US-amerikanische Filme wie Quentin Tarantinos "Django Unchained" vermitteln unter dem Vorwand, der Humanität und Gerechtigkeit zum Durchbruch [...] verhelfen [zu wollen], ein zutiefst reaktionäres Menschenbild. Im Sinne eines "Anti-Mitgefühlstrainings" bewirken sie – ästhetisch verbrämt – außerdem eine Gewöhnung an abstoßende Gewalt und schnoddrig-beiläufig vollzogene Grausamkeit. Anstatt dass sich kultureller Widerstand regt und die impliziten ideologischen Muster analysiert werden, huldigen selbst intelligente Medien und Zuschauermassen den Protagonisten einer gewaltpornografischen Spaßkultur. Das Massenbewusstsein gleitet bedrohlich auf einer abschüssigen Ebene in Richtung Entmenschlichung.
(Weiterlesen)
Anmerkung: Als leidenschaftlicher Cineast muss ich nach dem Lesen dieses Beitrages feststellen, dass der Autor hier offenbar Ursache und Wirkung verwechselt hat und zudem mehrere völlig verschiedenartige Dinge in einen Topf wirft, in den sie gemeinsam gar nicht passen und erst recht nicht gehören.
Zunächst ist es ja ein alter Hut, dass die menschliche Faszination des Gruselns, des Grauens und Schreckens so alt ist wie die menschliche Kultur des Geschichtenerzählens selbst - es gibt aus jeder Epoche massenhaft Beispiele dafür und nicht wenige davon gehören heute selbstverständlich zur Weltliteratur (E.T.A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, Mary Shelley - um nur drei Namen zu nennen). Es kann also nicht verwundern, dass sich dies auch in dem vergleichsweise jungen Medium des Films widerspiegelt.
Hier liegt auch mein erster Kritikpunkt: In der Literatur gab und gibt es selbstverständlich eine deutliche Unterscheidung zwischen so genannter "ernster" Literatur auf der einen und einer (heute völlig und zu recht vergessenen) Unterhaltungsliteratur auf der anderen Seite - diese beiden Bereiche hatten und haben einen völlig verschiedenen Anspruch und Zweck. Sie miteinander vergleichen oder in eine Reihe stellen zu wollen, ist daher unsinnig.
Für Filme gilt das natürlich gleichermaßen - irgendwelche Unterhaltungs- oder Propagandaschinken beispielsweise mit Tarantino zu vergleichen, ist für mich - man entschuldige die Formulierung - haarsträubend absurd. Tarantino "formt" oder "gestaltet" das inhumane Weltbild unserer Zeit in seinen Filmen doch nicht, sondern bildet es ab - wie andere Künstler das vor ihm auch getan haben (George Grosz z.B. oder Max Ernst, deren Bilder oftmals auch nicht "schön", "lieblich", "humanistisch" anzusehen sind, eben weil sie das Böse, Schlimme, Perverse dieser Welt zeigen).
Ein gutes Beispiel dafür, bezogen auf Tarantinos Film "Django", beschreibt der Autor in seinem Text ja sogar selbst: "Dies wird besonders deutlich und abstoßend gezeigt in einer Szene, in der Django zögert, einen Fremden in Gegenwart seines kleinen Sohnes aus dem Hinterhalt abzuknallen. Lehrmeister Schultz erklärt ihm aber, da müsse man als Kopfgeldjäger durch." - Genau das ist doch heute die böse Realität vieler SoldatInnen, die in einen der vielen Kriege geschickt werden - Tarantino "verharmlost" oder "verherrlicht" dieses Szenario doch nicht, sondern er zeigt den Zuschauern anhand dieses Beispiels, was heute immer noch - und zwar in dramatisch zunehmendem Maße - reales Erleben und Erleiden so vieler Menschen in Kriegsgebieten ist. Er tut das ungeschminkt, brutal und auf seine ganz eigene Weise - und genau deshalb bildet er die Realität besser und wahrheitsgetreuer ab als das viele seiner Kollegen tun.
Später schreibt der Autor in Bezug auf Filme wie "Saw": "Wer hier nicht abschaltet oder das Kino verlässt, sieht sich unvermeidlich einem Anti-Mitgefühlstraining ausgesetzt." - Da musste ich doch arg schlucken, denn nach meinem Empfinden ist das genaue Gegenteil richtig: Gerade durch die Konfrontation des Zuschauers mit solcher bösartiger Gewalt, solchen Foltereien und Unmenschlichkeiten entsteht doch erst ein flammendes Meer voller Mitleid und Mitgefühl. Jemand, der einen Film wie "Saw" gesehen hat, wird niemals mit ruhigem Gewissen wegschauen oder gar zustimmen können, wenn er von Folter Kenntnis erlangt. Dieses Prinzip der "Katharsis" ist seit der Antike bekannt - der Autor sollte es eigentlich auch kennen.
Ein weiteres Beispiel, diesmal zu "World War Z": "In einer besonders drastischen Szene überrennt [der Held] die Mauern der Zivilisation durch die pure Masse des zum Einsatz kommenden Untermenschenmaterials", lese ich da. Das ist völlig korrekt - aber zeigt letztlich doch nur genau das, was zur Zeit sowohl in Nordamerika, als auch in Europa stattfindet. Der Film "schürt" doch keine Ängste, sondern bildet die menschenfeindliche kapitalistische Unterscheidung in "wertvolle" (= gut ausgebildete Arbeitssklaven) und "wertlose" (= arme) Menschen lediglich ab - wenn auch in drastischer Form. Das Schüren der (völlig irrationalen) Ängste übernehmen Politik und Medien. - Als geniale filmische Parabel zu diesem Thema empfehle ich dazu den Streifen "Land of the Dead" von George A. Romero - nach dem Ansehen dieses Films wird man das vielleicht noch besser nachvollziehen können.
Abstrus wird der Text aber, als plötzlich der Bogen zum "Dschungelcamp" gezogen wird. Das ist wiederum ein völlig anderes Thema, das mit den vorherigen im Grunde nichts zu tun hat. Hier handelt es sich um eine für die Endphase des kapitalistischen Zyklus typische Massenunterhaltungsshow, die tatsächlich der Entmenschlichung und Ablenkung dient. So etwas ist nicht neu: Auch in den 20er und 30er Jahren gab es Vergleichbares, etwa "Fress-Wettbewerbe", bei denen die Teilnehmer vor einem großen Publikum so viel essen mussten, wie sie konnten - bis hin zum Erbrechen; oder auch "Tanzmarathons", auf denen Paare ebenfalls vor Publikum solange tanzen mussten, bis sie zusammenbrachen. Das hat indes mit den erwähnten Filmen nichts zu tun, sondern gehört zum großen Komplex der Unterhaltungs- und Ablenkungsindustrie, der in der Endphase zu immer drastischeren Mitteln greift, um noch die gewünschten Ziele zu erreichen.
Um noch einmal eine Lanze für Tarantino zu brechen: In seinem Film "Pulp Fiction" von 1994 gibt es die Figur des Auftragkillers, der ständig ausschweifend aus der Bibel zitiert, bevor er Menschen erschießt. Mir fällt auf Anhieb keine bessere oder sinnhaftere Art ein, wie man die amerikanische Politik - damals noch bezogen auf Clinton und dessen Vorgänger - filmisch darstellen könnte. Inhuman und mitgefühlstötend sind dieses System und diese Politik - wie sollte eine ernstzunehmende Kunst darauf anders reagieren als sie es schon immer getan hat, nämlich indem sie einen Spiegel erbaut, in dem wir dann natürlich auch größtenteils Hässliches und Widerwärtiges erblicken können?
Ich finde es merkwürdig, dass der Autor von Hinter den Schlagzeilen sich heute in die wenig erfreulichen Reihen derer stellt, die genau diesen Spiegel zur Ursache und damit zu so etwas wie "entarteter Kunst" erklären. Sonst sind es doch vornehmlich irgendwelche Hohlbirnen aus der CSU oder CDU, die beispielsweise "Killerspiele" für Gewaltexzesse verantwortlich machen - und nicht etwa die ausufernde Rüstungsindustrie, die kriegslüsterne Regierung und deren "Bundeswehr" oder die vielen Kriege, in denen längst auch deutsche Soldaten wieder mitmorden.
---
Metropolis
(George Grosz [1893-1959], Öl auf Leinwand, 1917)
"Painted after his nervous breakdown and subsequent release from the German army, George Grosz's Großstadt (Metropolis) presents the city as a place that is as hellish as the battlefield. Bathed in shades of fiery red, flame blue, and rich purple, buildings topple and streets buckle. Tilted on a diagonal, the composition conveys the social upheavals of wartime. Multiple perspectives merge to create a disorienting space and collapse distinctions between inside and outside. Grosz shows simultaneously a café's exterior signage and facade and its interior, which is reduced to a chair and table with bottles and an empty glass.
Moral order has broken down as well. Grosz's zig-zag composition plots a tour through the city's debauchery. A properly dressed man lecherously eyes the naked body of an upside-down woman. Wearing little more than stockings and a shirt that bares her breasts, a streetwalker presses her hand into the crotch of a passing man. Grosz explored such potent combinations of sex, violence, and revolution throughout his career."