermutlich, um sich für noch besser bezahlte Pöstchen zu bewerben. So geschieht es gerade in NRW, wo die ehemalige (desaströse) rot-grüne Landesregierung vor einiger Zeit von einer (desaströsen) schwarz-gelben Landesregierung abgelöst wurde. Eigentlich sollte sich also für die Bevölkerung nichts ändern – aber die "christlichen" und "liberalen" GesellInnen haben andere, perfidere Pläne.

Das Entfesselungspaket

Unter dem geradezu wahnwitzigen Titel "Entfesselungspaket" – und niemand lacht bei diesem Wort in den Redaktionen – will die schwarz-gelbe Bande "wirtschaftliche Anreize" schaffen. Der WDR berichtet:

Mit mehr verkaufsoffenen Sonntagen will die schwarz-gelbe Landesregierung den Handel in NRW stärken. (...) / Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sieht keine rechtlichen Probleme oder einen Widerspruch zum Sonntagsschutz. Er will vor allem Unsicherheiten ausräumen und den Handel beleben. "Wir wollen, dass die Geschäfte dann offen haben, wenn Familien auch Zeit haben, gemeinsam einkaufen zu gehen", sagte er im Landtag. (...) / Die von Rot-Grün eingeführte Hygiene-Ampel wird abgeschafft. Sie zeigt die Kontrollergebnisse in Lebensmittelbetrieben an.

Dazu ist anzumerken, dass die rot-grüne "Hygiene-Ampel" eine ebensolche Nebelkerze war, die keinerlei Wirkung entfalten konnte – ebenso wie die "neuen" Maßnahmen der schwarz-gelben Bande keinerlei Wirkung entfalten können. Die Summe "X", die den Menschen in NRW zum widerwärtigen Konsum zur Verfügung steht, verändert sich nicht durch alberne verkaufsoffene Sonntage. Beflügelt wird hier allenfalls die Hoffnung auf mehr Käufe auf Kreditbasis. Was das für die betroffenen Menschen, die im Einzelhandel arbeiten müssen, bedeutet, interessiert aber sowieso niemanden aus dieser marktkonformen Mischpoke.

Entfesselung ist eine Kunst

Die Entfesselungen sind damit aber noch nicht abgeschlossen, denn irgendwie muss die Bewahrung des obszönen Reichtums der Wenigen ja weiter zementiert werden. Auch dafür haben CDU und FDP in NRW eine richtig gute Idee:

Die schwarz-gelbe Regierung wird Zuschüsse zurückziehen, mit denen etwa 300.000 Menschen günstig Bus und Bahn fahren können. Das Geld soll anderweitig eingesetzt werden. / (...) Die 40 Millionen Euro, mit denen das Sozialticket bezuschusst wurde, werden 2018 zunächst auf 35 Millionen reduziert, ein Jahr später halbiert und 2020 schließlich ganz gestrichen. Das Geld wolle man besser investieren, teilte der Verkehrsminister und CDU-Politiker Henrik Wüst mit.

Was schert diese Bande denn auch die Bevölkerung? Es ist schon jetzt ein feuchter Witz, dass ein "Sozialticket" für den ÖPNV in NRW knapp 40 Euro pro Monat kostet – wer um alles in der Welt soll sich denn das leisten können, der mit gerade mal 400 Euro auskommen muss, von denen regelmäßig Stromkosten, Telefon- und Internetkosten sowie aus dem "Regelbedarf" zu bezahlende Heiz- und Mietkosten, die oftmals nicht in voller Höhe übernommen werden, zusätzlich zu Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und stets anfallenden Sonderausgaben gedeckt werden müssen?

Die Überflüssigen

Aber weshalb sollten Arbeitslose, Kranke, Alte oder Behinderte auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen wollen? Nach kapitalistischer "Logik" sind das alles "Überflüssige", die am allerbesten gleich versterben sollten, da sie nur "kosten", aber nichts "einbringen". Vor diesem Hintergrund ist die neue Landesregierung in NRW schon sehr produktiv. Schlimm ist nur: Ich unterstelle diesen GesellInnen, dass sie sehr wohl wissen, welches braune Monster sie da "entfesseln" und es trotzdem tun, weil sie das wohlige Plus auf dem eigenen Konto sehr zu schätzen wissen.

Ich unterstreiche noch einmal, um nicht missverstanden zu werden: Auch die rot-grüne Landesregierung hat nichts anderes getan, sondern es nur ein wenig besser verschleiert. Das Motto hier wie dort lautet schlicht: "Haut der Bevölkerung mit Schmackes die Fresse blutig und mästet die Reichen, auf dass auch wir in unseren Blockparteien genug abbekommen."

Die Deppen

Interessiert sich außer dem Deppen Lapuente eigentlich noch irgendjemand dafür, ob Deutschland zukünftig von der CDU, der SPD, den Grünen, der FDP, der AfD oder der Linkspartei "regiert" wird? – Mir jedenfalls könnte nichts gleichgültiger sein.

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Geburt des Faschismus



(Gemälde von David Alfaro Siqueiros [1896-1974] aus dem Jahr 1936. Pyroxylin auf Masonit, Sala de Arte Publico Siqueiros, Mexiko)

Freitag, 24. November 2017

Musik des Tages: Violinkonzert Nr. 2




  1. Andante – Poco Allegro – Moderato
  2. Andante moderato
  3. Poco Allegro

(Bohuslav Martinů [1890-1959]: "Konzert für Violine und Orchester Nr. 2" aus dem Jahr 1943; Violine: Julia Fischer, Tschechisches Philharmonisches Orchester, Leitung: David Zinman, 2017)

Donnerstag, 23. November 2017

Hartz-Terror: Menschenfreunde im Amt


Es ist ja ein alter Hut, dass in den Amtsstuben der "Jobcenter" ausschließlich Menschenfreunde hocken, denen es einzig um das Wohl ihrer mit hartnäckiger, kafkaesker Impertinenz als "Kunden" bezeichneten Opfer geht. Ein weiterer "Einzelfall" von Millionen war kürzlich wieder einmal beim WDR nachzulesen:

Der 50-jährige Michael H. aus Dortmund nennt sich selbst "Gelegenheits-Schnorrer". Immer wenn das Geld knapp wird, sitzt er in der Fußgängerzone und bittet um eine kleine Spende. Vor kurzem ist das dem Jobcenter Dortmund aufgefallen, das nun seine monatlichen Bezüge um 90 Euro gekürzt hat.

Man kann hier klar und deutlich die warmherzigen Fürsorgeabsichten des betreffenden Amtsschimmels erkennen, der Herrn H. sanft davor bewahren möchte, einen gefährlichen Dagobert-Duck-ähnlichen Geldspeicher anzulegen, in dem er womöglich ertrinken oder von herabfallenden Goldbrocken erschlagen werden könnte. Ich schlage vor, dieser/diesem vorbildlichen SachbearbeiterIn das Bundesverdienstkreuz am braunen Bande zu verleihen – feierlich überreicht vom Bundespräsidenten und Hartz-Terror-Co-Architekten Frank-Walter Steinmeier (SPD *glucks*) im Adolf-Eichmann-Haus in Berlin.

Ein weiteres Beispiel dieser "Einzelfälle" habe ich gerade kürzlich (zum in verschiedenen Varianten wiederholten Male) selbst erlebt: Da schwadronierte ein junger, sich seiner kleinen Macht offenkundig sehr bewusste Schreibtischhengst in epischer Breite darüber, dass es "heutzutage" eben auch Akademikern "zumutbar" sei, in "Heimarbeit Kugelschreiber zusammenzubauen" – und fand das offensichtlich völlig normal und nicht einmal im Ansatz überdenkenswert. Er weiß wohl nicht, dass es erst 80 Jahre her ist, seit schon einmal auch Rechtsanwälte, Ingenieure, Schriftsteller, Wissenschaftler, Ärzte und Professoren zuerst in die Arbeitslosigkeit, danach zur unentgeltlichen Straßenreinigung (mit Zahnbürsten), dann zum Steinekloppen und -schleppen in KZ-Steinbrüche und letztlich zum Entsorgen von Leichen und deren Überresten in Krematorien "geschickt" wurden.

Aber auch heutige Amtsschimmel hätten ja schließlich "keine Wahl" und "müssten" so überaus menschenfreundlich handeln, ebenso wie Eichmann und seine NazikollegInnen das vor 80 Jahren auch hätten tun "müssen", so hört man es immer wieder an den Stammtischen und im braunen Blätterwald des Systems raunen. Da kann, um beim ersten Beispiel zu bleiben, das Jobcenter Dortmund gar nichts machen: Wenn irgendein Behördenscherge den verarmten Mann einmal oder gelegentlich beim Betteln "beobachtet", muss er eben Meldung bei der Obrigkeit machen; und wenn eine entsprechende Denunziation aus der Bevölkerung eingeht, muss dieser "Information" ebenfalls nachgegangen werden. Da kennt der deutsche Amtsschimmel kein Pardon: Wat mutt, dat mutt! Und schon knallt der Stempel – heute in Form eines vorformulierten, ebenso schnell abrufbaren Sanktionsbescheides inklusive zehn Seiten Juristenkauderwelsches – aufs Papier.

Letztlich tun sie alle nur ihre Pflicht, und sie gehen nach Dienstschluss beruhigt nach Hause – wohl wissend, dem "Gemeinwohl" einen treuen Dienst geleistet zu haben. Die Gründe, weshalb der bettelnde Mann sich derartig erniedrigt und in der Fußgängerzone – also für jedermann sichtbar – bettelt, interessieren da nicht. Es ist völlig irrelevant, ob er eine Stromrechnung bezahlen muss, um weiterhin in den Genuss von Elektrizität in seiner ärmlichen Behausung zu kommen; ob er ein Medikament, eine Brille oder Zahnersatz bezahlen muss; ob er eine Bahnfahrt zu seinem kranken Sohn nach München bezahlen muss; oder ob er einfach mal wieder ins Kino oder Konzert gehen oder etwas anderes als den ewig gleichen Billigfraß aus dem Discounter oder von der "Tafel" verspeisen will: Dem deutschen Amtsschimmel ist das egal – muss das egal sein, denn sonst könnte das wiehernde Vieh ja zu einem selbst denkenden Menschen heranreifen. Und so etwas Obszönes ist in Kapitalistan nicht nur unerwünscht, sondern strikt verboten.

Deutschland ist eben, wie wir nach hundertfacher Wiederholung endlich wissen, ein menschenfreundliches Land Paradies, in dem "wir" gut und gerne leben; Polizisten sind "Freunde und Helfer"; Soldaten sind "Bürger in Uniform", die "unserer" Verteidigung und dem Katastrophenschutz dienen; und Arbeitslose, Kranke, Alte und Behinderte sind "Kunden" der Ämter, und sie sind natürlich – wir leben schließlich im Kapitalismus – "Könige". Nein, nicht einmal Kafka hätte sich so viel verotteten, lächerlichen Gehirnmassenauswurf, wie er Tag für Tag wie selbstverständlich in diese verkommene Welt geschleudert wird, ausmalen können.


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Der Stilllebenmaler


"Die Äpfel kann ich hinten anbeißen, man sieht ja ohnehin nur die vordere Seite."

(Zeichnung von Ladislaus Kmoch [1897-1971], in "Simplicissimus", Heft 29 vom 12.10.1921)

Montag, 20. November 2017

Zitat des Tages: Geht es dir ebenso?


Du hast dir die Finger einer Hand in den Mund gesteckt, presst ein Würgen in die Kehle zurück. / Nicht schreien! Nein! Den Leib in schwere Ketten legen, damit das Zittern unterdrückt wird. Einen Eimer über den Kopf stülpen, der außen bemalt ist mit einem zufriedenstellenden, ruhebewahrenden Gesicht. Den Anflug eines Lächelns bitte: sanft, stoisch und förmlich! Der Zwang, falsch wie bisher bis zum Ende leben zu müssen, macht nicht halt, dauert über den letzten Augenblick hinaus. Wir tanzen durch die Zimmer, die Türen sind uns im Weg, wir stürzen an die Fenster, manchmal begegnen wir uns, lächeln tapfer mit blutiggebissenen Zungen; aufrecht stehn Leichen vor den Häusern, die Straßen liegen im Schweigen, nur ab und zu kriecht noch ein erschöpfter Amokläufer vorbei, sich tödliche Verletzungen zufügend, Wunden, in denen Sternnebel zu schwären scheinen, während wir uns rütteln und uns befehlen, bitte nicht zu weinen und trotzdem immer wieder unvermutet aufheulen, als ginge uns ein Riss durch Kopf und Leib. Ein Beben umhüllt unsre Herzen. Vielleicht, meinst du, hätten wir einen Mörder, einen Henker dingen sollen, der uns einen vorstellbaren Tod gegeben hätte ... Sie schenken uns ein paar Sekunden ... Wir sind noch immer am Leben ... Dunkle Geräusche. Die Luft zerfällt in ätzende Tropfen. Wir legen uns nieder, hacken uns die Pulsadern auf, reiben unsere Geschlechtsteile, lachend und schreiend vor Angst. Die Erde dreht sich entgegengesetzt. Etwas anderes spüren wir nicht.

(Ludwig Fels [*1946], aus der Kurzgeschichte "12 Uhr", in: Wolfgang Fienhold / Harald Braem (Hg.): "Die letzten 48 Stunden. Science Fiction-Erzählungen vom Weltuntergang", Heyne 1983)