Es begann unmerklich. Orthez stockte der Atem. Die Stille löste sich auf, zerfiel, zerbröckelte. Winzige Geräuschfetzen überlagerten sich, bis sie einen einzigen Ton bildeten, der am Rand der Stadt widerhallte. Und allmählich wurde dieses Geräusch zum Schlurfen von Millionen Raupen, zum dumpfen Trippeln einer Horde Ratten, zum unterirdischen Wühlen einer Armee von Maulwürfen.
Es erreichte die Nachbarstraßen, kam näher, breitete sich aus, weckte das Echo zwischen den Fassaden der leeren Häuser. Es schwoll unaufhörlich an, erschütterte die Grundmauern des Hauses, ließ die Scheiben der Fenster klirren. Orthez wusste, was dies bedeutete: er war verurteilt. Verurteilt wie vor ihm die anderen Bewohner der Stadt. Aber er floh nicht.
Die Treppe erzitterte. Der Lärm wurde zum Tumult. Hinter der Tür war ein Scharren zu hören, wie das Kratzen von Krallen. Einige Schritte entfernt splitterte die Tür.
(Alain Dorémieux [1933-1998]: "Welche Katastrophe?", aus seinem Erzählband "Spaziergänge am Rande des Abgrunds", 1978; deutsche Übersetzung von Helga Abret, 1981)
Anmerkung: Der Klappentext des Buches erklärt dazu: "So endet Orthez, der letzte Mensch, in Alain Dorémieux' Erzählung 'Welche Katastrophe'. Hier, wie in seinem gesamten Schaffen, vermittelt der Autor auf besondere Weise die Atmosphäre des Unheimlichen und Bedrohlichen, kommt seine Neigung zum Absurd-Phantastischen zum Vorschein - eingebettet in die stets wiederkehrende Thematik des Weltuntergangs, der Vernichtung allen Lebens durch einen unsichtbaren Feind. Sein schmales, aber gewichtiges Werk weist Alain Dorémieux - neben Daniel Walter und Michel Jeury - als einen der bemerkenswertesten Stilisten der französischen Science Fiction aus."
Ich hätte allzu gerne den gesamten Text dieser Geschichte - und noch so manchen anderen aus diesem bemerkenswerten, fesselnden Band - hier eingestellt, darf das aus bekannten Copyright-Bullshit-Gründen aber nicht, auch wenn das Buch aktuell gar nicht mehr verlegt und höchstens noch antiquarisch zu bekommen ist. Ich habe selten Kurzgeschichten gelesen, die eine solche stilistisch-atmosphärische Dichte und oft genug geradezu kafkaeske Bedrückung besitzen wie diese. Der Klappentext des Verlages ist da - wie so oft - äußerst ungenau und oberflächlich, denn auch wenn der "Feind", also die Ursache des allgegenwärtigen Unheils, in den Texten nicht konkret benannt wird, so wird er doch zwischen den Zeilen in seiner abgrundtiefen Hässlichkeit nur allzu deutlich sichtbar.
Vor 35 Jahren war das "Science Fiction" - heute ist dieses Szenario unserer alltäglichen Realität näher, als dies den allermeisten bewusst sein dürfte. Wie Dorémieux so treffend formuliert: "Es begann unmerklich." Heute lassen sich die unaufhaltsam näher kommenden Detonationen der kapitalistischen Zerstörungsorgie eigentlich nicht mehr ignorieren - auch wenn der Großteil der bedrohten Menschen unter fleißiger Mithilfe der Propagandamedien und der politischen Eigennutzmehrer das auch weiterhin tut oder sich wahlweise auf unbeteiligte und unschuldige (möglichst schwache) Ersatzgegner hetzen lässt. Ebenso wie der Protagonist dieser Geschichte erkennen die allermeisten Menschen bis kurz vor dem Ende oder sogar darüber hinaus nicht einmal, was gespielt wird - der Titel der Geschichte, die die stattfindende Katastrophe in vielen Facetten recht detailreich beschreibt, könnte also treffender kaum sein: "Welche Katastrophe?"
6 Kommentare:
Nach den unsäglichen Vegetarismus-Artikeln wurde heute beim Blog "Hinter den Schlagzeilen" von Holdger Platta ein erstaunlich differenzierter Artikel veröffentlicht: "Die dunkle Seite des revolutionären Bewusstseins"
Würde mich interessieren, was Du als kompromissloser Antikapitalist zu diesem Artikel meinst.
Wenn man zB. Stalin als (wenn auch 'boesen) Linken bezeichnet, nimmt man auch Hitler, Pol Pot, .. ins Boot.
Fuer solch fahriges Zugestaendnis gibts mit aller Sicherheit von Rechts'populisten, von Strasse bis Politik, stehenden Beifall.
Da kann ich wieder nur meinen Jogakurs nebst Gleitcreme anbieten, um beim Selberficken Verletzungen zu vermeiden. ....
Ich möchte Dich einmal mehr darum bitten, hier keine Kommentare mehr zu hinterlassen. Diskussionen mit Dir sind fruchtlos und ich möchte meine Zeit nicht mit Sinnlosem vergeuden.
Vielen Dank!
Eben deshalb möchte ich solchen Stumpfsinn hier nicht haben. Bleibe Du ruhig weiter in Deiner rosafarbenen Bubble, aber verschone doch wenigstens mich damit.
"Ich bin leider überzeugt davon, dass er heute vermutlich dasselbe täte."
Mit aller Sicherheit, sicherlich nicht erst nur vor, aber sicherlich nach den Kommentaren, nach deinem Letzten!!
Auf derlei Reaktionen hin, muss ich dir (leider) zugestehen, dass deine Arbeit dort, nicht umsonst ist. :-(
Auf den Papstquatsch hin, war ich nahezu (promillemaessig) geneigt, was dazu zu sagen.
Womit ich keine Zeit verschwendet haette, hast du, unter Anderem, glaenzend beschrieben.
Das dementsprechende Blubbern, bis auf Günter("es ist alles so komplex, und ich finde es scheiße, wie einfach es sich hier manche angeblichen linken, angebl. sozialisten gar, machen, ...") war zu erwarten und Eule sollte wirklich das Bongwasser lassen.
Der Laden ist ja nahezu sektischirreal und du solltest jetzt wirklich mal was Herzliches, Freundliches, schreiben, um zu zeigen, was Du gut findest, was Du liebst. .... WTF?
Gruss
Jake
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