Samstag, 7. Februar 2015

Song des Tages: High Wood




(Fish: "High Wood", erster Teil der "High-Wood-Suite", aus dem Album "A Feast Of Consequences", 2013. Der miese Sound ist youtube bzw. dem Uploader geschuldet - nicht dem Album.)

Chill, break of day, a light frost thawing,
Sun, pale and grey, a spectral morning.

Tractors crawl, the horsepower straining,
Carve the earth, the ploughshares turning.
The sod that hides where dead men lie,
the lost and fallen of wars gone by.

Gathering the iron harvest,
Reminders of their bloody madness,
Whose bones in furrows sometimes rise
To plead to be identified.

To join the ranks of comrade soldiers,
Buried beneath the bleached white crosses,
Names and numbers cut in stone,
The regiment they called their home.

The age they reached, the day they died,
Their memory is all that does survive,
In tended graves they rest in peace,
Their battle finally over.

The rolling trembling thunder rides the ridge of Bazentin,
Detonations scatter clouds of crows,
The tree line offers refuge to the wide eyed startled deer,
Launch, plunging through the bracken
They head into the shadows of the High Wood.

The oaks majestic standing proud and tall,
Holding their position on a landscape lost in time.
The roots dug in the sore contested ground,
The gnarled and twisted timbers betray the battle scars of yore.

The wood will rise, the wood will fall,
The circle is unbroken!
The wounds will heal in rings of time,
The circle is unbroken!

Half buried in the forest floor decay,
Broken rusting weaponry beneath the fallen leaves.
The shells that failed still hold their deadly load,
Dormant in the undergrowth their promise only stalled.

The wood will rise, the wood will fall,
The circle is unbroken!
The wounds will heal in rings of time,
The circle is unbroken!

In the darkness of the High Wood
It’s so dense I can hardly breathe,
A stark and muffled silence,
I stand alone amongst the trees.

Are these the ghosts or moving shadows,
Are these the spirits gone before?
Are these the restless souls still wandering -
The ones that were forsaken in the High Wood?



Anmerkung: Es geht in diesem wirklich großartigen Opus des Schotten Fish um die Opfer des Ersten Weltkrieges - es ist aber sicher nicht diesem Umstand allein geschuldet, dass der Sänger am Schluss des Songs zum Klang der militärischen Kriegstrommeln die vorletzte Strophe zusätzlich auf Deutsch rezitiert: "In der Dunkelheit des Hochwaldes ist es so dicht, ich kann kaum atmen; eine blasse und gedämpfte Stille, ich stehe allein zwischen den Bäumen."

"The circle is unbroken." Eben.

Donnerstag, 5. Februar 2015

Realitätsflucht (14): Venetica


Heute möchte ich auf ein Spiel aufmerksam machen, das meiner Ansicht nach - wie so viele andere - deutlich zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Es handelt sich um das Rollenspiel "Venetica" des deutschen Entwicklerstudios Deck13 aus dem Jahr 2009, das mich regelrecht begeistert hat. (Es folgen Spoiler - wer das nicht will, liest bitte nicht weiter.)

Der Spieler schlüpft hier in die Rolle der zunächst unbedarften Antiheldin Scarlett, die in einem unscheinbaren Bergdorf Italiens in einer für Fantasyspiele typischen mittelalterlichen Zeit ein beschauliches Leben führt. Bereits in der knappen, aber durchaus beeindruckenden Startsequenz des Spieles verliert Scarlett aber sowohl ihren Geliebten, der von fiesen Assassinen, die das kleine Dorf überfallen, gemeuchelt wird, als auch ihre Unbedarftheit. Fortan muss sie sich den immer größer werdenden Bedrohungen entschlossen entgegen stellen und erfährt von ihrer "Bestimmung".

Das klingt alles sehr klischeebehaftet und ist es auch - und trotzdem setzt das Spiel diese im Grunde alberne Geschichte vom einstigen Findelkind, das wohlbehütet in den Bergen aufwächst, eigentlich aber der Abkömmling eines fast allmächtigen Superwesens mit entsprechenden schlummernden Superfähigkeiten ist, so charmant um, dass ich nur allzu gerne bereit war, all diese storybezogenen Kröten leicht zu schlucken und mich stattdessen ganz dem Spielgenuss hinzugeben. Und der hat es wahrlich in sich - ich habe das Spiel inzwischen schon dreimal durchgespielt und bin mir sicher, dass der jüngste Durchlauf nicht der letzte gewesen ist.

Zur Geschichte muss ich gar nicht viel schreiben - der Weg führt die "Heldin", die gar keine sein will, aus den Bergen ziemlich schnell in eine Fantasy-Variante des mittelalterlichen Venedig - und es versteht sich von selbst, dass sie es auf diesem Weg mit recht unterschiedlichen Gegnern zu tun bekommt, die es mittels Schwert und/oder Magie zu besiegen gilt. Besonders hervorzuheben sind hier die einstellbaren, unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade - hier macht es nämlich tatsächlich einen großen Unterschied, ob man sich für "leicht", "mittel" oder "schwer" entscheidet. Auch auf dem leichtesten Level sind viele Kämpfe durchaus anspruchsvoll - ich habe es mir aber zum Ziel gesetzt, das Spiel irgendwann auch einmal auf dem Level "schwierig" zu absolvieren. Dafür muss ich wohl noch viel üben, fürchte ich. ;-)



Das grafische Design ist für das Jahr 2009 sehr ansehnlich - wenn man die Einstellungen entsprechend großzügig festlegt, gibt es hier aus meiner Sicht nichts zu bemängeln. Das gilt insbesondere für die vergleichsweise große (und auch belebte) Stadt Venedig, zumal diese durch die übliche Kanalisation, durch die man sich oft genug bewegen muss, ergänzt wird. Außerdem ist das Stadtzentrum, das im Spiel "Arsenal-Bezirk" genannt wird, gleich auf mehrere Ebenen verteilt - man muss also nicht nur in den Untergrund hinuntersteigen, sondern auch in die Höhe klettern. Dass die gesamte Stadt dabei gleich dreidimensional eher labyrinthartig aufgebaut ist und man sich erst nach und nach zurecht findet, macht das ganze noch reizvoller. Hinzu kommen versteckte Orte, die man nur durch die so genannte "Schattenwelt" erreichen kann. Letztere ist sowieso ein Highlight dieses Spieles - ab einem gewissen Zeitpunkt kann Scarlett nämlich, wenn sie in die "Schattenwelt", also ins "Reich der Toten", wechselt, mit den überall verstreut herumliegenden Skeletten, die ansonsten keinen Zweck erfüllen, kommunizieren - und so weitere Fähigkeiten erlernen, Schätze sammeln oder sogar Quests erhalten und erledigen.

Wie in Rollenspielen üblich, erfüllen auch hier die Dialoge einen wichtigen, oft genug auch sehr witzigen Part - die deutsche Sprachausgabe ist professionell umgesetzt und lässt kaum Wünsche offen. Auch gilt es für dieses Spiel den ersten Preis für in Rollenspielen verwendete Monsternamen zu vergeben: Die kleinwagengroßen Käfer in der Kanalisation heißen hier nämlich "Brackläufer". Bei meiner ersten Begegnung mit diesen possierlichen Tierchen musste ich so lachen, dass ich flugs das Zeitliche gesegnet habe (zwei Treffer dieser Biester reichen zu Beginn locker, um Scarlett ins Jenseits zu befördern).

Scarlett schließt sich während ihres Aufenthaltes in Venedig einer von drei "Gilden" an - jede zieht unterschiedliche Quests und erlernbare Fähigkeiten nach sich, wodurch ein erneutes Spielen noch reizvoller wird. Auch der Soundtrack ist durchweg gelungen.

Dennoch merkt man natürlich, dass dieses Spiel aus einem kleinen Studio kommt und nur ein vergleichsweise geringes Budget dafür zur Verfügung stand - das fängt bei der nicht vorhandenen Charakterauswahl an und endet nicht bei den im Spiel kaum vorhandenen neuen Rüstungen und den äußerst spärlich vorzufindenen neuen Waffen. Diese Liste könnte ich noch lang erweitern. Allein: Das stört alles nicht. Wenn es bespielsweise nur die Wahl gibt zwischen einer nur mittelprächtig effektiven Waffe, die sehr schnell ist, und einer sehr schweren Schaden verursachenden Waffe, die aber nur entsprechend langsam geschwungen werden kann, dann nimmt man eben beide mit und wechselt je nach Anforderung. Die Wahl hängt natürlich, wie gewohnt, auch mit den Fähigkeiten zusammen, die man im Laufe des Spieles erwirbt: Es gibt pro Stufenaufstieg verschiedene Fähigkeits- und Fertigkeitspunkte, die man einsetzen kann - die einen (Steigerung der Stärke, Konstitution, Weisheit und Intelligenz) kann man einfach so einsetzen, für die anderen (das Erlernen bestimmter Fähigkeiten) muss man einen Lehrer aufsuchen.

Was mich an diesem - wie auch an so vielen anderen - Spielen gestört hat, sind die bekloppten "Bosskämpfe". Die kann man nämlich auch hier nur dann gewinnen, wenn man schnell genug herausfindet, wie man den jeweiligen Gegner zu bekämpfen hat - sonst droht unweigerlich der virtuelle Tod. Ich finde dieses sich hartnäckig, sogar genreübergreifend haltende Konzept völlig bescheuert - es gibt schließlich genug andere Möglichkeiten, einen Kampf in einem Spiel anspruchsvoll und meinetwegen auch sehr schwierig zu gestalten, ohne dass ganz bestimmte Handlungen der Spielfigur, die meist mit bestimmten Tastenkombinationen verbunden sind, vorgeschrieben werden, ohne die ein solcher Kampf nicht zu gewinnen ist. Das ist allerdings ein "Jammern auf hohem Niveau" - wozu gibt es schließlich Spieletipps im Internet, anhand derer man sich schlau machen kann? ;-)

Abschließend möchte ich noch ein paar Hinweise für jene loswerden, die "Venetica" zum ersten Mal spielen und sich nicht komplett in unbekannte Wasser stürzen möchten:

  1. Auch wenn es anfangs nicht wichtig erscheint, sollte man zusehen, dass man stets genügend Lebensmittel (die wie "kleine Heiltränke" wirken) und vor allem jede Menge richtige Heiltränke im Gepäck hat. Auch wenn man diesen Kram stundenlang nicht einmal entfernt benötigt, wird unweigerlich der Punkt kommen, an dem man plötzlich den halben Vorrat aufbrauchen muss und nur dann weiterkommt, wenn man eben genügend davon mit sich herumträgt.
  2. Etwa in der Mitte des Spieles kann man in einem Laden (dem "okkulten Geschäft" im "inneren Bezirk") einen "Lebensring" erwerben, der endlich dafür sorgt, dass sich die Lebensenergie langsam von selbst wieder regeneriert. Dieser Ring ist extrem teuer - ich "besaß" beim letzten Spieldurchlauf zu diesem Zeitpunkt 12.503 Dukaten und musste 12.500 Dukaten für diesen Ring bezahlen - aber es lohnt sich. Neue Dukaten bekommt man relativ schnell - den Ring aber findet man im Spiel ansonsten erst sehr spät, nämlich wenn man sich mit einer Schatzkarte in Afrika auf die Suche begibt.
  3. Da es nur sehr wenige "gute" Waffen im Spiel gibt, sollte man immer, wenn man bei einem Händler eine solche entdeckt, sofort zugreifen - auch wenn das stets sehr kostspielig ist.
  4. Es ist sehr sinnvoll, alle Häuser, die sich betreten lassen (auch wenn dafür das Türschloss geknackt werden muss und eventuell ein Bewohner zunächst meckert) zu besuchen und zu erkunden. Die Gründe nenne ich hier jetzt nicht. ;-) Verschwinden sollte man erst dann möglichst schnell wieder, falls ein Bewohner ausdrücklich ankündigt, die Wachen rufen zu wollen - bis dahin ist das, zumindest was die Bewohner des Hauses betrifft, ungefährlich.

Die Spieleentwickler haben aber eigentlich schon dann alles richtig gemacht, wenn für einen Neustart der schnöde Wunsch ausreicht, die schummerige, heruntergekommene und anfangs schwer zu erreichende Taverne namens "Schädelbruch" hoch über den Dächern Venedigs erneut besuchen zu wollen, in der kontinuierlich dieses alte, wunderbar schwermütige Seemannslied, dessen Titel mir nicht einfallen will, gesungen wird. Das jedenfalls war meine Motivation, als ich das Spiel nach einer Pause von etwa einem Jahr zum zweiten Mal gestartet habe. Für mich ist "Venetica" das seit vielen Jahren unterbewertetste Spiel, das ich kenne - es macht einfach von vorne bis hinten einen Heidenspaß.




Zeitzeugen sprechen über Auschwitz (6): Schnipsel des alltäglichen Horrors


Der folgende Text ist ein kurzer Auszug aus der Zeugenaussage des Zahnarztes und Holocaust-Überlebenden Imrich Gönczi, die im Rahmen des sogenannten 1. Frankfurter Auschwitzprozesses am 08.06.1964 dokumentiert wurde. Die komplette Aussage kann - ebenso wie unzählige weitere Zeugenaussagen - auf den Seiten des Fritz-Bauer-Instituts nachgelesen und auch im Original angehört werden.

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Es war so: Wir sind damals schon zeitig in der Früh aufgeweckt worden, so um drei Uhr, denke ich, und wir sind marschiert, das Kommando. Dort haben wir solche Planierungsarbeiten, Vorbereitungen zu irgendeinem Bau, [gemacht]. Auf diesem Kommando habe ich mit meinem Vater gearbeitet. Eines Tages auf diesem Arbeitsplatz ist zu ihm ein SS-Mann gekommen, den ich nicht mit Namen kenne, es war ein Posten, hat die Mütze meines Vaters weggenommen und weggeschmissen. Und wie mein Vater sich die Mütze holen wollte, hat er ihn erschossen. Das war mein erster Eindruck von Auschwitz. Als ich zu diesem SS-Mann kam – ich war sehr jung noch, ich war 17, denke ich, 17 Jahre alt, ich dachte damals, dass mein Leben schon keinen Wert hat, weiter ohne meinen Vater zu leben –, sprang ich zu ihm, und er hat mich geschlagen und hat geschrien: "Dich erschieße ich nicht! Schade um die Kugel, du krepierst sowieso!" Und zur Strafe musste ich dann abends nach der Arbeitsschicht mit meinen Kameraden meinen Vater von diesem Platz auf dem Rücken zurück ins Lager tragen. Ich musste ihn auch aufheben von dem Platz, wo er erschossen wurde. Und noch warmes Blut habe ich an meinen Händen gespürt.

[...]

In diesem kleinen Raum haben sich die Kranken ausgezogen. Wir haben ihnen mit Tintenblei auf die Brust die Häftlingsnummer [schreiben müssen] und ich musste diese – einen nach dem anderen, das heißt immer einen – durch den Gang nach links führen. [...] Und ich führte diesen Kranken in den kleinen Raum, in das Laboratorium, welches ganz in der Ecke der Gebäude war. [...] Dort war ein Stuhl vorbereitet, und der Mithäftling, der dort Dienst hatte, hat [denjenigen] hingesetzt, den ich begleitet habe. Und der SS-Mann Klehr, in weißem Mantel gekleidet als Arzt, ist zu dem gekommen – der Mithäftling hat ihn gehalten – und hat ihm direkt in das Herz eine Injektion gespritzt. Der Kranke war sofort tot, es hatte nicht lange gedauert. Nach dem Einstechen hat er nur so einen Ton, so ein Ausatmen, [von sich] gegeben. Dann haben wir ihn genommen und durch die Türe, durch den Gang. Vis-à-vis war ein Badezimmer, so Duschen waren dort, dort haben wir die Leiche auf den Boden gelegt. Und so musste ich alle die Ausgewählten begleiten, und der SS-Mann Klehr hat sie alle nacheinander durch die Injektion getötet.

[...]

Später wurden wir von diesem Block 10 in das Kommando "Hygiene" in das Dorf Rajsko [verlegt]. Wir wohnten nicht dort, sondern jeden Tag sind wir in das Kommando marschiert. Hier habe ich ein kleines Laboratorium gehabt. Das hieß "Nährbodenküche". Und in diese Nährbodenküche hat mir der SS-Mann [Franz] Fugger jede Woche aus Krakau in einem Koffer Fleisch gebracht. Es war Rindfleisch oder Pferdefleisch. Es konnte so 15 Kilo wiegen. Ich musste das Fleisch zu kleinen Stücken zerkleinern, und in Erlenmeyerkolben – das sind solche Glasflaschen – habe ich es gekocht. Die Brühe, die ich dann abfiltriert habe, die haben wir benutzt als Nährboden. Das hieß Bouillon. Und das Fleisch war der Abfall. Das Fleisch haben wir zwischen uns Kameraden verteilt und aufgegessen. Das war sehr gut für uns. Nur kam eines Tages der SS-Mann Zabel, und der hat mir in zwei solchen keramischen Eimern – das waren so [...] Steintöpfe, die circa 15 Liter Inhalt haben, zwei voll mit Fleisch gebracht. Als ich das Fleisch in die Hand genommen habe, habe ich sofort gesehen, dass dieses Fleisch nicht von Vieh stammt [...].

Ich nahm ein Stück dieses Fleisches und ging in das Laboratorium vis-à-vis, wo ein bekannter tschechischer Bakteriologe war: Professor [Vaclav] Tomašek aus Brünn. Ich kam zu ihm und sage ihm: "Herr Professor, schauen Sie. Dieses Fleisch kann nicht von einem Rind oder von einem Pferd sein. Das sind doch kleine Stücke. Ich denke, dass es Menschenfleisch ist." Und der Professor Tomašek sagt zu mir: "So [grausame] Mörder sind die nicht, dass die das Menschenfleisch [...] für diese Zwecke bringen." Aber als ich das Fleisch verarbeitet habe, wo auch zwei Stück Leber dabei waren, habe ich ein Stückchen Fleisch gefunden, wo die Haut in der Größe [...] so zwei mal ein Zentimeter [noch vorhanden] war. Und da konnte man sofort sehen, dass das die Haut eines Menschen ist. Und seit diesem Tag haben wir gewusst – unser kleiner Kreis, denn wir haben Angst gehabt, davon zu sprechen –, dass ich in Wirklichkeit Menschenfleisch für bakteriologische Zwecke verarbeitet habe. Und ich habe circa ein halbes Jahr Menschenfleisch gekocht [anstelle der] Ration, die die SS-Männer bekommen haben, damit die selbst sich Beefsteaks und andere Sachen davon machen konnten. Also habe ich fast jede Woche diese zwei Gefäße voll mit Fleisch bekommen, worin Menschenleber war. Und das habe ich dort verarbeitet. Der Doktor Münch könnte bestimmt über diese Ereignisse dort viel Näheres sagen, denn ich weiß nicht, von wo das Fleisch stammte. Ob die Menschen wegen dieses Fleisches getötet wurden oder ob es Menschen waren, die getötet wurden, und dann das Fleisch von ihnen genutzt wurde.

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Das Entsetzen



(Kreidelithographie von Walter Gramatté [1897-1929] aus dem Jahr 1917, unbekannter Verbleib)

Mittwoch, 4. Februar 2015

"Entartete" Musik des Tages: Violinkonzert e-moll




  1. Allegro molto appassionato
  2. Andante
  3. Allegretto non troppo - Allegro molto vivace

(Felix Mendelssohn Bartholdy [1809-1847]: "Konzert für Violine und Orchester" e-moll, Op. 64; Violine: Hilary Hahn, Radio-Sinfonieorchester Frankfurt, Leitung: Paavo Järvi)

Anmerkung: Eigentlich muss ich zu dieser grandiosen Musik, die für sich selbst spricht, nichts sagen. Eigentlich sollte es heute nur noch eine Randnotiz der Geschichte sein, dass Mendelssohns Werk in der vergleichsweise kurzen Zeit des Nationalsozialismus - und zwar allein aufgrund der jüdischen Herkunft des Komponisten - als "entartet" galt und entsprechend boykottiert und geschmäht wurde. Eigentlich. Leider sieht die Realität aber etwas anders aus, denn bis heute haftet der Musik dieses so jung verstorbenen und dennoch extrem produktiven Komponisten der Makel der angeblichen "Zweitrangigkeit" an - eine Sichtweise, die nicht zuletzt auch aus musikwissenschaftlicher Sicht nicht haltbar ist und jeglicher Belege nach wie vor entbehrt.

Der Nazi-Terror zwischen 1933 und 1945 hat deutliche, bis heute erkennbare Spuren hinterlassen [pdf], die vielerlei Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen, politischen und auch wissenschaftlichen Befindlichkeiten in diesem Land zulassen. Hier ist nichts "entnazifiert" worden - oder, wie der geschätzte Fefe das so treffend formuliert:

Die beste Entnazifizierung, die man für Geld kaufen kann!

Dem ist in der Tat nichts weiter hinzuzufügen. Lauschen wir stattdessen der "entarteten" Musik Mendelssohns, während der schnöde Kapitalismus stoisch und unter Anleitung seiner selbsternannten und sich ständig selbst bereichernden "Elite" weiter wie von Sinnen wütet und diesen Planeten samt allen BewohnerInnen in den Abgrund reißt. Mendelssohns Violinkonzert - auch wenn das ganz sicher nicht beabsichtigt war - ist (mit Ausnahme des dritten, allzu fröhlichen Satzes) ein durchaus passender "Soundtrack" dafür.

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(Foto des Mendelssohn-Denkmals in Leipzig, das 1892 erstmals errichtet, 1936 von den Nazis wieder abgerissen und erst im Jahr 2003 [sic!], finanziert vornehmlich aus privaten Spenden, wieder neu aufgestellt wurde.)

Dienstag, 3. Februar 2015

Ad sinistram: Auschwitz - das waren DIE Deutschen


Ein Gastbeitrag von Altautonomer

Der Blogger Roberto de Lapuente hat am 02.02.2015 einen Text auf seinem Blog veröffentlicht, der - wie hier vor wenigen Tagen ebenfalls geschehen - anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz den Kommentar von Anja Reschke (ARD) zur Grundlage hat. Lapuente schreibt:

Reschke sagte weiter, sie schäme sich für die Bilder, die aus den Konzentrationslagern kommen. Das finde ich gut. Sie schäme sich als Deutsche. Das finde ich albern. Man sollte sich als Mensch dafür schämen, was sein Artgenosse so alles mit seiner eigenen Spezies anstellen kann. Ob es Teil heutiger deutscher Identitäten sein muss, dass man sich dafür schämt, wage ich stark zu bezweifeln.

Es geht auch überhaupt nicht mehr darum, was Deutschen [sic!] der Welt angetan haben. Aber was der Mensch dem Menschen antut, darüber sollte man immer und immer wieder sprechen. Sich zu erinnern[,] hat heute nichts mehr mit Schuld zu tun. Und in gewissem Sinne muss niemand, der weit nach dem Krieg in Deutschland geboren ist, seine Identität an die Shoa heften.

Und dann kommt weiter unten sein sekundärer Antisemitismus: "Keiner macht heute mehr den Spaniern persönlich Vorwürfe für ihre limpieza de sangre" ("Reinheit des Blutes", Doktrin aus dem Jahr 1555, Anm.d.Verf.).

Das liest sich wie eine trotzige, unhistorische Absage an die Spezifik des deutschen Faschismus und die Singularität des Holocaust.

Während Anja Reschke den Bezug zur heutigen Zeit allein über "Pegida" herzustellen versucht, fällt Lapuente nur das "Race Profiling" und ein über vier Jahre altes Wahlplakat der NPD ein. Erbärmlich. Warum wurde nicht der staatlich geführte "NSU" und die Rolle der Geheimdienste erwähnt, nicht die Tatsache, dass im neuen Jahrtausend überall wieder Nazis in die Kommunalparlamente einsickern; wo blieb der Hinweis auf die seit 1990 von Neonazis über 130 Ermordeten? Und wie würden Sie es den wenigen Überlebenden und ihren Familienangehörigen erklären, dass in @de wieder der Hitlergruß in der Öffentlichkeit gezeigt wird, dass Hooligans in Fußballstadien singen "Wir bauen eine U-Bahn von hier bis nach Auschwitz", dass rechtsradikale Organisationen unter dem Label der Meinungsfreiheit ihre Parolen auf Märschen durch die Metropolen in die Öffentlichkeit grölen dürfen und diejenigen, die sich ihnen in den Weg stellen, von der Polizei brutalst weggeknüppelt werden? Diese Ereignisse sind nicht von heute auf morgen vom Himmel gefallen, sondern haben etwas mit der Kontinuität des Hitlerfaschismus zu tun.

Nein, Herr Lapuente, es waren keine Sudanesen, keine Brasilianer, Nepalesen oder Inuit, die den Holocaust zu verantworten haben. Es waren Deutsche - und nicht nur eine Minderheit, sondern bis auf wenige Ausnahmen wie die Roten Zellen, die Weiße Rose und vereinzelte todesmutige Individuen, die Jüdinnen und Juden versteckten, DAS deutsche Volk. Die Kollektivschuldthese mag noch so umstritten sein, aber ist es nicht so, dass sich heute wieder eine Entwicklung mit faschistoiden Tendenzen abzeichnet, zu der sich die schweigende Mehrheit - zustimmend - passiv verhält? Die Kollektivschuldthese beruht auch auf der Tatsache, dass alle gesellschaftlichen Bereiche durch die NSDAP organisatorisch erfasst und kontrolliert waren: NSKK, BDM, Hitler-Jugend, SA, NS-Frauenschaft, Deutsches Jungvolk, Reichsarbeitsdienst, Kraft durch Freude usw. Es waren auch nicht Länder wie Finnland, die Niederlande oder Jugoslawien, aus denen sich der Faschismus anschickte, Europa in Schutt und Asche zu legen, das Grauen ging von deutschem Territorium aus.

Die Opfer des Stalinismus (zwischen 3 und 20 Millionen Toten) waren als Klassenmord eine unvergleichbare Parallele zum Rassenmord der Nazis. In den Gulags wurde der Tod der Gefangenen billigend in Kauf genommen. Bei den Nazis war der Tod das Ziel. Nie zuvor war die totale Vernichtung einer Menschengruppe inklusive Frauen und Kindern Staatsziel.

Die Singularität der Shoa zeichnet sich auch dadurch aus, dass sich der Vernichtungswahn mit der verlorenen Schlacht um Stalingrad radikalisierte und sich moderner, industrieller, zivilgesellschaftlicher Methoden bediente. So gab es im Lager Treblinka am Ende keine Selektionen mehr. Die ankommenden Opfer wurden direkt in die Gaskammern geleitet. Der Vernichtungswahn bekam vor der ökonomischen Verwertung der Ankommenden als Arbeitskräfte Priorität. In Auschwitz gab es allein 46 Verbrennungsöfen, die Tag und Nacht brannten.

Alles wurde begleitet von einem modernen, rationellen Verwaltungsapparat. Der US-Konzern IBM leistete mit seinen Hollerith-Anlagen den Hauptanteil an der reibungslosen bürokratischen Erfassung der Juden. Die Reichsbahn funktionierte noch in den letzten Kriegswochen und brachte die Transporte mit den Opfern pünktlich in die Lager, sofern nicht wegen der Züge mit den Soldaten auf dem Rückzug ein Zwangsstopp eingelegt werden musste. Die DeGeSch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfungsmittel) lieferte das Zyklon-B. Die BMW (Bayrischen Motorenwerke) hatten 75 Prozent der deutschen Flugzeugmotoren geliefert. Im Motorradbereich war man traditionell gut aufgestellt, unter anderem mit dem "Stalingrad-Krad" für die Wehrmacht, aber das war nur ein Nischenmarkt, der allerdings bis heute wichtig für das Image und die öffentliche Wahrnehmung der Marke ist. Die Liste der Wirtschaftsunternehmen wie Krupp und andere, die im NS-System ihre Chance witterten und bekamen, ließe sich noch weiter fortführen.

Singulär ist auch die kühl kalkulierende Verwertung der Opfer. Ihr Besitz wurde - nach unzähligen vorangegangenen Räubereien - an der "Rampe" ein letztes Mal geplündert. Die sowjetischen Befreier finden sieben Tonnen gesammeltes Haar, aus dem z.B. Füßlinge für U-Boot-Besatzungen hergestellt wurden. Auch die Menschen selber ließen sich noch für wissenschaftliche Forschungen nutzen (Mengele). Dabei wurde Empathielosigkeit der Schergen als "heldenhafte Impulskontrolle" geadelt.

Die Antwort auf die Frage nach Schuld oder Verantwortung der heute staatstragenden Generationen erübrigt sich meines Erachtens mit dem Verweis auf das Nachkriegsdeutschland, seiner nationalsozialistischen personellen, ideologischen und ökonomischen Kontinuität und den großen Frieden mit den Tätern.

Zum Abschluss dazu ein Zitat über Schuld versus Verantwortung:

Es scheint ein nicht weltfernes Unternehmen, ein typisches Individuum zu konstruieren, das in die Nazizeit hineinwächst, sie durchlebt, in den neuen Staat Bundesrepublik hineinwächst und sich ihm anpasst. Dieser Typus hat bis heute die Geschichte der Bundesrepublik in seinen Händen gehalten; er hat auch die heute Zwanzig- bis Dreißigjährigen erzogen. Weil er tief in sich selber gespalten ist, muss das unverkennbare Spuren in den Jüngeren hinterlassen. Denn wir alle durchlaufen Identifikationen mit den Älteren, die nach ihrer Eltern-, Lehrerrolle als Vorbilder wirken müssen, ehe wir die eigene Identität finden. Es ist deshalb illusionär, anzunehmen, eine junge Generation könne leicht das Joch von "geheiligten" Traditionen und Vorurteilen abwerfen. Sie wird das Erbe an Verhaltensmustern modifizieren, mehr nicht. Das ist ihre Chance, mehr nicht.

(Alexander und Margarete Mitscherlich: "Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens", Piper 1967)


Zeitzeugen sprechen über Auschwitz (5): Schnipsel des alltäglichen Horrors


Der folgende Text ist ein kurzer Auszug aus der Zeugenaussage des Sozialisten und Holocaust-Überlebenden Hermann Reineck, die im Rahmen des sogenannten 1. Frankfurter Auschwitzprozesses am 05.06.1964 dokumentiert wurde. Die komplette Aussage kann - ebenso wie unzählige weitere Zeugenaussagen - auf den Seiten des Fritz-Bauer-Instituts nachgelesen und auch im Original angehört werden.

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Ich glaube, mich richtig erinnern zu können, dass der Anlass für eine Exekution auf Block 11, das heißt also im Hof zwischen 10 und 11, ein Anschlag auf einen Polizeioffizier in Krakau war, wo man als Repressalie dafür eine große Anzahl von Polen erschossen hat, die aus dem Distrikt Krakau waren; von denen also willkürlich, [...] von A angefangen, eine bestimmte Anzahl herausgesucht worden ist nach dem Alphabet und die erschossen worden sind.

[...] Und damals ist Klehr – es war damals Lagersperre, und wir haben gewusst, was los ist, dass Exekution ist, und letzten Endes hört man es ja auch –, vom Block 11 gekommen zu uns auf die Schreibstube und hat also die Nummern der Exekutierten gebracht. Und Klehr hat damals ein Gewehr getragen. Ich sehe ihn heute noch vor mir stehen. Dieses Erlebnis ist mir vielleicht deshalb so stark in Erinnerung, denn die Exekutierten wurden später von Häftlingen auf Wagen herausgezogen. Und diese Wagen, sie hatten so schiefe Bordwände, die waren ja nicht dicht. Und jetzt ist das Blut heruntergeronnen und hat auf der Straße lauter Streifen hinterlassen. Und der Weg von Block 11 bis zum Lagertor, der geht durchs ganze Lager, denn das ist das entgegengesetzte Ende.

Das war im Sommer, [...] [da] hat sich das längere Zeit auf der Lagerstraße gehalten, und es war so deprimierend. Ich weiß nicht, waren es damals hundert, die erschossen worden sind? Aber hundert waren nichts in Auschwitz. Wir haben gewusst, dass zur selben Zeit ein Transport in Birkenau angekommen ist mit ein paar tausend Menschen, die sofort in die Gaskammer gegangen sind. Aber der optische Eindruck, der war [...] so erschütternd.

[...]

Ich habe diesen Häftling [namens Szende] kennengelernt. Er war aus Wien, er war Jude, und er war ein sehr intelligenter Mensch. Er hat in Wien einen Filmverleih früher einmal gehabt. Und er ist mit seinem Sohn nach Auschwitz gekommen. Der Sohn, ich weiß nicht mehr, war neun, zehn, zwölf Jahre alt. [...]

Und dieser Szende war zuerst im Stammlager und ist später dann, ich glaube, nach Monowitz gekommen in die Kohlengruben, oder Jawischowitz [...] oder Sosnowitz, ich weiß nicht, in ein Nebenlager ist er gekommen. Ich habe dann nichts gewusst von ihm. Und später ist er zurückgekommen nach Auschwitz. Und wir haben ja Verlegungsmeldungen von den Nebenlagern im Häftlingskrankenbau bekommen. Wenn also ein Häftling von einem Nebenlager in den Krankenbau des Stammlagers verlegt wurde, haben wir in der Schreibstube diese Meldung bekommen. Und eines Tages sehe ich die Meldung, der Szende ist gekommen. Erst habe ich gleich rausgesucht, wo er ist, und habe mich bemüht, mit den Häftlingsärzten zu sprechen und einmal zu schauen, was mit ihm los ist. Nun, er hat so schwere Erfrierungen an den Händen und Füßen gehabt. Und einen französischen Arzt, einen gewissen Doktor Steinberg, mit dem ich auch sehr gut befreundet war, habe ich gebeten, zu machen, was ihm möglich ist. Ich habe es selbst gesehen, die vorderen Gliedmaßen der Finger waren schwarz, und es hat bereits der Knochen rausgeschaut, und keine Nägel [mehr] da – furchtbar. Und [Doktor Steinberg] hat befürchtet, dass die Erfrierungen auch den Mittelhandknochen ergriffen haben und dass also eine Amputation im Handgelenk durchgeführt werden muss. Und ein Mensch ohne Hände in Auschwitz ist nicht arbeitsfähig. Er ist zum Tod verurteilt.

Und eines Tages war es eben soweit, und der Szende ist auch ausgesucht worden und ist mit einem Transport ... Also, es sind nicht alle Häftlinge, die bei Selektionen im Krankenbau – vor allem, wenn es sich um größere Menschengruppen gehandelt hat – durch Injektionen [getötet worden], sondern sie sind auch in die Gaskammer gegangen. Und diese Häftlinge sind dann mit Lastautos abgeholt worden und nach Birkenau geführt worden. Und durch einen Zufall, ich weiß nicht, wie es vor sich gegangen ist, hat sein Bub, der bei uns im Stammlager war, davon erfahren. Und es war so eine erschütternde Szene [Zeuge weint]. Der Vater wird auf den Lastwagen aufgeladen, und der Bub kommt hin und ...

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Die letzte Reise



(Gemälde von Vasily Perov [1834-1882] aus dem Jahr 1865. Öl auf Leinwand, Galerie Tretyakov, Moskau)

Montag, 2. Februar 2015

Realitätsflucht (13): A New Beginning


Es ist nun schon einige Zeit her, seit ich das Adventure "A New Beginning" gespielt habe - ich möchte aber trotzdem etwas dazu schreiben, allein schon, um vom berichteten Nazi-Terror der vergangenen Tage ein wenig abzulenken. Dieses hoch dekorierte Adventure-Spiel aus dem Hause Daedalic von 2010 entführt den Spieler in ein düsteres Endzeit-Szenario, in dem das Überleben der gesamten Menschheit aufgrund des Klimawandels auf Messers Schneide steht.

Der Spieler schlüpft in die Rolle der Zeitreisenden Fay, die im Auftrag ihrer untergehenden, zukünftigen Zeit in die Vergangenheit gekommen ist, um den besagten, im Spiel ausschließlich vom Menschen verursachten Klimawandel, der in Fays Zukunft zur Apokalypse führt, aufzuhalten. Die - durchaus kritikwürdige - Story wird in schöner chronologischer Verwirrnis in diversen Rückblenden erzählt: Die Zeitreisende Fay besucht in unserer heutigen Zeit einen pensionierten, gescheiterten Biowissenschaftler, dessen von interessierter (also industrieller) Seite negierte und verworfene Forschung eigentlich die Menschheit hätte retten können, und erzählt ihm in mehreren Episoden von ihren Zeitsprüngen in die Zukunft dieses Wissenschaftlers, die den Zweck verfolgten, seiner Forschung trotz aller wirtschaftlicher Widerstände zum Durchbruch zu verhelfen.

Natürlich sind diese Versuche allesamt fehlgeschlagen - sonst wäre Fay ja "heute" nicht hier -, und der alte Mann muss mobilisiert werden, um seinen Forschungsergebnissen nun doch noch zum ersehnten Durchbruch zu verhelfen. - Das jedenfalls ist die erste Ebene der Geschichte - die sich im weiteren Verlauf aber als Märchen entpuppt. - Mehr möchte ich zur Story hier nicht verraten.



Das Spiel ist ein typisches "Point-and-Click"-Adventure, das den Spieler anhand von Rätseln durch die vielschichtige Geschichte und grafisch (für ein Adventure) ansehnlich umgesetzte Endzeit führt. Diese Rätsel sind für geübte Spieler größtenteils leicht lösbar, auch wenn ein Neuling wie ich gelegentlich schon ausufernd suchen und überlegen musste. Dieses Spiel war mein erstes dieser Art - lange bevor ich andere hier vorgestellte Spiele ausprobiert habe. Auch habe ich es versäumt, nach der Installation nach aktuellen Patches zu suchen, und so trübten ständige Abstürze meinen Spielgenuss (ein späteres Patchen hätte einen kompletten Neustart des Spieles und den Verlust des bisherigen Spielstandes erfordert, weshalb ich darauf verzichtet habe).

Eine solche Geschichte lässt an Konzernen selbstredend kein gutes Haar und es wird permanente Kapitalismuskritik geübt, ohne das Wort "Kapitalismus" ein einziges Mal zu benutzen. Dem Spieler wird - leider nicht ohne erhobenen Zeigefinger - vor Augen geführt, wohin der allseits beschworene westliche "Way of Life" im kapitalistischen System der totalen Ausbeutung und Profitmaximierung letzendlich führen muss. Besonders deutlich wird das in der Episode, in der Fay zur großen, internationalen Klimakonferenz reist und dort angesichts der überbordenden Lobby der Konzerne und der korrupten dort auftretenden "Wissenschaftler" als einzige Möglichkeit zur Intervention nur noch illegale Handlungen erkennt.

Leider bietet das Spiel zum Schluss eine absurde, allzu simple "Lösung" des zuvor so ausführlich skizzierten Problems - was aber wiederum dem Kapitalismus anzukreiden ist, denn in diesem System wurde das Spiel entwickelt und zu Gewinnzwecken kommerziell vertrieben. Wenn aber der Profit einer kleinen Minderheit das eigentliche (und ausschließliche) Ziel des wirtschaftlichen Handelns ist, darf eben dieser Profit durch das Produkt auch nicht nachhaltig kritisiert werden - dieser simple Gedankengang ist wohl für jeden nachvollziehbar, so pervers diese "Logik" gerade angesichts des kritischen Themas des Spieles auch ist.

Trotzdem bleibt "A New Beginning" ein Spiel, das ich nur wärmstens empfehlen kann - auch wenn ich persönlich angesichts unserer heutigen perversen Welt diesen "Neubeginn" für völlig utopisch, geradezu lächerlich halte. Die Geschichte der Menschheit zeigt, dass sogar die größte anzunehmende Katastrophe - der Holocaust - noch immer nicht ausreicht, um einen simplen Neustart des kapitalistischen Katastrophensystems zu verhindern.


Zeitzeugen sprechen über Auschwitz (4): Schnipsel des alltäglichen Horrors


Der folgende Text ist ein kurzer Auszug aus der Zeugenaussage des Journalisten und Holocaust-Überlebenden Emil de Martini, die im Rahmen des sogenannten 1. Frankfurter Auschwitzprozesses am 04.06.1964 dokumentiert wurde. Die komplette Aussage kann - ebenso wie unzählige weitere Zeugenaussagen - auf den Seiten des Fritz-Bauer-Instituts nachgelesen und auch im Original angehört werden.

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Denn normalerweise hätte der [Krankenblock] höchstens mit 600 Personen belegt sein können. Er war aber meist überbelegt, so dass wir vielleicht 1.800 bis 2.000 Personen in diesem Block mitunter hatten. Und dann kamen der Lagerarzt Doktor Entress mit dem SDG [SS-"Sanitätsgrad"] Klehr gemeinsam. Da mussten die Kranken dann aus den Betten heraus, ob sie nun gehen konnten oder nicht. Sie mussten an ihm vorbei. Und Doktor Entress nahm dann die Fieberkurven, die genau geführt wurden, mit Angabe aller Medikamente, die die Kranken natürlich nie bekommen haben, und legte diese Fieberblätter nach rechts oder links. Was er links legte, war dann bestimmt zur Vergasung oder zum "Abspritzen" [Ermorden], was rechts blieb, blieb weiter im Krankenbau.

[...]

Die Regel war, wenn ein Kranker innerhalb von 14 Tagen nicht wieder arbeitsfähig ist und ins Lager entlassen werden kann, war er sowieso ein Todeskandidat. Er galt als unnötiger Esser. Und es kam sehr selten vor, dass ein Kranker – vor allen Dingen sehr schwer Fußkranker mit Phlegmonen und dergleichen Dingen behaftet – in 14 Tagen gesund werden konnte. Im normalen Zivilleben hätte man all die Kranken wieder heilen können. Dort war es unmöglich, weil es waren auch keine Medikamente da. Es wurde alles nur in Papier hineingeschrieben, was der Häftling bekommen hat, wie sorgfältig er gepflegt wurde im Krankenbau und so weiter. Aber die Hauptapotheke, die SS-Hauptapotheke, gab ja nichts heraus. Wir bekamen nur Papierbinden und gegen Ruhr zum Beispiel Bolus alba, also weiße Tonerde beziehungsweise Kohle. Und dann noch für Wunden Lebertransalbe. Das war alles. Sonst gab es ja nichts.

[...]

Wenn eine Selektion stattgefunden hatte und die ausselektierten Kranken noch auf diesen großen Lkws zu den Gaskammern fuhren, dann arbeiteten schon die Schreibmaschinen im Krankenbau, und da wurden die Totenberichte geschrieben. Das wurde sehr genau gemacht für die Standesämter und so weiter. Und dann hieß es meinetwegen, also verstorben an Herz- und Kreislaufschwäche 00.01 Uhr, 00.02 Uhr und 00.03 Uhr und so weiter und so weiter. Je nachdem, wie stark der Transport war. Meistens waren es ja mehrere Hunderte oder vielleicht Tausende, die nach Birkenau transportiert wurden.

Aber eine wahre Todesursache wurde nie bekanntgegeben. Im Gegenteil, die Fieberkurven – soweit welche vorhanden waren, sonst wurden sie künstlich noch angefertigt –, die enthielten alle Medikamente, die ein Kranker nur überhaupt erhalten kann, um gesund zu werden. Und dann ging meistens auch noch ein Beileidsschreiben an die Angehörigen, soweit es sich um deutsche Staatsbürger gehandelt hat, dass trotz aufopfernder Pflege es nicht zu vermeiden war, dass der Betreffende an Herz- und Kreislaufschwäche verstorben ist. Diese dort angefertigten Papiere, das war die reinste Lüge, das war die reinste Urkundenfälschung, weil es nämlich nicht stimmte.

[...]

Es kamen 1942 einmal Jugendliche, Kinder, so vielleicht zwischen acht und vierzehn Jahren. Es waren Jungen. Die waren natürlich nicht fähig, in einem Arbeitskommando zu arbeiten, und die blieben im Lager in den einzelnen Blöcken und haben da die Fenster geputzt und irgend so leichte Arbeiten verrichtet beim Blockältesten. Und dann hieß es eines Tages, es ist unmoralisch, dass Kinder mit Männern gemeinsam schlafen. Also einen Block für Kinder gab es nicht, und um die Moral zu retten, nicht wahr, wurden diese Kinder "abgespritzt" [ermordet]. Da war die Moral gerettet im Lager Auschwitz.

[...]

Wir hatten einmal einen Kranken im Block 21, der nun noch ziemlich wiederhergestellt war, einigermaßen, und der wurde zu einer Vernehmung zur Politischen Abteilung bestellt. Am Abend kam er dann zurück, und im ganzen Gesicht war bis auf die Knochen das Fleisch abgeschmort. Er konnte nicht mehr sprechen, ist in der folgenden Nacht auch gestorben dann an Sepsis. Und hat dann nur noch sich verständigt – es war ein Pole –, [indem] er aufgeschrieben hat – das haben die anderen mir übersetzt –, dass er bei der Vernehmung in der Politischen Abteilung mit dem Gesicht in einen Koksofen – es gibt doch diese Koksöfen, womit man Wohnungen austrocknet bei Neubauten – hineingestoßen worden ist, weil er nicht das sagen konnte, was man von ihm erwartet hat.

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Ohne Hoffnung



(Gemälde von Frida Kahlo [1907-1954] aus dem Jahr 1945. Öl auf Leinwand, aufgebracht auf Masonit, Dolores-Olmedo-Stiftung, Mexiko-Stadt)