Samstag, 2. Juni 2012

Spanien: Suppenküchen für den Mittelstand

(...) Was früher die Armen betraf, erreicht längst den Mittelstand. Ende 2011 war die spanische Arbeitslosenquote von 23 Prozent die höchste in der Europäischen Union. Sechs Jahre zuvor lag Spanien beim europäischen Durchschnitt von neun Prozent. Was seitdem geschehen ist, gleicht der Chronik eines angekündigten Todes. (...) Seit 2007 verlieren die Menschen ihre Jobs, ihre Wohnungen, ihren Status. Den Nachkommen bleibt kaum etwas außer miserablen Aussichten. (...)

Fast sechshunderttausend Haushalte haben keine Einkünfte mehr, nicht einmal Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe. Soziale Ungleichheit ist messbar; in Spanien ist sie dreimal so groß wie in Deutschland.

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Anmerkung: Man darf hier nicht zu viel erwarten - schließlich handelt es sich um einen FAZ-Artikel, so dass man eine recht dramatische Beschreibung der Symptome zu lesen bekommt - während die Benennung der kapitalistischen Ursachen und Verursacher konsequent unterbleibt. Dennoch taugt der Artikel leidlich für eine weitergehende Information über die katastrophale Situation so vieler Menschen in Spanien - vor allem dann, wenn man bereit ist, zwischen den Zeilen zu lesen und sich vor Augen zu führen, wie es 600.000 (und zunehmend weiteren) Haushalten ergehen mag, die überhaupt kein finanzielles Einkommen mehr haben und bereits obdachlos sind oder es in Kürze werden.

Dieser kurze Bericht über Zwangsräumungen in Spanien bietet noch einige ergänzende Informationen - auch wenn er selbstredend dieselben Mängel aufweist die der FAZ-Text:



Die Parallelen zur Situation in Griechenland sind unverkennbar - und auch in Deutschland nimmt die Zwangsverarmung der Menschen immer bedrohlichere Züge an, wie am Beispiel der "Haushalte ohne Strom" deutlich wird:

"Im Hartz IV-Regelsatz von 374 Euro sind die Stromkosten mit enthalten. In immer mehr Haushalten reicht das Geld aber für die Energieversorgung nicht mehr aus. Allein im vergangenen Jahr wurde deshalb rund 200.000 Hartz-IV-Empfängern der Strom abgedreht." (Quelle)

Es mag sich einjeder selbst ausmalen, was es bedeutet, ein Leben ohne Strom in diesem Land fristen zu müssen - also ein Leben ohne Kühlschrank, ohne Gefrierfach, ohne Herd, ohne warmes Wasser, ohne Computer, ohne Internet, ohne Telefon, ohne Handy, ohne elektrisches Licht, ohne Musik ... und wieviel schlimmer es noch sein muss, wenn einer Familie nicht nur der Strom abgestellt wird, sondern sie gleich das Dach über dem Kopf verliert. Und das in Ländern, in denen andere Menschen gleichzeitig in überquellendem Reichtum und sinnlosem Luxus leben.

Der Mensch beweist mit jedem Zyklus des explodierenden Kapitalismus aufs Neue, dass er lernresistent und offensichtlich eine evolutionäre Fehlentwicklung ist - anders sind diese ewigen Wiederholungen der immer gleichen Katastrophen meines Erachtens nicht mehr erklärbar. Degenerierte, skrupellose, egoistische "Eliten" auf der einen und ebenso degenerierte, ahnungslose, willfährige Massen auf der anderen Seite, die nichts lieber tun als auf Teufel-komm-raus den "Eliten" nachzueifern, um ähnliche Privilegien nur für sich selbst zu erlangen ... da gehen mir allmählich die Schimpfworte aus.

Das große Leid so extrem vieler Menschen weltweit lindert das natürlich nicht. Das geht einfach immer weiter - unaufhörlich. Wenn Du diesen Text zuende gelesen hast, sind statistisch gesehen ca. zehn Kinder verhungert oder verdurstet, seit Du angefangen hast zu lesen ... wenn Du danach innehälst und kurz nachdenkst, sind es bereits 40 oder 50. Man mag das nicht zuende denken - muss es aber.

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Folgen der Teuerung


"Ich kann mir keine Zeitung mehr leisten. Ich lese jeden Tag ein Kapitel aus dem Buche Hiob ... da habe ich dasselbe."

(Zeichnung von Wilhelm Schulz [1865–1952], in "Simplicissimus", Heft 5 vom 27.04.1921)

Donnerstag, 31. Mai 2012

Song des Tages: Slow Dance






(Anthony Phillips: "Slow Dance", 1990)

Anmerkung: Für dieses knapp einstündige Werk des ehemaligen Genesis-Gitarristen muss man sich Zeit und Ruhe nehmen, wird dafür aber mit sinnlichen Genüssen belohnt, die es in der schnellen, hektischen Welt unseres heutigen Erlebens nur noch selten gibt. Man kann diesem Musikstück auch entnehmen, welches Potential mit der zunehmenden Kommerzialisierung der Band Genesis verschenkt wurde - Anthony Phillips ist (neben Steve Hackett und Peter Gabriel) ja nur eine von drei musikalischen Größen, die im Laufe der Jahre aus der ursprünglich progressiven Band ausgeschieden sind (bzw. "ausgeschieden wurden"), bis zum Schluss nur noch das jämmerliche Phil-Collins-Fragment wie eine groteske Ruine des ehemaligen Prachtbaus übrig blieb.

Genesis ist ein Paradebeispiel für den durch den Kapitalismus beflügelten Niedergang der Kultur - Geldgier hat aus ehemals verwegener Kunst billigen Schlager gemacht. Es ist tröstlich, dass manche ehemalige Mitstreiter wie Herr Phillips sich auch heute noch der individuellen Kunst - und nicht dem Kommerz - verpflichtet fühlen. Eine aussterbende Spezies scheinen solche Menschen aber allemal zu sein.

Es empfiehlt sich, das Stück in Dunkelheit und über Kopfhörer in ausreichender Lautstärke zu genießen, um das Ideal der Langsamkeit vollends zu erfahren.


Welch eine Überraschung: Industrie lässt Bewertungen fälschen

Kommentare in Online-Shops gefälscht / Auf Bewertungen ist kein Verlass

Sie dienen vielen als wichtige Orientierung beim Einkauf: Nutzerkommentare und Ratings in Online-Shops und Bewertungsportalen. Doch ob bei Restaurants, Versicherungen oder Handys – viele der Angaben sind gefälscht. Für die Nutzer ist das kaum zu erkennen.

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Anmerkung: Nun, das ist wirklich total überraschend und lässt uns entsetzt und mit offenem Mund staunend innehalten - die integeren Damen und Herren, die uns ständig ihren überteuerten, meist sinnlosen Dreck andrehen wollen, lassen Bewertungen und Nutzerkommentare fälschen?! Nein!! So etwas kann es einfach nicht geben in der schönen kapitalistischen Glitzwerwelt - das muss ein Hoax sein!

Oder spiegeln sich hier vielleicht doch schlicht die Grundfesten der kapitalistischen Unordnung wider? Die Fassadenwelt der Schlips-Borg hält erschüttert inne und betet inbrünstig, dass der geneigte n-tv-Leser keine solchen Rückschlüsse ziehen möge. Da muss sich indes niemand Sorgen machen, denn die naheliegende Schlussfolgerung, dass Geldgier, Ausbeutung und schamloser Betrug zusammengehören wie Bahnhof und Schienen, kommt dem kapitalistisch sozialisierten Normalbürger nicht einmal im Traum in den Sinn. Das sind alles bedauerliche Einzelfälle. Außerdem muss das dringend dereguliert werden - es kann ja nicht angehen, dass gefälschte Bewertungen nun auch noch skandalisiert werden, gelle.

Selbstverständlich gibt es auch schon Geschäftsideen dazu - wer also Bewertungen, Backlinks, Kommentare etc. käuflich erwerben möchte, kann beispielsweise hier klicken. Es existiert keine Perversion im Kapitalismus, die nicht genutzt wird, wenn sich damit Geld verdienen lässt.

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Ein Kardinalfehler


"Ihr Sohn ist nicht zu brauchen für ein Kaufmannsgeschäft, der hat ja Sittennote eins im Zeugnis!"

(Zeichnung von Ladislaus Kmoch [1897-1971], in "Simplicissimus", Heft 34 vom 17.11.1920)

Dienstag, 29. Mai 2012

Zitat des Tages: Die [irrsinnige] Lösung

Wenn was nicht klappt, wenn was nicht klappt,
dann wird vor allem mal nicht berappt.
Wir setzen frisch und munter
die Löhne, die Löhne herunter –
immer runter!

Wir haben bis über die Ohren
bei unsern Geschäften verloren ...
Unser Geld ist in allen Welten:
Kapital und Zinsen und Zubehör.
So lassen wir denn unser großes Malheur
nur einen, nur einen entgelten:
Den, der sich nicht mehr wehren kann,
Den Angestellten, den Arbeitsmann;
den Hund, den Moskau verhetzte,
dem nehmen wir nun das Letzte.
Arbeiterblut muss man keltern.
Wir sparen an den Gehältern –
immer runter!

Unsre Inserate sind nur noch ein Hohn.
Was braucht denn auch die deutsche Nation
sich Hemden und Stiefel zu kaufen?
Soll sie doch barfuß laufen!
Wir haben im Schädel nur ein Wort:
Export! Export!

Was braucht ihr eignen Hausstand?
Unsre Kunden wohnen im Ausland!
Für euch gibts keine Waren.
Für euch heißts: sparen! sparen!
Nicht wahr, ein richtiger Kapitalist
hat verdient, als es gut gegangen ist.
Er hat einen guten Magen,
Wir mussten das Risiko tragen ...
Wir geben das Risiko traurig und schlapp
inzwischen in der Garderobe ab.

Was macht man mit Arbeitermassen?
Entlassen! Entlassen! Entlassen!
Wir haben die Lösung gefunden:
Krieg den eignen Kunden!
Dieweil der deutsche Kapitalist
Gemüt hat und Exportkaufmann ist.
Wussten Sie das nicht schon früher –?
Gott segne die Wirtschaftsverführer!

(Theobald Tiger alias Kurt Tucholsky [1890-1935], in "Die Weltbühne", Nr. 34 vom 25.08.1931)

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Handelsfriede auf Erden!


"Endlich sind sich alle Völker darüber einig, dass sie nur exportieren, aber nichts importieren wollen!"

(Zeichnung von Olaf Gulbransson [1873-1958], in "Simplicissimus", Heft 38 vom 21.12.1931)

Anmerkung: So wunderbar treffend diese zeichnerische Darstellung der langen Schlange von Nationen auch ist, die fröhlich in der logischer Weise menschenleeren Wüste ihre Waren dem Nichts feilbieten, so wichtig ist es auch, erneut darauf hinzuweisen, dass auch der Zeichner Gulbransson zu den überaus verachtenswerten Opportunisten gehörte, die ab Februar 1933 einen scharfen Rechtsschwenk vollzogen und sich dem Nazi-Diktat nur allzu willig unterworfen haben. Dies ist im Falle Gulbranssons noch von größerer Brisanz, da er als norwegischer, weiterhin in Deutschland lebender Staatsbürger miterlebt hat, wie auch sein Heimatland von den deutschen Terrorbanden überfallen und besetzt wurde. Wir haben an anderen Stellen hier im Blog ja bereits über diese Problematik diskutiert.

Das ändert jedoch nichts an der grotesken Aktualität sowohl des (politisch unverdächtigen) Gedichts, als auch der Zeichnung.