Am Sonntag fällt ein kleines Wort im Dom,
Am Montag rollt es wachsend durch die Gasse,
Am Dienstag spricht man schon vom Rassenhasse,
Am Mittwoch rauscht und raschelt es: Pogrom!
Am Donnerstag weiß man es ganz bestimmt:
Die Juden sind an Russlands Elend schuldig!
Wir waren nur bis dato zu geduldig.
(Worauf man einige Schlucke Wodka nimmt ...)
Der Freitag bringt die rituelle Leiche,
Man stößt den Juden Flüche in die Rippen
Mit festen Messern, dass sie rückwärts kippen.
Die Frauen wirft man in diverse Teiche.
Am Samstag liest man in der "guten" Presse:
Die kleine Rauferei sei schon behoben,
Man müsse Gott und die Regierung loben ...
(Denn andernfalls kriegt man eins in die Fresse.)
(Klabund alias Alfred Henschke [1890-1928]: Die Harfenjule. Neue Zeit-, Streit- und Leidgedichte, Berlin 1927)
Anmerkung: Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen sind selbstverständlich rein zufällig - gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Loben Sie Merkel und die übrigen Europa-Retter! Verdammen Sie Assad oder wahlweise einen anderen Despoten oder eine Minderheit Ihrer Wahl, aber stellen Sie niemals die Kompetenz oder das Wohlwollen unserer lieben Regierung in Frage! (Andernfalls gibt's was in die Fresse. Ist ja klar. Denn sie haben einzig das Wohlergehen der Menschen im Sinn.)
1 Kommentar:
Sehr passend! Die Worte "Juden" und "Russland" sind da beliebig austauschbar.... heute würde man vielleicht schreiben: "Die Moslems sind an Deutschlands Elend schuldig" oder wahlweise "Die Roma sind an Ungarns Elend schuldig" oder oder oder. Ob der Dichter geahnt hat was sechs Jahre nach der Veröffentlichung seines Gedichtes mit den Juden geschehen würde?
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