Samstag, 10. Dezember 2016

Musik des Tages: Seven Days of Falling




(e.s.t. [Esbjörn Svensson Trio]: "Seven Days of Falling", live in Hamburg 2007, Original aus dem gleichnamigen Album, 2003)



Anmerkung: Vielen Dank an H. für den Tipp! - Ich habe anlässlich dieser Darbietung der schwedischen Musiker womöglich zum ersten Mal bewusst erlebt, wie ein gezupfter, "lässiger" Kontrabass zwischendurch zum - mit Streichbogen und Verzerrer (!) gespielten - Melodieinstrument mutiert. Das Stück ist grandios. Es ist ein Jammer, dass der Pianist Svensson, der im Video durch seine vehemente Mimik (was keineswegs abwertend gemeint ist) zuweilen ein wenig an eine Karikatur Til Schweigers erinnert, bereits 2008 bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Ich werde mich mit der Musik dieser Band noch eingehender beschäftigen, soviel steht fest.

(Wenn ich selbst am Piano sitze, sehe ich vermutlich zuweilen wie eine Karikatur Klaus Kinskis nach seinem Tod aus ...)

Donnerstag, 8. Dezember 2016

Zitat des Tages: Psalm


Dass aus dem Samen des Menschen
Kein Mensch
Und aus dem Samen des Ölbaums
Kein Ölbaum
Werde,
Es ist zu messen
Mit der Elle des Todes.

Die da wohnen
Unter der Erde
In einer Kugel aus Zement,
Ihre Stärke gleicht
Dem Halm
Im peitschenden Schnee.

Die Öde wird Geschichte.
Termiten schreiben sie
Mit ihren Zangen
In den Sand.

Und nicht erforscht wird werden
Ein Geschlecht,
Eifrig bemüht,
Sich zu vernichten.

(Peter Huchel [1903-1981]: "Psalm", in: "Chausseen, Chausseen. Gedichte", Fischer 1963)


Mittwoch, 7. Dezember 2016

Big Brother: Unser schöner Überwachungsstaat soll gläserner werden


Bei Zeit Online war kürzlich ein Bericht zu lesen, der auf die jüngste Gesetzesänderung in Sachen weltweiter Überwachung und Staatsschnüffelei unserer amerikanischen Freunde hinwies. Dort heißt es:

[Die seit dem 1. Dezember 2016 gültige Neuregelung] besagt, dass jeder Amtsrichter in den USA dem FBI und anderen Bundesbehörden mit einem einzigen Durchsuchungsbeschluss erlauben kann, beliebig viele Computer in beliebigen Jurisdiktionen zu durchsuchen. Sprich: zu hacken. [Hervorhebungen nicht von mir.]

Die Information, dass (nicht nur) amerikanische Geheimdienste so etwas (und viel mehr) natürlich schon lange tun, ist allerspätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen bekannt - allerdings wird im Zeit-Artikel darauf selbstredend nicht hingewiesen. Snowden gehört schließlich zu den "Bösen", so dass es dem Autor offenbar nicht erwähnenswert erscheint, auf die bislang auch in den USA illegale und dennoch gängige Praxis der "Dienste" aufmerksam zu machen, die nun nachträglich durch ein "freiheitlich-demokratisches" Gesetz legitimiert wird.

Natürlich wird auch hier die absurde Steinzeitkeule der "Kinderpornografie" angeführt - letztlich geht es in diesem staatlichen Überwachungswahnsinn aber lediglich darum, die dem Internetnutzer noch zur Verfügung stehenden Abwehrmöglichkeiten wie VPN, TOR oder anderweitige Verschlüsselung ganz einfach zu umgehen, indem staatliche Schadsoftware in großem Stil eingesetzt wird. Wer eine solche Malware auf seinem Rechner, Dumpf-Phone, Tablet etc. hat, ist für die "Dienste" ein offenes Buch - ganz egal, welche Anonymisierungs- und Verschlüsselungsversuche da seitens des Nutzers auch erfolgen mögen.

Außerdem ist es weiterhin möglich - was in den vereinzelten pseudo-empörten Berichten der Propagandapresse längst nicht mehr erwähnt wird -, dass mittels dieser Staatstrojaner das jeweilige Endgerät nicht nur lückenlos überwacht, sondern natürlich auch beliebig manipuliert werden kann, ohne dass dies nachweisbar ist. So lassen sich beispielsweise beliebige Dateien darauf speichern oder Aktionen ausführen, von denen der Nutzer überhaupt keine Kenntnis hat - der manipulativen Willkür der "Dienste" im scheindemokratischen, nun in den USA auch gesetzlich legitimierten Mäntelchen sind hier also Tür und Tor so weit geöffnet wie niemals zuvor.

Und wer glaubt, dass "Geheimdienste" aus anderen Ländern, in denen es so "fortschrittliche" Totalüberwachungsgesetze (noch) nicht gibt, sich von der illegalen Praxis fernhielten, sollte das verstaubte Märchenbuch über den Datenschutz, die Persönlichkeitsrechte und die informationelle Selbstbestimmung endlich aus der Hand legen und sich der bösen, kapitalistischen Realität stellen. Die korrupte Bande will die gläserne Bevölkerung, auch wenn sie dieses ersehnte Ziel so deutlich niemals öffentlich formuliert: Es ist längst in greifbarer bzw. ergriffener Nähe; und kein Popanz ist dämlich genug, um es zu vollenden.

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Die Verantwortlichen



(Lithographie von George Grosz [1893-1959] aus dem Jahr 1920, in: "Ecce Homo", Malik 1923; Verbleib des Originals unbekannt)

Dienstag, 6. Dezember 2016

Plattes von Platta (3): Ausflug in den Analsex


In sehr unregelmäßigen Abständen werde ich ab jetzt auch die gelegentlichen Ausbruchsversuche des Plattfußindianers Holdger P. in die Welt der feinen Künste unter dem Titel "Kastanien, oh ihr lieblichen Analkugeln (mit und ohne Stachelmantel)" begleiten. Echte LyrikerInnen kommen hier ja schließlich ebenfalls zu Wort. - Heute:

Stricher in Geldnot

Fünf Stricherjungen bücken sich
wie heiße Ruten der gekauften Wollust
auf dem Bahnhofsklo.

Ausblendend das grunzende Stöhnen der
fettleibigen Kundschaft, hört man sie leise rufen:

"Komm spritz, komm spritz, komm spritz bitte nur ins Gummi ...!"


Montag, 5. Dezember 2016

Kapitalismus: Unser segensreiches Paradies


Vor einigen Tagen war bei Zeit Online ein Beitrag zu lesen, der sich mit dem Buch "Neben uns die Sintflut" von Stephan Lessenich beschäftigt. Ich muss vorwegschicken, dass ich dieses Buch nicht gelesen habe und deshalb dazu nichts weiter sagen kann - hier geht es allein um den Text des Zeit-Autors Mathias Greffrath. Der beginnt seinen Bericht mit den Worten:

"Höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, bessere Wohnungen, eine umfassende Sozialversicherung und so weiter – es ist keineswegs sicher, dass wir uns diese Dinge leisten können, wenn wir die Vorteile preisgeben, die wir aus der kolonialen Ausbeutung ziehen." So lautet schon 1945 der hellsichtige Befund von George Orwell. Er hat noch einige Gültigkeit, wenn man "Kolonialismus" durch den "globalisierten Kapitalismus" ersetzt. Der systemische Zusammenhang, in dem die einen gewinnen und die anderen verlieren, ruft immer wieder die Ungleichheitsforscher auf den Plan: nun den Soziologen Stephan Lessenich mit seinem Buch "Neben uns die Sintflut".

Das klingt, abgesehen vom Euphemismus des "globalisierten Kapitalismus", erst einmal vielversprechend, doch die kapitalismusfreundliche Zeitung geriete in arge Bedrängnis, wenn der Autor nicht bereits im nächsten Absatz mit dem üblichen Verwässern und Vernebeln begänne, indem er die logischen, zwingenden Folgen des Katastrophensystems kurzerhand zu "Nebenwirkungen" degradiert. Und so reiht sich auch in der Folge eine haarsträubende Dummheit an die nächste: Er referiert widerspruchslos, dass laut Lessenich beispielsweise die "Entwicklungshilfe" der westlichen Staaten aufgrund "korrupter Eliten" (wohlgemerkt: in den "Entwicklungsländern", nicht etwa in Deutschland oder den USA) nicht funktioniere, und versteigt sich gar zu der These, dass der "globalisierte Kapitalismus" unter anderem auch dazu geführt habe, dass sich "in den neu in den Weltmarkt eintretenden Ländern eine neue Mittelklasse [gebildet] und auch die Lage der Ärmsten [ein wenig] verbessert" habe.

So kann nur ein bornierter Schnösel argumentieren, der seine Schäfchen längst im Trockenen hat (oder zu haben glaubt) und fleißig-devot darum bemüht ist, das Katastrophensystem auf Teufel-komm-raus zu retten. In diesem Zusammenhang darf natürlich auch der hanebüchene Unsinn von der "überalterten Wohlstandsgesellschaft" nicht fehlen - ganz so als gebe es hierzulande keine zig Millionen Arme, Erwerbslose und Billigstlöhner, die händeringend nach Erwerbsarbeit bzw. einer etwas höheren Bezahlung suchten. Überhaupt findet sich im gesamten Text kein einziger Hinweis auf die Nutznießer dieses teuflischen Systems, nämlich die selbsternannte, superreiche "Elite" - als vermeintlich Schuldiger tritt wieder einmal das imaginäre Kollektiv aller westlichen BürgerInnen auf, das in seiner Gesamtheit "über die Verhältnisse anderer" lebe. Dieser lächerliche Trick ist so alt wie das Konzept der verdummenden Propaganda selbst, doch offensichtlich funktioniert er immer noch tadellos.

Selbstverständlich hat Greffrath auch die passenden Lösungen für dieses Dilemma zur Hand. Es sind freilich dieselben, seit Dekaden wieder und immer wieder vorgebeteten Floskeln und Mantras von der "politischen Regulierung": Man müsse ja nur hier und da einige Stellschrauben betätigen, und schon sei der Kapitalsmus - quasi über Nacht - das Paradies für alle Menschen:

Was helfen könnte, wird schon lange gedacht: eine Revision der Welthandelsordnung, eine behutsame Regionalisierung der globalen Produktion, eine Steuer auf Finanztransaktionen, eine globale Klimapolitik. Und weiter: ein technologischer Sprung ins solare Zeitalter im Süden, Konsumverzicht im Norden und wirksame globale politische Institutionen. Gesetze, Verträge und Erwartungsrevisionen. Politik.

Ich weiß einmal mehr nicht, ob der Mann diesen ausgemachten Blödsinn tatsächlich glaubt, den er da verzapft hat, oder ob er sich zuhause beim Sektschlürfen nicht doch dumm und dämlich bis zum Einnässen lacht, dass er so etwas allen Ernstes in einer als "seriös" bezeichneten Wochenzeitung - der "vierten Gewalt" [*glucks*] - veröffentlichen darf, ohne unter lautem Gelächter den Eselshut aufgesetzt und einen derben Tritt in den feisten Hintern zu bekommen.

Alternativen zum Kapitalismus finden selbst als Gedankenexperiment in diesem dauerhaften Albtraum längst nicht mehr statt - und in den (freigeschalteten) Kommentaren zu diesem unsäglichen Text findet sich nicht ein einziger Mensch, der das zu bemerken scheint oder auch nur am Rande andeutet. Wir befinden uns in der kapitalistischen Hölle und sämtliche Ausgänge sind nicht nur zugemauert, sondern zusätzlich mit Selbstschussanlagen und Minenfeldern versehen - auf dass auch ja niemand auf die ernsthafte, völlig abwegige Idee komme, das segensreiche Paradies verlassen zu wollen.

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[Kapitalistischer] Terror



(Zeichnung von Rudolf Schlichter [1890-1955], in: "Der Simpl", Nr. 1 vom 28.03.1946)