Mittwoch, 5. November 2014

Staatlich verordnete Verdummung: Ein fortschreitender, neoliberaler Prozess


Die neoliberale Zerstörungsorgie nimmt immer groteskere Formen an. Vor einiger Zeit hat die Bande bekanntlich die Anzahl der Schuljahre, die ein junger Mensch bis zum Abitur absolvieren muss, von neun auf acht Jahre verkürzt - die Folgen waren absehbar und sind logischer Weise auch eingetreten: Immer mehr SchülerInnen leiden unter einem erheblichen Leistungsdruck, der nicht zuletzt auch durch den vermehrt stattfindenden Nachmittagsunterricht und einen damit einhergehenden Verlust von notwendiger Freizeit sowohl psychische, als auch physische Negativauswirkungen zeigt. Den absurden "Boom" des "privaten Nachhilfemarktes", der - zumindest für diejenigen, die sich so etwas (noch) leisten können - parallel dazu zu beoachten war und ist, will ich hier nur am Rande erwähnen.

Jedenfalls gibt es seit geraumer Zeit eine steigende Gegenwehr von Seiten einiger Eltern, Schüler- und LehrerInnen gegen diese absurde Maßnahme, die erklärtermaßen einzig und allein dem Zweck dienen sollte, junge, "gut ausgebildete" Menschen noch früher der profitgierigen Ausbeutungsmaschinerie des "Arbeitsmarktes" zum Fraß vorzuwerfen.

Dieser zunehmenden Kritik hat sich Anfang des Jahres exemplarisch in NRW die dortige "Schulministerin" Sylvia Löhrmann (Olivgrüne) angenommen und ein "Expertengremium" einberufen, das sich mit diesem Thema beschäftigen sollte. Die Ergebnisse dieser Spezialexperten liegen nun vor - und wenig überraschend lauten sie verkürzt: "Die armen Kinder sind wirklich (gelegentlich) ein wenig zu sehr im Stress, weshalb wir nun nicht etwa die Schulzeit wieder um ein Jahr verlängern, sondern ... (*Trommelwirbel*) ... wir kürzen einfach den Lehrplan." (*Traraa!*)

Beim WDR klingt das so:

Eine Rückkehr zu G9 soll es nicht geben. Statt einer "Rolle rückwärts" seien "schnelle Verbesserungen für die Schüler" das Ziel, sagte Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne), die den Runden Tisch im Frühjahr 2014 eingesetzt hatte. / Im einzelnen sollen Hausaufgaben laut Löhrmann stärker in den Unterricht integriert werden. In einem Zehn-Punkte-Plan wurde außerdem festgehalten, dass weniger Unterricht am Nachmittag stattfinden soll. Es gibt ferner einen Prüfauftrag, mit dem Löhrmann auf Wunsch der Schüler untersuchen lassen will, ob weniger Klassenarbeiten möglich sind.

"Weniger Bildung!" ist hier die Losung, und es sollte angesichts der Bologna-Zerstörungen des Hochschulwesens niemanden überraschen, dass diese Katastrophenstrategie nun konsequent nach und nach auch auf die Schulen angewendet wird. Für die Brut der Superreichen (und solche, die sich dafür halten) gibt's ja schließlich längst Privatschulen und "Elite"-Universitäten - die muss sich mit diesem verblödenden Schwachsinn nach amerikanischem Vorbild gar nicht erst herumschlagen. Dass es die neoliberale Einheitspartei ist, die hier die "Rolle rückwärts" - und zwar sehr weit rückwärts - vollzieht, indem sie die Bildungsmöglichkeiten weiter ausdünnt und verkleinert, anstatt sie auszubauen und zu verbessern, kommt weder den stramm auf Propagandakurs ausgerichten WDR-"Journalisten", noch den Spezialexperten in den vernebelten Sinn - dafür aber zumindest einigen KommentatorInnen unter dem verlinkten Text. Immerhin.

Sowohl in vermeintlich kritischen Kommentaren, als auch in fast allen Mainstreampressetexten zum Thema wird aber konsequent die Frage vermieden, weshalb die Verkürzung der Schulzeit denn überhaupt erstrebenswert und sinnvoll sein soll. Die genannte Begründung der neoliberalen Bande ist ja angesichts der furchtbaren Lage auf dem "Arbeitsmarkt", der immensen Arbeitslosigkeit und der vielfach dokumentierten prekären Situation auch von Uni-AbsolventInnen so unglaublich absurd, dass einer solchen Argumentation eigentlich nur noch mit höhnischem Gelächter oder gleich einem Kessel Erbrochenem begegnet werden kann. (Einen sehr informativen Text dazu habe ich erst gestern gelesen - dazu werde ich später wohl auch noch etwas schreiben.)

Das Gefasel von der "Bildungsrepublik" ist nichts weiter als hohle PR - wie alles, was die korrupte Bande von sich gibt. Sie betreibt vielmehr eine staatlich verordnete Verdummung, die junge Menschen flächendeckend davon abhalten soll, zu kritischen, selbst denkenden Individuen zu reifen bzw. die ihnen das Denken wieder austreiben soll, falls es durch das Elternhaus und/oder andere Faktoren bereits kapitalgefährdende Ausmaße angenommen haben sollte.

Eine Anekdote zum Schluss: Vor einigen Wochen sagte ein Bekannter, ein Gymnasiallehrer, zu mir: "Wenn ich nochmal die Wahl hätte - ich würde diesen Beruf nicht mehr auswählen. Es ist katastrophal, was da an der Schule passiert. Es macht nicht nur keinen Spaß mehr, es ist regelrecht gefährlich, nicht nur für die Schüler, sondern für die ganze Gesellschaft." - Später am Abend meinte derselbe Mensch: "Ja, natürlich wähl' ich die Grünen, wen denn sonst? Die sind doch die einzigen, die noch was für die Bildung, für Soziales, für Gerechtigkeit tun! Hier geht doch sonst alles den Bach runter!"

Danach habe ich mich sinnlos besoffen und eine ganze Armee von Gehirnzellen unwiderruflich ermordet.

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Die abgebauten Junglehrer


"Sie müssen Ihre Existenz dem Staatswohl opfern, meine Herren! Analphabeten lassen sich leichter regieren, und die Notverordnungen werden sowieso durch den Rundfunk bekannt gemacht."

(Zeichnung von Wilhelm Schulz [1865–1952], in "Simplicissimus", Heft 29 vom 19.10.1931)

4 Kommentare:

kalypso hat gesagt…

moin charlie,

es fehlt m.E. einfach auch moralische und ethische bildung.
vor allem auch im elternhaus!

wieviele menschen haben abitur oder nennen sich gebildet - sind jedoch oftmals einfach nur soziopathen.

herzlichst
kalypso

jakebaby hat gesagt…

Wenn ich davon ausgehe,den allgemeinen Bestand aus positiver Moral/Ethik von hoeherer Bildung abzuhaengen, bin ich durch diese Geschichte hinweg staendig beiderseitig angeschissen.

Lief das homosapiesche Triebwerk schlichtweg auf positivschmuseknuddeln..etc:-), wuerde ich staendig, und sei es in einem globalen/etc. Holodeck, mit Irgendjemandem, schom immer, ein Fass Bier/etc. aufmachen.

Noe!

Charlie hat gesagt…

@ kalypso & Jake: Das ändert aber ja nichts daran, dass es angesichts einer sowieso schon unzureichenden Bildung so ziemlich das Dämlichste ist, das Niveau - noch dazu unter dem stetig wiederholten Schlachtruf "Mehr Bildung!" - noch weiter abzusenken.

Ich gehe aber wie gesagt davon aus, dass genau diese schleichende Verdummung der Menschen das Ziel dieser absurden Angriffe ist.

Liebe Grüße!

lentrohamstalin hat gesagt…

John Taylor Gatto
Dumbing Us Down: The Hidden Curriculum of Compulsory Schooling (1992). – Deutsch: Verdummt noch mal! Der unsichtbare Lehrplan, oder was Kinder in der Schule wirklich lernen; Bremen 2009

Der Autor behauptet, da sei im 19.Jahrhundert die Schulpflicht in den VSA nach preußischem Vorbild eingeführt worden.

The Prussian Connection to American Schooling (Part 1), by John Taylor Gatto - YouTube
http://www.youtube.com/watch?v=G3nVwrSk1p4