Freitag, 1. Januar 2010

Jean Zieglers heiliger Zorn

"Erniedrigung, Ausgrenzung, Furcht vor dem Morgen sind das Schicksal hunderter Millionen Menschen. Besonders in der südlichen Hemisphäre. Für ihre Völker sind die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Charta der Vereinten Nationen nur hohle Phrasen", erbost sich Ziegler. Wie lassen sich der in Jahrhunderten gewachsene Hass des Südens entschärfen, der Westen zur Wahrnehmung seiner Verantwortung bringen, der globale Dialog aufrechterhalten? "Wie lässt sich eine Weltgesellschaft schaffen, die versöhnt und gerecht ist, die die Identität, die Erinnerungen und das Lebensrecht eines jeden Menschen achtet?" Als einen Beitrag zur Antwort auf diese großen Fragen versteht Jean Ziegler sein neues Buch ["Der Hass auf den Westen"]. Wir müssten "der Tragödie ein Ende setzen", sonst werden Wahnsinnige unseren Planeten mit in den Abgrund reißen, warnt er.

Das klingt pathetisch, fast vermessen im Anspruch. Doch es ist der Weltlage angemessen. Eine tiefe Sorge, dass wir die Chance zur Neuordnung verspielen, durchzieht den Text. Der durch vergangene und gegenwärtige Verbrechen eines selbstgerechten Westens provozierte Hass lähme heute die Arbeit der Vereinten Nationen. Exemplarisch schildert Ziegler das Scheitern der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban. Dort sollte auch das dunkle Erbe des Kolonialismus aufgearbeitet werden. Abdelaziz Bouteflika betonte – als einer der Staatschefs des Südens – dass "ohne Rachsucht" angesprochen werden müsse, "was die einen erlitten und die anderen verübt haben". Auf dieser Basis wäre Wiedergutmachung anzustreben, wären "die Funktions- und Gleichgewichtsstörungen eines Systems" zu beseitigen, "das unbarmherzig auch weiterhin den Mächtigsten zu noch mehr Reichtum verhilft und die Schwächsten in alle Ewigkeit zum Elend verurteilt". Darauf wurde in den Delegationen der Franzosen, Belgier, Briten, wie Ziegler berichtet, mit Hohn und Spott reagiert. Bouteflika habe mit diesem Paukenschlag nur versucht, die Aufmerksamkeit der algerischen Bevölkerung von der Not in seinem Land abzulenken und sie auf die verteufelten Feinde zu richten. Gedächtnisarbeit? Reue? Alles nur eine politische Erpressung, um dem Westen finanzielle und wirtschaftliche Zugeständnisse abzuringen! "Das roch verdächtig nach kolonialer Verachtung." Statt eines Dialoges, wie ihn Kofi Annan erhofft hatte, hagelte es Beleidigungen und Vorwürfe. "Türen knallend verließen Delegierte den Saal, kamen zurück, brüllten, gingen wieder." Später wurde an einer Folgekonferenz in Genf keines der Konfliktthemen auch nur erwähnt; die Schlussresolution blieb "ein Monument sinnentleerter, realitätsblinder Diplomatie".

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