Samstag, 3. Oktober 2015

Schwarz-rot-urin: Zum "Tag der deutschen Annexion"


Zum "Tag der deutschen Annexion" möchte ich gerne auch etwas beisteuern und benutze dazu ein Stöckchen, das mir gar nicht zugeworfen wurde. Mechthild hat in ihrem Ein-Euro-Blog einen hübschen Fragebogen veröffentlicht, der zwar bloß dumpfe Reklame ist und sich an die BewohnerInnen der "neuen Bundesländer" richtet, zu denen ich nicht gehöre, allerdings erscheinen mir die Fragen doch ebenso relevant für einen ollen Wessi wie mich. Die vorgegebenen Antworten ignoriere ich dabei geflissentlich.

1. Wo haben Sie die Feiern zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 erlebt?

Ich erinnere mich gut an diesen schwarzen Tag - die Wochen zuvor habe ich gemeinsam mit anderen langhaarigen Bombenlegern, Autonomen und Linksradikalen damit verbracht, in der miefig-spießigen Kleinstadt, in der ich damals lebte, Plakate und Aufkleber mit dem Titel "WIDER Vereinigung!" zu verbreiten. Wir hatten viel Spaß damals - wir haben gesoffen, gekifft, Bullen verarscht und Spießern in die gepflegten Vorgärten gekotzt. Es war eine wunderbare Zeit. Der 3. Oktober war so etwas wie der Montag nach einem Partywochenende - ich war zu dieser Zeit Zivi und habe den Tag damit verbracht, völlig verkatert alten Menschen beim Essen, Anziehen und meist zähflüssigen Stuhlgang zu helfen. Das war weniger spaßig, dafür aber immerhin sinnvoll.

2. Welches Ereignis im Verlauf der Wiedervereinigung hat Sie am meisten berührt?

Äh ... keines. Ich fand die Annexion damals schon scheiße und habe bislang noch keinen Grund gefunden, diese Beurteilung zu revidieren. "Berührt" hat mich vielleicht noch das Geschleime Kohls, der sich als "Kanzler der Wiedervereinigung" feiern ließ, weil mir davon jedesmal, wenn ich es hörte, so schlecht wurde, dass ich kaum an mich halten konnte. Das war allerdings damals - bezüglich Kohl - keine Besonderheit, sondern die Regel.

3. Was ist Ihrer Meinung nach in den Neuen Bundesländern heute besser als in der DDR?

Das ist leicht zu beantworten: Den wenigen Superreichen, die es heute in den "neuen Bundesländern" gibt, geht es heute prächtig - sie werden gemästet, gebauchpinselt und verwöhnt, als gäbe es kein Morgen. Den allermeisten anderen, also der Mehrheit, geht es schlechter. Früher gab es keine "Reisefreiheit" - heute gibt es für die meisten keine "Reisemöglichkeit" mehr, weil schlicht die Kohle dafür fehlt. Jeder darf sich selber die Frage beantworten, was schlimmer zu ertragen ist: Wenn man nicht reisen darf - oder wenn man nicht reisen kann. Außerdem hat sich die Sache mit der "Reisefreiheit" inzwischen längst relativiert, denn Hartz-Terror-Opfer dürfen auch heute nicht ohne "Einwilligung der Behörde" verreisen. Aus einer großen, nicht sonderlich reichen Bevölkerungsmehrheit auf der einen und einer privilegierten "Oberschicht" der perversen Parteifunktionäre auf der anderen Seite ist heute also eine weitgehend verarmte Bevölkerungsmehrheit und eine kleine, feudale, noch perversere Oberschicht der Superreichen geworden. Welch eine grandiose Verbesserung mit reichlich Bananengeschmack!

4. War der Zeitpunkt für die Wiedervereinigung richtig gewählt?

Was soll ich dazu noch sagen? Die Frage ist bereits so grenzdebil blöde, dass mir nichts Sinnvolles dazu einfällt. "Gewählt" hat die "Wiedervereinigung" ohnehin niemand - und gefragt wurde auch kein Mensch. Sie wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit - in elitären, kapitalistischen Kreisen, wo auch sonst - schlicht beschlossen, wie das in diesem furchtbaren System der Menschenfeindlichkeit so üblich ist.

5. Sind wir Ihrer Meinung nach heute wirklich ›ein Volk‹?

Auch diese Frage ist eine hirnschmelzende Lachnummer, die man nur satirisch beantworten kann - ganz abgesehen davon, dass eine Formulierung wie "ein Volk" selbst in Anführungszeichen noch üblen Brechreiz erregt. Solange es diesen nationalistischen Klamauk aus dem frühen Mittelalter noch gibt, wird es zwangsweise auch Kriege, Faschismus und Menschenfeindlichkeit geben - irgendwelchen anderen Zwecken dient das Märchen vom "Volk" ja nicht. Ein wie auch immer definiertes "wir" gibt es im Kapitalismus nicht, denn dort gilt einzig das "ich" - wenn auch nur für die selbsternannte "Elite", zu der sich wie von Sinnen politisch gewollt und medial gelenkt - damals wie heute - seltsamerweise nicht nur Superreiche zählen.

So bleibt für die Farce der "Feierlichkeiten" an diesem Tag neben schlichter Ignoranz nur noch das Instrument der zynischen Satire übrig, wenn man sich vom staatlich verordneten Affenzirkus distanzieren möchte. Wenn ich heute - um viele Erfahrungen und Erkenntnisse reicher - immer noch so hemmungslos saufen und kiffen könnte wie damals, wäre das der wohl sinnvollste und geeignetste Weg, diesen Tag der kapitalistischen Propaganda inmitten einer bedrohlich anschwellenden Kakophonie des faschistoiden Untergangs halbwegs unbeschadet zu überstehen.


(Bild: Loriot)

Freitag, 2. Oktober 2015

Kapitalistische Propaganda: Nein, nein, nein!


Eigentlich muss eine solche Meldung, wie ich sie kürzlich wieder einmal bei n-tv lesen durfte, nicht mehr kommentiert werden - der Irrsinn, der einzig aus wiedergekäuten Propagandahülsen der kapitalistischen Mafia - diesmal ausgerechnet vom besonders widerwärtigen Zweig McKinsey - besteht, übertrifft locker jeden Propagandabeitrag der "Aktuellen Kamera" aus der seligen DDR. Trotzdem sollte man sich das in einer ruhigen Minute einmal durchlesen, um den absurden Grad der Realitätsferne überhaupt noch abschätzen zu können, in dem hiesige Medien sich inzwischen bewegen - und n-tv ist dabei beileibe kein Einzelfall, sondern tatsächlich ein repräsentatives Exempel für die komplett degenerierte Landschaft der Massenmedien in diesem verkommenen Land: "McKinsey-Report zu Unternehmen: Die fetten Jahrzehnte sind vorbei".

Ich wünsche viel Spaß bei der Lektüre. Dieser Text enthält keinerlei Fakten, dafür aber umso mehr heilige Glaubenssätze der kapitalistischen Doktrin und natürlich entsprechend viele bunt schillernde Lügen, welche die bedauernswerten Balken sich nicht nur biegen, sondern gleich dreifach aufrollen lassen. Eine intellektuelle Demontage dieses Textes ist schlichtweg redundant - ich könnte einige Satzzeichen und Füllworte stehen lassen, der Rest fiele ausnahmslos der inzwischen nur noch satirischen Kritik anheim. Es juckt mir zwar in den Fingern, diesen offensichtlichen Stumpfsinn auseinanderzunehmen, aber zuweilen kann ich mich auch beherrschen.

Ich stelle mir an dieser Stelle lieber einmal mehr die Frage, wie es sein kann, dass derartige Kothaufen kontinuierlich, also immer wiederkehrend, in halbwegs "seriösen" Medien publiziert werden können, ohne polternde Widersprüche und brüllende Gegenwehr auszulösen - und zwar nicht nur bei LeserInnen, sondern auch intern. Ist die kapitalistische Religion inzwischen tatsächlich schon so tief auch in der sogenannten "kritischen Intelligenz" verankert, dass das niemandem mehr auffällt? Oder ist die Resignation angesichts des ständig wiederholten Stumpfsinns bereits so weit fortgeschritten, dass Menschen, die den Irrsinn bemerken, ihn gar nicht mehr wirklich wahrnehmen bzw. ihn konsequent ignorieren?

Letzteres stelle ich bei mir selbst ja bestürzenderweise fest: Je öfter ich einen solchen esoterisch-kapitalistischen Blödsinn lese, welcher mit der furchtbaren Realität der Menschen auf diesem Planeten soviel zu tun hat wie irgendein blitzeschleudernder Zauberer aus irgendeinem Computerspiel, desto schneller tendiere ich dazu, den Quatsch kopfschüttelnd wegzuklicken und mich wichtigeren Dingen zuzuwenden. Genau das ist aber ein sehr böser Fehler - denn ebenso kontinuierlich und stoisch wie die fortdauernde Propaganda muss auch die Kritik sein, wenn sie Wirkung entfalten soll. Das laute, überdeutliche "NEIN!" muss uns ins Blut übergehen - ansonsten sind Hopfen und Malz ohnehin wieder einmal heillos verloren.

Selbstverständlich betrifft das nicht einzig die perversen Heilslehren der kapitalistischen Ökonomie, sondern sämtliche anti-aufklärerischen, konservativen, esoterisch-religiösen Tendenzen, die in dieser untergehenden Welt einmal mehr so mannigfaltig ihre irrsinnigen, dem Verfall gewidmeten Blüten bilden.

Mein kleiner Widerstand bleibt ein lautes, hoffentlich nicht zu überhörendes "NEIN!"

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Aktuelles: Personifikation der reaktionären Zeitung



(Lithografie von Honoré Daumier [1808-1879], in: "Le Charivari", 1833)

Mittwoch, 30. September 2015

Song des Tages: Day And Then The Shade




(Katatonia: "Day And Then The Shade", aus dem Album "Night Is The New Day", 2009)

I will rise
To dreams of freedom
And avow
To return the treason that came under your reign
The day and then the shade
I have slept
Inside the season that froze within my grasp

All my fears come into view
There must be an end soon
And every waking hour
Is part of the lie

I will rise
Over glass cathedrals
And let go
With my eyes resting upon the nearing dark
The day and then the shade
I have slept
Within the reason that kept me so remote

Make a brand new vow
In the heat of an evening
The darkness swarms
I was nothing, ever
But red like the sun
Dying down over the freeway
Is the brand new sky
Over the mountain ridge

All my fears come into view
There must be an end soon
And every waking hour
Is part of the lie.



Anmerkung: Eine Zeit, die wieder einmal in penetranter Kontinuität solch sperrige, abgrundtief dunkle Kunst hervorbringt, muss wohl eine Blütezeit des Humanismus sein.

Dienstag, 29. September 2015

Zitat des Tages: Hochhaus


Später, als er auf seinem Balkon saß und den Hund aß, dachte Dr. Robert Laing über die außergewöhnlichen Ereignisse nach, die sich während der vergangenen drei Monate in diesem riesigen Apartmentgebäude zugetragen hatten. Jetzt, da sich alles wieder normalisiert hatte, überraschte es ihn, dass es keinen offenkundigen Anfang gegeben hatte, keinen Punkt, von dem ab ihr Leben in eine deutlich unheilvollere Dimension eingetreten war. Mit seinen vierzig Stockwerken und tausend Apartments, seinem Supermarkt und seinen Swimmingpools, seiner Bank und seiner Grundschule - die alle in den oberen Regionen praktisch verlassen dalagen - bot das Hochhaus mehr als genug Gelegenheit zu Gewalttätigkeit und Auseinandersetzung. Seine eigene Einraumwohnung im fünfundzwanzigsten Stock war gewiss der letzte Ort, den Laing als Stätte eines Anfangsgeplänkels gewählt hätte. Diese überteuerte Zelle, die nahezu willkürlich in die steil aufragende Fassade des Apartmentgebäudes gefügt war, hatte er nach seiner Scheidung speziell deswegen gekauft, weil sie ihm Ruhe, Frieden und Anonymität gewährleistete. Trotz aller Bemühungen Laings, sich von seinen zweitausend Nachbarn und dem System belangloser Kontroversen und Irritationen, das ihre einzige Form von Kollektivleben darstellte, fernzuhalten, war es seltsamerweise gerade hier, wo sich das erste bedeutungsvolle Ereignis zugetragen hatte - auf diesem Balkon, wo er jetzt neben einem Feuer aus Telefonbüchern hockte und das gebratene Hinterviertel des Schäferhundes aß, bevor er zu seiner Vorlesung an der medizinischen Hochschule aufbrach.

(James Graham Ballard [1930-2009]: "Hochhaus" [Originaltitel: "High Rise"], Suhrkamp 1992; geschrieben und erstveröffentlicht 1975)

Anmerkung: Dies ist der Beginn des kafkaesk-dystopischen Romans, für den der Suhrkamp-Verlag den folgenden Klappentext ausgewählt hat: "Dieser Roman ist ein Kommentar zu den schrecklichen Möglichkeiten einer fortgeschrittenen Technik und dem rattenhaften Verhalten von Menschen, die in der Falle sitzen. (The Financial Times)" - Es gibt kaum eine passendere Lektüre für unsere untergehende Zeit.


Montag, 28. September 2015

"Wissenschaftliche Zukunftsprognosen": Von Traumtänzern und Horrorvisionen


Ich habe wieder einmal triefende Stielaugen bekommen und bin in einen äußerst merkwürdigen Zustand zwischen Amusement und Angstzuständen verfallen, als ich kürzlich bei n-tv ein Interview mit einem gewissen Steffen Braun von der "Morgenstadt-Initiative" des Fraunhofer-Instituts in Stuttgart zum Thema "Die Stadt der Zukunft" gelesen habe.

Die "Futurologie" oder "Zukunftsforschung" ist ja nun beileibe keine neue "Wissenschaft" - ich habe allein in meiner kleinen Heimbibliothek eine ganze Reihe entsprechender Veröffentlichungen aus verschiedenen Dekaden seit 1970 herumstehen. Ihnen allen sind einige Merkmale gemein, die sich offensichtlich bis heute immer noch hartnäckig halten: Es werden ungeeignete wissenschaftliche Methoden (meist aus der sogenannten "Prognostik") angewandt, was regelmäßig dazu führt, dass selbst bei eventuell korrekter Ausgangslage der Fakten oftmals völlig falsche Ergebnisse erzielt werden. Hier ähnelt die "Futurologie" den "Wirtschaftswissenschaften", der "Astrologie" und anderen religiösen Sekten erheblich.

Des weiteren sind die Ergebnisse, von denen Herr Braun aktuell berichtet, zum größten Teil identisch mit denen, die sich bereits in entsprechenden Büchern aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts finden und die, wie wir alltäglich live und in Farbe erfahren, eher einem Wunschdenken und nicht wissenschaftlicher Forschung entspringen. Dazu ein paar Beispiele:

  1. Es ist im Rahmen des kapitalistischen Wirtschaftssystems völlig hanebüchen, davon auszugehen, "dass sich die heutigen Infrastrukturen wie Mobilität, Energie, Wasser et cetera viel stärker dezentral entwickeln werden". Braun spricht in diesem Zusammenhang gar von einer weitgehenden Selbstversorgung der Städte. Richtig ist vielmehr, dass diese Ideen bereits sehr alt und sicher bedenkenswert sind; allerdings wird es, solange es den Kapitalismus gibt, stets auch mindestens einen großen Energiekonzern geben, der nicht an Nachhaltigkeit, preiswerter Energie für alle Menschen oder gar sich selbst versorgenden "Zellen" interessiert ist, sondern einzig an steigendem Profit - egal auf welche Weise und auf wessen Kosten.

  2. Dasselbe gilt für die weiteren genannten Bereiche (Wasser und Individualmobilität) natürlich gleichermaßen. Gerade im Bereich der Wasserversorgung erleben wir ja gerade das Gegenteil - nämlich die permanenten und teilweise bereits erfolgreichen Versuche der psychopathischen Profitmaximierer, auch diese endlich zu "privatisieren", also an Konzerne abzutreten, sodass zukünftig nur noch derjenige mit Trinkwasser versorgt wird, der auch ordentlich dafür zahlen kann. Letztlich werden sie gewiss auch noch einen Weg finden, "saubere Luft" zu privatisieren.

  3. Dem guten Herrn Braun fällt sogar selbst auf, dass eine gewisse Diskrepanz zwischen der festgestellten und weiter zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung auf der einen und der trotzdem ansteigenden Konzentration von Menschen in wachsenden Horrorgroßstädten auf der anderen Seite festzustellen ist. Konsequenzen zieht er daraus allerdings nicht. Die "Megastädte" bleiben trotzdem ein Teil der Zukunftsprognose - die Gründe dafür werden allerdings nicht genannt, was aber nicht weiter verwundert, da diese Entwicklung in sich ja bereits unlogisch ist und das Gegenteil in einem Zukunftsmodell dafür sorgen müsste, dass zunehmend mehr Menschen den Molochen der Betonwüsten wieder entfliehen. Das passte den "ForscherInnen" allerdings so gar nicht in ihr Konzept, da dann auch so "innvovative" Projekte wie das "autonom fahrende Auto" keinen Sinn mehr ergäben. So reiht sich ein Puzzleteil ans nächste.

  4. Auch hier wird wieder das völlig bescheuerte neoliberale Konzept der "Mikrowohnungen" und "Wohnzellen" angeführt, das in einer tatsächlich vernetzten, nicht dem kapitalistischen Barbarentum ausgesetzten zukünftigen Welt so sinnvoll wäre wie Kühlschränke am Nordpol. Ich hatte bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, welchem Zweck diese Pläne mutmaßlich tatsächlich dienen.

  5. Einen weiteren Schritt hin zur neoliberal perfekten, menschenfeindlichen Welt vollzieht Herr Braun, wenn er bemerkt: "Vielleicht bestehen Firmen nicht mehr aus festen Mitarbeitern, sondern aus einer Summe von vielen Selbständigen [sic!], sogenannten Cloud Workern, die sich projektbezogen zusammenschließen." - Ja, in der Tat, das sind die feuchten Träume der Superreichen: Wenn es nur noch "Selbstständige" und keine festangestellten "Mitarbeiter" mehr gibt, kann man den ganzen überflüssigen Rotz, der sich heute noch "Arbeitsrecht" nennt, endlich in den Gulli kippen - dann gibt's keinen "Mindestlohn" mehr, sondern nur noch "Konkurrenz" (nach unten), und von Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, einer paritätischen Finanzierung der Kranken- und Rentensysteme, geregelten Arbeitszeiten, gar einer Hilfe für Arbeitslose oder andere Unnütze etc. muss man gar nicht erst weiter reden. So sieht der Traum von der Zukunft für die Damen und Herren Quandt, Klatten, Albrecht, Schwarz & Co. aus - mit "wissenschaftlicher Prognostik" hat das jedoch nicht das geringste zu tun.

Eine "Futurologie", die den Kapitalismus als maßgeblichen Faktor für den Jetzt-Zustand und damit auch für die vermutliche Entwicklung dieser verkommenen Welt gar nicht benennt und somit auch nicht erkennen kann bzw. will, welche "Prognosen" im Rahmen dieses Systems wahrscheinlich und welche eher unwahrscheinlich sind, ist nichts anderes als gelenkte, dumpfe Propaganda. Die "wissenschaftliche Methodik", die Braun und Co. hier bemühen, erinnert an das infantile Szenario, in dem man sich ausführliche Gedanken über das plötzliche Anschwellen des Handballens macht und dabei die Tatsache außer acht lässt, dass man kurz zuvor von einer Biene gestochen wurde. Die Ergebnisse sind entsprechend absurd. Ich zitiere dazu einige Kapitelüberschriften aus dem Buch "Die Zukunft. Das Bild der Welt von morgen", hg. von Roland Göök, Bertelsmann [sic!] 1974:


- Handgemachtes Paradies: Nicht mehr arbeiten und überall Südseestrand
- 36.000 km über der Erde: So wird demnächst die Sonne angezapft
- Schlaraffenland der Energie: Das Wasser der Meere und die Steine der Alpen verbrennen
- Nahrung: Schlaraffenland aus der Retorte
- Wenn die Kornfelder verschwunden sind: Zurück zur fröhlichen Wildnis
- Wie eine Raumstation in der Landschaft: Die Stadt


So geht es munter weiter in diesem aus heutiger Sicht fast schon pervers anmutenden Buch, welches das menschenfreundliche Paradies, in dem wir heute, 40 Jahre später, demütig und überaus glücklich leben dürfen, ausführlich zu vorhersagen versucht. Weder die Bertelsmann-Bande, noch der Rest der kapitalistischen Profitgeier hat sich damals wohl ausmalen können, wie nachhaltig und zu ihren Gunsten pervertiert die Welt nach 40 Jahren aussehen würde. - Ob der Herr Braun es wohl auch gelesen hat?

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Tödliche Teppiche aus Asphalt und Gestein: Wann zieht die Stadt in die Wohnmaschine um?


(Kapitel-Illustration [Ausschnitt] von Günter Radtke aus dem o.g. Buch)