Das verlängerte Osterwochenende ist traditionell die Zeit, in der der gemeine Deutsche christlich-abendländischer Prägung zum ersten Mal nach den frostigen Wintertagen wieder der geliebten Gartenarbeit und dem geselligen Zusammensein im Freien frönt - an diesem ehernen Gesetz können auch kühle Temperaturen und ein nasskaltes Wetter nichts ändern. Das gilt zumindest für die westdeutschen Provinz.
Auf dem Weg von meiner Haustüre zum Supermarkt treffe ich nun also wieder vermehrt auf die diversen Grüppchen meiner lieben Nachbarn, die sich - allem wetterbedingten Unbill zum Trotz - vermehrt in ihren Gärten aufhalten und sich sogar auf der Straße wieder zu kleinen Versammlungen zusammenfinden, um die jüngsten Ereignisse des Weltgeschehens zu diskutieren. Letzteres vermutete ich jedenfalls, als ich noch jung und naiv war. Heute weiß ich es freilich besser.
Gestern näherte ich mich einem ebensolchen Grüppchen von Menschen, von denen ich - glücklicherweise - monatelang nichts mitbekommen habe, weil sie sich im Winterquartier ihrer Behausungen verschanzt hatten, und aufgrund der regen Kommunikation erhoffte ich wider besseren Wissens beim Näherkommen, dass man sich dort empathisch und temperamentvoll beispielsweise über die Folgen der aktuellen Kriege, an denen auch Deutschland beteiligt ist, über die asoziale Ausbeutung der Menschen durch die Superreichen oder den aufblühenden, politisch und medial forcierten Faschismus in dieser Gesellschaft unterhält.
Deutschland wäre indes nicht Deutschland, wenn es nicht auch diesmal meine Hoffnungen vollends enttäuscht hätte. Ich erinnere mich gut, dass ich mich schon vor 30 Jahren regelmäßig völlig erstaunt gefragt habe, worüber sich diese Menschen so angeregt und teilweise äußerst emotional unterhalten - die schnöde Antwort ist bis heute dieselbe geblieben: Beim Vorbeigehen und nach der geheuchelten, freundlichen Begrüßung schnappte ich auch diesmal die wichtigsten Themen auf, zu denen Schlagworte wie die folgenden zählten (die Auswahl ist unvollständig, aber dennoch repräsentativ):
"Nachbar XY hat seine Hauswand doch tatsächlich ockerfarben statt weiß gestrichen - welch ein Skandal!" - "Flüchtlinge ausweisen!" - "Kriminelle Ausländer!" - "Die faulen Arbeitslosen!" - "Mein neues Smartphone ist der Knaller!" - "Grillen wir heute, auch wenn's regnet?" - "Wenn die Asylanten nicht wären, hätten wir auch keine Schlaglöcher in der Straße!"
Und so weiter und so fort. Einmal mehr bestätigt sich hier, dass die meisten Menschen in diesem Land ihr Gehirn offenbar nur deshalb besitzen, damit sie im Badezimmer nicht versehentlich ins Waschbecken kacken - für weitere Aktivitäten wird es partout nicht genutzt.
An Ostern beginnt die Zeit, in der diese GesellInnen aus ihren Winterquartieren kriechen und sich hingebungsvoll der Pflege ihrer naturfernen Gärten, der Politur ihrer lächerlichen Kutschen und generell der Aufhübschung ihrer bürgerlichen Fassaden widmen, selbst wenn diese klar erkennbar im Begriff sind, einmal mehr im Nichts zu zerbröseln. Da kann man nur in den Wunsch des alten Hölderlin einstimmen:
Ich suchte unter diesem Volke nichts mehr, ich war genug gekränkt, von unerbittlichen Beleidigungen, wollte nicht, dass meine Seele vollends unter solchen Menschen sich verblute.
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Sommerzeit
"Jetz' woll'n se in Berlin d'Uhr wieder um a Stund vorruck'n, dass's so ausschaut, als wenn de Diplomat'n früher aufg'stand'n wär'n!"
(Zeichnung von Wilhelm Schulz [1865-1952], in "Simplicissimus", Heft 1 vom 02.04.1918)
2 Kommentare:
Lohnarbeit, Essen/Ernährung, Wohnungseinrichtung, Haus, Garten, Auto, TV-Programm, Facebook, smartphone, Familien-Getratsche, Kinder - Das sind die Themen, die den Deutschen bewegen. Immer. Und überall. Alles andere ist ja soo anstrengend und soo negativ.
Früher dachte ich auch das würde sich mit den Jahren irgendwie ändern. Es kann doch nicht sein, dass man sich Jahre über Jahre über immer die gleichen Nichtigkeiten und Banalitäten unterhält und dabei stets so tut, als wäre es das Wichtigste auf der Welt. Auch ich wurde eines Besseren belehrt.
Dazu fällt mir ein Zitat meines ehemaligen Profs für neuere deutsche Literaturgeschichte ein: "Fatalismus ist kein Ausweg, aber unvermeidlich in dieser Welt der endlosen Wiederholungen."
Ich befürchte, dass ich erst sehr viel später tatsächlich verstanden habe, was er damit gemeint hat.
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