Montag, 9. Februar 2015

Zeitzeugen sprechen über Auschwitz (7): Schnipsel des alltäglichen Horrors


Der folgende Text ist ein kurzer Auszug aus der Zeugenaussage des Rechtsanwalts und Holocaust-Überlebenden Friedrich Skrein, die im Rahmen des sogenannten 1. Frankfurter Auschwitzprozesses am 13.07.1964 dokumentiert wurde. Die komplette Aussage kann - ebenso wie unzählige weitere Zeugenaussagen - auf den Seiten des Fritz-Bauer-Instituts nachgelesen und auch im Original angehört werden.

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Es wurden in der Früh beim Ausmarsch [des Zwangsarbeitskommandos], nachdem wir das Lager verlassen haben, diejenigen bestimmt, die "heute", wie es hieß, "drankommen". Das waren immer drei, vier Personen. [...] Und die Leute sind [dann gequält worden]. Man hat sie geschlagen, man hat einen zum Beispiel an einem Vormittag an die zehnmal [an einem Baum] aufgehängt, wieder abgeschnitten, so lange, bis er "gelaufen" ist. Man hat bei den Quälereien immer gesagt: "Lauf, lauf, lauf!" Das war das sogenannte Auf-der-Flucht-Erschießen. Er ist über die Postenkette, dann hat man ein bisschen Ziel geschossen, und dann traf ein Schuss also tödlich. Und es war ein Samstag, als man vormittags auch mit mir begann. Ich wurde also geschlagen, mit demselben: "Lauf, lauf!" Ich bin nicht gelaufen. Am Sonntag war Gerätereinigen, und beim Einmarsch sagte man mir: "Am Montag bist du es, du Schwein." Ich wusste also: Keine Chance mehr.

[Der Zeuge überlebte dies, weil er sich daraufhin krankmeldete, zwei Tage im "Krankenblock" zubrachte, diesen aus Angst vor einer drohenden Selektion wieder verließ und daraufhin einem anderen Zwangsarbeitskommando zugeteilt wurde.]

[...]

Das war auch im Spätsommer 1944, anlässlich eines Abendappells. Ich war damals noch in der Bekleidungskammer, und zwar auf Block 16. Das war der Block, der vis-à-vis des Appellplatzes also war, wo der Lagerführer und der Rapportführer waren [...]. Der Appell verzögerte sich, weil ein Mann fehlte. Es wurden Suchkommandos ausgeschickt. Und aus dem Block neben meinem Block – das muss also Block 15 gewesen sein – wurde von Blockführern ein Häftling herausgetragen, herausgeschleppt und von Kaduk und von Claussen in Empfang genommen. Kaduk und Claussen begannen, auf den Häftling einzuschlagen, der mehrmals zu Boden ging. Kaduk ließ sich einen Kübel Wasser bringen, schüttete den Häftling immer wieder mit Wasser an, dass er wieder auf die Beine kam. Es wurde immer wieder hingeschlagen, bis der Häftling auf dem Rücken liegenblieb. Und nun stellten sich Kaduk und Claussen rechts und links vom Häftling auf und begannen, ihm mit ihren Stiefelabsätzen die Brust zu zertreten. [Pause] Das werde ich wohl nie vergessen. [...] Sie haben abwechselnd mit dem Stiefelabsatz dem Häftling auf den Brustkorb getreten. Ich habe es krachen gehört, solange, bis er kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hat.

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Stillleben. Drei Totenschädel



(Gemälde von Paul Cézanne [1839-1906] aus der Zeit um 1900. Öl auf Leinwand, Institute of Fine Arts, Detroit)

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