Sonntag, 26. Februar 2012

Zitat des Tages: Schlechte Zeiten

Wir leben schlecht und stürben ja ganz gern,
Doch möchten wir aus Neugier vorher wissen
Von irgendeinem der gelehrten Herrn,
Warum wir eigentlich krepieren müssen.

In frühern Zeiten hat man das gewusst.
Man starb für Gott, fürs Vaterland, aus Ehre,
Da war das Sterben schön und eine Lust,
Wir wünschen, dass es so geblieben wäre.

Denn heut ist's weder süß noch ehrenvoll,
Ganz ohne Ideale zu verenden,
Schlecht stirbt es sich für Ziffern, Zins und Zoll,
Für Bankbilanzen oder Dividenden.

Vielleicht ist's immer nur derselbe Quark,
Die Guten starben stets für die Halunken,
Die Zeit war immer faul, nicht nur in Dänemark,
Nur hat sie, scheint's, noch nie so stark gestunken.

(Bruno Wolfgang alias Bruno Prochaska [1879-?], in "Simplicissimus", Heft 45 vom 08.02.1932)

5 Kommentare:

Anabelle hat gesagt…

Manchmal fragt man sich, warum Autoren und ihre Texte eigentlich vergessen werden, wie es diesem Dichter offenbar passiert ist. Das Gedicht ist grandios und steht einem vergleichbaren Gedicht beispielsweise von Kästner aus dieser Zeit in nichts nach.

Und natürlich passt es wie die Faust aufs Auge in unsere Zeit - zum Beispiel den verarmten Menschen in Griechenland wird es aus der Seele sprechen.

Dein Blog entwickelt sich zur Fundgrube - weiter so, bitte. Dieses Gedicht werde ich auch meinen Schülern aufs Auge drücken - sie werden bestimmt genauso erstaunt sein wie ich.

Charlie hat gesagt…

Ich hoffe, Deine Schüler werden damit Spaß haben - auf dass sowohl ihr Interesse an Literatur, als auch ihr politisches und historisches Bewusstsein geschärft werde.

Über diesen Autor habe ich im Netz tatsächlich fast nichts gefunden. Er hat eine handvoll Gedichte im "Simplicissimus" veröffentlicht, zudem gibt es einige spätere Unterhaltungsromane und Kinderbücher von einem Schreiber dieses Namens, aber weitergehende biografische Angaben - abgesehen von der oben verlinkten Mini-Seite - habe ich nirgends entdeckt.

Dieses Gedicht fand ich jedenfalls für sich genommen so passend, dass die Beendigung des 80jährigen literarischen Dornröschenschlafs fällig war.

Lisa hat gesagt…

Ich kann mich da nur anschliessen. Noch sterbe ich zwar nicht aber wenn ich mir angucke wie mein Verdienst aussieht bin ich nicht sooo weit davon entfernd. Und das es hier im Land ganz gewaltigt stinkt kann ja wohl keiner mehr übersehn....

Dede hat gesagt…

Mir stinkt das auch extrem, Lisa! Das Gute daran ist ja: Wenn es endlich genug Leuten so stinkt, wird sich ja auch etwas ändern (müssen). Das hoffe ich jedenfalls.

Charlie hat gesagt…

Ja ja, die Hoffnung stirbt zuletzt - das ist bei mir ganz genauso.