Donnerstag, 23. November 2017

Hartz-Terror: Menschenfreunde im Amt


Es ist ja ein alter Hut, dass in den Amtsstuben der "Jobcenter" ausschließlich Menschenfreunde hocken, denen es einzig um das Wohl ihrer mit hartnäckiger, kafkaesker Impertinenz als "Kunden" bezeichneten Opfer geht. Ein weiterer "Einzelfall" von Millionen war kürzlich wieder einmal beim WDR nachzulesen:

Der 50-jährige Michael H. aus Dortmund nennt sich selbst "Gelegenheits-Schnorrer". Immer wenn das Geld knapp wird, sitzt er in der Fußgängerzone und bittet um eine kleine Spende. Vor kurzem ist das dem Jobcenter Dortmund aufgefallen, das nun seine monatlichen Bezüge um 90 Euro gekürzt hat.

Man kann hier klar und deutlich die warmherzigen Fürsorgeabsichten des betreffenden Amtsschimmels erkennen, der Herrn H. sanft davor bewahren möchte, einen gefährlichen Dagobert-Duck-ähnlichen Geldspeicher anzulegen, in dem er womöglich ertrinken oder von herabfallenden Goldbrocken erschlagen werden könnte. Ich schlage vor, dieser/diesem vorbildlichen SachbearbeiterIn das Bundesverdienstkreuz am braunen Bande zu verleihen – feierlich überreicht vom Bundespräsidenten und Hartz-Terror-Co-Architekten Frank-Walter Steinmeier (SPD *glucks*) im Adolf-Eichmann-Haus in Berlin.

Ein weiteres Beispiel dieser "Einzelfälle" habe ich gerade kürzlich (zum in verschiedenen Varianten wiederholten Male) selbst erlebt: Da schwadronierte ein junger, sich seiner kleinen Macht offenkundig sehr bewusste Schreibtischhengst in epischer Breite darüber, dass es "heutzutage" eben auch Akademikern "zumutbar" sei, in "Heimarbeit Kugelschreiber zusammenzubauen" – und fand das offensichtlich völlig normal und nicht einmal im Ansatz überdenkenswert. Er weiß wohl nicht, dass es erst 80 Jahre her ist, seit schon einmal auch Rechtsanwälte, Ingenieure, Schriftsteller, Wissenschaftler, Ärzte und Professoren zuerst in die Arbeitslosigkeit, danach zur unentgeltlichen Straßenreinigung (mit Zahnbürsten), dann zum Steinekloppen und -schleppen in KZ-Steinbrüche und letztlich zum Entsorgen von Leichen und deren Überresten in Krematorien "geschickt" wurden.

Aber auch heutige Amtsschimmel hätten ja schließlich "keine Wahl" und "müssten" so überaus menschenfreundlich handeln, ebenso wie Eichmann und seine NazikollegInnen das vor 80 Jahren auch hätten tun "müssen", so hört man es immer wieder an den Stammtischen und im braunen Blätterwald des Systems raunen. Da kann, um beim ersten Beispiel zu bleiben, das Jobcenter Dortmund gar nichts machen: Wenn irgendein Behördenscherge den verarmten Mann einmal oder gelegentlich beim Betteln "beobachtet", muss er eben Meldung bei der Obrigkeit machen; und wenn eine entsprechende Denunziation aus der Bevölkerung eingeht, muss dieser "Information" ebenfalls nachgegangen werden. Da kennt der deutsche Amtsschimmel kein Pardon: Wat mutt, dat mutt! Und schon knallt der Stempel – heute in Form eines vorformulierten, ebenso schnell abrufbaren Sanktionsbescheides inklusive zehn Seiten Juristenkauderwelsches – aufs Papier.

Letztlich tun sie alle nur ihre Pflicht, und sie gehen nach Dienstschluss beruhigt nach Hause – wohl wissend, dem "Gemeinwohl" einen treuen Dienst geleistet zu haben. Die Gründe, weshalb der bettelnde Mann sich derartig erniedrigt und in der Fußgängerzone – also für jedermann sichtbar – bettelt, interessieren da nicht. Es ist völlig irrelevant, ob er eine Stromrechnung bezahlen muss, um weiterhin in den Genuss von Elektrizität in seiner ärmlichen Behausung zu kommen; ob er ein Medikament, eine Brille oder Zahnersatz bezahlen muss; ob er eine Bahnfahrt zu seinem kranken Sohn nach München bezahlen muss; oder ob er einfach mal wieder ins Kino oder Konzert gehen oder etwas anderes als den ewig gleichen Billigfraß aus dem Discounter oder von der "Tafel" verspeisen will: Dem deutschen Amtsschimmel ist das egal – muss das egal sein, denn sonst könnte das wiehernde Vieh ja zu einem selbst denkenden Menschen heranreifen. Und so etwas Obszönes ist in Kapitalistan nicht nur unerwünscht, sondern strikt verboten.

Deutschland ist eben, wie wir nach hundertfacher Wiederholung endlich wissen, ein menschenfreundliches Land Paradies, in dem "wir" gut und gerne leben; Polizisten sind "Freunde und Helfer"; Soldaten sind "Bürger in Uniform", die "unserer" Verteidigung und dem Katastrophenschutz dienen; und Arbeitslose, Kranke, Alte und Behinderte sind "Kunden" der Ämter, und sie sind natürlich – wir leben schließlich im Kapitalismus – "Könige". Nein, nicht einmal Kafka hätte sich so viel verotteten, lächerlichen Gehirnmassenauswurf, wie er Tag für Tag wie selbstverständlich in diese verkommene Welt geschleudert wird, ausmalen können.


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Der Stilllebenmaler


"Die Äpfel kann ich hinten anbeißen, man sieht ja ohnehin nur die vordere Seite."

(Zeichnung von Ladislaus Kmoch [1897-1971], in "Simplicissimus", Heft 29 vom 12.10.1921)

26 Kommentare:

Volker Birk hat gesagt…

Es ist in Wirklichkeit noch schlimmer. In den “Jobcentern” wurde nämlich das Kapo-System reaktiviert:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kapo_(KZ)

Die “Sachbearbeiter” sind oft selbst gerade Hartz 4 entkommen, und arbeiten mit Zeitvertrag – sie müssen ihre Sanktionierungsquote erfüllen, und auf genügend anderen herumtrampeln, deren Leidensgenossen sie gerade noch waren, andernfalls steigen sie sofort wieder in die Masse der Hartz-4-Leibeigenen ab.

Zu diesem ganz speziellen Bundespräsidenten, der sich das mit ausgedacht hat, möchte ich deshalb lieber nichts sagen.

Charlie hat gesagt…

@ Volker Birk: Danke für die Ergänzung, die ich im Text auch hätte erwähnen müssen. Dennoch ändert das nichts am Befund: Selbst in Auschwitz gab es höchst unterschiedliche "Kapos" (nachzuhören beispielsweise hier beim Fall der Gebrüder Feingold), von denen einige sogar Menschenleben gerettet haben, während andere den Nazis an Brutalität und Widerwärtigkeit sogar noch voraus waren.

In heutigen deutschen Ämtern ist das Risiko für die "Mitarbeiter" doch deutlich geringer.

Über Steinmeier breite ich indes auch lieber den Mantel des Schweigens - schließlich gilt auch in Deutschland noch immer der Straftatbestand der Majestätsbeleidigung, unter den meines Wissens auch Schmähungen des Bundespräsidenten fallen. So modern ist Deutschland im 21. Jahrhundert!

Liebe Grüße!

Volker Birk hat gesagt…

@Charlie: ich betreue eine seelisch kranke Person. Als ich im “Jobcenter” vorgesprochen hatte und im Angriffsmodus war, antwortete die Sachbearbeiterin in etwa wie folgt:

“Ich mache das auch nur noch drei Wochen. Dann werde ich hier weg sein. Lieber bekomme ich als Arbeitslose keine Stütze, bevor ich mir das noch weiter antue. Ich kann Sie sehr gut verstehen.”

Das spart dem Staat sicher viel Geld.

altautonomer hat gesagt…

1. Teil:
Der Duderich hat ja bereits in seinem Text zum G20-Gipfel in Hamburg die individuelle Verantwortlichkeit des Polizisten verneint und auf die Befehlskette und den Beamtengehorsam verwiesen. Bei dem zitierten Job-Center-Beamten ist es die internalisierte Verwertungslogik, auch aus dem menschlichen "Wrack" noch einen Gewinn heraus zu holen. Die Anerkennung durch die Vorgesetzten ersetzt in diesen Fällen nur die Rolle des "Übervaters".

Daniel Goldhagen ("Hitlers willige Vollsstrecker") und Christopher Brwoning ("Ganz normale Männer" - über Polizeibataillone) haben bereits historisch belegt, dass die Täter von damals nicht nur ihre Pflicht getan haben, sondern darüber hinaus mit großer Leidenschaft und Engagement ihr Mordwerk vollendeten. So zeigt die Eingangsszene des Films "Ilglorious Basterd" mit Christopher Walz als Nazi-Führer, dass sich die Suchtrupps damals nicht mit Befragungen und Hausdruchsuchungen zufrieden gaben, sondern Wände aufbrachen und Bodenbretter herausrissen, um Verstecke zu finden. Sie hätten auch folgenlos einfach wieder abziehen können, stattdessen wurden alle unter dem Bodendielen gut vesteckte Juden durch MG-Salven erschossen.

Ich führe mein Argument deshalb so umfangreich aus, weil sowohl Bereitchaftspolizisten als auch Jobcenter-Mitarbeiter immer die Alternative haben, anstatt hinter Demonstranten bis in entlegenste Hinterhöfe hinterher zu rennen und zusammenzuschlagen bzw. bettelnde H-4-Empfänger zu denunzieren einfach mal durch Unterlassung humanitäres Verhalten zu üben, wegzusehen, wo Hinsehen verhängnisvoll sein kann.

Die Tatsache, dass es auch "andere" Mitarbeitertypen gibt, lenkt nicht von der Tatsache ab, dass das System ohne das Heer der mausgrauen verbeamteten Mitmacher nicht funktionieren würde.



altautonomer hat gesagt…

2. Teil
Eugen Kogon, Autor des Bestsellers “Der SS-Staat” schreibt über den deutschen Beamten:
“Mutig ist er nur in der Gemeinschaft. Seine stark ausgeprägten bürgerlichen Tugenden - Fleiß, Treue, Loyalität, Sparsamkeit, Ordnungsliebe - könne er am besten in einem engen Raum entfalten, wenn ihm klare Anweisungen gegeben werden. Durch die Angst vor Verantwortung und Eigeninitiative spielt die Frage der Zuständigkeit in Deutschland eine vorrangige Rolle, auch in Fällen, wo unmittelbare Abhilfe Not täte. Dem deutschen Beamten ist Unterlassungssünde kein konkreter Begriff, Befehlsverweigerung dagegen eine Untat - er tut, was man ihm sagt, nicht mehr, aber auch nicht weniger, Befehl ist Befehl!”

Ähnlich analysieren Alexander und Margarete Mitscherlich in ihrem Werk “Die Unfähigkeit zu trauern” die deutsche Beamtenseele:

“Es scheint ein nicht weltfernes Unternehmen, ein typisches Individuum zu konstruieren, das in die Nazizeit hineinwächst, sie durchlebt, in den neuen Staat Bundesrepublik hineinwächst und sich ihm anpasst. Dieser Typus hat bis heute die Geschichte der Bundesrepublik in seinen Händen gehalten; er hat auch die heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen erzogen. Weil er tief in sich selber gespalten ist, muss das unverkennbare Spuren in den Jüngeren hinterlassen. Denn wir alle durchlaufen Identifikationen mit den Älteren, die nach ihrer Eltern-, Lehrerrolle als Vorbilder wirken müssen, ehe wir die eigene Identität finden. Es ist deshalb illusionär, anzunehmen, eine junge Generation könne leicht das Joch von “geheiligten” Traditionen und Vorurteilen abwerfen. Sie wird das Erbe an Verhaltensmustern modifizieren, mehr nicht."

Charlie hat gesagt…

@ Volker Birk: Genau, und da sind wir wieder bei den "Einzelfällen". Ich könnte da ebenso das eine oder andere "gute", noch viel öfter aber leider "schlechte" Beispiel nennen, aber das führt hier eben nicht weiter, denn es ist das staatliche, ganz gewollt so aufgestellte System, dass all dies erst möglich und notwendig macht. Wenn ich das Verhalten der Staatsschergen in diesem System kritisiere, sollte es selbstverständlich sein, dass eine Systemkritik da enthalten ist.

Ich erwarte - selbst im Kapitalismus - auch von Polizisten, dass sie keinen auf eine Pritsche gefesselten Gefangenen ermorden. Dass dies dennoch geschieht oder zumindest nicht auszuschließen ist, verdammt nicht alle PolizistInnen in diesem Land, sondern ein perverses System, das eine solche Tat erst möglich erscheinen lässt.

Das mindert indes die Verantwortung, die jeder einzelne Staatsscherge für sein nicht selten existenzbedrohendes Handeln trägt, keineswegs.

Liebe Grüße!

Charlie hat gesagt…

Ganz besonders pervers ist im vorliegenden Fall aus Dortmund ja noch, dass dem zwangsverarmten Mann die besagten 90 Euro nicht nur einmalig, sondern dauerhaft abgezogen werden. Das Amt unterstellt dem Mann also, dass er die fehlenden 90 Euro zu seinem (*ich lache einmal herzlich*) "Existenzminimum" ebenso dauerhaft durch Bettelei ausgleichen könne.

Wie widerwärtig muss man sein, um so etwas in einen amtlichen Bescheid zu packen?

Liebe Grüße!

Charlie hat gesagt…

@ Altauto: Danke für die wichtigen Nachbemerkungen und Quellen. Die stehen allerdings im krassen Widerspruch zu den Ausscheidungen des Dummerichs, die ja nun nichts mit Wissen oder Nachdenken zu tun haben. Ich möchte diese bedauernswerte Gestalt gerne hier heraushalten, denn hier gehört sie nun wirklich nicht hin. :-)

Gestern musste ich satte achtmal (!) den immer gleichen sinnfreien Kommentar vom "Herrn Karl" alias André H. löschen - das reicht mir. Der fühlt sich bekanntermaßen angezogen, wenn vom Dummerich die Rede ist, schließlich sind die beiden sich inhaltlich sehr nahe: In einer leeren Blase trifft man sich schneller als in einer gefüllten.

Aber das soll's jetzt auch dazu gewesen sein.

Viel lieber möchte ich von dem Ekelpaket berichten, das mir vor einiger Zeit, als ich nach einem Herzinfarkt aus dem Krankenhaus glücklicherweise wieder nach Hause kam und mir von ihm im Amt - das ich dann sehr schnell besuchen musste, weil man mir die Bezüge samt Miete und Krankenversicherung gestrichen hatte, weil ich "nicht zuhause war" - anhören musste (Originalzitat): "Reha, Reha, Reha ... andere Leute sind nach einem Herzinfarkt schon nach drei Wochen wieder im Job!" - Der Mann ist meines Wissens heute der Leiter des betreffenden Jobcenters - zumindest haben beide denselben Namen.

Das ist wieder ein Einzelfall, sicherlich. Offensichtlich hat sich dennoch nicht sonderlich viel in den Amtsstuben Deutschlands verändert.

Liebe Grüße!

Fluchtwagenfahrer hat gesagt…

Moin Charles & @all
zum Thema (Zustand) folgendes und ich finde sie hätte es nicht treffender sagen können.
....Traditionen. Der Ruhezustand bietet einfach eine höhere Sicherheit als der Wechsel. Wechsel beinhaltet Unbekanntes, Wechsel impliziert Zweifel. Tradition bietet Sicherheit. Sie verwurzelt und rechtfertigt die Normen, die sie selbst schafft, sie verhindert das Nachdenken und erlaubt es, keine Verantwortung zu übernehmen.
"Sara Doke aus Stammestreffen"
LG

schadensmeldung hat gesagt…


Charlie, wir können davon ausgehen, dass dies kein Einzelfall ist, sondern eine alltäglich praktizierte Menschenverachtung seit Einführung der Existenzbedrohung Hartz IV, was uns anfangs als sozialpolitischer Fortschritt verkauft wurde und gleichzeitig Sozialleistungen der Sozialämter einstellte (beispielsweise das jährliche Kleidergeld).
Wer Hartz IV beantragen muß, um überhaupt noch überleben zu können, kennt ähnliche Schikanen, und an erster Stelle steht immer die Angst vor Bestrafung oder Verweigerung der Lebensgrundlage. Fordern und fördern. Welch ein Zynismus, einen gelegentlichen Bettler per Gesetz zu alternativloser Bettelei zu treiben. In diesem Staat ist alles geregelt oder einfach verboten, was armutsbedingte Not ein wenig lindern könnte.
Die zwingende Frage wäre also, ob überhaupt ein politisches Interesse besteht, fortschreitende Armut zu verhindern.

Charlie hat gesagt…

@ Schadensmeldung: Aus meiner Sicht stellt sich diese Frage gar nicht, da ja offensichtlich ist, dass die Zwangsverarmung breiter Bevölkerungsteile das offene, erklärte politische Ziel dieser Mafia-Bande ist. Der soziale Kahlschlag, den das Ekelpaket Gerhard Schröder initiiert hat, war ja kein "Versehen", sondern geradezu Sinn und Zweck seiner Kanzlerschaft.

Liebe Grüße!

Anonym hat gesagt…

charlie: Es gibt kein Recht auf bedingungslsoe Leistungensitungen! Der Fall in Dortmund, wenn wahr, ist natürlich ein Skandal, wo sind Belege des JC, dasss immer gebettelt wird!Idiotenmaßnahmen und zu starke Vermögensanrechnung sind aber dei größten Probleme!

schadensmeldung hat gesagt…

@Charlie, aus meiner Sicht ebenso nicht, die Frage war eher allgemein gestellt.
Zur Info: NRW schafft das Sozialticket ab; dazu ein Kommentar der taz:
https://www.taz.de/Kommentar-Sozialticket-in-NRW/!5466139
Benötigt ja kein Mensch; ein Schlag in die Fresse tut's auch –weiter so.
In Bad Camberg gibt es auch keine nennenswerten Ermäßigungen mehr für *gluckst* soziale Teilhabe; wer sich einen Camberger Pass ausstellen lässt, benötigt ihn lediglich noch dazu, um bei der örtlichen Tafelspeisung der kath. Kirchengemeinde teilhaben zu dürfen. Jedenfalls so lange der Laden wegen steigender Kundenzahl sowie mangelndem Nahrungsangebot nicht schließen muß.
Mit leistungsbescheidenen Grüßen – Volker

Arbo hat gesagt…

@Charlie: Ich hatte davon schon über diverse Kanäle gelesen. Der beschriebene Fall ist ziemlich übel, an Boshaftigkeit und Menschenfeindlichkeit nicht zu übertreffen.

Ein kleines 'Aber' möchte ich dennoch anfügen. Denn es geht auch 'eine Nummer kleiner'. JedeR, die/der mal wissenschaftlich, künstlerisch, journalistisch usw. unterwegs ist und unregelmäßig mal ein Honorar, kleine Tantiemen usw. bekommt und Hartz IV bezieht, steht vor dem gleichen Problem. Da gibt es eine unregelmäßige Einnahmequelle, die musst Du aber angeben. Egal wie klein oder geringfügig. Und dann bombardiert Dich das Amt im Zweifel mit zig Formularen, wo zT angenommen wird, Du wärst als Selbständiger unterwegs. Also gleich mal Buchhaltung machen... für 30,00 Euro... alles schön belegen... Gewinnrechnung usw.

Das ist, was mich an dem Fall so ärgert: Der zu Recht geäußerten Empörung folgt leider kein konsequentes Thematisieren dieses Irrsinns im allgemeinen Kontext. Viel mehr bleibt irgendwie eine Distanz "wir-die anderen" erhalten... So nach dem Motto "da bettelt jemand, das macht nicht jedeR, das ist tragisch, aber betrifft nicht jeden...".

Nein, es kann jeden Menschen im Hartz-IV-Vollzug treffen.

Charlie hat gesagt…

@ Arbo: Ich weiß nicht so recht, worauf Du hinaus willst. Ich habe ja zwei gänzlich verschiedene Beispiele genannt - dass es darüber hinaus noch unzählige weitere willkürliche Schikanemöglichkeiten seitens des Amtes gibt, sollte doch bekannt sein. Die kann und will ich im Rahmen eines einzelnen Blogpostings nicht allesamt thematisieren, weswegen ich den Schwerpunkt auch auf die "Menschenfreunde im Amt" gelegt habe.

Der von Dir geschilderte Fall ist darüber hinaus ein wenig anders (was nicht heißt: "besser") gelagert. Als Musiker kenne ich das ja selbst sehr gut. Im Unterschied zum Bettler oder Flaschensammler habe ich aber stets die erforderlichen Unterlagen (Abrechnungen), die ich dann "nur" kopieren und den Schergen ins Amt schicken muss - die ersteren haben jedoch überhaupt keine Möglichkeit, ihre "Einkünfte" in irgendeiner sinnvollen Form zu "belegen". Das ist pure, willkürliche Schikane.

Liebe Grüße!

Charlie hat gesagt…

@ Volker: Zum "Sozialticket" ist hier schon ein Beitrag in Arbeit. Ein gänzlich anderes Thema wäre die "Tafel": Es ist nach wie vor ein nicht hinnehmbarer Skandal, dass dort eine genuin staatliche Aufgabe an irgendwelche privaten Organisationen ausgelagert wird - die können nämlich ebenfalls willkürlich darüber entscheiden, wer wann was und wieviel erhält und wer leer ausgeht. Einen Rechtsanspruch auf Hilfe hat dort niemand.

Es ist nicht sonderlich überraschend, dass die "Tafel-Bewegung" ausgerechnet auf die Unternehmensberatung McKinsey zurückgeht. Bei Telepolis hieß es dazu schon vor zwölf Jahren:

Die Konzernzentrale dieser Beratergruppe, bei der man trotz weltweiter Verzweigung viel Wert darauf legt, eine geschlossene Gesamtfirma zu bilden, hat ihre Zentrale in New York - genau wie City Harvest. Da war es nahe liegend, einmal nachzuschauen, ob vielleicht auch die amerikanische Mutter der deutschen Tafelidee Unterstützung durch McKinsey erfahren hat. - Sie hat. Solche McKinsey-Leitfäden zur Gründung und zum Management von Tafeln, gehören in jeder deutschen Tafelfiliale zur Standardausstattung.

Einmal auf dieser Spur zeigt sich eine Einflussnahme von McKinsey in einem Umfang, der den Verdacht entstehen lässt: Ist McKinsey womöglich der eigentliche Initiator der “internationalen Tafellandschaft”? Müssen wir nach McDonalds Fastfood bald mit McKinseys Junkfood für Bedürftige weltweit rechnen?


Liebe Grüße!

altautonomer hat gesagt…

OT: Muss ich mal loswerden.
Ich hatte bei flatter zum Thema SPD/Jamaika am 23.11.2017 folgenden Kommentar gepostet:
"Texte der Toten Hosen wie "Hier kommt Alex", "Sascha" und "Schrei nach Liebe" haben eine eindeutige Antifa-Konnotation.

Die nun vom "revolutionären" Punk-Leader zum Weitermachen Aufgeforderte (Februar 2012: »Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen«)schert sich aber einen Dreck um die verarschten Angehörigen der NSU-Mordopfer."

Am nächsten Tag, 24.11.2017 haut Püntes dazu einen Blogtext zu Campino heraus:
http://www.neulandrebellen.de/2017/11/den-merkelismus-in-seinem-lauf/

Sein Name war Reiner Zufall.


Charlie hat gesagt…

@ Altauto: Ich habe den Lapuente'schen Erguss auch kurz überflogen. Ich frage mich inzwischen aber, was man dazu überhaupt noch sagen soll: Es ist doch stets abzusehen, dass dieser Knabe seine allseits bekannte Dummheit und Unwissenheit zur Schau stellt und nicht im Traum daran denkt, sich weiterzubilden. Er macht eben einfach immer weiter - ebenso wie seine Vorbilder aus der SPD und der Linkspartei das auch tun. Jene Vorbilder wissen zwar, dass sie Mumpitz von sich geben, weil sie sich persönliche Vorteile erhoffen, Lapuente hingegen weiß das nicht - aber so funktioniert die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" in Kapitalistan seit jeher. Man darf das Leuten wie Lapuente nur nicht verraten, sonst fallen sie von ihrem strengen Glauben ab. Und das will ja niemand, der ums goldene Kalb tanzt und dem Kapitalismus huldigt.

Ich mag dazu nichts mehr schreiben.

Liebe Grüße!

Arbo hat gesagt…

@Charlie: Mein Kommentar war keine Kritik an Deinem Beitrag, sondern eher an der allgemeinen Berichterstattung.

Die Unterschiede zu vom mir Geschilderten, kenne ich natürlich. Da gibt es aber auch Grauzonendie dem im Text beschriebenen Fall nahe kommen (zB Barzahlungen). Ich kenne es jedenfalls als Schikane mit Vordrucken, wo Du für lächerliche Beträge zum Selbständigen gemacht wirst und dann Gewinn- und Verlustrechnung machen darfst.

Worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist, diese menschenfeindliche Kleinkariertheit, mit der Ermessungsspielräume nicht mal ansatzweise betreten werden, sondern in hämischer Boshaftigkeit auf die Erfüllung nach Punkt und Komma geachtet wird. Welche absurden Blüten das treibt, das zeigt der von Dir beschriebene Fall.

LG
Arbo

Anonym hat gesagt…

charlie, Hast Du ein Buch zu Hartz 4 gelesen und hier vorgeschlagen? Wo sollte stehen, dass jeder , auch eure Flüchtlinge-bedingungslose Leistungen erhalten sollen! Du willst das System stürzen, was sollte Dich von den rechten- ausser Stillfragen unterscheiden?

Charlie hat gesagt…

@ Arbo: Dazu kann ich Dir eine kleine Anekdote erzählen: Als ich nach einem Herzinfarkt von der Intensivstation zum Glück wieder nach Hause kam, erwartete mich ein Schreiben des "Jobcenters", in dem es sinngemaäß hieß:

"Da wir Sie nicht zuhause antreffen konnten, gehen wir davon aus, dass Sie nicht mehr in XXX wohnen. Ihre Leistungen werden hiermit eingestellt."

Ich teilte den GesellInnen natürlich sofort mit, dass ich nun wieder zuhause, aber gesundheitsbedingt nicht immer mobil und auch nicht immer vor Ort (wegen der anstehenden Reha) sei, worauf sie mir ebenfalls sinngemäß mitteilten:

Ihre Leistungen können Sie sich ab sofort zweimal wöchentlich per Verrechnungsscheck im Jobcenter XXX abholen.

Ich weiß nicht, welche angemessenen Worte man dafür benutzen darf, ohne sich strafbar zu machen. Ich musste (aus der Reha heraus) tatsächlich vor Gericht ziehen, um die Auszahlung per Überweisung beibehalten zu dürfen. Zwischenzeitlich hatte mich die Krankenkasse, die auch nicht mehr bezahlt wurde, schon im Krankenhaus in pure Existenzangst gestürzt.

Und was ich seitdem als Mitarbeiter eines Sozialvereins, der sich um Hartz-Terror-Opfer in der Region, in der ich nach wie vor wohne, kümmert, erlebt habe, sprengte hier den Rahmen.

Liebe Grüße!

Troptard hat gesagt…

Ob bei der Bettelei überhaupt eine selbständige Tätigkeit unterstellt und damit auch die Verpflichtung zu einer vereinfachten Buchführung aufgenötigt werden darf, ist doch mehr als fraglich, weil allein der Tatbestand, dass der Selbstständigkeit ein Leistungsangebot für einen Kunden zugrunde liegen muss nicht vorliegt.

Worin soll denn die Leistung eines Bettlers bestehen? In der Mitleidserregung?
Soweit ich schlecht informiert bin, lässt sich dass wohl nur über die Anrechenbarkeit von Spenden, die im sog. SGB II geregelt sein soll, durchsetzen (50 Euro im Jahr ohne Anrechnug).

Mein Fazit: In der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft, ist jede Ausgabe des Staates, die als Kosten in die Reproduktion der Ware Arbeitskraft fliessen nur dann sinnvoll, wenn sie noch dem Zweck der Geldvermehrung nützlich sind.

Die überflüssige Ware Arbeitskraft erfüllt genau diesen Zweck nicht mehr. Da wird aus der Sicht des Staates, seiner geschäftsführenden Parteien und seiner Unternehmen nur verbraucht ohne noch dem Zweck zu dienen, aus Geld mehr Geld zu machen.

Und so ist es in der Tat keine zufällige Methode, sondern volle Absicht, die Lebensbedingungen der Überflüssigen so weit wie möglich von der Wohlfahrt des Staates abzukoppeln und sie der privaten und eben auch willkürlichen zu überlassen.

Nachtrag: Und was mich betrifft, so haftet mir selbst etwas an, was mir früher oft als gebrochene Biografie vorgeworfen wurde und später dann gesellschaftlich durchaus als Normalzustand anerkannt wurde. Der Wechsel von der Arbeit in die Arbeitslosigkeit.
Und wenn es für ein Arbeitslosengeld nicht reichte, sondern nur für die Sozialhilfe, dann musste erst einmal die nähere Verwandschaft um Unterstützung angebettelt werden, bevor die Sozialhilfe sich bewegt hat.

Arbo hat gesagt…

@Charlie: Danke für die Anekdote. Ich habe zwar nicht so schlimme Sachen erlebt, aber auch genug Blödsinn, insb. Falschberatungen, die dann existenzielle Folgen hatte. Und dann durfte ich auch mal meine Existenzberechtigung vor Gericht erstreiten. Da war's sogar dem Richter zu blöd und er hat dem Jobcenter mehr oder minder deutlich gesagt, was der vom Umgang in meinem Fall hielt. Dummerweise konnte sich das Jobcenter per Vergleich aus der Affäre ziehen... den rechtlichen Schlusspunkt hätte ich gerne noch mitgenommen.

Naja, auf jeden Fall hatte ich dann vor allem von dem Bürokratie-Kram so sehr den Kanal voll, dass ich einen der letzten Sätze in den Schreiben vom Amt wörtlich nahm: ich habe fast jedes Schreiben 'unter Vorbehalt' zur Kenntnis genommen und Widerspruch eingelegt. Das ging bis 8 oder 12 Widersprüche gleichzeitig... >;-)

Aber egal, das System ist wirklich der letzte Dreck. Und wenn ich im akademischen Kreis immer wieder Leute über Erwerbslose, Hartz IV usw. reden höre, denke ich so bei mir, dass die das doch bitte mal selbst erleben sollten. Ach, was reg' ich mich auf...

LG & ein schönes WE noch
Arbo

Charlie hat gesagt…

@ Arbo: Und das ist einer der "Knackpunkte": Man darf nicht damit aufhören, sich über diesen unsäglichen Staatsterror - der im Übrigen demnächst ja auch in Deiner Wahlheimat Österreich an Fahrt aufnehmen wird - aufzuregen. Deshalb werde ich mich auch in der dreihundertsten Wiederholung noch darüber auslassen, wenn mir wieder einmal so widerwärtige Beispiele über den Monitor huschen.

Liebe Grüße und eine angenehme Woche!

Schirrmi hat gesagt…

Ich setze jedes Jahr 50 EUR Spenden bei der Steuererklärung an und es wird anerkannt. Jedenfalls spende ich wesentlich mehr weil ich zur Zeit habe. Ich versorge Menschen in Not mit "Wocheneinkäufe", ich schm)eiße Geld in Hüte und Plastikbecher, ich spende Klamotten (die mir zu klein werden weil ich aus Frust soviel fresse) persönlich an Menschen die ich kenne. Daneben noch aktiv beim Naturschutz und versuche im Garten und im Umfeld Verständnis für Mit-Lebewesen zu werben.

Wenn ich sehe wie die Arschlöcher sich gegen die Offenlegung der eingehenden Geldquellen und Spenden wehren, dann, so traurig wie ich es finde, sind Helmut Kohl und der neue Bundestagspräsident mit ihren schwarzen Aktenkoffern doch einigermaßen liebenswert und genügsam.

Charlie hat gesagt…

@ Schirrmi: So bitter das auch ist: Auch ich "sehne" mich inzwischen in die vergleichsweise harmlosen Kohl-Zeiten zurück. Ich erinnere mich noch immer mit einer schauerlichen Gänsehaut an die Zeit, als Schröder, Fischer, Steinmeier, Göring-Eckardt und Konsorten den großen Kapitalhammer schwangen und all das taten, was sich Kohl & Co. zuvor nicht im Traum getraut hätten, und als der Freitag wie selbstverständlich titelte:

"Dagegen war Kohl modern."

Ich beiße mir noch heute tiefe Wunden in den knackigen Arsch, weil ich dieser rot-grünen Verbrecherbande damals, als ich noch gesund war und im schmucken Einfamilienhaus mit Garten hockte, während ich mich zum größten Teil meiner Lebenszeit bei der Sklavenarbeit brav prostituierte, tatsächlich und mit voller Absicht zur Mehrheit verholfen habe. Und ich Vollidiot dachte auch noch, ich tue etwas Gutes. Es dauerte Jahre, bis ich begriff, in welche stinkende Jauchegrube ich da gesprungen war.

Da kann ich nur noch aus einem Asia-Song aus den 80ern zitieren:

"Now it's too late - you let the sun go down!" ;-)

Liebe Grüße!