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(Stefan Wolpe [1902-1972]: "Klaviersonate Nr. 1", 1925; gespielt von David Holzmann)
- Sehr schnell
- Fast langsam (warm, aber nicht zimperlich)
- Schnell
Anmerkung: Der oben verlinkte Wikipedia-Text zu Wolpe ist, wie so oft, äußerst unvollständig und teilweise fehlerhaft. Dort wird unter Anderem behauptet, lediglich der erste Satz der ersten Klaviersonate des Komponisten sei "erhalten" geblieben - wie im Clip zu hören und auch zu sehen ist, liegt das Werk aber bereits seit mehreren Jahren vollständig vor. Es gäbe noch sehr viel mehr zu diesem Text zu sagen, allerdings gehe ich davon aus, dass hier ohnehin keine Wolpe-Experten mitlesen, so dass ich einfach dazu anrege, sich dieser fantastischen Musik zu öffnen, die zu Beginn vielleicht arg sperrig und unzugänglich erscheinen mag, bei näherer Betrachtung aber einen tiefen, emotionalen Glanz entfaltet, der - zumindest für mich - geradezu umwerfend ist.
Dies ist keine "Musik für die Massen" - es ist vielmehr der klangliche Ausdruck eines musikbesessenen, jugendlichen Herzens, das Leidenschaft, Wut und Aggression genauso kennt oder erahnt wie Trauer, Hingabe und Anmut. Es ist die Musik eines Aufbruchs, geschrieben von einem 23jährigen deutschen Juden und Kommunisten, der kurze Zeit später von den braunen Horden auf eine Odyssee der Flucht getrieben wurde, die er - zumindest emotional - wohl nie wirklich beenden konnte.
Abgesehen von diesem historischen Hintergrund ist das Stück aber auch einfach grandiose Musik und ein gewichtiger Meilenstein der Musikgeschichte, der auch deutlich zeigt, zu welchen außerordentlichen Werken Menschen fähig sind - und in weitaus größerem Umfang fähig sein könnten, wenn sie nicht in diesem stumpfen, völlig verblödenden System der kapitalistischen Habgier und infantilen Konkurrenz gefangen wären.
Ich weiß, es ist ein alter, übelriechender Hut - zur Kenntnis nehmen muss man ihn aber trotzdem, auch in der gefühlt 184. Wiederholung und Verschärfung. Die neoliberale Bande vertritt klar erkennbar nicht die Interessen der großen Mehrheit der Menschen in diesem Land, sondern agiert stets zugunsten des Großkapitals. Diese menschenfeindliche, kapitalhörige Politik ist allerdings kein statischer Zustand, sondern ein Prozess, der die ohnehin schon furchtbare Lage mit jedem weiteren Schritt noch furchtbarer macht.
So passt diese Meldung aus dem Neuen Deutschland vom 13.10. wunderbar ins kranke Weltbild der Habgierigen:
Die knapp 50 jüngeren Politiker hatten am Sonntag in Berlin mit dem Düsseldorfer Ökonomieprofessor Justus Haucap diskutiert, mit welchem Wirtschaftskurs die Union bei der Bundestagswahl 2017 Erfolg haben kann. Die nach der Bundestagswahl 2013 initiierte Gruppe drängt Merkel zu einer wirtschaftsfreundlichen "Agenda 2020" und denkt dabei etwa an eine Weiterentwicklung der von SPD-Kanzler Gerhard Schröder durchgesetzten Sozialreformen der "Agenda 2010".
Liest man den gesamten Text, passt da wieder einmal alles wie "Arsch auf Eimer": Es werden die immer gleichen asozialen, neoliberalen Mantras heruntergebetet, die allesamt lediglich dem einen Ziel der weiter an Fahrt aufzunehmenden Umverteilung von Arm zu Reich verpflichtet sind, da wird ein alter neoliberaler Zombie wie Friedrich Merz aus seiner vermodernden Anwaltsgruft ausgebuddelt, und natürlich wird das große Zerstörungswerk von Schröder und Fischer - die "Agenda 2010" - wie eine goldkälbische, perverse Monstranz herumgetragen. Da fällt es schon fast nicht mehr auf, dass es ein einziger schriller Irrsinn ist, Merkel zu einer "wirtschaftsfreundlicheren" Politik aufzufordern.
Wenn diese kriminelle Bande - zu der selbstredend auch die SPD und die Grünen gehören - weiterhin am politischen Ruder verbleibt, wird der neoliberale Zerstörungsprozess unweigerlich weitergehen. Die SPD exerziert das aktuell mit ihrem lächerlichen "Mindestlohn"-Murks und dem verfassungswidrigen Versuch der weiteren Beschneidung des Streikrechts wieder einmal vor. Ich weiß, dass es zermürbend ist, immer und immer wieder über die einzelnen Bau- und Puzzleteile dieses fortschreitenden Prozesses lesen zu müssen - mir geht es da wahrlich nicht anders. Aber welche Alternative bleibt sonst? Wenn mir jemand fortdauernd in die Fresse schlägt, bringt es nichts, irgendwann nur noch abzuwinken und die Schläge still zu ertragen bzw. sie, wenn möglich, gar auszublenden - ich muss mich stattdessen weiter dagegen wehren, auch wenn das zum hundertsten, zum zweihundertsten Mal geschieht.
Noch ist Gegenwehr möglich - die Historie lehrt uns aber auch, dass dieser Zustand keinesfalls dauerhaft ist.
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Sparmaßnahmen
"Wir müssen unsere Lebenshaltung jetzt auf eine schmalere Basis stellen!"
(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 41 vom 07.01.1924)
Und wieder einmal tischen uns die Propagandamedien ihr debiles Märchen von den paradiesischen Zuständen in Deutschland auf - quer durch alle gleichgeschalteten gleich "berichtenden" Qualitätsorgane hieß es Anfang Oktober wie hier in der FAZ:
Die Deutschen sind so glücklich und zufrieden wie nie zuvor, vor allem im Norden.
Potzblitz - welch ein gnadenvoller Segen, dass "wir" in diesem wundervollen Land leben dürfen, in dem sich Milch, Honig und Glückseligkeit eine dauerhafte Heimstatt gesucht haben! Nun mag man fragen, worauf diese mannigfach verbreitete Jubelmeldung denn wohl zurückgeht, aber sowohl die FAZ, als auch all die anderen Papageienmedien nennen hier allenfalls ein ominöses "sozio-oekonomisches Panel" sowie eine "repräsentative Forsa-Umfrage" als Quelle. Wie Forsa- und andere "repräsentative" Umfragen bzw. deren erwünschte Ergebnisse zustande kommen, hat ein Kommentator bei der FAZ recht anschaulich zusammengefasst: "Wie war das gleich: 'Was ist Ihnen lieber: Reich und gesund oder arm und krank', oder so ähnlich." Verlinkungen auf die genannten Quellen oder irgendwelche nähere Erläuterungen gibt es dazu aber sowieso nicht - das muss der Qualitätskonsument nicht wissen, das verwirrt ihn nur.
Die FAZ rudert im Text auch gleich zurück - dort wird aus dem "nie" aus der Überschrift im Text urplötzlich ein "selten". Diese beiden Wörter ähneln sich zwar, schließen sich aber dennoch gegenseitig aus. Dafür ist aber gewiss nur der unbezahlte Praktikant verantwortlich, der diese dpa-Meldung kopieren und ins Online-Portal einpflegen musste, gell, liebe Qualitätsredaktion von der FAZ?
Ein bisschen Bashing muss aber auch sein, das gehört in den Kuhmedien schließlich zum guten Ton: Die undankbaren Ossis, die "wir" selbstlos und heroisch vom finsteren Unterdrückungs- und Terrorjoch des Sozialismus befreit haben, wollen und wollen einfach nicht so glücklich sein wie das westliche Stimmvieh. Jesus und Maria, so geht es aber nicht - laut den zugrunde liegenden Quellen sind Menschen in Ostdeutschland satte "0,36 Punkte" weniger zufrieden als ihre KonkurrentInnen im Westen! Diese Brut soll doch nach Moskau gehen, wenn sie unsere wundervollen Segnungen des Kapitalismus' nicht zu schätzen weiß!
Wenn man die Ironie- und Satireschalter mal auf "Aus" stellt, kann man angesichts dieser journalistischen und informationellen Farce aber gar nicht mehr lachen, sondern muss unentwegt kotzen, bis die Galle glüht. Es gehört meines Erachtens eine Menge kriminelle Energie dazu, in Zeiten der zunehmenden, drastischen Verarmung der Bevölkerung bei gleichzeitiger obszöner Mästung einiger weniger Superreicher, der Totalüberwachung, der zunehmenden Kriege, des dramatischen Demokratieabbaus ... einen solchen kafkaesken Text zu veröffentlichen, der so dermaßen absurd ist, dass mir beim Lesen der Schädel explodierte, wenn ich ihn nicht unverzüglich in ein großes Fass voller Vodka tauchte.
Das Schlimme ist, dass ich einer nicht unerheblichen Anzahl von Menschen in diesem Land tatsächlich zutraue, diesen infantilen Blödsinn - auch wenn er den jeweils eigenen Erfahrungen vollkommen widerspricht - zu glauben. Dazu gehören auch intelligente Menschen - eine simple Erklärung wie "Dummheit" kann also nicht greifen.
"Wir" werden unterdessen immer reicher, immer glücklicher, immer dämlicher, immer zombieesker ... bis die Zündschnur ihr schon heute klar erkennbares Ende erreicht hat. Und wenn's dann wieder "Bumm!" macht, war auch die FAZ natürlich nicht schuld, sondern wird wieder von vorn beginnen. Ebenso wie der Rest der Menschheit, falls es einen solchen dann noch gibt. Und das kennen wir nicht erst seit 1945.
Keine Ahnung, wie es weitergeht.
Man singt von Wolken, die schmutzig sind:
tatsächlich, man tut es, nur längst zu spät,
vergisst nicht mehr Wetter und Wind.
Keine Ahnung: aber das klingt so schön
wie früher bei Tag und Nacht.
Der Kühlschrank summt weiter mit leisem Getön
und die Jeans sind aus Leinen gemacht.
Geht es so weiter? Es gibt den Markt
für Dichtung, Maschinen und Gunst.
Was liegenblieb, wird zusammengeharkt
mit lässiger Gärtner-Kunst.
Man fasst die andere Hand nicht an,
die sich irgendwo zeigt und streckt.
Man lässt das so. Sieht sich staunend an,
was alles dahinter steckt.
(Karl Krolow [1915-1999], in: "Gesammelte Gedichte, Bd. 3", Suhrkamp 1985)
Anmerkung: Auch dieses entlarvende Gedicht bedarf keiner Erläuterung - aber einmal mehr der Anklage gegen das kollektive Vergessen einer ganzen, so wichtigen Dichtergeneration, deren Werk heute - nur wenige Jahrzehnte später - schlichtweg nicht mehr existent ist, sondern allenfalls noch in antiquarischen Ausgaben oder fein von der Öffentlichkeit abgetrennten wissenschaftlichen Diskursen Erwähnung findet. Selbst Letzteres findet aufgrund der neoliberalen Verödung der geisteswissenschaftlichen Forschung und Lehre immer seltener statt - in den verbliebenen Ruinen beispielsweise der Literaturwissenschaft befasst man sich heute auch eher mit "Lernmodulen", "Leistungspunkten" und den "Klassikern" der Literatur - zumindest solange sie ins zeitgenössische, unheilvolle Mikroweltbild der herrschenden Klasse passen.
Ein Schriftsteller wie Krolow, der sich nach jugendlichen Verirrungen in die damalige braune Kloake rapide zum Humanisten und Sozialisten entwickelt und ein äußerst umfang- und einflussreiches lyrisches Werk geschaffen hat, das noch vor 30 Jahren ein selbstverständlicher Bestandteil der zeitgenössischen, damals noch meist gesellschaftskritischen Lyrik war, passt heute natürlich erst recht nicht mehr in das erzählte Märchen vom "freien Westen" und dem "Sieg des Kapitalismus", der ja allenthalben in vielfältigen Kriegen, sozialen Verelendungen und ökologischen Katastrophen in seiner ganzen Erhabenheit zu bewundern ist. Da verwundert es auch nicht weiter, dass dem Dichter in einer (unvollständigen) Biographie (z.B. Wikipedia) die jugendliche "Nähe zum Nationalsozialismus" vorgeworfen wird, während eine andere (ebenso unvollständige Biographie) ihn als "Hauptvertreter des sogenannten Anarchokommunismus" (whoswho.de) bezeichnet.
Beides ist selbstverständlich falsch - man müsste sich nur ein wenig näher mit Krolow und seinem Werk befassen, um das schnell zu begreifen. Ernstzunehmende Mono- und Biographien über den Dichter und sein Werk sind bereits mehrfach geschrieben worden - diese vermodern heute allerdings ebenso hinter den fauligsten Kellerwänden der Bibliotheken wie die Schriften des Dichters selbst.
Und solange der Kühlschrank weiter "summt mit leisem Getön", während um uns herum und sogar aus der eigenen Mitte die ganze Welt in den bodenlosen Abgrund stürzt, wird sich daran wohl auch nichts ändern. - Ich jedenfalls staune schon lange nicht mehr. Ich registriere bloß noch.