Donnerstag, 20. Oktober 2011

Zitat des Tages: Am Ufer

So werde ich denn alt und älter. Gleich ist der Schritt vom Juniorsenior zum Greis getan. Und ich stehe stumm am Ufer und staune mit großen Augen die majestätischen Schiffe an, die durch die Welt gleiten. Sie tragen die Namen von Banken und Weltfirmen, einige auch, die mittleren und kleineren, von Erben, Milliardären und bizarren Stars. / Ihre Passagiere sind mir fremd und egal. Ihre Frachträume sind gefüllt mit Geld, Schuldscheinen, Besitzverträgen und ähnlichem. Manchmal fällt etwas von Bord, und das Meer trägt es ans Land. Dann stürzen wir uns drauf, weil auch wir gut leben wollen. Und um von den Resten der Abspeisung das meiste zu kriegen, fahren wir die Ellenbogen aus und wollen unserer Beute Schmied sein und trampeln den Nachbarn in den Sand (...).

(Eckhard Mieder [*1953], in: Das Blättchen, 14. Jahrgang, Nummer 21 vom 17. Oktober 2011)


(Bild: Whyhunger.com)

Kaufen für die Müllhalde: Die Perversionen des Kapitalismus

Zur Implosion des Geldsystems

"Jede Wirtschaft beruht auf dem Kreditsystem, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurückzahlen."

(Kurt Tucholsky)


(...) Das Weltfinanzsystem ist ja seit den 90er Jahren so massiv überschuldet, dass an eine Rückzahlung der Ausstände nicht mehr zu denken ist. (...) Um die Schulden alle zu bezahlen, müssten die Steuerzahler dieser Welt Jahrzehnte Sklavenarbeit leisten. Daran ist nicht zu denken. Irgendwann werden die Schulden abgeschrieben werden müssen.

Nun aber zur Frage, wann die Ärzte den Stecker ziehen könnten. Zuerst müssen wir uns klar sein, dass diese "Ärzte" ein undurchschaubares System von globalen Banken, Rating-Agenturen, Medienkonzernen samt Hinter-, Mittel- und Strohmännern [sind], die alle irgendwie unabhängig wirken und doch dasselbe bewirken: den Glauben an unser Geld hoch halten, die wahre Natur des Geldes verschweigen und Alternativen verhindern. (...)

Heute erkennt die Welt langsam, dass diese Verträge nicht mehr erfüllt werden können. Wie so oft in der Geschichte, kommt diese Erkenntnis, die man ärgerlicherweise schon sehr lange hätte haben können, zu spät. Denn: Wenn mit jedem Kredit die Geldmenge um den entsprechenden Betrag erhöht wird, er aber mit Zins und Zinseszins zurückbezahlt werden muss, woher kommt dann das Geld für diese zusätzlichen Kosten? – Richtig: Von neuen Kreditnehmern, die ihrerseits die Geldmenge erhöhen und mit Zinskosten zusätzlich unter Wachstumsdruck setzen. Ein klassisches Schneeballsystem. (...)

Es ist klar: Die Tage unseres Geldsystems sind gezählt – und damit möchte ich die Metapher verlassen und konkreter werden. Weil wir aber auf Gedeih und Verderben von einem funktionierenden Geld abhängig sind (...), wird wohl in absehbarer Zeit ein neues globales Geld auf den Markt gebracht werden. Dieses neue Geld wird wie alle Währungsreformen eine umfassende Neubewertung der Ansprüche mit sich bringen. Zwei Beispiele: Die Ansprüche der Bürger an die Altersvorsorge in alter Währung dürften gestrichen werden, während sie über ihre Steuern die alten Staatsschulden in neuer Währung bedienen müssen, wahrscheinlich mit einigen Abstrichen. Mieten für Häuser, die mit dem alten kaputten Geld gebaut wurden, müssen nun in neuer Währung bezahlt werden, während Besitzer von abbezahlten Häusern neu eine Schuld in neuer Währung tragen müssen, wie bei der deutschen Währungsreform von 1948 geschehen.

(Weiterlesen - pdf)

Anmerkung: Dieses Thema wurde schon öfter in diesem Blog behandelt (beispielsweise hier oder hier) - verändert hat sich an der Situation aber natürlich nur die Verschärfung der Lage durch die aktuelle Finanz- und Bankenkrise. Interessant ist der verlinkte Text vor allem deshalb, weil der Autor in recht deutlichen Worten ein Szenario malt, das nach meinem Dafürhalten ziemlich wahrscheinlich genau so von der neoliberalen Bande geplant sein dürfte. Sie hat ja bereits Erfahrung darin.

Korrekturen dieses völlig inhumanen, unbrauchbaren und ausbeuterischen Schuldgeldsystems - oder gar Alternativen dazu - wird es auch dieses Mal mit Sicherheit nicht geben, wenn es nach dem Willen der neoliberalen Bande geht. Der Autor beschreibt sehr anschaulich, wie man die neue Währung sehr schnell einführen und wild darüber lamentieren wird, dass keine Zeit zu verlieren sei und man schnell handeln müsse ... dabei liegen die Pläne doch schon lange in den Schubladen, damit eben keine öffentliche Diskussion über mögliche Alternativen aufkommt. Und so wird der Kapitalismus einmal mehr vor die Wand gefahren, um wieder bei Null zu beginnen und das gleiche Spielchen der Ausbeutung, Unterdrückung und Verarmung der Menschen einmal mehr neu zu starten.

In den Mainstreammedien kommt das gesamte Thema schlicht nicht vor - die dortige Berichterstattung liest sich statt dessen wie ein hilf- und sinnloser Erklärungsversuch einer absurden esoterischen Sektenideologie. Da wird weiter vom "Schuldenabbau" schwadroniert, was das Zeug hält - und die Tatsache, dass kein Staat der Welt seit 1945 auch nur einen einzigen Cent seiner Schulden abgebaut hat und dies auch zukünftig nicht tun kann, soll und wird, fällt einfach unter den Tisch. Da wird das System der Geldentstehung nicht thematisiert, das grotesker und skandalöser ja kaum sein könnte - und die Liste ließe sich noch um ein Vielfaches verlängern.

Derweil reiben sich die Superreichen erneut hämisch grinsend die fetten Hände, denn sie wissen: Auch nach der nächsten Implosion des Geldsystems und der Installation einer "neuen Währung" wird alles beim Alten bleiben - ihre erbeuteten Besitz- und Reichtümer werden ihnen bleiben, sie werden die Menschen weiter ausbeuten und sie in einem neuen Spiel erst langsam, dann immer schneller verarmen können - während die Menschen irrtümlich glauben, sie könnten durch ihre Arbeit wohlhabend werden oder den Wohlstand aller mehren.

Dieses kapitalistische System ist irrsinniger als jede dystopische Horrorvision, die sich ein Autor je hätte ausdenken können.

Sonntag, 16. Oktober 2011

Verstrahlt und vergessen: Die Menschen von Fukushima

Die neoliberale Einheitspolitik

Die neoliberale Einheitspolitik lässt Wahlen sinnlos erscheinen. (...)

Sozialdemokratische Parteien werden zumeist, und kaum zu Unrecht, als Teil des neoliberalen Problems, nicht als Teil seiner Lösung betrachtet. Tony Blair und Gerhard Schröder haben ganze Arbeit geleistet. Zuletzt erhebt Spaniens angeblich linke Regierung im Überrumpelungsverfahren eine "Schuldenbremse" in Verfassungsrang. Und die griechischen Sozialdemokraten, eigentlich mit einem "Social Justice"-Programm an die Macht gekommen, verfolgen heute unter dem Druck der EU-Troika eine lupenrein neoliberale Politik, die das Land in den endgültigen Ruin führen wird. Sie alle haben die Rede von der vorgeblichen Alternativlosigkeit solcher Politik zutiefst verinnerlicht. Margaret Thatchers berüchtigter Spruch "There is no alternative" ist zum Mantra der Sozialdemokratie geworden.

Die wirkliche Alternativlosigkeit liegt anderswo, nämlich im Fehlen einer politischen Alternative zu diesem Mantra und seinen Vorbetern von rechts wie von links. Genauer: einer Alternative innerhalb des Systems repräsentativer Demokratie. Dass diese Alternative nicht in Sicht ist, hat natürlich mit dem Verlust des Vertrauens nicht nur in die traditionelle Linke, sondern auch in das repräsentative System selbst zu tun. Wenn eine Regierung, um beim griechischen Fall zu bleiben, das exakte Gegenteil dessen umsetzt, wofür sie gewählt wurde, stellt sich die Frage nach dem Sinn von Wahlen überhaupt. Wo nicht mehr zwischen erkennbaren Alternativen, sondern nur noch die Alternativlosigkeit selbst gewählt werden kann, steht Demokratie als solche infrage.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Dieser Text ist eine lesenswerte Bestandsaufnahme der momentanen europäischen Einheitspolitik der neoliberalen Bande. Leider vergisst der Autor jedoch, auf spezifische Entwicklungen in verschiedenen europäischen Ländern hinzuweisen, wie beispielsweise die Besorgnis erregende Erstarkung der Rechtspopulisten (die im Allgemeinen jedoch im trüben neoliberalen Einheitsbrei mitfischen) und die tatsächlich vorhandenen politischen Alternativen - in Deutschland etwa die Piraten oder die Linke.

Anders als der Autor sehe ich die Demokratie durch diese nicht unterscheidbaren neoliberalen Einheitsparteien aber nicht nur in Frage gestellt, sondern de facto längst außer Kraft gesetzt. Was in Spanien, Griechenland und selbstredend auch in Deutschland und den anderen EU-Staaten geschieht, hat mit Demokratie nichts zu tun - es ist das pure Mästen und schamlose Bereichern von Superreichen auf Kosten der Bevölkerungen und der Sozialstaaten. Darüber wird von den Propagandamedien nur niemand informiert, denn diese Medien spielen allesamt das große Theaterstück mit, das uns allen vorgaukeln soll, es gebe signifikante Unterschiede zwischen der CDU, der SPD, der FDP und den Grünen. Es ist extrem seltsam, dass diesem absurden Schauspiel noch immer so viele Menschen auf den Leim gehen - schließlich können wir seit Jahrzehnten verfolgen, dass es vollkommen egal ist, wer gewählt wird, denn das politische Handeln bleibt stets dasselbe. Das trifft keineswegs nur auf Deutschland, sondern auf ganz Europa und natürlich auch auf die USA mit ihrem grotesken Zwei-Parteien-Einheitssystem zu.

Im Fazit bin ich wieder ganz bei Oliver Marchart, wenn er schreibt: "Das bedeutet, dass die sozialen Bewegungen in Europa schlecht beraten wären, wollten sie sich mit dem Ruf nach einer 'wahren' Demokratie begnügen. Man wird vielleicht nicht überall eine neue Partei gründen, wofür es zumindest in Israel Anzeichen gibt. Aber man darf der repräsentativen Demokratie auch nicht den Rücken kehren. Linke Politik wird das Dilemma nur überwinden können, wenn sie auch auf repräsentativer Ebene am Aufbau einer Alternative arbeitet." - Hinzuzufügen wäre da noch, dass jene Alternative nicht wieder so schnell und umfassend korrumpierbar sein darf, wie das in Deutschland mit der SPD und den Grünen geschehen ist. In diesem Zusammenhang ist es dringend geboten, generell wieder über die Bedeutung und Beschneidung von Macht und Privatbesitz nachzudenken. Es reicht nicht aus, eine "echte" linke Partei ins kapitalistische Wettbewerbsrennen zu schicken, solange es zeitgleich wenige Superreiche auf der einen und massenweise Armut, Abhängigkeit und Elend auf der anderen Seite gibt.

“Man kan nur Lehren ziehen aus dem, was man nicht vergisst”