Ein Bahndamm. Telegrafendrähte schwirren.
Lokomotivenpfiff. Gewölk. Grau. Drohend.
Fabriken. Rauchend. Hammerlaut. Zornlohend.
Rostrote Schwaden, die um Schlote irren.
Breit wuchtet vor dem Horizont die Stadt.
Qualgelbe Quadern. Mauern. Türme. Gassen
mit geilen Hunden, Menschen, die sie hassen
und nehmen und verprassen. Einer hat
ein Messer in der Hosentasche. Lauert
am Damm im Dunklen. Sprungbereit. Das Knie
am Boden festgestemmt. Heiß von der Not
des Blutes. Wartet. Fern die Melodie
des Hammers, der auf Eisen niederschauert.
Schritte - - Ein Sprung. Ein Stoß! – Ein Schrei!! – Ein Tod.
(Hans Kaltneker [1895-1919], in: "Dichtungen und Dramen", Paul Zsolnay 1925; geschrieben 1916, Ort der Erstveröffentlichung ohne weitere Recherche nicht ermittelbar)
Anmerkung: Ich kenne kaum ein anderes Gedicht, das anschaulicher illustriert, wie der ausbeutende und verarmende Kapitalismus aus einem vermutlich einstmals harmlosen Menschen einen von der Not getriebenen Verbrecher macht. Dabei könnte alles so einfach sein, wenn der überquellende Reichtum dieser Welt nur gerechter verteilt wäre: Nicht nur wäre die Not so vieler Millionen Menschen erheblich vermindert, sondern es wäre auch der überwiegend materiell begründeten Kriminalität ein wirksamer Riegel vorgeschoben: Wer keine Not leidet, kommt auch nicht so schnell auf kriminelle Gedanken, um die Not zu lindern.
Von solchen simplen Gedanken ist unsere verkommene Welt leider Lichtjahre entfernt. Stattdessen werden überall wieder die Kriegsbeile aus den geschundenen Böden gebuddelt, und im Land der Propagandaweltmeister - Deutschland - lässt man das wunderbar medial begleiten und kaschieren. Bei n-tv war kürzlich zu lesen:
Deutschland strebt für seine Rüstungsindustrie eine noch engere Zusammenarbeit mit anderen europäischen Partnern an. Das Bundeskabinett verabschiedete dazu am Mittwoch ein neues Strategiepapier. Auf eine solche "Europäisierung" der Rüstungsindustrie hatten sich Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag festgelegt. Als Schlüsseltechnologien, die auch künftig zwingend aus Deutschland kommen müssen, werden darin Bereiche wie U-Boote und gepanzerte Plattformen, Aufklärungstechnik und Schutzausrüstung genannt. (...) / Die europäische Verteidigungsindustrie sei immer noch national ausgerichtet, heißt es in dem Papier. "Europa leistet sich den Luxus zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge, einen intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugprogrammen und eine starke Konkurrenz im Überwasser- und Unterwasserbereich."
Zu einem solchen Irrsinn, der einerseits das ansonsten doch religiös gepriesene kapitalistische "Wettbewerbsprinzip" kritisiert, wenn es um nationale Staatskohle geht, und der andererseits unverhohlen der radikalen globalen Aufrüstung den Weg bereitet, fällt mir nicht mehr viel ein. Die rot-grün-schwarz-gelbe Bande demaskiert sich allerorten und gibt sich keine Mühe mehr, ihre widerliche Verkommenheit zu verschleiern. Kaltneker hat in seinem jugendlichen Leichtsinn (er war 21, als er das Gedicht schrieb) alles Wesentliche dazu gesagt.
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