Kürzlich las ich im Lawblog die folgende knappe Meldung:
Ein Stundenlohn von 1,53 bzw. 1,64 Euro ist doch sittenwidrig. Mit dieser Entscheidung kippt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein früheres Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus. Dort hatte ein Rechtsanwalt noch Erfolg, der seinen Bürohilfen lediglich die mageren Stundensätze zahlte. / Wegen des geringen Lohnes hatte das Jobcenter das Gehalt der Arbeitskräfte aufgestockt und verlangte nun Geld von dem Arbeitgeber, einem Rechtsanwalt. Das Arbeitsgericht Cottbus hielt den Lohn noch für vertretbar, das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg nicht mehr. Deshalb muss der Rechtsanwalt nun dem Jobcenter Ersatz leisten – und künftig angemessene Löhne zahlen.
Ganz ehrlich: Ich wusste beim Lesen nicht, ob ich hysterisch lachen, irre schreien oder doch eher zu einem kräftigen Seil greifen sollte, um mich endlich aufzuhängen. Eigentlich ist das eine Meldung, wie sie üblicher Weise beim Postillon oder in der Titanic zu finden ist - das Lawblog allerdings ist über derlei satirische Ansprüche leider erhaben, so dass ich davon ausgehen muss, es hier mit einer ernsthaften Nachricht zu tun zu haben.
Die ist allerdings so grotesk, dass ich befürchte, mich lächerlich zu machen, wenn ich sie tatsächlich ernst nehme. Aber sei's drum. Wenn in einem Land, das laut dem stetig wiederholten Propagandageschrei auf allen Kanälen zu den reichsten Ländern dieses Planeten zählt und das zudem unablässig immer reicher wird, ein Arbeitsgericht entscheidet, dass Stundenlöhne in Höhe von 1,53 bzw. 1,64 Euro nicht sittenwidrig seien und es erst der nächsten Instanz bedarf, um diese Entscheidung zu revidieren, dann hat der Irrsinn in seiner vollen Pracht längst gewonnen. Diesen Richter, der das seinerzeit entschieden hat, nähme ich mir herzlich gerne einmal zur Brust und könnte ihm auf diese Weise so einiges beibringen, das unter dem Schlagwort "sittenwidrig" einzuordnen wäre.
Allerdings ist mit der Revision dieses Urteils ja ebenfalls nichts gewonnen, denn ich gehe nicht davon aus, dass das genannte Landesarbeitsgericht hier belastbare Grenzen für die Sittenwidrigkeit von Löhnen formuliert hat. Die Spanne zwischen 1,53 Euro und dem ebenso lächerlichen schwarz-roten Möchtegern-Mindestlohn von 8,50 Euro ist verdammt groß - da verbleibt genügend Spielraum für kreative, habgierige Menschenschinder und Sklavenausbeuter, um den Begriff des "angemessenen Lohnes" auch weiterhin ad absurdum zu führen.
Derweil häuft die winzig kleine "Elite" weiterhin, Tag für Tag, Millionen und Abermillionen in ihren Geldspeichern an. Was gäbe ich für eine tatsächlich gerechte Justiz, die endlich diese absurde Hortung und Konzentration von irrsinnigem Reichtum als sittenwidrig verurteilte! Darauf kann ich in diesem System allerdings warten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag - und noch weit darüber hinaus.
Ich harre nun bloß noch des Tages, an dem irgendein Gericht in diesem verkommenen, fauligen Land die geplante Zwangsarbeit der "Null-Euro-Jobs" für sittenkompatibel und grundgesetzkonform erklärt. Lange kann's wohl nicht mehr dauern.
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Die Zukunft Europas
"Wenn niemand mehr etwas anzuziehen hat, ist das dann das Paradies?"
(Zeichnung von Thomas Theodor Heine [1867-1948], in "Simplicissimus", Heft 21 vom 18.08.1920)
2 Kommentare:
Oft ist die Sache nicht so, wie sie scheint. Hier fehlen wesentliche Informationen dazu, warum es diese Beschäftigungsverhältnisse in dem konkreten Fall überhaupt gibt. Mehr möcht ich im Internet nicht aus der Tüte lassen ...
@ thom: Bedeutungsschwangere Andeutungen ohne jeden Informationsgehalt helfen hier erst recht nicht weiter.
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