Samstag, 24. April 2010

Zitat des Tages (30): Wir

Wir kennen nicht die Sterne und die Nacht,
und nicht den Nebel, der sich wiegt auf Grüften;
wir wiegen uns in unsern fetten Hüften,
die Zimbel klittert und die Pauke kracht.

Wir schlafen bei den Weibern, die verderbt;
Gefängnisgitter waren oft herabgelassen,
und öfter klang die Peitsche der Kawassen,
die Väter haben heulend uns enterbt.

Wir sind der Wolf, der um die Plätze weht,
auf Opfer lauernd und um Blut zu trinken.
Die Frösche knallen. Polizisten hinken.
Ein fetter Priester seine Backen bläht.

Wir wissen nicht, ob wir auch einmal enden.
Paris? Berlin? Es ist uns alles gleich.
Wir hämmern mit den giftgeschwollnen Händen
uns unser großes Himmelreich.

(Richard Huelsenbeck [1892-1974] in "Die Aktion", Berlin 1914)


Allianz, Münchner Rück u.v.a.: Wer in Deutschland an der Krise verdient

Die seit fast zwei Jahren andauernde Finanzkrise hat die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Unter den Folgekosten, vor allem den erheblich gestiegenen Staatsschulden, werden die meisten Länder noch jahrzehntelang leiden. Die Banken und Versicherungen, die diese Katastrophe angerichtet haben, wurden in Deutschland bislang nicht zur Verantwortung gezogen. Unglaublich! Beispiel Hypo Real Estate: Mit rund 100 Milliarden Euro rettete die Bundesregierung diese Bank. 100 Milliarden Euro Steuergelder! Doch anders als beim kleinen Metallbetrieb wurde die Bank fast ohne Gegenleistung der Gläubiger gerettet. Deren Forderungen landeten beim Steuerzahler. Allen voran die Allianz mit Forderungen von 5,6 Milliarden und die Münchner Rück mit fast 4,4 Milliarden Euro. Die Allianz meldet nun einen Jahresgewinn von 4,3 Milliarden und die Münchner Rück von 2,6 Milliarden Euro. Und die Deutsche Bank verdiente letztes Jahr 5 Milliarden.

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Anmerkung: Es ist nicht nachvollziehbar, wieso es im Land angesichts dieser Vorgänge so ruhig bleibt. Verstehen die meisten Menschen in diesem Land nicht, was da für ein perfides Spiel mit ihnen getrieben wird - oder ist es ihnen schlicht egal, dass sie ausgepresst werden wie Zitronen, während sich einige wenige Superreiche weiter die überquellenden Taschen füllen? Ist das vielleicht Westerwelles "spätrömische Dekadenz"? Was muss noch geschehen, bis man auch hierzulande auf die Barrikaden geht und dieses Pack aus dem Land jagt - und die politischen Marionetten der CDU/SPD/FDP/Grünen gleich hinterher?


Überwachungsstaat: Elenas dreiste Neugier

Der Bundesregierung droht die nächste Niederlage beim Bundesverfassungsgericht, diesmal wegen der zentralen Arbeitnehmerdatenspeicherung "Elena". Erst am 2. März haben die Karlsruher Richter der Vorratsspeicherung von Telefonverbindungsdaten – jedenfalls in der bisherigen Form – eine Absage erteilt (s. Ossietzky 6/10). Dabei benutzten sie eine für die vornehme Juristenzunft ungewöhnlich klare Sprache: Bei einer solchen Speicherung handele es sich um einen besonders schweren Eingriff "mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt". Darüber hinaus würden die mit einer solchen Datensammlung verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten deren belastende Wirkung verstärken. Schließlich sprach das Gericht von einem "diffus bedrohlichen Gefühl des Beobachtetseins", das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen könne.

Das liest sich wie eine vorweggenommene verfassungsrichterliche Würdigung von "Elena". Wieder geht es um eine anlass- und verdachtslose Massensammlung sensibler Daten. Die "Streubreite" ist beträchtlich, denn mehr als 40 Millionen Arbeitnehmer sind betroffen. Diese könnten sich bedrohlich beobachtet fühlen, wenn sie zum Beispiel ihr Streikrecht wahrnehmen; sie könnten dadurch in der Ausübung von Grundrechten erheblich beeinträchtigt werden. Schließlich sind die Möglichkeiten zum Missbrauch einer Datensammlung um so größer, je umfangreicher sie ist.

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Anmerkung: Es ist der pure Wahnsinn, was diese Überwachungsfetischisten da vor- bzw. bereits in die Tat umgesetzt haben. Man stelle sich doch nur einmal für einen Augenblick vor, das Nazi-Regime hätte über eine solche umfassende Datensammlung nahezu aller erwachsenen Bürger des Landes verfügt - dann wird schlagartig klar, wieso der Datenschutz unbedingte Priorität vor behördlicher Datensammelwut haben muss. Ein Staat, der alles über seine Bürger weiß, entspricht 1:1 einer dystopischen Horrorvision wie Orwells "1984" und hat mit einem demokratischen Rechts- und Sozialstaat nichts mehr zu tun. Diese Entwicklung ist mehr als nur bedrohlich.

Ach, wie überraschend: FDP verwöhnt Gutverdienende

Ein Single mit einem Einkommen von über 54.000 Euro spart durch den Stufentarif 1.500 Euro, ein Niedrigverdiener 150. Ausgerechnet mittlere Einkommen profitieren kaum.

Die FDP will die Steuerlast der Mittelschicht senken. So steht es in ihrem neuen Steuerkonzept, das behauptet: "Am stärksten werden die mittleren Einkommen entlastet." Diese Aussage ist falsch. Der Bund der Steuerzahler hat das FDP-Konzept durchgerechnet, und aus den Zahlen lässt sich herauslesen: Ausgerechnet viele Normalverdiener profitieren am wenigsten.

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Anmerkung: Ach, wie überraschend. Welch eine Sensation, liebe taz. Besonders übel stößt diese Passage im Artikel auf: "Offenbar wollen die Liberalen ihre Klientel schonen – zu der überproportional viele Handwerker und Eigenheimbesitzer zählen dürften." – Was für eine Farce! Weshalb plappert die Zeitung diesen Mythos unreflektiert nach, anstatt wenigstens kurz darauf hinzuweisen, dass sich möglicherweise einige Handwerker und Eigenheimbesitzer für die Klientel der FDP halten mögen – dass das aber nun so offensichtlicher Unfug ist, wie er offensichtlicher nicht mehr sein könnte? Auch würde man sich von einer Zeitung wie der taz mehr Informationen wünschen, wer der "Bund der Steuerzahler" ist und welche (sozialstaatsfeindlichen) Interessen er vertritt.

Attac Bankentribunal in Berlin

Freitag, 23. April 2010

Zitat des Tages (29): Die Grünen im Wahlkampf

Ich bin am Samstag auf dem Weg zum Einkaufen an einem Infotisch der Grünen vorbeigegangen. Mich sprach sogar eine Frau mit der Frage an, ob ich schon das aktuelle Programm der Grünen kenne.

Ich sagte: Lassen Sie mich mal überlegen ...

Agenda 2010, Hartz IV, Aufbau des größten Niedriglohnsektors in Europa, Kriegseinsätze im Kosovo und Afghanistan, Deregulierung der Finanzmärkte, größte Steuersenkung der Geschichte für Unternehmer und Millionäre, Ausweitung der Leih- und Zeitarbeit, Lockerung des Kündigungsschutzes, Vorratsdatenspeicherung, Internetsperren, Vertrag von Lissabon und Käuflichkeit im Saarland.

Dann fragte ich: Habe ich die Politik der Grünen in den letzten 10 Jahren korrekt zusammengefasst, oder habe ich irgendeine Gräueltat vergessen?

Die Frau drehte sich mit offenem Mund und hochrotem Kopf weg. Ich glaube, soviel Realität war sie nicht gewohnt ... :D.

(Kommentar von Caana bei Feynsinn [15])

Ungarn ist kein Einzelfall: Rechtspopulisten und Rechtsextremisten feiern in Europa Erfolge

Rechtsruck in Europa - Hass und Ängste schüren

Der Wahlerfolg der Rechtsextremisten in Ungarn ist ein Schock für das demokratische Europa, doch keineswegs ein singuläres Ereignis. Die 16,7 Prozent für Jobbik (Die Besseren) sind Teil eines schon lange währenden Trends zu ultrarechten Parteien, die allerdings neben ideologischen Gemeinsamkeiten auch beträchtliche Unterschiede aufweisen. Der gemeinsame Nenner von Jobbik, der niederländischen Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit), der Lega Nord in Italien, der Perussuomalaiset (Wahre Finnen) und weiteren Formationen dieser Art ist die Forderung nach rabiater Abgrenzung gegenüber ethnischen Minderheiten. Die Feindbilder haben allerdings teilweise andere Konturen. Jobbik und weitere osteuropäische Pendants konzentrieren ihre Hetze vor allem auf Roma und oft auch auf Juden, in Westeuropa agitieren Rechtspopulisten und Rechtsextremisten primär gegen Ausländer und den Islam. Und der Zuspruch der Wähler kann stark schwanken.

In den Niederlanden werden dem islamfeindlichen Demagogen Geert Wilders und seiner Partij voor de Vrijheid (PVV) bei den Parlamentswahlen im Juni größere Gewinne prophezeit. Im März hatte die PVV bei den Kommunalwahlen große Erfolge in den zwei Städten gefeiert, in denen sie angetreten war. In Almere wurde sie stärkste Kraft, in Den Haag kam sie auf den zweiten Platz.

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Anmerkung: Es ist schon oft auf den kausalen Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und Faschismus hingewiesen worden - es überrascht also nicht, wenn er auch diesmal wieder zu beobachten ist. Erschrecken muss diese Entwicklung dennoch, denn der Aufstieg der Nazis in den 30er Jahren war ja kein "Betriebsunfall der Geschichte" - sondern ein von den damaligen "Eliten" gefördertes Projekt. Eine solche wahnwitzige Katastrophe kann jederzeit wieder geschehen, und es ist nirgends auch nur ansatzweise erkennbar, dass das Großkapital diesmal "andere Wege" gehen will. Ganz im Gegenteil. - Gerade in Deutschland begegnen uns heute die Faschisten in einem demokratischen Mäntelchen - sie tragen schwarze, gelbe, rote oder grüne Parteibücher mit sich herum, verbreiten aber denselben Gedankenmüll wie die braune Bande damals. - Im Bericht wird leider auch nicht darauf hingewiesen, dass die neue rechte Hetze sich nicht ausschließlich gegen ethnische Minderheiten richtet - inzwischen erfasst sie wie selbstverständlich auch alles andere "unwerte Leben", zu dem im pervertierten neoliberalen Menschenbild auch alle "Minderleister", Arbeitslose, Arme, Kranke, Behinderte und letzten Endes auch Alte gehören. - Wenn man nun liest, dass im neoliberal radikalisierten Europa der Faschismus allerorten aufblüht, überrascht das zwar nicht - aber es produziert blankes Entsetzen. Und perlenden Angstschweiß.

Gewalt gegen Kinder – Eiszeiten der Erziehung

Die Gesellschaft ächtet die Methoden der prügelnden Erzieher von gestern - und vergisst die Missstände von heute.

Darf der Vater sein achtjähriges Kind mit einem Hartgummischlauch verprügeln? Wer heute eine solche Frage stellt, gilt zu Recht als verdächtig. Der Vater darf natürlich nicht prügeln. Auch dann nicht, wenn das Kind die Brille des Vaters zertreten und sein Fernglas kaputtgemacht hat. Das ist heute allgemeine Meinung, und kaum jemand wird sich unterstehen, solche väterliche Raserei zu rechtfertigen. (...)

Körperliche Misshandlung: Vielleicht wird man in einigen Jahrzehnten mit der Empörung, mit der man heute darüber spricht, über die Missstände von 2010 reden: davon etwa, dass nicht wenige deutsche Schulen so heruntergekommen waren, als handele es sich um ein Kindergefängnis in Manila.

Im Übrigen: Ist der Leistungsdruck, der heute vielen Kindern von ihren Eltern aus der verunsicherten Mittelschicht eingepflanzt wird, nicht auch gewalttätig? An vielen Jugendlichen kann man heute die typischen Managerkrankheiten beobachten.

Ist dies die neue Form von Gewalt, die man Kindern antut? Die aktuelle Empörung über die alte, die körperliche Gewalt dient auch der moralischen Stabilisierung und Selbstvergewisserung der Gesellschaft - nicht zuletzt angesichts der Wiederkehr der altbekannt dummen Sätze, wonach "ein paar Ohrfeigen noch niemandem geschadet haben".

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Anmerkung: Ein sehr wichtiges Thema - aber auch die Süddeutsche zieht wieder einmal die falschen Schlüsse. Es ist unlauter, die "Eltern der verunsicherten Mittelschicht" für diese Zustände quasi allein verantwortlich zu machen. Sicher tragen auch sie ihren Teil dazu bei - aber angesichts der allgegenwärtigen Propaganda, des immer stärker werdenden Leistungsdrucks und forcierten Konkurrenzkampfes, angesichts verkürzter Schul- und Studienzeiten bei gleichzeitig dichter werdendem Lernstoff, angesichts dieser totalen Ökonomisierung des gesamten (auch kindlichen) Lebens muss doch auch dem letzten auffallen, auf welchem Holzweg man sich hier befindet und dass die Eltern überhaupt keine großen Wahlmöglichkeiten haben. Dieser neoliberale Irrsinn muss endlich gestoppt werden - erst dann kann eine Umkehr stattfinden, die es auch unseren Kindern wieder erlaubt, ein kindgerechtes Leben zu führen. Was für ein Wahnsinn.


Realitätsverlust: Die teure Angst vor der Unterschicht

Während Arbeitnehmer bis zu 53 Prozent ihrer Arbeitskosten als Steuern und Sozialabgaben abführen, versteuert ein Millionär im Schnitt seine Einkünfte mit 32 Prozent. Ulrike Herrmann analysiert den Realitätsverlust der Mitte – und was er kostet.

Das ist ein wütendes Buch. Und irgendwann packt einen auch beim Lesen Wut über das, was hier beschrieben wird. Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der Berliner Tageszeitung, zeichnet ein Bild der deutschen Gesellschaft, das man sich durch Lektüre der Wirtschaftsseiten der Zeitungen eher nicht machen kann. Sie schildert ein Land, das sich zwar gern als "nivellierte Mittelstandsgesellschaft" (Helmut Schelsky) sieht, in Wirklichkeit aber "extrem ungleich" ist.

Dabei klagt Herrmann diese Unterschiede nicht an, sie beschäftigt sich schlicht mit den Kosten und stößt dabei auf ein geradezu perfektes System, das die Reichen fast immer schont und die Mittelschicht zur Kasse bittet, genauer: die Schicht mit Einkommen zwischen monatlich 1000 und 2000 Euro netto für Singles und zwischen 2100 und 4600 Euro für Familien mit zwei kleinen Kindern. (...)

Wer ist an alledem schuld? Kurioserweise die, die darunter leiden, sagt Herrmann: die Mittelschicht selbst. Sie wählt sich die Parteien und Programme, die sie immer weiter unter wirtschaftlichen Druck setzen. Schließlich stelle die Mitte immer noch die meisten Wahlberechtigten: "Ihre Mehrheit wirkt sich an der Wahlurne sogar überproportional aus, weil die Armen ihre Stimme oft gar nicht erst abgeben." Aber warum stimmen sie dann gegen sich selbst? Herrmann sagt: weil sie sich mit der Elite, der Oberschicht, emotional identifizieren und, stärker noch, jede Nähe zur Unterschicht ängstlich meiden. Und weil sie sich deshalb lieber einreden, der Hartz-IV-Empfänger verprasse ihre Sozialbeiträge, als einzusehen, dass sie mit weitaus größeren Summen die Eliten fetterfüttern.

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Anmerkung: Nichts Neues für Informierte - aber es ist schön, dass diese Information nun auch einmal in einem Mainstream-Medium ankommt. Konsequenzen (gerade auch für die Berichterstattung jener Medien) wird das aber natürlich nicht haben, denn es ist ja gewollt und wird allseits propagiert, dass die so genannte Mittelschicht in den Armen ihren Feind ausmacht, und nicht etwa in den Reichen. Und die schwarz-gelb-rot-grüne Bande wird einfach weitermachen - bis es die Mittelschicht nicht mehr gibt. Dann wäre der neoliberale Fetischtraum von den wenigen Reichen auf der einen und einem in Armut gehaltenen, schuftenden und konsumierenden Sklavenheer auf der anderen Seite verwirklicht.

Mittwoch, 21. April 2010

Das Geschäft mit der Schweinegrippe

Im letzten Juni erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Schweinegrippe zur Pandemie und trat damit hektische Aktivitäten los: Allein die Schweiz bestellte 13 Millionen Impfdosen. Die Pharmaindustrie verbuchte gewaltige Gewinne mit einer Katastrophe, die niemals stattfand. Steckt die WHO mit der Industrie unter einer Decke? Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ging der Europarat dieser Frage nach – mit aufrüttelnden Ergebnissen.


Rundschau vom 07.04.2010

Die tollsten Tipps für Arbeitslose!

Politiker haben ja besonders im Wahlkampf immer wieder die tollsten Beschäftigungsideen für Arbeitslose und Hartz-IV Empfänger, zum Beispiel:

  • in Altenheimen vorlesen, in Sportvereinen helfen, Straßen säubern (Hannelore Kraft, stellv. SPD-Bundesvorsitzende, 2010)

  • Schnee schippen, Eis räumen (Guido Westerwelle (FDP) Außenminister, 2010)

  • Reinigungskräfte für Autobahnraststätten (CSU-Abgeordneter Ernst Hinsken, 2006)

  • Geländer streichen, Treppen kehren (Kurt Beck, damaliger SPD-Vorsitzender 2006)

  • Hausaufgaben-Betreuung, Einkaufshilfe, Essensausgabe an Bedürftige (Stefan Müller (CSU) Arbeitsmarktpolitischer Obmann der Unionsfraktion, 2006)

  • Kontrolleure in Bussen und Bahnen (Wolfgang Tiefensee (SPD) damaliger Bundesverkehrsminister, 2006)

  • Spargel stechen, Erdbeeren pflücken (CSU-Generalsekretär Markus Söder, 2005)

  • arbeitslose Köche als Ernährungsberater in Kindergärten (Renate Künast (Grüne) damalige Verbraucherschutzministerin, 2005)

  • Wiederaufbau in Katastrophengebieten (Reiner Brüderle, FDP-Vize, 2005)

  • Aushilfen in Schulbüchereien oder Mensaküchen, Pausenaufsichten (Bernd Busemann (CDU) Kultusminister Niedersachsen, 2005)

  • Essen verteilen in Altenheimen, Vorlesen, Fahrdienste (CSU-Stadträtin Gisela Oberloher, 2004)

  • Arbeiten im Umweltschutz, Wäschereien, Bibliotheken, Hilfsdienste im Krankenhaus (Hannelore Rönsch (CDU) Bundesfamilienminsterin, 1993)

  • Autobahnen bauen (Adolf Hitler (NSDAP), 1933)


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Anmerkung: extra3 ist zwar eine Satiresendung des NDR, doch diese Aufzählung ist keineswegs eine Satire - auch wenn sie realsatirisch wirkt. Die neoliberale Bande probiert immer mal wieder, wie weit sie schon gehen kann. - Nur zur Erinnerung: Deutschland ist ein grundgesetzlich definierter und garantierter "Sozialstaat", in dem Zwangsarbeit generell verboten ist. Beides interessiert diese Leute längst nicht mehr. Nicht die Verursacher der Arbeitslosigkeit, die sich stetig die Taschen füllen, stehen am Pranger der Politik, sondern deren Opfer, die die Politik eigentlich zu schützen und zu unterstützen hätte. Und dennoch machen so viele Menschen noch immer ihr Kreuz bei diesen Gesellen? Es ist nicht zu fassen.

Zitat des Tages (28): Der Staatshaushalt

Das Gehalt eines Lokomotivenführers ist nicht groß - der Staat vertröstet den Mann mit der "Pension", die ihm seinen Lebensabend schon versüßen werde. Diese Pension ist meist gering.

Wohlhabende Männer aber, die als Minister ein Gastspiel in der Politik geben, das sich hinterher meist als recht rentabel erweist, bekommen folgende Pensionen:

  • Dr. Georg Michaelis, jener Reichskanzler, der im Jahre 1917 seine vollendete Unfähigkeit erwies: 27.600 Mark jährlich.

  • Dr. Wilhelm Cuno, der als Beamter die Entschädigungsverhandlungen mit den großen Schiffahrtsgesellschaften zu führen hatte und der dann - wie der Zufall spielt! - der Direktor einer solchen Gesellschaft wurde; als Reichskanzler für die Inflation deshalb nicht verantwortlich, weil man ihn für nichts verantwortlich machen kann: etwa 19.000 Mark.

  • Gottlieb von Jagow; ganz recht, jener, der die Neugierigen warnte und später einen Hochverratsversuch machte: etwa 24.000 Mark;

  • Dr. Lewald, ein früherer Staatssekretär von großen, hierorts nicht bekannten Verdiensten: etwa 17.000 Mark;

  • Von Tirpitz; der Alte im Barte; der Mann, der den Reichstag jahrelang hintergangen hat, um den Bau einer Flotte durchzudrücken, die im Kriege nichts genützt und nichts geschafft hat - also überflüssig gewesen ist: rund 25.000 Mark. (Ihrem lieben Tirpitz: die dankbare Republik.)

  • Nun darf man bei Betrachtung solcher Ziffern nicht vergessen: Dieser Staat, der solche wahnwitzigen Summen - über 23 Millionen - jährlich auszahlt, ist schwer verschuldet; stand bereits einmal vor dem Nichts, belastet seine arbeitenden Steuerzahler schwer, um diese da zu mästen.

    Freilich: auch diese Pensionisten arbeiten fleißig. Ein großer Teil dieser Männer ist noch recht rüstig; hat gut bezahlte Stellungen in der Industrie, die sich niemals mit ihnen befasste, hätten sie nicht den Titel - so dass also die frühere Staatsstellung sich schon auf diesem Wege bezahlt macht: die Republik zahlt immer weiter. Sie zahlt: den früheren deutschen Kriegsministern nach ihrer verderblichen und dem Lande schädlichen Tätigkeit noch heute pro Mann und Nase: 25.000 Mark; sie zahlt Herrn Gustav Bauer: 11.000 Mark; sie zahlt Herrn Hermes (Mosel): 11.000 Mark; sie zahlt Herrn Emminger, der die deutschen Schwurgerichte vernichtet hat: 19.000 Mark.

    Sie zahlt - sie zahlt - sie zahlt - und sie wird immer weiter zahlen, weil sich die Bezahlten ihre Gesetze selber machen; weil die Arbeiter und die Angestellten nicht wissen, was mit ihnen getrieben wird, und weil der Staat im Leben der Heutigen das darstellt, was die Religion im Leben der Urgroßeltern gewesen ist: eine dunkle, mysteriöse, aber auf alle Fälle anzubetende Sache.

    (Kurt Tucholsky [1890-1935]: Deutschland, Deutschland über alles. Berlin 1929)


    Die toten Soldaten von Afghanistan: Ich verneige mich nicht!

    (...) "Mit Ihnen trauert ein ganzes Land!", hat [Verteidigungsminister Guttenberg] vorgestern die Hinterbliebenen getröstet. Natürlich wollte er aufrichten, Seelenbalsam in finsterer Stunde auftragen - aber auch sich und seine Klientel reinwaschen, ganz nebenbei erklärt haben, dass jene Soldaten im Auftrag eines ganzen Landes, nicht nur einer Minderheit, gefallen sind. Ein ganzes Land! Wie kommt dieser selbstdarstellerische Zirkel eigentlich dazu, für ein ganzes Land sprechen zu wollen? Ich weiß nicht, wie andere das wahrnehmen, aber ich, in diesem Lande lebend, trauere nicht; ich will damit nichts zu tun haben. Man spreche nicht an meiner Statt! Das verbitte ich mir!

    Man verstehe mich bitte nicht falsch: ich freue mich auch nicht, dass Blut geflossen ist. Aber dieses Blut, es hat nichts mit mir zu tun. Wollte ich etwa, dass junge Männer und Frauen in den Mittleren Osten ziehen? Sind sie mit meinem Segen dorthin? Mich hat man damals jedenfalls nicht gefragt, ob ich Interesse daran hätte, irgendeine undefinierbare Freiheit dort verteidigt zu bekommen, wo man Persisch und Paschtu spricht. Ich habe von Anfang an nicht dazugehört zu dieser wehrhaften Front; ich hätte sofort mein Nein dazu beigetragen, wenn man mich nur gefragt hätte. Jetzt zu trauern: es wäre einerseits Heuchelei, denn gekannt habe ich die Toten nicht, und andererseits eine stille Übereinkunft mit dem Szenario im fernen Afghanistan. Wenn ich teilnehme an diesen unappetitlichen Zeremonien, bei denen Uniformen aufgetragen und Orden herausgekramt werden, wenn ich mittrauere, dann bejahe ich das, was sich dieser Tage unmerklich als Heimatfront herauskristallisiert.

    (Weiterlesen)

    Anmerkung: Es ist in der Tat unerträglich, diese heuchlerische Anteilnahme gerade derjenigen, die den Kriegseinsatz zu verantworten haben und ihn sogar im Rahmen dieses Szenarios weiter bekräftigen, über sich ergehen lassen zu müssen. Und diese albernen, pathetischen Gesten des Sich-Verneigens vor den Opfern des selbst zu verantwortenden Krieges gleichen eher einer grellen Karikatur. Merkel, Guttenberg und der Rest der neoliberalen Bande sollte sich höchstens dann vor toten Soldaten verneigen, wenn sie endlich erkennt, dass es ihr eigenes Handeln war, das den Tod dieser Soldaten verursacht hat - und dann den Hut nehmen, angesichts dieser ganzen Katastrophen, die sie verursacht hat. Auf diese Ehrlichkeit dürfen wir indes bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten - jede Wette.

    Die Bandbreite: Spieglein, Spieglein