Montag, 27. Oktober 2014

Zitat des Tages: Reime II


Keine Ahnung, wie es weitergeht.
Man singt von Wolken, die schmutzig sind:
tatsächlich, man tut es, nur längst zu spät,
vergisst nicht mehr Wetter und Wind.

Keine Ahnung: aber das klingt so schön
wie früher bei Tag und Nacht.
Der Kühlschrank summt weiter mit leisem Getön
und die Jeans sind aus Leinen gemacht.

Geht es so weiter? Es gibt den Markt
für Dichtung, Maschinen und Gunst.
Was liegenblieb, wird zusammengeharkt
mit lässiger Gärtner-Kunst.

Man fasst die andere Hand nicht an,
die sich irgendwo zeigt und streckt.
Man lässt das so. Sieht sich staunend an,
was alles dahinter steckt.

(Karl Krolow [1915-1999], in: "Gesammelte Gedichte, Bd. 3", Suhrkamp 1985)


Anmerkung: Auch dieses entlarvende Gedicht bedarf keiner Erläuterung - aber einmal mehr der Anklage gegen das kollektive Vergessen einer ganzen, so wichtigen Dichtergeneration, deren Werk heute - nur wenige Jahrzehnte später - schlichtweg nicht mehr existent ist, sondern allenfalls noch in antiquarischen Ausgaben oder fein von der Öffentlichkeit abgetrennten wissenschaftlichen Diskursen Erwähnung findet. Selbst Letzteres findet aufgrund der neoliberalen Verödung der geisteswissenschaftlichen Forschung und Lehre immer seltener statt - in den verbliebenen Ruinen beispielsweise der Literaturwissenschaft befasst man sich heute auch eher mit "Lernmodulen", "Leistungspunkten" und den "Klassikern" der Literatur - zumindest solange sie ins zeitgenössische, unheilvolle Mikroweltbild der herrschenden Klasse passen.

Ein Schriftsteller wie Krolow, der sich nach jugendlichen Verirrungen in die damalige braune Kloake rapide zum Humanisten und Sozialisten entwickelt und ein äußerst umfang- und einflussreiches lyrisches Werk geschaffen hat, das noch vor 30 Jahren ein selbstverständlicher Bestandteil der zeitgenössischen, damals noch meist gesellschaftskritischen Lyrik war, passt heute natürlich erst recht nicht mehr in das erzählte Märchen vom "freien Westen" und dem "Sieg des Kapitalismus", der ja allenthalben in vielfältigen Kriegen, sozialen Verelendungen und ökologischen Katastrophen in seiner ganzen Erhabenheit zu bewundern ist. Da verwundert es auch nicht weiter, dass dem Dichter in einer (unvollständigen) Biographie (z.B. Wikipedia) die jugendliche "Nähe zum Nationalsozialismus" vorgeworfen wird, während eine andere (ebenso unvollständige Biographie) ihn als "Hauptvertreter des sogenannten Anarchokommunismus" (whoswho.de) bezeichnet.

Beides ist selbstverständlich falsch - man müsste sich nur ein wenig näher mit Krolow und seinem Werk befassen, um das schnell zu begreifen. Ernstzunehmende Mono- und Biographien über den Dichter und sein Werk sind bereits mehrfach geschrieben worden - diese vermodern heute allerdings ebenso hinter den fauligsten Kellerwänden der Bibliotheken wie die Schriften des Dichters selbst.

Und solange der Kühlschrank weiter "summt mit leisem Getön", während um uns herum und sogar aus der eigenen Mitte die ganze Welt in den bodenlosen Abgrund stürzt, wird sich daran wohl auch nichts ändern. - Ich jedenfalls staune schon lange nicht mehr. Ich registriere bloß noch.

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