Samstag, 10. Oktober 2015

Wenn Kapitalisten über Nazis berichten: Jamel




(Dokumentation von Michel Abdollahi, NDR 2015)

Anmerkung: Dieser recht kurze und leider oberflächliche Film löst zwiespältige Gefühle in mir aus; und das nicht nur, weil hier - wie von öffentlich-rechtlicher Seite gewohnt bzw. erwartet - keinerlei Kritik am System der parlamentarischen Demokratie, wie es aktuell stattfindet, oder gar am Kapitalismus geäußert wird. Der Autor gerät also unweigerlich in die völlig paradoxe Situation, in der er dem menschenfeindlichen Blödsinn der dumpfen Nazis ein ebenfalls inhumanes, völlig pervertiertes "demokratisches System" entgegensetzen muss, das man wohlwollend vielleicht gerade noch als "mafiaähnliche Struktur" charakterisieren kann - ausgerechnet vor dem pathetischen Banner des Grundgesetzes, mit dem sich die neoliberale Bande der Merkels und Gabriels allerhöchstens noch den After säubert.

Das ändert aber nichts daran, dass die Haltungen und Überzeugungen vieler Menschen, die dieser kleine Film in der kargen Einöde des östlichen Nordens Deutschlands einfängt, mehr als nur alarmierend sind. Ich empfehle den Film trotz aller Unzulänglichkeiten, zumal auch einige widerwärtige Überzeugungstäter wie beispielsweise das NPD-Mitglied Udo Pastörs zu Wort kommen, die nicht aus bloßer Dummheit, Unwissenheit oder anderen defizitären Gründen kotbraunen Überzeugungen anhängen.

Nach den allzu bekannten Gründen für diese äußerst fatale, geradezu erschreckende und keineswegs überraschende Entwicklung wird aber auch in diesem Filmchen selbstverständlich nicht gefragt, da sich sonst die unweigerlich folgende Systemfrage gar nicht mehr vermeiden ließe. Das will oder darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedoch nicht tun. Mich lässt ein solcher Film daher eher ratlos zurück, da hier offensichtlich wird, dass nicht nur die erkennbar bildungsfernen Nazis in einer faktenfreien Parallelwelt vor sich hin krakeelen, sondern dass auch die Propagandamedien munter im Trüben fischen (müssen) - gerade dann, wenn sie sich mit den allzu logischen Folgen des neoliberalen Terrors beschäftigen.


(Ein Plakat, das auch im Bundeskanzleramt ausnehmend gut platziert wäre.)

Musik des Tages: Symphonie fantastique




(Louis Hector Berlioz [1803-1869]: "Symphonie fantastique - Episoden aus dem Leben eines Künstlers", Op. 14 aus den Jahren 1828/30; Orchestre Philharmonique de Radio France & Simon Bolivar Youth Orchestra of Venezuela, Leitung: Gustavo Dudamel, 2009)

  1. Träumereien, Leidenschaften, Largo – Allegro agitato e appassionato assai
    Ein junger Musiker begegnet einer Frau, die vollkommen seinem Ideal entspricht. In der Seele des Künstlers erscheint sie immer in Verbindung mit einem musikalischen Gedanken (dem Leitmotiv, idée fixe). Zu Beginn verzehrt sich der Verliebte nach seiner Geliebten (langsame Einleitung, thematisch selbstständig). Im Allegro-Teil wird dann die Geliebte strahlend eingeführt. Verschiedene Stimmungen der Verliebtheit werden durchlebt.

  2. Ein Ball, Allegro non troppo
    Der Verliebte findet die Frau auf einem Ball wieder. In der Musik wird die idée fixe in einen Walzer eingebettet. Zunächst freut er sich über das Wiedersehen, bald aber merkt er, dass die Geliebte ihn nicht zu beachten scheint. Die fulminante Tanzmusik jedoch fährt ungetrübt fort.

  3. Szene auf dem Lande, Adagio
    Der Satz beginnt mit einem Dialog zwischen dem Englischhorn und der Oboe als zwei Hirten, die sich unterhalten. Dann wird jäh unterbrochen für die idée fixe, die Geliebte tritt wieder auf. Der Verliebte bekommt schmerzliche Zweifel, ob sie ihm treu sei. Einer der Schäfer nimmt die Anfangsmelodie wieder auf, der andere antwortet nicht mehr. Sonnenuntergang, warnendes Grollen des Donners (dargestellt durch die Cluster-Akkorde von vier Pauken), Einsamkeit, Stille.

  4. Der Gang zum Richtplatz, Allegretto non troppo
    Nachdem er die Gewissheit erlangt hat, dass seine Liebe verschmäht wird, nimmt er Opium und versinkt in einen tiefen todesähnlichen Schlaf. Ihm träumt, er habe seine Geliebte ermordet, er sei zum Tode verdammt und werde zum Richtplatz geführt. Ein bald düsterer und wilder, dann wieder brillanter und feierlicher Marsch begleitet den Zug. Die idée fixe wird erst kurz vor der Exekution durch das Fallbeil zitiert.

  5. Hexensabbat, Larghetto – Allegro
    Der Verliebte findet sich auf einem Hexensabbat wieder, gellendes Gelächter ist deutlich zu hören. Auf einmal wird die idée fixe mehrmals in einer sehr verzerrten, gemeinen Variation wiedergegeben, zunächst von der schrillen Es-Klarinette, dann stimmt das Orchester mit ein: Die einstige Geliebte tritt als Hexe auf und wird von den anderen Hexen freudig begrüßt. Danach läuten die Totenglocken und leiten eine Parodie des Dies irae, des "Jüngsten Gerichts" aus der katholischen Totenmesse, ein. Schließlich mischen sich beide Melodien zu einer höllischen Orgie und das Werk endet.

Freitag, 9. Oktober 2015

Merkels Mitmenschlichkeit: Krieg ist Frieden


Es herrscht mal wieder arge Verwirrung in Kleinbloggersdorf. Einige Äußerungen des Merkelmonsters, die es in einer seichten TV-Quasselshow getätigt hat, sorgen für Blogkommentare wie beispielsweise diesen, den ich bei Notizen aus der Unterwelt gefunden habe:

(...) ausgerechnet "Mutti Merkel" setzt gerade Zeichen in der o.g. "Willkommenskultur". Das finde ich unterstützenswert. / (...) weil Merkel HIER(!) – entgegen Deiner und vieler anderer Linken Mutmaßung – wohl nicht die Interessen der "Großkonzerne" vertritt, sondern einfach etwas Mitmenschlichkeit beweist. Und nun lach mich gerne dafür aus, daß ich ihr das tatsächlich "abkaufe".

Das ist kein Einzelfall. Selbst der Kiezneurotiker hat diesem Thema gestern gleich ein ganzes Posting gewidmet - wobei ich mir nicht so ganz sicher bin, ob diese "Kompasssuche" nicht doch eher als satirischer Seitenhieb auf die einhellige Jubelpresse zu verstehen ist, die den absurden Popanz wie gewohnt unkritisch, tendenziös und offensichtlich propagandistisch zu einem riesigen, scheinheiligen, leeren Ballon mit der semireligiösen Aufschrift "Merkels Mitmenschlichkeit und Milde" aufbläst, bis er in Kürze wie gewohnt platzt. Diesbezügliche Blowjobs von Spiegel, Springer, FAZ & Co. sind ja längst Legion - aus Kleinbloggersdorf kannte ich sie bislang aber eher selten.

Dabei hat sich an der Sachlage, die wir alle seit Jahren kennen und fast im Wochentakt immer wieder aufs Neue bewiesen bekommen, nichts verändert: Merkel sondert wie immer irgendwelche nicht belastbaren, mehr als schwammigen Worthülsen ab, während die neoliberale Bande, die sie ja anführt (was anscheinend auch Blogger und Kommentatoren häufig zu vergessen scheinen), grausame Nägel mit Köpfen macht und sich um das schleimige Geschwalle fürs Publikum nicht weiter kümmert. Gerade erst wurde in Deutschland das "Asylrecht" verschärft, die neoliberale Bande setzt massiv auf "Abschreckung" und "Abschiebung" statt "Willkommenskultur", generell schottet sich die gesamte EU immer weiter ab, das lächerliche Geschrei in Politik und Medien über den angeblich nicht zu bewältigenden "Flüchtlingsstrom" reißt nicht ab und in der Folge tobt der braune Mob immer ungehemmter - nicht bloß im Internet.

Haben denn alle schon wieder vergessen, was diese schauderhafte Person in all den Jahren, in denen sie dem schwarz-gelben und großkoalitionären Regime bereits vorsteht, so alles abgesondert hat, ohne dass irgendeine (!) tatsächlich positive staatliche Handlung daraus erwachsen ist? Wie kann man nun plötzlich auf den absurden Gedanken kommen, dies könne jetzt anders sein - und dafür ausgerechnet eine TV-Verblödungsshow als Beleg bemühen? Sind wir alle schon "BILD"?

Das Merkel-Quallenmonster war, ist und bleibt ein Pfropfen im Arsch des Kapitals - daran ändern weder lächerliche Gesten wie das "Streicheln eines Flüchtlingsmädchens", noch andere debile TV-Shows etwas, in denen sie irgendwelche Ankündigungen ins Mikrofon plärrt, während ihr menschenfeindliches Regime, für das sie verantwortlich ist, zur gleichen Zeit das Gegenteil praktiziert und nebenbei weiterhin Zerstörungen, Leichenberge sowie Millionen von Flüchtlingen mitverantwortet, von denen nur ein Bruchteil den Weg nach Deutschland bewältigt. Einer solchen widerwärtigen Person soll man nun "Mitmenschlichkeit" abkaufen? Ernsthaft? Da kann ich wirklich nicht mehr lachen, sondern nur noch bitter heulen.

Am 17.09. schrieb ich - und da gibt es nichts weiter hinzuzufügen: "Es fehlt eigentlich nur noch, dass Thomas 'die Misere' oder eine andere der korrupten Sprechpuppen in Kürze einen Satz wie 'Wir lieben euch doch alle!' in die begeisterte Presselandschaft kotet." - Treffer, versenkt.


(Merkels Mitmenschlichkeit wie sie leibt und lebt.)

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Kettenhunde, oder: Wenn "besorgte Bürger" den Adolf geben


Bei facebook tobt der braune Mob. Von einem aktuellen, einmal mehr furchterregenden Beispiel berichtet der Altautonome in diesem Gastbeitrag.

"Nie wieder Juden" – "Pissvotze" – "Volksverräter" – "Deutschen-Vernichter" – "Verlassen Sie dieses Land" – "Der Volkszorn wird sie richten" – "Aufhängen!" –"Steinigen!" – "Hinrichten!" – "An die Wand!" – "Für solche Leute [...] ist auf Guantanamo reichlich Platz." – "Unglaublich ... Euch müßte man alle aus Deutschland werfen." – "Heimatlandverräter!" – "Krankes, geistig degenriertes Pack. Ins Arbeitslager mit Euch." – "Der Strick ist schon geknüpft."

Haben wir es hier mit dem Tourette-Syndrom oder der Nordkurve des BVB-Stadions zu tun? Nein, leider nicht. Dies sind kleine, aktuelle Auszüge aus der facebook-Seite von Jutta Ditfurth, die zusammen mit Thomas Ebermann am 3. Oktober vor 500 Zuhörenden in Frankfurt eine Gegenveranstaltung zu den nationalen Jubelfeiern unter dem Motto "Nie wieder Deutschland" abgehalten hat.

Til Schweiger bekam - auch via facebook - kürzlich ähnliche "Komplimente", obwohl er - anders als Jutta Ditfurth - erklärtermaßen und gewohnt dämlich zu seinem "Vaterland" und dessen Verteidigung am Hindukusch sowie der "besten aller Demokratien" steht. Im aktuellen Fall zeigt sich, mit welchem Hass und welchen Vernichtungsfantasien Menschen rechnen müssen, die sich öffentlich klar links positionieren. Übereinstimmung besteht darin, dass die HetzerInnen mit vollem Klarnamen und darüber hinaus oftmals auch noch mit ihrem Bild diese braunen Flecken ins Netz spritzen. Es entsteht der bedrohliche Eindruck, dass es sich bei diesen Nazis nicht mehrheitlich um klassische Glatzen oder Schnürstiefelfaschisten handelt, sondern um den Typus "netter Kollege vom Schreibtisch nebenan".

Der verbale Exzess eines Lynchmobs bricht sich hier ungehemmt Bahn, und es ist meines Erachtens richtig, dass facebook und Jutta Ditfurth derartige Auswürfe nicht löschen, sondern als Zeitdokument für eine Entwicklung, angesichts derer es einem eiskalt den Rücken hinunterläuft, stehen lassen.

So wird hier die verdorbene Ernte der üblen Saat eingefahren, die vermeintlich linke Blogger und viele andere immer wieder unwidersprochen unter dem blödsinnigen Etikett "rotlackierte Faschisten" ("radikale Linke sind die wahren Faschisten" etc.) verbreitet haben und dies auch weiterhin tun.


(Screenshot eines Auszuges der facebook-Seite von Jutta Ditfurth vom 06.10.15)

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Anmerkung des Kapitäns: Die an eine Zombieseuche erinnernde Dummheit stirbt in diesem Land offensichtlich nie aus. Ich kann es mir rational nicht erklären, wie diese Dumpfbacken in solcher Konzentration überhaupt auf all die nationalistisch-faschistischen Gedanken und sich oftmals sehr ähnelnden Formulierungen kommen - von allein sind sie dazu doch offensichtlich intellektuell nicht in der Lage. Reichen die BLÖD-"Zeitung", fremdenfeindliche Hetze aus CDU/CSU, SPD und angrenzenden politischen Kreisen sowie eine latent deutschtümelnde Medien-Propaganda tatsächlich schon aus, um solche verweste Nazi-Parolen aus der Jauchegrube der Geschichte wieder hervorzubuddeln?

"Der Mensch ist ein Abgrund - und es schaudert einen, wenn man hinabblickt" lässt Georg Büchner den Antihelden Woyzeck in seinem gleichnamigen Dramenfragment aus dem Jahr 1836 sagen. Der Mann war vor fast 200 Jahren schon um Welten weitsichtiger und schlauer als diese dumpfe, stumpfsinnige Masse von hirnlosen KrakeelerInnen es heute ist. Die unaufhaltsame Degeneration der Menschheit ist anscheinend tatsächlich in vollem Gange.

Ich hatte kürzlich geplant, zu diesem Thema einen Text von Jens Berger zu besprechen, der - deutlich subtiler - in genau dieselbe widerliche Richtung zielt. Wer sich das auch ohne meinen Kommentar, den ich aus Zeit- und Hygienegründen wieder verworfen habe, durchlesen möchte (gerade die teils rassistischen Kommentare, die ein solches Pamphlet unweigerlich anzieht, sind für Menschen mit besonders starkem Magen empfehlenswert), kann das hier tun.

Ich schäme mich in Grund und Boden für diese asoziale Politik und diese stumpfsinnige Bevölkerung!


Dienstag, 6. Oktober 2015

Zitat des Tages: Junger Prophet


Wie weißer Stamm reckt er in harte Winde
mit Händen sich, die wie Geweihe deuten.
Gewürm zerfrisst ihm seines Leibes Rinde,
die wie ein Himmel brennt nach allen Seiten.

Von dort, wo seine Donner weitertönen,
kommt Menschenmasse wie ein Meer von Raben,
stumm fließend, dick, ganz ohne zu verhöhnen,
ein Lavastrom ... blindtaub ihn zu begraben.

(Arthur Drey [1890-1965], in: "Der unendliche Mensch. Gedichte", Kurt Wolff 1919; erstveröffentlicht in: "Der Kondor", hg. von Kurt Hiller, Richard Weissbach 1912)



Anmerkung: Die Sinnlosigkeit des Widerstandes ist offensichtlich eine wohlbekannte, böse Tradition in deutschen Landen. So schrieb schon Georg Büchner 1833 in einem Brief an seine Familie: "Weil wir im Kerker geboren und großgezogen sind, merken wir nicht mehr, dass wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde." - Ich möchte ergänzen, dass der Knebel inzwischen auch das Gehirn erreicht hat: Wenn Widerstand nicht einmal mehr gedacht wird, ist die Dystopie längst zur bitteren, brutalen Realität geworden.

Montag, 5. Oktober 2015

Song des Tages: Atrocity




(Endtrocity: "Atrocity", aus dem gleichnamigen Album, 2015)

There's a cause for self destruction
Fray is naught without black
Temperament divides in stacks
We will rise from the north and bring us home
Oh we are Endtrocity
Can't you feel that our days are counting down
You are scums to the world
When the world did nothing to stop you

You have taken this world for granted
Their debt! We looked back at what they just did
Lust fills the simple mind
Dollars overwhelm
Can't you see it now?
You live in lies

We are meant to be lost
Human's lost its definition
When all hope has gone away
Only failure truly can save us

The silent ghost had a vow
Once an Eden and living hell it's now
Break the silence
No turning back for what has been done
Stop the violence
We are all just puppets to the big man
Question the words from up high
There's more than that meets the eye

Can't you see it now? You cunt
I will shove it in your ass and fuck you!
You are reflections of a voiceless knife
You are the failure composed to life
You will be shot in the heart in your guilty sin
Deep down in the heart
You're in hell

I'm holding on
For what I believe
Is this the world
Too late to save again

We're not insane
We're just in pain
We shall be born again
And the world
Is new when the sun rises up



Anmerkung: Im fernen Taiwan, wo diese Band (die leider nur eine Fratzenbuch-"Homepage" hat, auf die ich nicht verlinke) herkommt, sind Teile der Jugend offensichtlich wesentlich weiter als hierzulande. Oder gibt's hier etwa auch eine mir bisher unbekannte Metalcore- bzw. Neopunk-Szene diesseits der Jahrtausendwende, die sich politisch derartig klar positioniert? Ich bin immer offen für Tipps und Hinweise.