Samstag, 8. Februar 2014

Tarantino, die reale Gewalt und die Kunst


US-amerikanische Filme wie Quentin Tarantinos "Django Unchained" vermitteln unter dem Vorwand, der Humanität und Gerechtigkeit zum Durchbruch [...] verhelfen [zu wollen], ein zutiefst reaktionäres Menschenbild. Im Sinne eines "Anti-Mitgefühlstrainings" bewirken sie – ästhetisch verbrämt – außerdem eine Gewöhnung an abstoßende Gewalt und schnoddrig-beiläufig vollzogene Grausamkeit. Anstatt dass sich kultureller Widerstand regt und die impliziten ideologischen Muster analysiert werden, huldigen selbst intelligente Medien und Zuschauermassen den Protagonisten einer gewaltpornografischen Spaßkultur. Das Massenbewusstsein gleitet bedrohlich auf einer abschüssigen Ebene in Richtung Entmenschlichung.

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Anmerkung: Als leidenschaftlicher Cineast muss ich nach dem Lesen dieses Beitrages feststellen, dass der Autor hier offenbar Ursache und Wirkung verwechselt hat und zudem mehrere völlig verschiedenartige Dinge in einen Topf wirft, in den sie gemeinsam gar nicht passen und erst recht nicht gehören.

Zunächst ist es ja ein alter Hut, dass die menschliche Faszination des Gruselns, des Grauens und Schreckens so alt ist wie die menschliche Kultur des Geschichtenerzählens selbst - es gibt aus jeder Epoche massenhaft Beispiele dafür und nicht wenige davon gehören heute selbstverständlich zur Weltliteratur (E.T.A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, Mary Shelley - um nur drei Namen zu nennen). Es kann also nicht verwundern, dass sich dies auch in dem vergleichsweise jungen Medium des Films widerspiegelt.

Hier liegt auch mein erster Kritikpunkt: In der Literatur gab und gibt es selbstverständlich eine deutliche Unterscheidung zwischen so genannter "ernster" Literatur auf der einen und einer (heute völlig und zu recht vergessenen) Unterhaltungsliteratur auf der anderen Seite - diese beiden Bereiche hatten und haben einen völlig verschiedenen Anspruch und Zweck. Sie miteinander vergleichen oder in eine Reihe stellen zu wollen, ist daher unsinnig.

Für Filme gilt das natürlich gleichermaßen - irgendwelche Unterhaltungs- oder Propagandaschinken beispielsweise mit Tarantino zu vergleichen, ist für mich - man entschuldige die Formulierung - haarsträubend absurd. Tarantino "formt" oder "gestaltet" das inhumane Weltbild unserer Zeit in seinen Filmen doch nicht, sondern bildet es ab - wie andere Künstler das vor ihm auch getan haben (George Grosz z.B. oder Max Ernst, deren Bilder oftmals auch nicht "schön", "lieblich", "humanistisch" anzusehen sind, eben weil sie das Böse, Schlimme, Perverse dieser Welt zeigen).

Ein gutes Beispiel dafür, bezogen auf Tarantinos Film "Django", beschreibt der Autor in seinem Text ja sogar selbst: "Dies wird besonders deutlich und abstoßend gezeigt in einer Szene, in der Django zögert, einen Fremden in Gegenwart seines kleinen Sohnes aus dem Hinterhalt abzuknallen. Lehrmeister Schultz erklärt ihm aber, da müsse man als Kopfgeldjäger durch." - Genau das ist doch heute die böse Realität vieler SoldatInnen, die in einen der vielen Kriege geschickt werden - Tarantino "verharmlost" oder "verherrlicht" dieses Szenario doch nicht, sondern er zeigt den Zuschauern anhand dieses Beispiels, was heute immer noch - und zwar in dramatisch zunehmendem Maße - reales Erleben und Erleiden so vieler Menschen in Kriegsgebieten ist. Er tut das ungeschminkt, brutal und auf seine ganz eigene Weise - und genau deshalb bildet er die Realität besser und wahrheitsgetreuer ab als das viele seiner Kollegen tun.

Später schreibt der Autor in Bezug auf Filme wie "Saw": "Wer hier nicht abschaltet oder das Kino verlässt, sieht sich unvermeidlich einem Anti-Mitgefühlstraining ausgesetzt." - Da musste ich doch arg schlucken, denn nach meinem Empfinden ist das genaue Gegenteil richtig: Gerade durch die Konfrontation des Zuschauers mit solcher bösartiger Gewalt, solchen Foltereien und Unmenschlichkeiten entsteht doch erst ein flammendes Meer voller Mitleid und Mitgefühl. Jemand, der einen Film wie "Saw" gesehen hat, wird niemals mit ruhigem Gewissen wegschauen oder gar zustimmen können, wenn er von Folter Kenntnis erlangt. Dieses Prinzip der "Katharsis" ist seit der Antike bekannt - der Autor sollte es eigentlich auch kennen.

Ein weiteres Beispiel, diesmal zu "World War Z": "In einer besonders drastischen Szene überrennt [der Held] die Mauern der Zivilisation durch die pure Masse des zum Einsatz kommenden Untermenschenmaterials", lese ich da. Das ist völlig korrekt - aber zeigt letztlich doch nur genau das, was zur Zeit sowohl in Nordamerika, als auch in Europa stattfindet. Der Film "schürt" doch keine Ängste, sondern bildet die menschenfeindliche kapitalistische Unterscheidung in "wertvolle" (= gut ausgebildete Arbeitssklaven) und "wertlose" (= arme) Menschen lediglich ab - wenn auch in drastischer Form. Das Schüren der (völlig irrationalen) Ängste übernehmen Politik und Medien. - Als geniale filmische Parabel zu diesem Thema empfehle ich dazu den Streifen "Land of the Dead" von George A. Romero - nach dem Ansehen dieses Films wird man das vielleicht noch besser nachvollziehen können.

Abstrus wird der Text aber, als plötzlich der Bogen zum "Dschungelcamp" gezogen wird. Das ist wiederum ein völlig anderes Thema, das mit den vorherigen im Grunde nichts zu tun hat. Hier handelt es sich um eine für die Endphase des kapitalistischen Zyklus typische Massenunterhaltungsshow, die tatsächlich der Entmenschlichung und Ablenkung dient. So etwas ist nicht neu: Auch in den 20er und 30er Jahren gab es Vergleichbares, etwa "Fress-Wettbewerbe", bei denen die Teilnehmer vor einem großen Publikum so viel essen mussten, wie sie konnten - bis hin zum Erbrechen; oder auch "Tanzmarathons", auf denen Paare ebenfalls vor Publikum solange tanzen mussten, bis sie zusammenbrachen. Das hat indes mit den erwähnten Filmen nichts zu tun, sondern gehört zum großen Komplex der Unterhaltungs- und Ablenkungsindustrie, der in der Endphase zu immer drastischeren Mitteln greift, um noch die gewünschten Ziele zu erreichen.

Um noch einmal eine Lanze für Tarantino zu brechen: In seinem Film "Pulp Fiction" von 1994 gibt es die Figur des Auftragkillers, der ständig ausschweifend aus der Bibel zitiert, bevor er Menschen erschießt. Mir fällt auf Anhieb keine bessere oder sinnhaftere Art ein, wie man die amerikanische Politik - damals noch bezogen auf Clinton und dessen Vorgänger - filmisch darstellen könnte. Inhuman und mitgefühlstötend sind dieses System und diese Politik - wie sollte eine ernstzunehmende Kunst darauf anders reagieren als sie es schon immer getan hat, nämlich indem sie einen Spiegel erbaut, in dem wir dann natürlich auch größtenteils Hässliches und Widerwärtiges erblicken können?

Ich finde es merkwürdig, dass der Autor von Hinter den Schlagzeilen sich heute in die wenig erfreulichen Reihen derer stellt, die genau diesen Spiegel zur Ursache und damit zu so etwas wie "entarteter Kunst" erklären. Sonst sind es doch vornehmlich irgendwelche Hohlbirnen aus der CSU oder CDU, die beispielsweise "Killerspiele" für Gewaltexzesse verantwortlich machen - und nicht etwa die ausufernde Rüstungsindustrie, die kriegslüsterne Regierung und deren "Bundeswehr" oder die vielen Kriege, in denen längst auch deutsche Soldaten wieder mitmorden.

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Metropolis



(George Grosz [1893-1959], Öl auf Leinwand, 1917)

"Painted after his nervous breakdown and subsequent release from the German army, George Grosz's Großstadt (Metropolis) presents the city as a place that is as hellish as the battlefield. Bathed in shades of fiery red, flame blue, and rich purple, buildings topple and streets buckle. Tilted on a diagonal, the composition conveys the social upheavals of wartime. Multiple perspectives merge to create a disorienting space and collapse distinctions between inside and outside. Grosz shows simultaneously a café's exterior signage and facade and its interior, which is reduced to a chair and table with bottles and an empty glass.

Moral order has broken down as well. Grosz's zig-zag composition plots a tour through the city's debauchery. A properly dressed man lecherously eyes the naked body of an upside-down woman. Wearing little more than stockings and a shirt that bares her breasts, a streetwalker presses her hand into the crotch of a passing man. Grosz explored such potent combinations of sex, violence, and revolution throughout his career."

Donnerstag, 6. Februar 2014

Song des Tages: Soup Is Good Food




(Dead Kennedys: "Soup Is Good Food", aus dem Album "Frankenchrist", 1985)

We're sorry, but you're no longer needed
Or wanted or even cared about here.
Machines can do a better job than you,
This is what you get for asking questions.

The unions agree: "Sacrifices must be made!"
Computers never go on strike!
To save the working man
You've got to put him out to pasture!

Looks like we'll have to let you go,
Doesn't it feel fulfilling to know
That you - the human being - are now obsolete?
And there's nothing in hell we'll let you do about it!

Soup is good food (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
You made a good meal (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
Now how does it feel (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
To be shit out our ass and thrown in the cold like a piece of trash?

We're sorry, you'll just have to leave,
Unemployment runs out after just six weeks.
How does it feel to be a budget cut?
You're snipped, you no longer exist!

Your number's been purged from our central computer,
So we can rig the facts and sweep you under the rug.
See our chart? "Unemployment's going down"!
If that ruins your life, that's your problem.

Soup is good food (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
You made a good meal (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
Now how does it feel (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
To be shit out our ass and thrown in the cold?

We're sorry, we hate to interrupt,
But it's against the law to jump off this bridge!
You'll just have to kill yourself somewhere else -
A tourist might see you and we wouldn't want that!

I'm just doing my job, you know - so say "uncle"
And we'll take you to the mental health zoo.
Force feed you mind-melting chemicals,
'Til even the outside world looks great!

In hi-tech science research labs
It costs too much to bury all the dead -
The mutilated disease-injected
Surplus rats who can't be used anymore!

So they're dumped (with no minister present)
In a spiraling corkscrew dispose-all unit
Ground into sludge and flushed away -
Aw geez ...

Soup is good food (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
You made a good meal (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
Now how does it feel (WE DON'T NEED YOU ANYMORE!)
To be shit out our ass and thrown in the cold like a piece of trash?

We know how much you'd like to die,
We joke about it on our coffee breaks.
But we're paid to force you to have a nice day
In the wonderful world we made just for you!

"Poor Rats", we human rodents chuckle -
At least WE get a dignified cremation.
And yet, at 6:00 o'clock tomorrow morning,
It's time to get up and go to work.


Anmerkung: Diesem Statement von Jello Biafra ist nichts hinzuzufügen - es galt 1985 und es gilt heute in noch viel dramatischerem Maße. Who wonders.)

Die Glorifizierung des "Spirit of ’45" - eine Metakritik


1945, der Krieg in Europa war vorbei, der Faschismus besiegt. Zu Hunderttausenden kehrten britische Soldaten von den Schlachtfeldern zurück, froh, dem Gemetzel entkommen zu sein, und sich einig, dass sich alles nicht mehr wiederholen darf: "Nie wieder Krieg", aber auch keine Rückkehr zum Frieden der 1930er Jahre mit seiner hohen Arbeitslosigkeit, der Wohnungsnot, dem Massenelend. (...)

Was folgte, war für britische Verhältnisse revolutionär. Labour hielt sich an die Zusagen und krempelte die Gesellschaft um. Die Partei verstaatlichte die Schlüsselindustrien: die Eisenbahnen, die Häfen, den Flugverkehr, die Werften, die Zechen, die Stahlwerke, die Strom-, Gas- und Wasserfirmen. Sie führte den steuerfinanzierten National Health Service (NHS) – das staatliche Gesundheitswesen – ein, investierte in das Bildungswesen, baute den Wohlfahrtsstaat aus und legte ein gigantisches Programm zum Bau erschwinglicher Sozialwohnungen auf. Dabei war der Staat pleite gewesen.

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Anmerkung: Den Film von Ken Loach, auf den sich dieser WOZ-Artikel bezieht, sollte man wohl gesehen haben. Allerdings wird anhand des Textes auch deutlich, dass hier wieder einmal nur eine "Ausschnitts-Lupe" benutzt wurde, die den Blick auf das Ganze unterlässt bzw. sogar verhindert. Wenn ein System kollabiert - wie das mit dem Kapitalismus Anfang des 20. Jahrhunderts geschehen ist - und man dasselbe System danach einfach "neu startet", ist es geradezu naiv anzunehmen, dass die Entwicklung bei etwas veränderten Startansätzen langfristig einen anderen Verlauf nehmen könne. Mit anderen Worten: Sämtliche Grundübel wurden auch 1945 nicht in Frage gestellt, verändert oder abgeschafft, sondern einfach beibehalten - man hat lediglich die im Kapitalismus notwendige Umverteilung von unten nach oben ein wenig verlangsamt und so die Illusion geschaffen, dass "alle" von diesem System profitieren.

Abgesehen davon, dass dies angesichts der weiterhin bestehenden Ausbeutung der Massen und dem Superreichtum einer ultrakleinen Minderheit schon blanker Unsinn ist, wird dieses Bild noch grotesker, wenn man den Blick erweitert und genauso gewissenhaft beobachtet, was damals außerhalb Britanniens und Europas geschehen ist und in unmittelbarem Zusammenhang zum dort neu durchstartenden Kapitalismus stand. Außerdem war es absehbar, dass eine unangetastet gebliebene und sich weiterhin bereichernde Finanz-"Elite" über kurz oder lang zum Gegenangriff übergehen und die im Text erwähnten Maßnahmen rückgängig machen würde, wie es dann ja dank der willigen HelferInnen Thatcher, Blair & Co. in England und Schmidt, Kohl, Schröder und Merkel und deren ErfüllungsgehilfInnen in Deutschland auch geschehen ist. Erste Ergebnisse dieser Zerstörungen kann man heute beispielsweise in Griechenland oder Spanien, aber natürlich auch bereits in England und Deutschland bewundern: Armut und Verelendung wachsen und erinnern nicht zufällig an die karge Untergangszeit der Weimarer Republik.

All das kommt im Text und vermutlich auch im Film nicht vor. Ich halte es für falsch - sogar für gefährlich -, wenn der "sozial gestaltete" Neustart des kapitalistischen Systems in solchen Beiträgen glorifiziert wird - so als könne man einen solchen Zustand für alle Zeit konservieren (abseits der Frage, ob das überhaupt erstrebenswert ist). Wer die unvermeidliche Entwicklung des Kapitalismus in Richtung einer immer reicher und möglichst auch kleiner werdenden Minderheit bei gleichzeitiger Verarmung aller anderen ignoriert und sich statt dessen auf die "goldene Anfangszeit" dieses zyklischen Entwicklungsprozesses konzentriert, wird dieselben Fehler immer und immer wieder machen und hilft letzlich dabei mit, den unablässigen Kreislauf des kapitalistischen Systems - vom Beginn bis zum Zusammenbruch und wieder von vorn - zu zementieren.

Wenn schon "Verstaatlichung der Schlüsselindustrien", dann bitte umfassend (also inklusive des Banken- und Versicherungskomplexes), unwiderruflich (also in der Verfassung verankert) und vor allem ausschließlich gemeinwohlorientiert. Das Zinssystem müsste abgeschafft werden, und Profitstreben dürfte in keiner Variation mehr irgendeine Rolle spielen - sowohl auf der unternehmerischen, als auch auf der staatlichen und der persönlichen Ebene. Und selbstverständlich müssten sämtliche absurden Vermögensanhäufungen sofort enteignet und ebenfalls dem Gemeinwohl zur Verfügung gestellt werden - kein einzelner Mensch auf diesem gruseligen Planeten braucht hunderte oder gar tausende von Millionen Euro/Dollar/Goldtaler, um ein anständiges, gutes Leben führen zu können.

Aus dem berühmten "Nie wieder Krieg" von 1945 ist heute längst ein "Immer wieder gerne Krieg - je öfter, desto besser" geworden, und die hohe Massenarbeitslosigkeit, die Wohnungsnot und das Massenelend halten längst wieder Einzug auch in die kapitalistischen Staaten. Wie kann man angesichts dieser bedrohlichen, sich wiederholenden Lage ernsthaft davon schwadronieren, dass am Anfang des kapitalistischen Zyklus' angeblich paradiesische Zustände geherrscht haben und man deshalb einfach dahin zurückkehren müsse? Das entspricht der Sinnhaftigkeit nach in etwa der Empfehlung an den Lungenkrebspatienten, er müsse doch bloß mit dem Rauchen aufhören, dann käme schon alles wieder ins Lot.

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Der Gold-Aberglaube


Das goldene Kalb hat sich im Lauf der Zeit zum Stier ausgewachsen, der die Weltwirtschaft auf die Hörner nimmt und alles zertrampelt.

(Zeichnung von Olaf Gulbransson [1873-1958], in "Simplicissimus", Heft 46 vom 16.02.1932)