Samstag, 11. Juli 2015

Zitat des Tages: Der Mord


Ein Bahndamm. Telegrafendrähte schwirren.
Lokomotivenpfiff. Gewölk. Grau. Drohend.
Fabriken. Rauchend. Hammerlaut. Zornlohend.
Rostrote Schwaden, die um Schlote irren.

Breit wuchtet vor dem Horizont die Stadt.
Qualgelbe Quadern. Mauern. Türme. Gassen
mit geilen Hunden, Menschen, die sie hassen
und nehmen und verprassen. Einer hat

ein Messer in der Hosentasche. Lauert
am Damm im Dunklen. Sprungbereit. Das Knie
am Boden festgestemmt. Heiß von der Not

des Blutes. Wartet. Fern die Melodie
des Hammers, der auf Eisen niederschauert.
Schritte - - Ein Sprung. Ein Stoß! – Ein Schrei!! – Ein Tod.

(Hans Kaltneker [1895-1919], in: "Dichtungen und Dramen", Paul Zsolnay 1925; geschrieben 1916, Ort der Erstveröffentlichung ohne weitere Recherche nicht ermittelbar)



Anmerkung: Ich kenne kaum ein anderes Gedicht, das anschaulicher illustriert, wie der ausbeutende und verarmende Kapitalismus aus einem vermutlich einstmals harmlosen Menschen einen von der Not getriebenen Verbrecher macht. Dabei könnte alles so einfach sein, wenn der überquellende Reichtum dieser Welt nur gerechter verteilt wäre: Nicht nur wäre die Not so vieler Millionen Menschen erheblich vermindert, sondern es wäre auch der überwiegend materiell begründeten Kriminalität ein wirksamer Riegel vorgeschoben: Wer keine Not leidet, kommt auch nicht so schnell auf kriminelle Gedanken, um die Not zu lindern.

Von solchen simplen Gedanken ist unsere verkommene Welt leider Lichtjahre entfernt. Stattdessen werden überall wieder die Kriegsbeile aus den geschundenen Böden gebuddelt, und im Land der Propagandaweltmeister - Deutschland - lässt man das wunderbar medial begleiten und kaschieren. Bei n-tv war kürzlich zu lesen:

Deutschland strebt für seine Rüstungsindustrie eine noch engere Zusammenarbeit mit anderen europäischen Partnern an. Das Bundeskabinett verabschiedete dazu am Mittwoch ein neues Strategiepapier. Auf eine solche "Europäisierung" der Rüstungsindustrie hatten sich Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag festgelegt. Als Schlüsseltechnologien, die auch künftig zwingend aus Deutschland kommen müssen, werden darin Bereiche wie U-Boote und gepanzerte Plattformen, Aufklärungstechnik und Schutzausrüstung genannt. (...) / Die europäische Verteidigungsindustrie sei immer noch national ausgerichtet, heißt es in dem Papier. "Europa leistet sich den Luxus zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge, einen intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugprogrammen und eine starke Konkurrenz im Überwasser- und Unterwasserbereich."

Zu einem solchen Irrsinn, der einerseits das ansonsten doch religiös gepriesene kapitalistische "Wettbewerbsprinzip" kritisiert, wenn es um nationale Staatskohle geht, und der andererseits unverhohlen der radikalen globalen Aufrüstung den Weg bereitet, fällt mir nicht mehr viel ein. Die rot-grün-schwarz-gelbe Bande demaskiert sich allerorten und gibt sich keine Mühe mehr, ihre widerliche Verkommenheit zu verschleiern. Kaltneker hat in seinem jugendlichen Leichtsinn (er war 21, als er das Gedicht schrieb) alles Wesentliche dazu gesagt.

Donnerstag, 9. Juli 2015

SPD: Über Nekrophilie und andere Perversionen


Eigentlich ist diese Meldung keinen Kommentar wert - die SPD tut halt das, was eine billige Hure im kapitalistischen Endzeitirrsinn stets tut: sie prostituiert sich und bemerkt vor lauter CDU/CSU/FDP/NPD/AFD-Grünen Schwänzen in ihrem willigen, allzu gierigen Mund gar nicht mehr, dass sie nicht mehr bloß Sperma, sondern inzwischen längst auch Urin schluckt.

Ein weiteres Beispiel von so vielen für diese Schröder'sche Binsenweisheit habe ich heute bei tagesschau.de lesen dürfen, wo es hieß:

Firmenerben können sich freuen: Die Koalition lockert nochmals die geplanten Auflagen zur steuerlichen Begünstigung. Spitzenvertreter der Koalitionsfraktionen und des Bundesfinanzministeriums einigten sich auf die künftigen Regeln zur steuerlichen Begünstigung von Firmenerben.

Ich habe beim Lesen noch überlegt, wohin ich meinen sich anbahnenden Kotzschwall sinnvoller Weise richten soll - es versteht sich ja von selbst, dass rechte Parteien menschenfeindliche, kapitalfreundliche Politik betreiben und den Reichen demütig den After pudern und lecken. Dann fiel mir aber ein, dass Huren in nicht seltenen Fällen gar nicht freiwillig handeln - und schon war mir das sozialdemokratische Dilemma klar: Wenn die eigenen Pfründe gesichert sein sollen, müssen diese Gesellen halt so tun, als mache ihnen der unablässige Blowjob wirklich Spaß. Dem Gabriel und der Nahles nimmt man diese Mär ja sogar guten Glaubens ab - womit um alles in der Welt sollen solche Gestalten denn auch sonst ihren Lebensunterhalt im Haifischbecken des Kapitalismus "verdienen", wenn der Job des Kartenabreißers längst wegrationalisiert worden ist?

Ich weiß jedoch nun wirklich nicht, wer sich in der SPD nun tätsächlich dazu gezwungen fühlt, ein so erbärmliches Hurendasein zu führen und wer stattdessen aus wilder Leidenschaft oder hirnplatzender Überzeugung die Beine breit und den Mund auf macht - letzlich ist mir das aber auch egal: Widerliche, durchgefickte Arschlöcher sind sie allesamt. Liz Mohn und Friede Springer sind entzückt, auch wenn sie gar keine Schwänze haben.

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Not bricht Grundsätze


SPD einst: "Nieder mit Kapital, Thron und Altar!"
SPD jetzt: "Hilfe, unser Kapital und die Kirche sind in Gefahr!"

(Zeichnung von Karl Arnold [1883-1953], in "Simplicissimus", Heft 23 vom 07.09.1931)

Mittwoch, 8. Juli 2015

Musik des Tages: Nänie ("Auch das Schöne muss sterben!")




(Johannes Brahms [1833-1897]: "Nänie. Trauergesang für Chor und Orchester [Harfe ad lib.] nach einem Gedicht von Friedrich Schiller", Op. 82 aus dem Jahr 1881; Berliner Philharmoniker und Rundfunkchor Berlin, Leitung: Claudio Abbado, 2008)

Anmerkung: Brahms hat dieses wundervolle, leider viel zu selten aufgeführte Stück seinem kurz zuvor verstorbenen Freund, dem Maler Anselm Feuerbach (bzw. dessen Witwe Henriette, siehe Scan) gewidmet. Unser verkommener Planet könnte ein wesentlich erträglicherer Ort sein, wenn die habgierige "Elite" ebenso wie deren eifrige ErfüllungsgehilfInnen quer durch alle "Schichten" und Kontinente die im Grunde simple Aussage dieser Musik auch nur im Ansatz verstünden. Der Text von Schiller ist aus heutiger Sicht zwar etwas sperrig, lässt sich aber dennoch mit nur wenig intellektuellem Aufwand durchaus schnell sinnerfassend begreifen:

Auch das Schöne muss sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wenn er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Dass das Schöne vergeht, dass das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich;
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.

(Friedrich Schiller [1759-1805]: "Nänie", in: "Gedichte. Erster Teil", 1800)


Dienstag, 7. Juli 2015

Zitat des Tages: "Heroische Landschaft" - und ein Brief an Hitler


Nun sticht die Zwergin Nacht mit schwarzem Pfahl
das Sonnenauge aus der Himmelsstirne,
dass es verblutend aus dem wehen Hirne
hintropft. Erblindet schreit in ihrer Qual

die Erde auf. Um offne Gräber knien
die Palmen, und sie werfen voll Verzagen,
wie Klageweiber ihre Brüste schlagen,
die Zweige schluchzend in der Winde Glühn.

Im Schilf verröcheln mit geborstnen Speeren
des Tempels Säulen, wo im Aas der Sümpfe
ein Lachen schielt. Die toten Städte stehn

im Sande auf. Sie zeigen ihre Schwären
und heben stumm die blutigen Mauerstümpfe,
wie Bettler, die um eine Münze flehn.

(Armin Theophil Wegner [1886-1978], in: "Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts. Von den Wegbereitern bis zum Dada", hg. von Gottfried Benn, erstmals Limes 1955; geschrieben 1916, Ort der Erstveröffentlichung ohne weitere Recherche nicht ermittelbar)

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Statt einer Anmerkung will ich hier aus einem Brief des pazifistischen Dichters an Adolf Hitler vom 11. April 1933 zitieren. Dort schreibt Wegner, der 19 Jahre zuvor - zu Beginn des ersten Weltkrieges - zunächst als freiwilliger Sanitätssoldat nach Kleinasien kam und dort Augenzeuge des Völkermords wurde, den die mit dem deutschen Kaiserreich verbündeten Türken an den Armeniern verübten, was ihn zu dem oben zitierten Sonett mit dem bitterbösen ironisch-sarkastischen Titel "inspiriert" hat, unter anderem:

Es ist kein Zufall, dass so viele Juden auf deutschem Boden leben – es ist eine Folge gemeinschaftlichen Schicksals! Auf ihrer Wanderung durch die Jahrhunderte, von Spanien vertrieben, von Frankreich nicht aufgenommen, hat Deutschland diesem unglücklichen großen Volke seit einem Jahrtausend Obdach geboten. (...) Wenn Deutschland groß in der Welt wurde, so haben auch die Juden daran mitgewirkt. Haben sie nicht durch alle Zeiten sich dankbar für das Obdach erwiesen? (...)

Herr Reichskanzler, es geht nicht um das Schicksal unserer jüdischen Brüder allein, es geht um das Schicksal Deutschlands! (...) Das Judentum hat die babylonische Gefangenschaft, die Knechtschaft in Ägypten, die spanischen Ketzergerichte, die Drangsal der Kreuzzüge und sechzehnhundert Judenverfolgungen in Russland überdauert. Mit jener Zähigkeit, die dieses Volk alt werden ließ, werden die Juden auch diese Gefahr überstehen – die Schmach und das Unglück aber, die Deutschland dadurch zuteil werden, werden für lange Zeit nicht vergessen sein! Denn wen muss einmal der Schlag treffen, den man jetzt gegen die Juden führt, wen anders als uns selbst? (...)

Hundert Jahre nach Goethe, nach Lessing kehren wir zu dem härtesten Leid aller Zeiten, zu dem blinden Eifer des Aberglaubens zurück. Besorgnis und Unsicherheit nehmen zu, die überfüllten Züge in das Ausland, Verzweiflungsklagen, Schreckensauftritte, Selbstmorde! (...) Denn was muss die Folge sein? An die Stelle des sittlichen Grundsatzes der Gerechtigkeit tritt die Zugehörigkeit zu einer Art, zu einem Stamm. (...) Haben die Deutschen besser gehandelt? Beklagen sich nicht die Schatzmeister der großen Geldvermögen nur deshalb über die jüdischen, weil sie selbst an ihre Stelle treten wollen? Haben denn die deutschen Bürger die Zinsen ihrer Guthaben und Häuser herabgesetzt? Ich bestreite diesen törichten Glauben, dass alles Unglück in der Welt von den Juden herrühre. (...) Herr Reichskanzler! Aus der Qual eines zerrissenen Herzens richte ich diese Worte an Sie: Schützen Sie Deutschland, indem Sie die Juden schützen. (...) Führen Sie die Ausgestoßenen in ihre Ämter zurück, die Ärzte in ihre Krankenhäuser, die Richter auf das Gericht, verschließen Sie den Kindern nicht länger die Schulen, heilen Sie die bekümmerten Herzen der Mütter, und das ganze Volk wird es Ihnen danken.

Es versteht sich von selbst, dass Wegners Schriften ab 1933 verboten wurden und der zu seiner Zeit durchaus bekannte Dichter unverzüglich inhaftiert und gefoltert wurde. Es ist lediglich glücklichen Zufällen zu verdanken, dass er dennoch überleben und ins Exil flüchten konnte, wo er wie so viele andere seiner LeidensgenossInnen im kollektiven Vergessen eines barbarischen Zeitalters und seiner lernresistenten Nachkommen versank.

Einige zusätzliche Informationen gibt's beispielsweise hier - und den sehr lesenswerten Gedichtband "Das Antlitz der Städte" des Dichters aus dem Jahr 1917 kann man hier kostenlos im pdf-Format abrufen.



(Armin-T.-Wegner-Büste der armenischen Bildhauerin Alice Melikian, Gymnasium an der Bayreuther Straße, Wuppertal)

Montag, 6. Juli 2015

Film des Tages: Die letzten Zeuginnen




("Die letzten Zeuginnen. Vom Überleben in Auschwitz", Dokumentation von Sibylle Bassler, 2015)

Anmerkung: Wir sollten uns, ganz im Gegensatz zur politisch allzu "korrekten" Autorin des Filmes, peinlichst davor hüten, diesen grauenhaften Wahnsinn einzig einem bestimmten, womöglich gar "zeitbezogenen" Rassenwahn anhängen und lediglich die Einzelperson Hitler und dessen willige Schergen dafür verantwortlich machen zu wollen. Die Historie erzählt eine gänzlich andere Geschichte, die man hier - wenn auch eher zwischen den Zeilen - doch nachvollziehen kann.

Wer von uns wacht hier und warnt uns, wenn die neuen Henker kommen? Haben sie wirklich ein anderes Gesicht als wir? Irgendwo gibt es noch Kapos, die Glück hatten, Prominente, für die sich wieder Verwendung fand, Denunzianten, die unerkannt blieben; gibt es noch all jene, die nie daran glauben wollten - oder nur von Zeit zu Zeit.

Und es gibt uns, die wir beim Anblick dieser Trümmer aufrichtig glauben, der Rassenwahn sei für immer darunter begraben, uns, die wir dieses Bild entschwinden sehen und tun, als schöpften wir neue Hoffnung, als glaubten wir wirklich, dass all das nur EINER Zeit und nur EINEM Land angehört, uns, die wir vorbeisehen an den Dingen neben uns und nicht hören, dass der Schrei nicht verstummt.

(Jean Cayrol [1911-2005]: Schlusskommentar in der Dokumentation "Nacht und Nebel", 1955, übersetzt von Paul Celan [1920-1970])