Freitag, 4. Juni 2010

Zitat des Tages (33): Kleine Aster

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
Irgendeiner hatte ihm eine dunkelhelllila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muss ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!

(Gottfried Benn [1886-1956]: Morgue und andere Gedichte. Berlin 1912)



(Gottfried Benn im Sprechzimmer 1928. Bild: Deutsches Literaturarchiv Marbach)

Folgen der Privatisierung (27): Die Klinik verkommt zum Marktplatz

Chefchirurg Reiner Gradinger übt scharfe Kritik an seiner Zunft [sic!]. Entscheidungen über Eingriffe orientieren sich immer öfter mehr am Geld als an der medizinischen Notwendigkeit

Gradinger: Wir leiden unter einer zunehmenden Kommerzialisierung der Medizin: Das heißt, es werden unnötige Eingriffe vorgenommen, weil sie Kliniken oder auch Praxen Geld bringen. Gleichzeitig werden notwendige Therapien nicht gemacht, weil sie zu teuer sind.

Meine Kritik richtet sich nicht gegen die Kollegen an sich, sondern gegen die falschen Anreize durch das Vergütungssystem. (...)

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns auf die Ethik zurückbesinnen müssen. Das bedeutet, dass nur noch das gemacht werden soll, was medizinisch sinnvoll ist. Diese ärztliche Ethik verliert sich zunehmend im Kommerz. (...) Das Krankenhaus und die Praxis verkommen zum Marktplatz, wenn wir das so weiter laufenlassen. Dagegen müssen wir ankämpfen.

(Weiterlesen - aber nur mit eingeschaltetem Gehirn)

Anmerkung: Typisch Focus - bereits im Subtitel wird falsch informiert: Gradinger übt gerade keine Kritik an seiner Zunft, sondern kritisiert vor allem das falsche System (was wohl nicht ins neoliberale Konzept der "Eigenverantwortung" passt). Hintergründe werden natürlich auch nicht vermittelt - ein unbedarfter Leser wird da keinen Zusammenhang zwischen der zuvor erfolgten Privatisierung und diesen nun erkennbar werdenden (und vorhersehbaren) fatalen Folgen sehen.

Dessen ungeachtet kann man an diesem Beispiel sehr schön sehen, wohin die neoliberale Bande mit ihrer grunzdämlichen Ideologie und ihrem Profitwahn steuert - Orwell hätte es sich kaum schlimmer ausmalen können. - Und trotzdem geht alles weiter seinen gewohnten Gang ... es gibt kein Umdenken, keine Zweifel, kein Gegensteuern - die Vollendung der neolibaralen Agenda wird einfach immer weiter fortgeführt. Und Propagandablätter wie der Focus u.v.a. helfen nach Kräften dabei mit.

Vielleicht können wir als Patienten demnächst ja auch Kostenvoranschläge einholen, wieviel unsere Behandlung in diesem oder jenem Krankenhaus kosten wird? Sicher findet sich dann auch eine Klinik, die z.B. auf die überflüssige Narkose bei der nächsten OP verzichten wird - ein Beißholz tut es schließlich auch! - und schon wird die OP kostengünstiger. - Hach, welch eine schöne neue Welt bereiten sie da doch für uns vor!

Banken: Terrorismus an den Finanzmärkten

[Der] Würzburger Professor Karl-Heinz Brodbeck übt scharfe Kritik an Banken und Politik (...)

Brodbeck: Die garantierte Geldsumme, von der jetzt die Rede ist [750.000.000.000 Euro], bekommen letztlich die Banken. Und das heißt nichts anderes, als dass die Banken das Recht durchgesetzt haben, für jedes Risiko, das sie eingehen, zu 100 Prozent eine staatliche Garantie zu erhalten. Das haben 2008 zuerst die Amerikaner gemacht, und jetzt machen es die Europäer nach. Jeder mittelständische Unternehmer hat das Risiko des Scheiterns. Aus diesem ehernen Marktgesetz haben sich die Banken ausgeklinkt. Der Steuerzahler trägt ihr Risiko. (...)

Ich würde sagen, wir haben längst keine "Marktwirtschaft", keinen funktionierenden Kapitalismus mehr. Wir haben einen vom Banksystem und den Hedgefonds vollständig kontrollierten und manipulierten Finanzmarkt. (...)

Ich habe leider nicht die frohe Botschaft, dass die Politik es schon richten wird. Wir müssen dahin kommen, dass die Bürger zur Politik einfach "Nein!" [sagen], "Nein" zur bisherigen Strategie des Nichtstuns. Ich blicke mit Sympathie nach Island, wo die Rettungspakete in einem Volksbegehren von der Bevölkerung einfach abgelehnt worden sind. Die haben einfach gesagt: Wir zahlen die Banken nicht aus. Das hat ein großes Geschrei gegeben, aber sie haben es geschafft, die Lasten und Schulden wenigstens teilweise dahin zurückzugeben, wo sie herstammen: An die Zocker im Banksystem. Ich hoffe, bei uns lernt man diese Lektion auch. Es muss aufhören, dass man den Banken Geld hinterherwirft, damit sie keine Verluste machen. Und wir bezahlen den Preis durch Staatsschulden oder Inflation.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Bei allem Respekt vor den Äußerungen Prof. Brodbecks, denen in weiten Teilen zuzustimmen ist und die im heutigen neoliberalen medialen Einheitsbrei sehr wohltuend auffallen: Das, was wir da gerade ohnmächtig und fassungslos erleben - die Verselbstständigung des Finanzsektors, die Abwälzung der Risiken und Kosten auf die Bevölkerung und die unermessliche Bereicherung privater Banken (und damit konkreter, sehr reicher Personen) -, ist ein Teil der neoliberalen Ideologie. Es ist richtig, dass das mit "Marktwirtschaft" nichts zu tun hat - eine wirkliche Marktwirtschaft - gar eine "soziale" - hat es jedoch nie gegeben. Aber es ist die reinste Form des Kapitalismus, was wir sehen und erdulden müssen.

Davon abgesehen droht in Deutschland momentan keine Inflation - die "Elite" samt anhängender Politmarionetten wird schon dafür sorgen, dass ihre Schäflein im Trockenen bleiben! Viel drohender zeichnet sich doch eine Deflation ab. Und die wird - wen wundert's - natürlich wieder hauptsächlich die Bürger betreffen, während das Großkapital weitgehend unangetastet bleibt. Wir dürfen also getrost davon ausgehen, dass genau dieser Plan verfolgt wird.

Finanzkrise: Wie die deutsche Politik sich aus der Verantwortung stiehlt

Wenn Kanzlerin Merkel und ihr früherer Finanzminister Peer Steinbrück über die seit nunmehr drei Jahren laufende Finanzkrise sprechen, dann sind die Schuldigen immer weit weg. Mal sollen es gierige Spekulanten in Amerika gewesen sein, mal unfähige Bankmanager in Frankfurt und München oder aber die Regierung in Washington (...). Welche Formel sie auch wählen, in einem Punkt sind sich Deutschlands Finanzpolitiker einig: Dass acht deutsche Großbanken, davon sechs im Staatsbesitz, zum Schutz des "Systems" mit dreistelligen Milliardenbeträgen zulasten des Steuerzahlers saniert werden müssen, sei "nicht vorhersehbar" gewesen, versichern alle Beteiligten. Insofern, das ist die Kernbotschaft, treffe weder die Regierenden noch die ihnen unterstehenden Aufsichtbehörden irgendeine Schuld.

Das war von Beginn an wenig glaubwürdig. Schließlich haben die Regierungen von Gerhard Schröder und Angela Merkel mit der Deregulierung der Finanzwirtschaft die gigantischen Fehlspekulationen überhaupt erst ermöglicht. Doch ihr Versagen geht weit über die Schwächung der Aufsicht hinaus. Denn schon lange vor Ausbruch der akuten Krise waren großen Teile des deutschen Bankensystems hochgradig mit faulen Krediten belastet. Und die Finanzminister in Bund und Ländern haben gemeinsam mit den Aufsehern bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und der Bundesbank die damit verbundenen Risiken noch vervielfacht und so lange verschleiert, bis es zu spät war.

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Anmerkung: Diese Tatsachen, die in den Massenmedien üblicher Weise nicht genannt werden, liegen schon lange auf dem Tisch - und doch besteht die neoliberale Bande weiterhin auf ihrer "Version" der Geschichte, nach der die böse, große Krise ohne jede Vorwarnung und vor allem ohne Beteiligung der Politik über das Land und die Welt hereingebrochen sei. Wie lächerlich diese "Version" ist, ist jedem, der sich auch nur oberflächlich mit dem Thema beschäftigt hat, ohnehin klar. Wer aber mehr wissen möchte über die Hintergründe und Zusammenhänge, der sollte das im Artikel besprochene Buch von Leo Müller lesen: "Bankräuber. Wie kriminelle Manager und unfähige Politiker uns in den Ruin treiben", Berlin 2010. Der Artikel des Berliner Tagesspiegel bietet einen ersten, augenöffnenden Einstieg dazu.

Korruption 2.0: Luxusvergütungen bei der Bundesagentur

Der Bundesrechnungshof wirft der Bundesagentur für Arbeit (BA) vor, hundertfach mit Luxus-Vergütungen entlohnte Posten ohne Ausschreibung besetzt zu haben. (...)

Das System sehe neben einem festen Monatsgehalt von 5.300 bis 7.200 Euro drei verschiedene monatliche Zulagen vor, die das Monatsgehalt auf bis zu 10.350 Euro anheben. Dazu komme ein jährlich gestaffelter Bonus von bis zu 6.300 Euro sowie Geschäftswagen, Handys und zusätzlicher Urlaub. (...)

Dies deute darauf hin, dass Vergütungen für öffentliche Bedienstete nach "Gutdünken" festgelegt worden seien, kritisierte der Rechnungshof dem Bericht zufolge. Mehrere der hoch dotierten Positionen seien außerdem mit Bewerbern besetzt worden, "zu denen ein Entscheidungsträger persönliche und frühere berufliche Kontakte hatte".

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Anmerkung: Wer glaubt oder hofft, dies seien Einzelfälle, die zudam auch angemessene Konsequenzen haben werden, dem ist nicht mehr zu helfen. In einem Kommentar bei Telepolis ist zu dieser Sache zu lesen: "Es ist jedenfalls erfreulich zu wissen, dass die Arbeitsagentur sich nicht scheut, ihre Angestellten zu Höchstleistungen bei der Arbeitsvermittlung anzuspornen. Gut, bisher klappt das alles noch nicht perfekt, aber wenn erst der lästige Kündigungsschutz abgebaut, die Mindestlöhne vergessen und die Arbeitspflicht auch für unentgeltlich angebotene Jobs in Privathaushalten eingeführt wurden, dann sind bestimmt die Herren und Damen bei der Arbeitsagentur so erfolgreich gewesen, dass vielleicht noch einmal per Dienstanweisung zu den Vergünstigungen ein Bonus drin ist. Denn Leistung muss sich wieder lohnen." - Vielleicht kann man auf derartige Skandale, die in den allermeisten Massenmedien einfach totgeschwiegen werden und deshalb nicht stattfinden, nur noch mit Sarkasmus reagieren.

Lafontaine: "Ackermann ist Bundeskanzler"

Dienstag, 1. Juni 2010

Zitat des Tages (32): Die Grenzen der Aufklärung

Ob Sonnenschein, ob Sterngefunkel:
Im Tunnel bleibt es immer dunkel.

(Erich Kästner [1899-1974]: Kurz und bündig. Epigramme. Berlin 1950)


Ach, wie überraschend (1): Schwarz-gelb fördert Ungleichheit und Armut

In Deutschland ist die Zahl der Armen in den vergangenen Jahren ungewöhnlich schnell gestiegen. Inzwischen sind rund 15 Prozent der Bürger armutsgefährdet – und damit mehr als in anderen europäischen Ländern, die mit der Bundesrepublik politisch und ökonomisch vergleichbar sind.

So betrug die Armutsquote 2007 in den Niederlanden nur elf Prozent, in Österreich und Schweden lag sie bei zwölf und in Frankreich bei 13 Prozent, berichtet das Statistische Bundesamt. (...)

Warum grassiert die Armut? Weil es immer mehr atypisch Beschäftigte wie Minijobber und Leiharbeiter gibt, die meist sehr wenig verdienen, erläutert Grabka. Die Politik habe diese Entwicklung gefördert. Mehr noch: Der Staat sorge immer weniger für eine Umverteilung von oben nach unten. Grabka nennt zwei Beispiele: Oben ist der Spitzensatz bei der Einkommenssteuer von 53 auf 45 Prozent (inklusive Reichensteuer) gesunken. Unten sind die Leistungen für Langzeitarbeitslose im Zuge der Hartz-Reformen gekappt worden.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Rot-grün hat die Umverteilungsorgie begonnen, Schwarz-rot hat sie fortgeführt und Schwarz-gelb macht natürlich erst recht weiter. Wen überrascht das denn noch? Die neoliberale Bande hat die Diktatur des Kapitals beschlossen - und setzt sie seit weit über zehn Jahren verschärft in die Tat um. Zuerst verarmte man die Schwächsten der Gesellschaft - nun ist eben die sogenannte Mittelschicht an der Reihe. Und auch all diejenigen, die sich gerne zur Oberschicht zählen - all die Abteilungsleiter, Ärzte, Ingenieure und Rechtsanwälte etc. - merken längst den harten Würgegriff des Kapitalismus, ohne jedoch den Zusammenhang zu erkennen. All diese Menschen sitzen im selben Boot wie die Ärmsten unserer Gesellschaft und werden genauso ausgeblutet wie sie. Davon profitiert nur eine sehr kleine Minderheit - und genau diese Minderheit ist es, die bestimmt, was in diesem Land und weltweit geschieht.

Diese Zusammenhänge werden jeden Tag aufs Neue offenbar, wenn beispielsweise in einer Nacht- und Nebel-Aktion Milliardengeschenke für Milliardäre im Bundestag beschlossen werden ("Bankenrettung") - und noch immer meinen die Noch-Bessergestellten, ein "Sozialschmarotzertum" bei den Armen ausmachen zu können, wo es um ein paar Euro geht. Angesichts solcher hanebüchener Vorgänge kann man fast nur noch verzweifeln.

Wieso um Himmels Willen werden diese Parteien noch immer gewählt? Weshalb werden diese offensichtlichen Zusammenhänge nicht auf breiter Front erkannt? Ist die allgegenwärtige Propaganda der Medien, die eben diese Zusammenhänge verschweigt, allein Schuld daran? Wie "mündig" sind Bürger, die diesem Propagandasturm nicht standhalten?

Die Welt - und gerade Deutschland - hat exakt dieselben Entwicklungen schon einmal erlebt. Was daraus geworden ist, dürfte jedem bekannt sein. Wer davon profitiert hat, ist weniger bekannt, denn das wurde auch nach dem Ende des zweiten Weltkrieges größtenteils geflissentlich verschwiegen.

Wiederholt sich also die Geschichte?



(George Grosz [1893-1959]: Kapitalist. Federzeichnung, 1932)

Geld regiert die Welt - wer regiert das Geld?

Das griechische Desaster zeigt: Die Dirigenten der Finanzmärkte haben sich aus der Demokratie ausgekoppelt.

Europa steht am Scheideweg, sagt die Kanzlerin. Dort, am Scheideweg, stehen auch die deutsche und die europäische Demokratie. Aber das hat kaum einer angesprochen in der schicksalshaften Sitzung des Bundestages zur sogenannten Griechenlandhilfe. Geredet wurde von der Zukunft der Wirtschaft, von der Zukunft des Euro, von der Stabilität der Europäischen Union.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Auch dieser Prantl-Kommentar aus der Süddeutschen benennt die wirklichen Gründe und Probleme nicht und bleibt an der Oberfläche. Trotz der knackigen und korrekten Überschrift finden sich im Text höchstens Sätze wie dieser: "Wenn die Parlamente zur Kläranlage für die Fäkalien der Finanzmärkte verkommen, muss Demokratiealarm ausgerufen werden." Richtig wäre es hingegen gewesen, wenn Prantl geschrieben hätte: Weil die europäischen Parlamente längst zu Kläranlagen für die Fäkalien der "Elite" verkommen sind und jedwede Funktion als Volksvertretungen eingestellt haben, muss endlich der längst überfällige Demokratiealarm - sprich: die Revolution - ausgerufen werden.

Auch Prantl rüttelt nicht an den Sockeln des Kapitalismus - er prangert lediglich halbherzig einige systemimmanente Folgen des Kapitalismus an, deren Beseitigung das Übel dennoch nicht beheben würde. Solange die stetig (exponentiell) steigende Zinslast das leistungslose Einkommen der "oberen Zehntausend" stetig steigert, wird sich an der "Krise" - also an der logischen und unvermeidbaren Entwicklung des Kapitalismus hin zur Katastrophe - nichts ändern. Die Frage, die Prantl in seinem Titel aufwirft, beantwortet er also selber: Weiterhin regiert das Geld die Welt - und sich selbst ebenso.

Bayerischer Rundfunk: Nun auch offiziell Parteisender der Union

  1. Mit Ulrich Wilhelm wird ein getreuer Paladin der Kanzlerin Chef eines öffentlich-rechtlichen Senders. Ein ungeheuerlicher Schritt: Die Verflechtung von Politik und Medien erreicht eine neue Qualität.

    An diesem Donnerstag geschieht in der bayerischen Landeshauptstadt München etwas Ungewöhnliches; etwas, das es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik so nicht gab; etwas ohne Anstand, schamlos, ein Übergriff: der bisherige Sprecher der Bundesregierung Ulrich Wilhelm (CSU) wird übergangslos Intendant eines der größten öffentlich-rechtlichen Medienhäuser in Europa, des Bayerischen Rundfunks. Im zuständigen Gremium, dem Rundfunkrat des Senders, ist die Mehrheit längst gesichert. Der bisherige Amtsinhaber ist vorzeitig zurückgetreten, um diesen Wechsel möglich zu machen. Bis auf eine kleine Minderheit sind die Gremienmitglieder auch noch froh und stolz, eine so bedeutende Persönlichkeit gewonnen zu haben. Gute Kontakte zur Politik sollen dem Sender eine sichere Zukunft garantieren. Der demokratische Imperativ, so ein Sender habe "staatsfern" zu sein, steht zwar in der Verfassung, de facto wird er in dieser Woche aber Lügen gestraft.

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  2. (...) Warum der schwarze Smartie nun zurück nach München will, hat er nicht verraten. Aber dass sein Wunsch erfüllt wird, steht außer Frage: Der 48-Jährige folgt Thomas Gruber als Intendant des Bayerischen Rundfunks. Das ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt und keine Dependance der Regierung. Oder doch? Der Chef-Sessel im Münchener Funkhaus ist nun fest in der Hand der CSU. Schließlich muss die Macht medial abgesichert werden. Da geht es in der deutschen demokratischen Bundesrepublik nicht anders zu als in, sagen wir, Venezuela. Nur geräuschloser. Empörung über diesen Coup ist kaum zu vernehmen.

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Anmerkung: Die neoliberale Bande macht sich nicht einmal mehr die Mühe, ihre Angriffe auf die Demokratie halbwegs zu verschleiern - im Vertrauen darauf, dass das - ohnehin nur noch partielle - Rauschen im Presseblätterwald schnell wieder verstummen und man zur Tagesordnung zurückkehren wird. Der Bayerische Rundfunk ist nun innerhalb kürzester Zeit der zweite öffentlich-rechtliche Sender (nach dem ZDF), der offen seine politische Souveränität eingebüßt hat. Die Frankfurter Rundschau schreibt weiter dazu: "Es ist verblüffend, mit welcher Chuzpe Angela Merkel und ihre Freunde sich des Rundfunks als Beute bemächtigen. ARD wie ZDF und Deutschlandradio sollen als Anstalten des öffentlichen Rechts unter dem Banner der 'Staatsferne' zur demokratischen Meinungsbildung beitragen. Die Unions-Politiker glauben offensichtlich, nicht mal mehr den Schein wahren zu müssen. Hauptsache, treue Vasallen sitzen in den Sendern." - Bin ich eigentlich der einzige, dem angesichts solcher Manipulationen der Begriff "Unrechtsstaat" in den Sinn kommt?

Montag, 31. Mai 2010

Lachnummer des Tages (5): "Merkel: Lena ist wunderbarer Ausdruck des jungen Deutschlands"

Aus einer knappen Zusammenfassung bei n-tv:

Hannoversche Allgemeine Zeitung: "Lena war ein Lichtstrahl zwischen all den sekundengenau durchinszenierten Miniopern klassischer Grand-Prix-Prägung und güldenen Balladen. Früh wurde während der Punktevergabe klar: Sie war angekommen in Europa."

Die Welt: "Um ganz Europa zu verzaubern, brauchte sie keine Feuersbrünste, keine schwulen Tänzer, keine Glasflügel und keine leuchtenden Geigen. Nur Liebenswürdigkeit und ein Lied. Musik triumphiert über Geopolitik und groben Unfug."

Der Spiegel: "Der Grand Prix ist nicht mehr die Schlagersause von Folklore-Clowns, die auch die Oma hören mag. Der Grand Prix ist auf einmal pubertär, kess, unberechenbar. Er ist mit einem Wort Pop."

Die taz: "Es war ein Sieg der Bodenständigkeit über Testosteron und tiefe Dekolletes der Bühnenprofis, der Schlichtheit über perfektes Show-Kalkül. Parallelen zum letzten deutschen Grand-Prix-Erfolg von Nicole vor fast dreißig Jahren drängen sich auf. Denn politisch und wirtschaftlich mag Deutschland in Europa das meiste Gewicht besitzen. Die Sympathien der Nachbarn fliegen dem Land aber erst dann zu, wenn es, statt aufzutrumpfen, auf internationaler Bühne ein wenig ungelenk, beinahe unbedarft und betont bescheiden auftritt. So gesehen, hat Lena Meyer-Landshut das Merkel-Prinzip erfolgreich in die Musikwelt übertragen."

(Quelle)

Und an anderer Stelle werden bei n-tv einige Polit-Clowns zitiert, die den albernen Sieg in diesem "Wettbewerb" noch schamloser instrumentalisieren:

Christian Wulff (CDU): "Das ist ein großer Tag für Deutschland und natürlich auch [für] Niedersachsen".

Guido Westerwelle (FDP): "[Das war ein] mitreißender Auftritt. Lena ist eine Botschafterin für unser Land, die in einer Nacht so manches althergebrachtes Vorurteil sympathisch widerlegt hat".

Angela Merkel (CDU): "Lena hat mich mit ihrer Natürlichkeit und Herzlichkeit sehr beeindruckt. Sie ist ein wunderbarer Ausdruck des jungen Deutschlands."

(Quelle)

Anmerkung: Man sitzt doch nur noch mit offenem Mund vor diesen Meldungen und schüttelt entsetzt den Kopf angesichts der Dreistigkeit, mit der die versammelte neoliberale Bande dieses unmaßgebliche Ereignis in Form spätrömischer Dekadenzspiele für ihre Zwecke instrumentalisiert. Und unwillkürlich drängt sich schnell ein hysterisches Gelächter den Weg nach draußen, wenn man die einzelnen Formulierungen einmal auf ihren Sinn, ihren wirklichen Gehalt überprüft. Es ist, als sei der Irrsinn in Form eines unkontrollierbaren Virus' in die Welt gesetzt worden - anders ist dieser Medien- und Polit-Hype, der da angesichts eines albernen Liedchens, das aus drei oder vier Harmonien besteht und von einem kleinen spätpubertierenden Mädchen mit ungeschulter Stimme teilweise schief vorgetragen wurde, kaum mehr zu erklären.

Lena wird von all diesen Leuten genauso schamlos und gewissenhaft be- und ausgenutzt wie jedes andere menschliche Wesen auch, das in die Maschinerie dieser gruseligen Bande gerät. Ich war versucht, das Wort "Kindesmissbrauch" in diesem Zusammenhang zu erwähnen - habe mich aber dagegen entschieden. Schließlich ist das "Wunderkind" ja "schon" 19. Sollte sie auch nur ansatzweise so "rebellisch" sein, wie ihr das medienwirksam unterstellt wurde (ein Vergleich mit meiner Jugend lässt mich da sehr müde lächeln), müsste sie sich gegen diese hochblöden Äußerungen massiv zur Wehr setzen. - Aber die Jugend, wie Frau Merkel sie sich wünscht, tut das natürlich nicht. Geld und Karriere sollen die Ziele sein - nicht etwa Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Überzeugungen, Ideale ... und all der andere überflüssige Schmutz.

Es ist müßig, die vorgenannten Zitate einzeln auseinanderzunehmen - das tun sie schon ganz von allein, ohne jeden weiteren Kommentar. Vor Merkels Krönung des Unsäglichen setzt aber wieder mal der Spiegel einen markanten Duftpunkt, wenn er genau das schreibt, was die Musikkultur Europas im Abgrund und das Wort "Kultur" ohnehin im Grau des Niemandslandes versinken lässt - und dies auch noch positiv bewertet.

Es ist einfach nur noch peinlich. Und diese ganze Symphonie der Lobhudeleien klingt wie ein dissonanter Abgesang auf das, was Idealisten einmal als demokratische Grundstruktur dieser Gesellschaft ausgemacht haben.

Anders gesagt: Es ist alles - wirklich alles - im Arsch.

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q.e.d.