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(Virgin Black: "In Death", aus dem Album "Requiem - Mezzo Forte", 2007)
O misery you live
I have been struck and am suffering
O misery you live
You take bread from hands
that hold so little
And show treason to a faithful heart
There is no healing balm of reason
O wretchedness, o misery
Fall upon mercy
Set thy alter here
Lifeless life cradles lifeless death
Set thy alter here
Fall upon mercy
O wretchedness, o misery
O misery you live
I have been struck and am suffering
O misery you live
O misery you live in death
Exaudi orationem (meam)
Quantus tremor est futurus
Exaudi orationem (meam)
The hour is at, parting is at hand
The hour is at hand
The hour is at, parting is at ...
Anmerkung: Eine schrille, dissonante, untergehende Zeit produziert auch schrille, dissonante, untergehende Musik - das war schon immer so und wiederholt sich auch heute wieder eindrucksvoll. Ein solches Requiem ist ein beredtes Beispiel dafür - auch wenn die Australier von Virgin Black, anders als der deutsche Wikipedia-Artikel behauptet, mit dem Christentum nichts weiter gemein haben als die Benutzung eben dieser traditionsreichen Form der Totenmesse, die hier eben nichts anderes ist als die musikalische Illustration des Verfalls und Untergangs. Der Text und die Musik sprechen für sich.
Ich möchte dazu auf das Oratorium "Das Buch mit sieben Siegeln" des Spätromantikers Franz Schmidt [1874-1939] verweisen, das zwischen 1935 und 1937 komponiert wurde und ähnliche apokalyptische Züge trägt - und auch dieses Werk ist nur ein Beispiel von hunderten. Die (ernsthafte, nicht-kommerzielle) Musik ist immer ein Spiegel ihrer Zeit.
Nach Aufdeckung des NSU-Terrors war viel die Rede von mehr Sensibilität der Behörden gegenüber Zuwanderern. Ein Jahr später steigt Derege Wevelsiep in eine Frankfurter U-Bahn und wird von Polizisten verprügelt. Eine Geschichte darüber, dass sich nichts geändert hat.
(Weiterlesen)
Anmerkung: Lest Euch das bitte genau durch - es ist wieder einmal unfassbar, wie sich die Kontrolleure der Bahn und insbesondere die uniformierten Schergen des Staates hier wieder einmal verhalten haben. Mir kommt die Galle hoch, wenn ich mich in die Lage dieses Mannes versetze, der völlig nachvollziehbar fragt, ob wir eigentlich das Jahr 2012 oder doch eher das Jahr 1942 schreiben.
Der Autor der Frankfurter Rundschau kommt zu dem wenig hoffnungsfrohen Schluss: "Der Fall von Derege Wevelsiep wird enden, wie solche Fälle immer enden. Es wird intern ermittelt, Polizisten befragen Polizisten, die behaupten, er habe Widerstand geleistet, sie hätten gar nicht anders handeln können. Und dann passiert nichts. Und wieder hat ein Mensch das Vertrauen in deutsche Sicherheitsbehörden verloren."
So wird es wohl geschehen. Das wirkliche Problem, das dieser Fall wieder einmal deutlich aufzeigt, bleibt auch weiterhin unangetastet, nämlich der offensichtlich in Teilen der Polizei latent vorhandene dumpfe Rassismus, gepaart mit einem Gefühl der Allmacht, das jedem demokratischen Verständnis Hohn spricht. Diese arrogante Überheblichkeit, die wie ekelhaftes, übelriechendes Fett aus den zitierten Dialogfetzen der Polizisten trieft, widert mich nur noch an.
Das beschriebene Vorgehen der Polizei bis hin zum grundgesetzwidrigen Betreten der Wohnung des terrorisierten und misshandelten Opfers ist ein einziger, himmelschreiender Skandal - solche Menschen haben bei der Polizei nichts verloren, sondern gehören auf der Stelle vor ein ordentliches Gericht (wenn es ein solches denn tatsächlich noch gäbe). Darauf können wir in den zerbröckelnden Demokratiefassaden dieses zerstörten Staates allerdings warten bis zur einsetzenden Verwesung.
Nebenbei ist diese Geschichte ein Beleg dafür, weshalb die in den letzten Jahren zu recht in die Kritik geratene Frankfurter Rundschau trotzdem erhaltenswert ist - wer sich das leisten kann, sollte diese vor dem Aus stehende Zeitung dringend unterstützen.
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Wiener G'müat
"Wir lassen unsere lieben Juden nicht nach Palästina - wir wollen sie in Wien totschlagen!"
(Zeichnung von Eduard Thöny [1866-1950], in "Simplicissimus", Heft 23 vom 07.09.1925)
Es ist nichts zu loben, nichts zu verdammen, nichts anzuklagen, aber es ist vieles lächerlich; es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt. Die Zeitalter sind schwachsinnig, das Dämonische in uns ein immerwährender vaterländischer Kerker, in dem die Elemente der Dummheit und der Rücksichtslosigkeit zur tagtäglichen Notdurft geworden sind. Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das ununterbrochen zur Infamie und zur Geistesschwäche verurteilt ist. Das Leben Hoffnungslosigkeit, an die sich die Philosophien anlehnen, in welcher alles letzten Endes verrückt werden muss. Wir sind Österreicher, wir sind apathisch; wir sind das Leben als das gemeine Desinteresse am Leben. Wir haben nichts zu berichten, als dass wir erbärmlich sind. Mittel zum Zweck des Niedergangs, Geschöpfe der Agonie, erklärt sich uns alles, verstehen wir nichts. Wir brauchen uns nicht zu schämen, aber wir sind auch nichts, und wir verdienen auch nichts als das Chaos."
(Thomas Bernhard [1931-1989]: Rede anlässlich der Verleihung des österreichischen Förderungspreises für Literatur, 1968. - "Ich war mit meinem Text noch nicht zuende gekommen, da war der Minister mit hochrotem Gesicht aufgesprungen [...], bedrohte mich, ja, er ging mit vor Wut erhobener Hand auf mich zu, darauf eine abrupte Kehrtwendung und verließ den Saal." So beschreibt Bernhard die Reaktion des damaligen österreichischen Unterrichtsministers Theodor Piffl-Percevic auf diese Rede bei der Zeremonie am 4. März 1968 in dem posthum erschienenen Band "Meine Preise", 2009.)
Geht der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, zu Ende? Die beiden Autoren sehen dies so und empfehlen eine neue Gesellschaftsform, die auf mitfühlende Solidarität setzt, mit Namen "Empathismus". Hier ihre erhellenden Gedanken und Visionen eines zukünftigen Miteinander.
(Weiterlesen)
Anmerkung: Nach dem (unvermeidlichen, weil systembedingten) Zusammenbruch des Kapitalismus wird auch diesmal, wie schon unzählige Male zuvor, nur eines kommen: Ein Neustart des kapitalistischen Systems. Bei allen vorangegangenen Zusammenbrüchen gab es auch immer wieder verschiedenste Visionen oder Utopien, wie es denn danach wohl weitergehen könne und die nichts bewirkt haben, und nichts, aber auch gar nichts deutet heute darauf hin, dass es diesmal anders verlaufen wird.
Visionen und Entwürfe für eine bessere Welt gibt es mannigfach – und das nicht erst in neuer Zeit. Umgesetzt wurden und werden sie allerdings nie (und wenn, dann höchstens in pervertierter Form, die mit den ursprünglichen Ideen nichts mehr zu tun hat, wie das Beispiel des sich so nennenden Sozialismus eindrucksvoll zeigt).
Die wenigen Personen, die den großen Reichtum und die Macht an sich gerissen haben, haben diese Ansprüche stets erfolgreich verteidigt oder sind in eher seltenen Extremfällen von anderen Personen abgelöst worden, die sich ihrerseits im Namen irgendwelcher Ideologien wieder großen Reichtum und Macht angeeignet haben. Das ist die Geschichte der Menschheit.
Die Frage “Was kommt nach dem Kapitalismus?” ist hinlänglich beantwortet – die Antwort lautet: Natürlich wieder der Kapitalismus. Und wenn nach dem regelmäßigen Kollaps des Kapitalismus und dem systemisch verbundenen Faschismus irgendwann mangels verbliebener natürlicher und menschlicher Ressourcen kein Neustart mehr möglich ist, kommt eben einfach der Schlusspunkt. Die Dinosaurier haben es uns Menschen vorgelebt.
Seit Jahrhunderten gibt es massenhaft Gesellschaftsentwürfe, die einen Ausweg aus diesem kapitalistischen Teufelskreis formulieren – aber nicht ein einziges Mal ist es gelungen, irgendetwas davon auch in die Tat umzusetzen, ohne wieder in denselben widerlichen Strukturen zu landen. Die Hab-, Raff- und Machtgier und der asoziale Egoismus einzelner Menschen scheint unauslöschbar zu sein. Die widerliche Bande, die uns und fast alle anderen Staaten regiert, ist ein beredtes Beispiel dafür – von den Machenschaften der internationalen Konzernbosse ganz zu schweigen.
Wir brauchen keine zusätzlichen Visionen – die gibt es doch längst. Wir brauchen statt dessen einen Plan, wie wir diese furchtbare Bande der Eigennutzoptimierer, diese schrecklichen habgierigen Kapitalisten loswerden und der Bevölkerung endlich beibringen, dass Konkurrenz, Wettbewerb und Egoismus (“Eigenverantwortlichkeit”) zwangsläufig in eine solche Alptraumwelt münden, wie wir sie jetzt wieder haben.
Ich halte das evolutionäre Projekt “Menschheit” für gescheitert.
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Wahlfrühling
Nun, deutsches Wahlvieh, spitze deine Ohren
und friss den frech erlog'nen Phrasendreck!
Hat man dich auch bis auf die Haut geschoren -:
den frohen Glauben hast du nie verloren!
Schnapp zu, mein Mäuschen, auf den Rede-Speck!
Hier lockt man dich mit kaiserlichem Glanze -
hier wirst du aufgewertet, zollgeschützt -
hier geht man radikal-gesinnt aufs Ganze -:
und jeder bricht für dich die dickste Lanze
solang der Rede-Speichel ihm entspritzt ---
Doch süßer noch als die Sirenen-Flöten
tönt salbungsvoll des Pfarrers Wortsalat!
Er lehrt dich arbeiten und lehrt dich beten
und wird dich nicht nur hierorts stramm vertreten,
da er auch droben was zu sagen hat!
So oder so: man wird dich schon bequasseln,
du deutsches Schaf, zu jeder Schur bereit!
Gebrauch dein Recht, dir alles zu vermasseln:
zum Fluchen, Schimpfen, Hungern, Kettenrasseln
hast du dann wieder mal vier Jahre Zeit!
(Benedikt alias Reinhard Koester [1885-1956], in "Simplicissimus", Heft 7 vom 14.05.1928)
Die SPD vertreibt mit Hilfe der Bahn Wohnungslose aus der Hamburger Innenstadt. Doch in den Unterkünften fehlen noch eintausend Schlafplätze für Obdachlose.
(...) Der Hamburger Hauptbahnhof ist der meist frequentierte Bahnhof bundesweit. Besonders in den kalten Monaten sind die Vordächer ein zentraler Treffpunkt für Menschen ohne Obdach. (...)
Die neue Linie der Hamburger Sozialdemokraten zeigt sich nicht nur im Umgang mit Marginalisierten am Bahnhof. Flüchtlinge werden in Hamburg neuerdings in überfüllten 40-Mann-Zelten untergebracht, weil die Räume im Gebäude der Erstaufnahmestelle im Norden der Stadt überfüllt sind und es an Sozialwohnungen mangelt. (...)
Von vornherein für mehr Schlafplätze [für Obdachlose] sorgen will die SPD nicht. Jede Einrichtung, die eröffnet werde, sei schon am nächsten Tag voll, erklärt Sozialsenator Detlef Scheele. Die SPD will in jedem Fall verhindern, dass ein auskömmliches Angebot mehr Leute anzieht.
(Weiterlesen)
Anmerkung: Zu einem solchen asozialen, menschenfeindlichen Verhalten fällt mir nicht mehr viel ein. Erst sorgen sie mittels einer perversen, faschistoiden Gesetzgebung und der massenhaften Privatisierung von Sozialwohnungen dafür, dass immer mehr Menschen obdachlos werden, und im Nachschlag wird den so Verarmten und Vertriebenen dann auch die letzte Hilfe im Winter noch verweigert. Und dennoch nennt sich diese lächerliche Partei noch immer "sozialdemokratisch".
Die typisch neoliberale, menschenfeindliche Argumentationsweise, dass ein auskömmliches (noch nicht einmal ein halbwegs gutes!) Angebot mehr Menschen, die in Not geraten sind, anziehen würde, passt da nur zu gut ins Bild. Konkurrenz und Wettbewerb sind die bösen Götter des kapitalistischen Unrechtssystems. Sollen diese Schmarotzer und Überflüssigen doch selber sehen, wo sie bleiben - die SPD bzw. der Kapitalismus hat mit denen nichts mehr zu tun. Wer nicht mehr ausbeutbar ist, wird "freigesetzt" und darf in totaler Freiheit unter einer Brücke selbstbestimmt und eigenverantwortlich erfrieren oder verhungern.
Ganz abgesehen von dem nicht tolerierbaren Skandal, dass es in diesem vor Luxus überquellenden Land überhaupt obdachlose Menschen gibt und die Zahl auch noch bedenklich steigt, zeigt die Asoziale Undemokratische Partei Deutschlands (ASPD) hier exemplarisch einmal mehr, was von ihr zu halten ist und inwiefern sie sich von den übrigen schwarz-gelb-grünen Blockparteien der Neoliberalen Einheitspartei Deutschlands (NED) unterscheidet: In nichts.
Ich schäme mich in Grund und Boden für diesen widerlichen Staat.
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Abseits
(Zeichnung von Anton Hansen [1891-1960], in "Simplicissimus", Heft 42 vom 12.01.1925)
(Via)
(Adrian Ils: "Im Garten steht ein Feigenbaum, oder: Ein Börsenverlierer stürzt ab", aus dem Album "Liebe, Tod und Heimarbeit", 2005)
Der Regen trommelt auf das Dach
Und ich lieg mal wieder wach
Und denke nach
Mir schwimmen alle Felle weg
Ja, da lieg ich nun im Dreck
Und fühl mich schwach
Du warst für mich die schönste Frau
Und das weißt du ganz genau
Mein falscher Schatz
Nur weil ich mit den Zähnen knirsch
Röhrt jetzt ein and'rer Hirsch
Auf meinem Platz
Als ich noch ohne Tadel war
Nadelstreifen, Öl im Haar
Warst du entzückt
Für dich war Liebe nur ein Sport
Doch ich glaubte jedes Wort
Ich war verrückt
Ich brauchte dich für das Gefühl
Mit dabei zu sein beim Spiel
Um Geld und Macht
Dir hörig bis zur Raserei
War ich ausgeliefert
deiner Niedertracht
Und als er sank, mein Börsenstern
Gab's da schnell 'n andern Herrn
Auf dem Parkett
Der hat in einer langen Nacht
Ein Vermögen durchgebracht
In deinem Bett
Die Schönheit ist dein Kapital
Deine Scham agiert global
Der Markt ist groß
Wenn irgendwo die Kurse steigen
bist du sofort dabei
Mit deinem Schoß
Kein Offenbarungseid, kein Gott
Hilft mir jetzt mehr, ich bin bankrott
Mein Sturz ist tief
Ich wünsch die Pest dir an den Hals
Mein Unglück war besiegelt als
Ich mit dir schlief
Geschossen aus der Umlaufbahn
Schwarzes Loch im Liebeswahn
Ich weiß nicht wie
Ich dich aus meinem Herz vertreib
Ach, deinen wunderbaren Leib
Vergess ich nie
Im Garten steht ein Feigenbaum
Jede Feige ist ein Traum
Ihr Saft ist süß
Die will ich pflücken, weil ich weiß
Ich komm, wenn ich in eine beiß
Ins Paradies
Ich stehe auf und zieh mich an
Blick in den Spiegel, trete dann
Auf den Balkon
Es weht ein kleiner Wind ums Haus
Ich breite beide Arme aus
Und flieg davon
Was haben Sie eigentlich letztes Jahr für das Privatfernsehen bezahlt? / Das sehen Sie gar nicht? Macht nichts, Sie zahlen dennoch. / Sie haben gar keinen Fernseher und zahlen auch keine GEZ-Gebühr? Macht nichts, für das Privatfernsehen blechen Sie trotzdem, und nicht zu knapp.
8,3 Milliarden Euro erlösten die privaten Fernsehsender im Jahr 2006 mit Werbesendungen. Das Geld stammt letztlich aus den Geldbörsen derjenigen, welche die beworbenen Produkte kaufen. Vor allem bei neuen, "trendigen" Produkten übersteigt der im Verkaufspreis enthaltene Anteil für Werbung die Herstellungskosten oft um ein Vielfaches. Gutgläubige Rentner lassen sich ja manchmal auf Kaffeefahrten überteuerte Produkte aufschwatzen – ihren coolen Enkeln zuhause vor der Glotze geschieht genau das Gleiche, nur öfter.
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Anmerkung: Dieses Thema betrifft natürlich nicht nur das Privatfernsehen, denn auch viele öffentlich-rechtliche Sender belästigen ihre Zuschauer mit dämlicher Werbung und kassieren so neben der GEZ-Zwangsgebühr noch weitere hübsche Sümmchen. Dass diese wie bei den privaten Sendern auch größtenteils nicht in ein sinnvolles Programm investiert werden, sondern statt dessen auf den Konten völlig überbezahlter Millionäre wie Gottschalk oder Jauch landen oder in der Bürokratie samt den auch dort sich sammelnden Aufsichtsrats- und anderen sinnfreien, geldwerten Posten versickern, interessiert im auf reine Habgier und Eigennutz ausgerichteten Kapitalismus niemanden - egal, ob öffentlich-rechtlich oder privat.
Es ist nur ein logischer Treppenwitz im Rahmen dieses Systems, dass die GEZ-Gebühr in wenigen Wochen in eine Zwangsgebühr für jeden Haushalt umgewandelt wird - zahlbar von jedem, der ein Zimmer, eine Wohnung oder ein Haus in Deutschland bewohnt, und unabhängig von der Frage, ob es dort Fernseh- oder Radiogeräte gibt oder nicht. Ob diese, wenn vorhanden, auch für öffentlich-rechtliche Programme genutzt werden, ist ja schon heute keine Gebührenfrage mehr.
Derweil wird im Fernsehen und im Rest unserer Wahrnehmungswelt jeder letzte freie verbleibende Raum mit Reklame zugekleistert - dieser Seuche kann heute niemand mehr entkommen, der sich in unseren Städten bewegt, in seinen Briefkasten schaut, im Internet surft oder die Glotze oder das Radio einschaltet. Die Kosten, die dabei entstehen und nicht nur von allen Käufern der beworbenen Produkte, sondern von allen Kunden der werbenden Firmen bezahlt werden (auch wenn sie die betreffenden Produkte gar nicht kaufen), sind dabei nur eine Randerscheinung - viel schlimmer finde ich die absurde Dominanz dieser allgegenwärtigen Werbung und ihre fürchterlichen Auswirkungen. Schon Erich Fromm schrieb dazu in seinem sehr empfehlenswerten Buch "Haben oder Sein", erschienen 1976:
"Die in der Werbung und der politischen Propaganda angewandten hypnoseähnlichen Methoden stellen eine ernste Gefahr für die geistige und psychische Gesundheit, speziell für das klare und kritische Denkvermögen und die emotionale Unabhängigkeit dar. Ich bezweifle nicht, dass durch gründliche Untersuchungen nachzuweisen wäre, dass der durch Drogenabhängigkeit verursachte Schaden nur einen Bruchteil der Verheerungen ausmacht, die durch unsere Suggestivmethoden angerichtet werden, von unterschwelliger Beeinflussung bis zu solchen semihypnotischen Techniken wie ständige Wiederholung oder die Ausschaltung rationalen Denkens durch Appelle an den Sexualtrieb. Die Bombardierung durch rein suggestive Methoden in der Werbung, vor allem in Fernsehspots, ist volksverdummend. Dieser Untergrabung von Vernunft und Realitätssinn ist der einzelne tagtäglich und überall zu jeder Stunde ausgeliefert: viele Stunden lang vor dem Bildschirm, auf Autofahrten, in den Wahlreden politischer Kandidaten etc. Der eigentümliche Effekt dieser suggestiven Methoden ist ein Zustand der Halbwachheit, ein Verlust des Realitätsgefühls."
Ganz nebenbei will ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass die Werbung für ein 300-Euro-Handy, einen 700-Euro-Fernseher oder ein 10.000-Euro-Auto für jeden einzelnen der vielen Millionen Niedriglöhner und Hartz-Terror-Opfer in Deutschland nichts weiter als blanker Hohn ist - ganz abgesehen von den "Produkten" der auch in der bizarren Werbung versammelten Versicherungs- und Finanzbranche. Diese ausgesonderten Menschen spielen auch in der Reklameindustrie natürlich keine Rolle mehr - dabei ist es völlig unerheblich, dass dort mit Preisen geworben wird, die einem Verarmten in Deutschland das Überleben teils für viele Monate sichern könnten. Kurt Tucholsky schrieb dazu 1931:
"Wer soll sich denn das noch kaufen, was sie da herstellen? Ihre Angestellten, denen sie zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel geben, wenn sie sie nicht überhaupt auf die Straße setzen? Die kommen als Abnehmer kaum noch in Frage. Aber jene protzen noch: dass sie deutsche Werke seien, und dass sie deutsche Kaufleute und deutsche Ingenieure beschäftigen – und wozu das? 'Um den Weltmarkt zu erobern!' So schlau wie die deutschen Kaufleute sind ihre Kollegen jenseits der Grenzen noch alle Tage. Es setzt also überall jener blödsinnige Kampf ein, der darin besteht, einen Gegner niederzuknüppeln, der bei vernünftigem Wirtschaftssystem ein Bundesgenosse sein könnte. (...) Der unbeirrbare Stumpfsinn, mit dem diese Kapitalisten ihre törichte Geldpolitik fortsetzen, immer weiter, immer weiter, bis zur Ausblutung ihrer Werke und ihrer Kunden, ist bewundernswert. Alles, was sie seit etwa zwanzig Jahren treiben, ist von zwei fixen und absurden Ideen beherrscht: Druck auf die Arbeiter und Export. / Für diese Sorte sind Arbeiter und Angestellte, die sie heute mit einem euphemistischen und kostenlosen Schmeichelwort gern 'Mitarbeiter' zu titulieren pflegen, die natürlichen Feinde. Auf sie mit Gebrüll! Drücken, drücken: Die Löhne, die Sozialversicherung, das Selbstbewusstsein – drücken, drücken! Und dabei merken diese Dummköpfe nicht, was sie da zerstören. Sie zerstören sich den gesamten inneren Absatzmarkt."
Es dürfte regelmäßige Leser dieses Blogs sowieso nicht überraschen, dass auch diese Zuspitzung und groteske Dominanz der Reklame in der schrillen Endphase des sich auflösenden Kapitalismus kein neues Phänomen ist:
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Fortschritt
"Um die unerhört gestiegenen Unterhaltskosten der Friedhöfe aufzubringen, dürfen von jetzt ab gegen entsprechende Gebühren an den Grabmälern Reklametafeln angebracht werden."
(Zeichnung von Thomas Theodor Heine, in "Simplicissimus", Heft 29 vom 12.10.1921)
49 Millionen Menschen in den USA, unter ihnen 16 bis 17 Millionen Kinder, haben nicht ausreichend zu essen. Sie leben in Haushalten mit "Lebensmittelunsicherheit". So der im November 2011 veröffentlichte Bericht der US‐Behörde für Landwirtschaft (United States Department of Agriculture / USDA). Von gesundem, ökologisch wertvollem Essen ist da ohnehin nicht die Rede. Der im Repräsentantenhaus eingebrachte Haushaltsentwurf für 2012 sieht deutliche Einsparungen bei den staatlichen Lebensmittelprogrammen vor.
Den Hunger hat der damalige US‐Präsident George W. Bush übrigens mit einem Schlag abgeschafft, indem er ihn in "sehr niedrige Lebensmittelsicherheit" umtaufte. Noch in seiner Amtszeit (2001–2009), vor der Rezession, stieg der Anteil der Empfänger von Lebensmittelkarten um 4 Millionen Menschen. Allein in der Stadt Philadelphia – hier wurden die USA einmal gegründet – hatte ein Viertel der Bevölkerung schon 2009 nicht genug zu essen, das waren 352 000 Menschen. So sehen sie aus, die Verhältnisse im gelobten Land der "working poor", der arbeitenden Armen. Natürlich existieren in Philadelphia noch keine Verhältnisse wie im ärmsten Afrika. Wer ein kompliziertes Antragsverfahren übersteht, konnte im Monat Lebensmittelmarken im Wert von maximal 176 US‐Dollar erhalten. Aber ohne die 40.000 privaten und kirchlichen Suppenküchen im Land herrschten Verhältnisse wie in Somalia, sagt ein Aktivist.
Unter Barack Obama, Präsident seit Januar 2009, ist der Hunger weiter gestiegen. Demokraten und Republikaner streiten über die Höhe der Kürzungen der Lebensmittelprogramme. Der mehrheitlich demokratische Senat stimmte im Juni 2012 dafür, das Lebensmittelmarkenprogramm (Supplemental Nutrition Assistance Program / SNAP) um 5,4 Milliarden US‐Dollar zu kürzen, die Republikaner verlangten noch größere Einschnitte. Dass Obama im Wahlkampf von 2008 einmal versprochen hatte, bis zum Jahr 2015 den Hunger aller Kinder zu beseitigen, ist vergessen. We can, but we won’t.
(aus: Jutta Ditfurth [*1951]: "Zeit des Zorns. Warum wir uns vom Kapitalismus befreien müssen", 2012)
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Amerikanischer Humor
"Amerika ist das freiste Land der Welt!" - (frei nach amerikanischen Zeichnern)
(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 25 vom 20.09.1922)