Freitag, 18. Mai 2012

Zitat des Tages: Notwendiges Übel

Regieren wäre gar nicht schwer,
Wenn die Bevölkerung nicht wär',
Die man indessen schlecht entbehrt
Von wegen dem Besteuerungswert,
Und dann von wegen der Ernähr-
Ung und dem schönen Militär.

Und dann kommt auch die Industrie
Bisher noch schwer aus ohne sie,
Denn leider, dass der Schornstein raucht,
Wird sie noch ab und zu gebraucht.
Fatal für Schlote und Barone,
Denn sie regierten lieber ohne.

(Ernst Klotz [1894-1970], in "Simplicissimus", Heft 27 vom 02.10.1932)

Donnerstag, 17. Mai 2012

Der Mythos der neoliberalen Ideologie

Das gegenwärtige neoliberale Modell kann auf empirisch belastbare Grundlagen nicht verweisen. Es war immer schon eine Glaubenssache, ein Mythos, und später eine knallharte Ideologie eben, die uns als gottgegeben verkauft wurde.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Dieser Kommentar von Konstantin Wecker ist durchaus empfehlenswert. Bezüglich Griechenland sollte man aber insbesondere bedenken, was Jens Berger auf den Nachdenkseiten geschrieben hat:

“Über das Schicksal Griechenlands wird längst nicht mehr in Athen entschieden. Wie die griechische Tragödie enden wird, liegt in der Hand der Troika. Griechenland hängt am finanziellen Tropf seiner Geldgeber und nicht das griechische Volk oder die Politik, sondern sie [die Geldgeber] entscheiden über die Zukunft des Landes.”

Ansonsten freue ich mich über diese deutlichen Worte sehr und hoffe, dass sie noch von vielen Menschen gelesen werden. In Deutschland ist Aufklärung ja dringend nötig, wie die letzten Landtagswahlen wieder einmal eindrucksvoll gezeigt haben: Solange noch immer so viele Menschen die heutige SPD und die heutigen Grünen für eine (gar “linke”) Alternative zur schwarz-gelben Zerstörerbande halten (oder aus Frust gar nicht mehr wählen gehen), kann sich nichts am Katastrophenkurs verändern.

Ein Wort noch zu den im Text erwähnten Opfern der neoliberalen Ideologie: Es gibt durchaus eine Stimme, die seit vielen Jahren nicht müde wird, immer und immer wieder die erschreckenden Fakten und Zahlen zu nennen, die der Kapitalismus zu verantworten hat – Jean Ziegler. Hier ein Beispiel von vielen:

“Die Goldberge steigen im Westen und die Leichenberge im Süden. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren, 47.000 Menschen sterben jeden Tag an Hunger und mehr als eine Milliarde Menschen, fast ein Sechstel der Menschheit, ist permanent schwerst unterernährt.”

Eindrucksvoller könnte ein System kaum belegen, dass es schlichtweg pervers ist und keinesfalls dem Wohl der Menschheit dient. Dennoch feiert es seit hunderten von Jahren Triumphe und ist heute einmal mehr auf dem allerbesten Wege, neben den üblichen “Kollateralschäden” in Afrika, Asien und Südamerika auch den reichen Westen in den Abgrund zu stoßen. Die Situation in Griechenland und anderen europäischen Staaten (Portugal, Spanien, Italien, Irland u.a.) erinnert fatal an das Ende der Weimarer Republik in Deutschland.

Noch einmal Jean Ziegler:

“Letztes Jahr haben die fünfhundert größten Privatkonzerne der Welt nach Weltbankstatistiken gemeinsam über 52 Prozent des Weltsozialproduktes beherrscht. Dieses Finanzkapital in den Händen einiger westlicher Oligarchen hat eine Macht, die nie zuvor in der Geschichte der Menschheit ein König, ein Kaiser oder ein Papst gehabt hat. Diese Finanzdiktatur wird von den südlichen Völkern als letzte Etappe der Ausbeutung und Unterdrückungsstrategie des Westens gesehen. Die Sklavenhalter sitzen heute in den Börsen, bestimmen die Rohstoffpreise durch Spekulation und sind – wenn auch der Allgemeinheit nicht sichtbar – verantwortlich für den Hunger hunderttausender Menschen. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter 10 Jahren. Dieses Jahr im April hat zum ersten Mal die Zahl der permanent unterernährten Menschen die Milliardengrenze überschritten. Und das auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt.”

Dies alles wissen die Menschen, die heute den Kapitalismus wählen, indem sie bei der CDU, der FDP, der SPD oder den Grünen ihr Kreuz machen – sie müssten es zumindest wissen. Offensichtlich nehmen diese Menschen den verhängnisvollen Superreichtum einiger Weniger und das damit einhergehende Leid so vieler anderer aber in Kauf, solange sie selbst noch ein erträgliches Auskommen haben – auch wenn dies Not, Elend und Tod für Millionen andere zur Folge hat, die momentan noch in weit entfernten Regionen wohnen. Was soll man als halbwegs vernunftbegabtes Wesen dazu noch großartig sagen? Mir fallen da nur die Worte Erich Kästners ein, der in seinem Gedicht “Misanthropologie” 1929 resümierte:

“Und man kommt, geschult durch das Erlebnis,
wieder mal zu folgendem Ergebnis:
Diese Menschheit ist nichts weiter als
eine Hautkrankheit des Erdenballs.”

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[Die neoliberalen Erfolge]


"Der Patient scheint gar nicht zu merken, dass unsere Wunderkur gelungen ist. Das Fieber steigt immer weiter!"

(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 18 vom 31.07.1932)

Mittwoch, 16. Mai 2012

Song des Tages: This Ship's Going Down




(Voltaire: "This Ship's Going Down", aus dem Album "To the Bottom of the Sea", 2008)

A gargantuan hole in the bow will the ocean to enter allow.
Oh, but more a sin than letting it in, it's letting our good fortune out.
The nest to the storm did succumb, while the crow hid his fear in the rum.
And the mast, it broke and threw out the bloke and well now he's surely my chum.

Love letters from under his bed, holds the cabin boy over his head
A futile try to keep it dry what tears have already wet.
They were penned by a girl in Merak, and the Javanese value their tact.
She'll conclude he's horribly rude 'cause he's sure as hell not writing back.

'Cause this ship's going down,
All on account of the weather.
Though we'll drown, there's no need to frown
'Cause we're all going together.
And I won't say: "Woe is me"
As I disappear into the sea,
'Cause I'm in good company
As we're all going together.

I've had women of every kind, but the only one truly was mine
Is the one at home who'll be alone when I am full-up with brine.
For my son I had always a plan, for to raise him as best as I can.
Oh well, you can bet, my only regret is to not see him grow to a man.

'Cause this ship's going down,
All on account of the weather.
Though we'll drown, there's no need to frown
'Cause we're all going together.
And I won't say: "Woe is me"
As I disappear into the sea,
'Cause I'm in good company
As we're all going together.

I was sinking down into the brine, when a curious sight caught my eye.
Seaman Shaft had found him a raft and was makin' a speedy goodbye.
At the risk of sounding absurd, I have always been good as my word.
So a fishgig I lanced into his eye and I knocked his ass overboard.

'Cause this ship's going down,
All on account of the weather.
Though we'll drown, there's no need to frown
'Cause we're all going together.
And I won't say: "Woe is me"
As I disappear into the sea ...
Oh hell!
'Cause you've all been so good to me,
So we're all going together.

Armut in Deutschland: “Wir müssen leider draußen bleiben”

In "Wir müssen leider draußen bleiben" hat Kathrin Hartmann viele Mosaiksteine eines verschärften Klassenkampfs von oben zusammengetragen. Rasant geschrieben berichtet sie über ein Land, in dem das Mitgefühl für Arme und Arm-Gemachte verschwunden ist.

Dieses Buch ist eine grandiose Philippika, die zweite der Journalistin Kathrin Hartmann. In "Ende der Märchenstunde" (2009) hatte sie sich die "politisch korrekt konsumierende" neue Mittelschicht vorgeknöpft und enttarnt, dass die "Lohas" (Kürzel für Lifestyle of Health and Sustainability) weder zur Gesundheit noch zur Nachhaltigkeit beitragen. Im Gegenteil.

Jetzt legt sie nach. Es geht um Armut in unserer modernen Gesellschaft. Neu, wie der Untertitel sagt, ist die nicht, und sie findet auch nicht nur in Konsumgefilden statt. Aber sie hat schärfere Züge bekommen. In ein Bild gefasst: Wenn man sich Armut und Wohlstand als zwei tektonische Platten vorstellt, wirkt die Globalisierung wie eine seismische Verwerfung, die die eine Platte nach oben reißt und die andere brachial weiter nach unten presst. Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist inzwischen gefährlich steil für Frieden, Demokratie und all die schönen Dinge des menschlichen Lebens auf diesem Planeten.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Über das verrohte Bürgertum und dessen gefährliche, asoziale Verachtung der Armut, die in der inzwischen recht bekannten Studie des Soziologen Wilhelm Heitmeyer ("Deutsche Zustände") beschrieben werden, habe ich schon mehrfach berichtet (z.B. hier). Hartmanns sehr lesenswertes Buch illustriert nun noch einmal in aller Deutlichkeit, dass diese an Faschismus grenzenden Zustände sich keineswegs verbessert haben - gamz im Gegenteil: Der angeblich alternativlose Zerstörungskurs der neoliberalen schwarz-gelb-rot-grünen Bande wird unvermindert fortgesetzt und verfehlt seine Wirkung bei vielen Bürgern der Mittelschicht und vielen Wohlhabenden nicht. Ein Ende dieses neoliberalen Terrors ist nicht absehbar.

Klar absehbar hingegen ist die Tatsache, dass sich dadurch die Armut und Zwangsverarmung weiter massiv ausbreiten wird - mitten hinein in genau die Kreise, die heute noch voller Verachtung, Arroganz und Abscheu auf die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft herabblicken. Auch weitere Feindbilder sind schon klar erkennbar: Waren es früher Juden sowie Sinti und Roma, sind es heute Muslime und generell "die Ausländer", die nur zu gerne als Sündenböcke instrumentalisiert werden. Sehr beliebt ist auch ein neidvolles Schimpfen auf die "Privilegien der Beamten", das in Deutschland eine ebenso weit zurückreichende Tradition hat wie der Faschismus. Die Initiatoren und einzigen Nutznießer der erneuten globalen neoliberalen Zerstörungsorgie - die Superreichen - kommen in der Gedanken- und Vorstellungswelt der meisten Menschen dagegen gar nicht vor - da leisten die Propagandainstitutionen in der Politik und den Medien ganze Arbeit.

Gerade in den "besseren Kreisen" der deutschen Mittel- und Oberschicht sollte das Buch Hartmanns zur Pflichtlektüre werden, damit der eine oder die andere aus dem lethargischen Tiefschlaf geweckt und die dümmliche neoliberale Propagandablase in Bezug auf Armut zum Platzen gebracht werden kann.

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Ärztlicher Trost


"Appetitlosigkeit? Gute Frau, betrachten Sie dieses Übel als ein Geschenk des Himmels in dieser knappen Zeit."

(Zeichnung von Fritz Schaefler [1888-1954], in "Simplicissimus", Heft 21 vom 18.08.1920)

Montag, 14. Mai 2012

Die Wiederkehr der Gleichen

Der 13. Mai 2012 stellt eine Zäsur dar - eine Zäsur in meinem persönlichen politischen Denken und Empfinden und ebenso eine Zäsur in der Nachhaltigkeit der medialen Manipulation in diesem Land. Der Ausgang der Wahlen in NRW zeigt unmissverständlich - und in dieser Hinsicht habe ich meine bisherige Ansicht bzw. Hoffnungen zu revidieren -, dass im Rahmen dieses Popanzes, der sich "demokratischer, gar freiheitlicher Rechtsstaat nennt, weder Demokratie, noch Freiheit irgendeine Bewandnis haben können.

Wir haben massivste neoliberale Propaganda, üble Kampagnen und gleich massenweise leere Worthülsen, Sprechblasen, auf irgendwelche austauschbare Personen ausgerichtete Werbestrategien, manipulierende "Wahlprognosen" und derlei mehr Schnickschnack erlebt, die nun am vergangenen Sonntag ihre fauligen Früchte eingefahren haben. Konkret haben wir in NRW:

  • Die größte "Partei" der Nichtwähler - die nichts bewirken, nichts beeinflussen, dennoch aber die medial nicht stattfindende überwältigende Mehrheit stellen. Wie mag man sich fühlen als jemand, der eigentlich die Mehrheit stellt aber trotzdem nichts zu melden hat?


  • Zwei Parteien namens SPD und Grüne, die sich als "Wahlgewinner" postulieren, obwohl sie für genau denselben neoliberalen Untergangskurs stehen, den Merkel und ihr gelber Analplug auf Bundesebene verfolgen (und der zuvor von Rot-Grün und Schwarz-Rot zementiert wurde ... ich mag das ja schon gar nicht mehr alles immer und immer wieder wiederkäuen).


  • Eine Piratenpartei, die "Protestwählerstimmen" en masse eingefangen hat, obwohl niemand weiß, wofür diese Partei nun tatsächlich steht und welche Ziele sie zukünftig verfolgt.


  • Last but not least die Partei der schwankenden Wiedergänger, die sich einer extremen, wahrscheinlich kostenlosen Wahlwerbehilfe quer durch alle Mainstreammedien erfreuen durften und die gestern trotz des gleich gebliebenen Personals und der natürlich ebenfalls gleich gebliebenen radikalen Inhalte eine wundersame Reanimation durchlebt hat.


  • Diese Wiederbelebung der FDP samt ihrem vor kurzem erst "abgetretenen" Fanboy Lindner ist der deutlichste Hinweis auf die Manipulationen, die im Rahmen dieser Wahl stattgefunden haben. Da nützt auch das vermeintliche "Bauernopfer" nichts, dass mit dem ach-so-schrecklichen "Absturz" der CDU geleistet wurde - es war angesichts der Medienkampagnen im Vorfeld der Wahl doch völlig offensichtlich, dass Röttgen diesen Tribut zu leisten haben wird. Wer in den letzten Wochen Mainstreamzeitungen gelesen oder gar die offiziellen Propagandasender ARD und ZDF eingeschaltet hat, dürfte nicht einmal entfernt überrascht von diesem Ergebnis sein - einschließlich der sofort erfolgten Erklärung Röttgens, dass er selbstverständlich nicht in NRW zu verweilen gedenkt. Oh, wie überaus überraschend.

    Diese gesamte Wahl war so dezidiert vorgeplant und vorbereitet, dass es mich selber erschreckt, wie sehr mich diese Deutlichkeit des Ergebnisses dennoch so entsetzt. Ich war zu blauäugig, das habe ich gestern - mancher mag hinzufügen: "endlich" - bemerkt. Ich weiß nicht, welchen Teilbereich ich da gruseliger finden soll: Die Unverfrorenheit, mit der von interessierter Seite diesmal Manipulationen und Kampagnen betrieben wurden; oder die Willfährigkeit und Dummheit, mit denen so viele Menschen diesen Rattenfängern einmal mehr aufgesessen sind; oder vielleicht doch meine persönliche Bereitschaft, dieses Wahlergebnis für noch weitaus manipulierter als beschrieben - also für schlicht gefälscht - anzusehen.

    Der 13. Mai 2012 hat nun auch für einen überzeugten Demokraten wie mich die Ära der Endzeit eingeläutet. Arge Zweifel waren ja schon lange vorhanden, wie jeder, der ab und an mal mitgelesen hat, wissen mag - diese Zweifel sind nun zementiert. Eine Demokratie findet nicht statt in Deutschland - emtweder sind die Menschen schlicht nicht fähig zu denken und so zu wählen, dass nicht nur eine kleine Minderheit priviligiert wird und das Sagen hat - oder die Wahlergebnisse sind gefälscht. Ich kann nicht entscheiden, welche der beiden Alternativen beängstigender ist. Im Ergebnis bleiben sie sich gleich.

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    Die Wiederkehr der Gleichen


    "Das neue Ministerium?! Die Physiognomien kommen mir alle so bekannt vor."

    (Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 14 vom 02.07.1928)