Samstag, 26. August 2017

Kapitalismus: Urbane Propaganda


Man kennt und hasst es inzwischen bis zum Erbrechen: Im Kapitalismus muss es zu allem und jedem ein "Ranking" geben, denn schließlich ist der "Wettbewerb" das höchste aller vorstellbaren, allerdings allein dem Pöbel vorbehaltenen Güter in diesem menschenfeindlichen System. So war kürzlich auch bei n-tv wieder einmal ein solcher "Bericht" zu finden, in dem – fein säuberlich in einer "Bildstrecke" auf satte 28 Seiten aufgebläht – das lächerliche Märchen von den "lebenswertesten Städten" des gesamten Planeten erzählt wurde.

Es versteht sich von selbst, dass dieses "Ranking" hanebüchener, geradezu hirnverneinender Unsinn ist und nicht im Entferntesten essenzielle Grundlagen berücksichtigt, die in diesem Zusammenhang bedeutsam wären. Im fragmentarischen Text wird – freilich nur exemplarisch – sogar kurz darauf hingewiesen:

Der "Economist" hat für seine Rangliste unter anderem eingeschätzt, wie es in Sachen Gesundheitswesen, Kultur, Umwelt, Bildung und Infrastruktur steht. Einbezogen wurde auch, wie groß die Gefahr von Terroranschlägen ist. Ausgenommen sind dagegen die Wohn- und Mietkosten der 140 untersuchten Städte.

Man muss gar nicht erst fragen, was denn hier mit "Terroranschlägen" gemeint ist – die asoziale, faschistoide Agenda-Politik der kapitalistischen "Elite", die inzwischen weltweit ekelige Triumphe feiert, ist es gewiss nicht. Auch in Sachen "Gesundheitswesen" finden wir hier ein überaus groteskes Bild, denn im Text heißt es allen Ernstes:

Auckland, die größte Stadt Neuseelands. Im Bereich Bildung erreicht Auckland wie alle anderen Städte Ozeaniens den Maximalwert. Dafür gibt es im Gesundheitswesen Abstriche: Neuseeland hat ausschließlich eine staatliche Krankenversicherung.

Ja, das muss man sich einmal vorstellen: In Auckland gibt es tatsächlich (noch) keine private Krankenversicherung! Das kann natürlich nur negativ gewertet werden, denn wir wissen ja seit Jahrzehnten – und die Propagandapresse wird nicht müde, das immer wieder in lauten, ständig wiederholten goldenen Fanfaren in die verkommene Welt zu posaunen: "Privat ist gut, Staat ist schlecht!" – Was dahintersteckt, wird in der Regel gar nicht thematisiert – schließlich muss der Profit für Konzerne und Superreiche sprudeln, alles andere einschließlich der Gesundheitsversorgung der Menschen ist lästige Nebensache und überhaupt viel zu teuer und daher abzulehnen.

Auf jenen 28 Seiten werden indes nicht nur die "Spitzenplätze", sondern auch die "Verlierer" dieses perversen "Wettbewerbes" genannt. Es überrascht wohl nur AfD-Wähler, CDU-Minister, Esoteriker oder ähnlich geistig Umnachtete, dass es sich dabei vornehmlich um Städte handelt, die in heutigen vom Westen bombardierten Kriegsgebieten und/oder in der völlig verarmten, vom Westen gnadenlos und bis aufs Blut ausgebeuteten sogenannten "Dritten Welt" liegen. Irgendein Zusammenhang mit dem postulierten Wohlstand (der, wohlgemerkt, auch in den "Wohlfühlzonen" nur für einige Menschen, und keineswegs für alle gilt) in den "guten" Städten wird freilich nicht hergestellt – den darf es ja laut kapitalistischer Ideologie und menschenfeindlicher Unlogik auch gar nicht geben. Es verwundert ein wenig, dass die USA auf den negativen Spitzenplätzen nicht vertreten sind – aber auch das ist gewiss nur ein ungesteuerter, alternativloser Zufall.

Völlig außer acht gelassen wird hier die Frage, inwiefern es überhaupt wünschenswert ist, in einem grausigen Koloss von Großstadt zu leben. Die prognostizierte Konzentration von immer mehr Menschen weltweit, die vom Land in die "urbanen Zentren" übersiedeln, ist ja einzig dem kapitalistischen Wahn der Verfügbarkeit von "Humanressourcen" geschuldet und daher ohnehin in Frage zu stellen – ganz abgesehen von dem Elend, das diese Bevölkerungswanderung in vielen Teilen der Welt verursacht. Auch davon finden wir im launischen Wettbewerbs-Zirkus der "lebenswertesten Städte" jedoch kein Wort. Dafür gibt's – sofern man keinen Adblocker benutzt – reichlich hirntötende Reklame auf 28 Seiten zu bestaunen, auf dass die Zombies noch mehr stets überteuerten Bockmist kaufen.

Ich möchte in keiner der dort gepriesenen Städte wohnen müssen und bin heilfroh, dass nicht ein Einkaufszentrum, ein Bankturmviertel oder ein Fußballstadion, sondern bloß ein läppischer, meist menschenleerer Wald vor meiner Haustüre liegt.

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Wallstreet


"oder: Das steinerne Herz der Welt."

(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 25 vom 20.09.1922)

Freitag, 25. August 2017

Musik des Tages: Sinfonie in d-moll




  1. Lento – Allegro non troppo
  2. Allegretto
  3. Allegro non troppo

(César Franck [1822-1890]: "Sinfonie in d-moll" aus den Jahren 1886/88; Frankfurt Radio Symphony Orchestra, Leitung: Marc Minkowski, 2015)


Donnerstag, 24. August 2017

Der redundante Einwurf (8): Das Sommerwetter-Paradoxon


Alle Jahre wieder versorgt uns der Kuhjournalismus mit abstrusen Meldungen, die ich schon als Teenager nicht nachvollziehen konnte. Dazu gehört das peinliche Gedudel und Geseiere über das "schöne Wetter". Sicher ist das kein Thema, dem man große Beachtung schenken muss – aber trotzdem nervt es mich ungemein, wenn immer wieder behauptet wird, ein "heißer Sommer" mit möglichst nur Sonnenschein, mit Temperaturen um die 30 Grad und ohne Regen sei ein in welcher Form auch immer "schöner Sommer".

Exemplarisch hieß es dazu kürzlich bei n-tv:

Die Temperaturen sind aber überall recht mau. Häufig werden es Tageshöchstwerte um oder etwas unter 20 Grad. (...) Denn an den mageren Temperaturen ändert sich wenig bis nix. (...) Es wird dabei landesweit wieder wärmer, aber zunächst nur im Süden sommerlich mit bis zu 25 am Montag und bis zu 28 Grad am Dienstag, während es im Norden mit 20 bis 23 Grad eher mäßig warm weitergeht.

Abgesehen davon, dass für mich persönlich "schönes Wetter" erst dann gegeben ist, wenn es sich mindestens um einen bewölkten Tag bei höchstens 20 Grad handelt, kenne ich auch niemanden, der sich je darüber gefreut hat, wenn eine Bullenhitze (also mehr als 25 Grad) bei wolkenlosem Himmel länger als nur ein paar Stunden herrschte. Vielleicht kenne ich auch nur seltsame Menschen, das will ich gar nicht ausschließen – allerdings bezweifle ich sehr stark, dass es zumindest in den hiesigen Breiten sonderlich viele Menschen gibt, die ihren Alltag in tropischem Klima unter einer stets brennenden Sonne bewältigen möchten.

Das hält die Bekloppten in den Medienhäusern aber nicht davon ab, seit Jahrzehnten stets aufs Neue und bei jeder sich bietenden Gelegenheit wie stumpfsinnig den Blödsinn vom "tollen Sommerwetter" in die Welt zu blasen. Ob das damit zusammenhängt, dass diese Figuren meist in gut klimatisierten Räumlichkeiten arbeiten (und vermutlich in ebenso gut klimatisierten Karossen herumfahren) dürfen, weiß ich nicht. Ich jedenfalls hasse es wie die Pest, wenn ich bei tropischen Temperaturen arbeiten, Auto fahren oder auch nur irgendwelche Termine wahrnehmen muss – das ist kein "schönes", sondern völlig widerwärtiges Wetter.

Für mich ist ohnehin der Herbst die schönste Jahreszeit: Dann nämlich fangen die lärmenden Menschen endlich wieder damit an, ihre Aktivitäten in die Innenräume zu verlegen – es wird somit erheblich stiller in dieser lärmverseuchten Welt; außerdem wird es früher dunkel und ein Spaziergang im herbstlichen Wald – gerne auch bei Regen und Nebel – ist ein unvergleichliches Naturerlebnis. Wenn ich könnte wie ich wollte, lebte ich längst in der nördlichen Hälfte Finnlands, wo es kaum Lärm (und kaum Menschen) und sogar im Sommer nur selten tropische Temperaturen gibt, dafür aber endlose, kühle Wälder und tausende Seen. Dort kann die Seele ganz in Frieden gesunden.

Ich erinnere mich gut: Ich saß einmal abends vor der damals für einen Appel und ein Ei gemieteten einsamen Holzhütte an einem Seeufer mitten in den einsamen finnischen Wäldern, als ich plötzlich ein nie zuvor gehörtes, äußerst seltsames Geräusch in der Ferne vernahm: Es klang wie das Prasseln von kleinen Nägeln, die man aus einer großen Schale ins Wasser schüttet. Zuerst war es nur ein kaum wahrnehmbares Flüstern, das von den zirpenden Grillen in meiner Umgebung fast übertönt wurde, aber sehr langsam und kontinuierlich wurde es immer lauter, bis ich nach etwa 20 Minuten endlich begriff, was ich da hörte: Es war schlicht der sich allmählich nähernde, auf den Wald prasselnde Regen. – Ich habe niemals wieder schöneres, beeindruckenderes Sommerwetter erlebt.


(Abendlicher Blick von der Holzhütte über den See, während die Regenfront langsam nahte. Die nächste Stadt – mit etwa 1.000 Einwohnern – war weit über 100 km entfernt.)

Mittwoch, 23. August 2017

Zitat des Tages: Steht noch dahin


Ob wir davonkommen ohne gefoltert zu werden, ob wir eines natürlichen Todes sterben, ob wir nicht wieder hungern, die Abfalleimer nach Kartoffelschalen durchsuchen, ob wir getrieben werden in Rudeln, wir haben's gesehen. Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen, den Nächsten belauern, vom Nächsten belauert werden, und bei dem Wort Freiheit weinen müssen. Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein weißes Bett oder zugrundegehen am hundertfachen Atomblitz, ob wir es fertigbringen mit einer Hoffnung zu sterben, steht noch dahin, steht alles noch dahin.

(Marie Luise Kaschnitz [1901-1974]: "Steht noch dahin. Neue Prosa", Suhrkamp 1970)



Anmerkung: 47 Jahre nach der Erstveröffentlichung ist dieser Text – und nebenbei das gesamte, sehr empfehlenswerte Büchlein – so aktuell wie nie zuvor. Eine solche perverse Erfolgsgeschichte des kontinuierlichen, konsequenten Unterganges kann wohl nur der Kapitalismus schreiben.

Montag, 21. August 2017

Das Grauen dieser Zeit


Ein Gastbeitrag von Oppa Kowalski

Sie wissen es schon: Früher war alles besser. Die heutige Jugend ist eine Bande verweichlichter Warmduscher, die freiwillig Staatswanzen mit sich herumschleppen, brav von Konzernen vorgegebenen "Trends" und "Moden" nachlaufen, allesamt egozentrisch und empathielos sind und ohnehin nicht begreifen, wieso diese Welt so unsagbar scheiße ist. Das habe ich letztens bei n-tv bestätigt bekommen. Dort hieß es:

Das Auge wählt mit: Junge bevorzugen schlanke Kandidaten / Wer Jungwähler erreichen will, muss ihnen laut einer neuen Studie heutzutage mehr bieten als den richtigen Wahlslogan und genügend Erfahrung: Fitte und attraktive Spitzenkandidaten haben demnach bessere Chancen, gewählt zu werden.

Nun reicht nicht mehr nur ein peppiger Reklameslogan aus, um "Jungwähler" zu ködern – nein, man muss als politischer Akteur gleich auch noch das zeitgeistige Image der "Fitness" und "Attraktivität" bedienen. Es sei denn, man heißt Merkel. Dann ist das nämlich egal, denn dieses Scheusal wird trotzdem gewählt: "Mütter müssen nicht schön sein, damit sie geliebt werden." – Was ist das bloß für eine Jugend, die einerseits einem hässlichen Katastrophenmonstrum, das einer Mutter so ähnlich ist wie ein dreiköpfiger Drache, die Erstwählerstimme gibt und andererseits einen aktenkoffertragenden, ebenso korrupten wie inkompetenten Schlips-Borg wie Lindner allen Ernstes attraktiv findet? Echt, den Lindner? Da sind doch sogar meine Hämorrhoiden um Längen attraktiver.

Auch in Österreich stehen ältere Menschen ebenso bass erstaunt vor demselben finsteren Höllenpfuhl:

"Strache hat abgebaut. Er wirkt leicht übergewichtig, blass und nicht vital. Er strahlt keine Dynamik mehr aus." Ganz im Gegensatz zu Kurz. Der konservative Politiker treffe auch mit seinen Slogans zum Beispiel über die "Schließung der Mittelmeerroute" einen Nerv bei den jungen Menschen.

Das sind doch alles Nazis. Wenn eine solche Forderung einen "Nerv bei jungen Menschen" trifft, dann können sie sich allesamt unverzüglich die Hakenkreuzarmbinde anlegen und stumpf nach dem Führer brüllen. Überhaupt scheint das Ariertum wieder voll im jugendlichen Trend zu liegen – dazu passt auch die Feststellung, dass der beliebte, "konservative" Herr Kurz ein "Meister der Dekomplizierung" sei. Ja, das können sie, die Nazis: Komplizierte Sachverhalte so umbiegen, umlügen und verunstalten, dass sie plötzlich ganz einfach erscheinen. Und auf solche billigen Hütchenspielertricks fällt die heutige Jugend einmal mehr herein! Pfui Deibel.

Das wäre uns damals nie passiert. Wir wussten noch, dass in der Ostzone der leibhaftige Teufel haust und dass wir nur durch harte Arbeit ein Wirtschaftswunder vollbracht haben, um das uns bis heute alle Welt beneidet. Wir haben Politiker wie Wehner und Brandt gewählt, die weder fit, noch attraktiv, noch reklamesloganfähig waren. Die haben unseren schönen Kapitalismus zur goldenen Blüte gebracht, so dass wir uns ein Auto auf Pump, einen jährlichen Urlaub in Italien und manchmal sogar ein kleines Häuschen leisten konnten, das wir bis zum heutigen Tage bei der Bank abbezahlen. Dass es nebenbei auch ein paar Multimillardäre gab, fiel da nicht ins Gewicht. Und was der gemeine Neger, der Zonenbewohner, der Schlitzäugige oder andere Untermenschen derweil erlitten haben, davon wussten wir nichts und wollten es auch gar nicht wissen, denn wir bekamen einen Kühlschrank, ein Fernsehgerät und später sogar ein eigenes Telefon. Ein Telefon! Mit einer damals vierstelligen Rufnummer, denn man war privilegiert – es gab noch nicht viele, die sich das leisten konnten.

Und heute ist die Jugend wieder so oberflächlich und nationalsozialistisch. Wie kann man nur so dumm sein, ich versteh das einfach nicht. Klar, die SPD kann man heute nicht mehr von den Schwarzen unterscheiden, aber Lafontaine oder Wagenknecht sagen doch immer wieder Gutes – z.B. dass wir hier in Deutschland nicht so viele Neger und andere Ali-Babas aufnehmen können und dass man endlich mal etwas für mehr Rente für echte Deutsche tun sollte. Wieso wählen die Jungen trotzdem lieber die schwarz-gelben Heuchler?

Ich glaube, ich wähle im September doch lieber die AfD. Da gibts keine Merkelmonster und Aktenkofferträger. Der Gauland gefällt mir sehr. Gauen und Gauleiter gab es früher sowieso häufiger. Diese Jugend kann mir mal den Buckel runterrutschen: Wenn die lieber wieder dasselbe haben wollen wie 1933, dann sollen sie es bekommen. Ich wasche meine Hände in Unschuld und knabbere dann sowieso längst von unten an den Radieschen!

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Anmerkung von Charlie: Dieser, äh, Text wurde dem "Narrenschiff" per Mail zugesandt; der Verfasser ist mir persönlich bekannt. Ich habe nach dem Genuss von drei Litern Hustensaft und mitten im Fieberwahn entschieden, ihn hier zu veröffentlichen. Danach entschwand ich für längere Zeit auf dem Klo, da mich der Brechdurchfall plagte – und ich meine mich zu erinnern, dass mir mein dortiges Spiegelbild über dem Waschbecken eine üble Persönlichkeitsspaltung attestiert hat. Aber das war sicher nur ein weiterer böser Traum.

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Habt Erbarmen mit den Sorgen eines armen alten Mannes



(Lithographie von Jean-Louis Théodore Géricault [1791-1824] aus dem Jahr 1821; unbekannter Verbleib)