Montag, 17. Juni 2013

Zitat des Tages: Die Idiotie des Stadtlebens [im kapitalistischen Untergangszeitalter]


Während die Reichen, Schönen und sonstwie Doofen ihre Metropolen für sich haben und sie in aller Seelenruhe (sofern "Seele" da nicht das falsche Wort ist) zu eben dem "Hochpreis-Slum" machen können, das der New Yorker SZ-Korrespondent am Hudson bereits ausgemacht hat, gehen wir nach wasweißich Lüneburg, ziehen die Kinder groß und machen es uns gemütlich. Sollen sie doch unter sich bleiben und sich in ihren scheiß Kreativ-Eliteschulen die Ellbogen ins Gesicht drücken, im Café für den Cappuccino sechs Euro bezahlen und für einen Trendkinderwagen 1000, das geht dann voll in Ordnung und uns nichts mehr an.

(Stefan Gärtner in seiner Kolumne "Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück" im Titanic-Magazin Online vom 09.06.2013)

Anmerkung: Der gesamte Text ist wieder einmal ein Highlight, das mir in der letzten Woche den tristen Sonntag erheblich versüßt hat. Wenn es den Gärtner nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Seine Texte gehören allerdings nicht nur in die Titanic, sondern sollten an prominenter Stelle in der Süddeutschen, in der FAZ oder in der Zeit stehen. Dort könnte er zumindest das schaurige Publikum erreichen, das sich diese Texte - um es pädagogisch auszudrücken: "erkenntnisgewinnend" - wiederholt zu Gemüte führen sollte.

Es ist schon bezeichnend für den erbärmlichen "Zustand dieser Zeit" (Kästner), wenn es ausgerechnet und fast ausschließlich Satiriker wie eben Gärtner, Schramm und andere sind, die den Nagel auf den Kopf treffen und ihn somit tief ins blutige, vermodernde Holz jagen. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen beispielsweise ein völlig humorlos agierender Klaus Bednarz - also ein Journalist - diese Rolle innig und vollblütig wahrgenommen hat. Das ist heute gänzlich undenkbar.

Nehmen wir Gärtner beim Wort: Auf in die Provinz, auf in ein neues Leben ohne Konkurrenz, Wettbewerb, Konsumismus, Konzerne, Kapitalismus und Ich-will-das-Beste-für-mein-Kind-auch-wenn-andere-Kinder-darunter-elendig-leiden-mir-doch-egal - es muss ja nicht unbedingt Lüneburg oder Hessen sein. ;-) - Ja, ich weiß, ich bin ein hoffnungsloser Utopist oder wahlweise ein übles Schandmaul. Was aber bleibt sonst übrig?


(Klaus Bednarz: Seriös, humorlos, Demokrat mit dezenter modischer Sehhilfe)

2 Kommentare:

dani hat gesagt…

@ charlie

ich habe mich mal, so vor ungefähr 10 jahren, für die ganzen kommunen und ökodörfer interessiert. nach einem 2 1/2 wöchigen aufenthalt im ökodorf (name nenne ich jetzt nicht - und das ist wirklich am arsch der welt) wollte ich nur noch eines: NACH HAUSE!!!! und zwar ALLEINE mit meinem kind.

es menschelt überall, und gerade in kommunen kommt der wahnsinn der menschheit extrem hoch.
für alle, die nicht alleine sein können oder wollen oder wasweißich - bitte gerne - ich bin doch lieber der eremiten-typ. und habe meine ruhe!

und: wolln wir nochmal drüber reden?!! ne, du, halt einfach mal die fresse und bleib mit DEINEN befindlichkeiten bei dir und geh mir einfach nicht auf den sack!

und was auch schlicht und einfach nervenaufreibend ist: konsens-entscheidungen.
es wurde ein HALBES jahr diskutiert, ob das bild in der meditationshalle rechts oder links an der wand hängt. brrrrr.....
ja, ja, da darf jeder seine meinung sagen - auch wenn er für manche dinge einfach null eine ahnung hat. keine herrschenden strukturen und so was.........

invasion in der schweinebucht - oh, da müssen wir mal drüber reden........

es gibt es nicht das: piep, piep, piep, wir hamm uns alle lieb.
das ist utopie!!

oooohh... wie ich es liebe, alleine zu leben!! hehehehe......

lieben gruß
dani

Charlie hat gesagt…

@ dani: Ich weiß - die Auswahl macht den Unterschied. ;-) Ansonsten kann ich mich nur wiederholen: "Ja, ich weiß, ich bin ein hoffnungsloser Utopist oder wahlweise ein übles Schandmaul. Was aber bleibt sonst übrig?"

Ich genieße mein zeitweiliges Eremiten-Dasein ja auch sehr, allerdings sollte das auch in Lüneburg, Hessen oder in den unendlichen Weiten des Teutoburger Waldes möglich sein. ;-) Und wenn es in der Nähe eine "Meditationshalle" gibt, hilft sowieso nur noch eines: Die Beine in die Hand nehmen und rennen, bis man Blut kotzt! ;-)

Aber mal im Ernst: Gärtner meint ja keine solche "Kommune", wie Du sie beschreibst, und auch mir ist das so ebenso fern wie diese ekelhaften Beton-Glaspaläste, wie Du weißt. Ich lebe jetzt in etwa in der Umgebung, die Gärtner skizziert: Die Mieten sind moderat, Bioläden gibt's nur vereinzelt, Privatschulen sind rar; weit verbreitet sind dafür Flohmärkte, auf denen man einen hübschen Kinderwagen für 15 Euro statt 1000 erwerben kann, wenn's notwendig ist.

Liebe Grüße!