Es ist eine der Lieblingsphrasen der neoliberalen Räuberbande und wird in kurzen Abständen von der versammelten Riege der Politmarionetten und Propagandahuren der Medien in die zerbröckelnde Welt posaunt: Das hochnotpeinliche Märchen vom "Wohlstand durch Bildung". Bildung, so werden sie nicht müde dem staunenden Publikum zu erklären, sei der "Schlüssel" und das einzig wirksame Instrument gegen die unaufhaltsam grassierende Armut. Wie absurd dieses Märchen ist, dürfte ein Großteil der Mitlesenden aus eigener Erfahrung oder anhand einiger Beispiele aus dem eigenen Umfeld bereits erkannt haben, aber die Bande trommelt dennoch munter weiter und vollzieht den mystischen Voodoo-Tanz um die "heilige Bildung" in immer groteskeren Ausformungen, während sie tatsächlich eifrig daran arbeitet, die Bildungsmöglichkeiten in diesem Land nachhaltig zu zerstören.
Zu diesem Thema habe ich kürzlich beim Freitag einen äußerst anschaulichen Text gelesen, den ich heute ausdrücklich empfehlen will, auch wenn er etwas länger ist und etwas mehr Zeit als üblich zum Lesen beansprucht:
"Drum prüfe, wer sich ewig bildet" / Bildungsaufstieg - Arbeits- und Obdachlosigkeit trotz Hochschulabschluss: Für Akademiker wie mich entlarvt sich der propagierte "Fahrstuhleffekt der Bildung" als leere Worthülse.
Die Lektüre lohnt sich sehr. Der junge Autor nimmt das kapitalistische Bildungsmärchen anhand eigener Erfahrungen unter die Lupe und demontiert es in Bezug auf junge Menschen in diesem furchtbaren System nachhaltig. Ich beneide wahrlich niemanden, der in der heutigen Zeit die Universität erfolgreich verlässt und danach gezwungen ist, sich ins kapitalistische Haifischbecken der profitmaximierenden Arbeitskraftverwertung zu werfen.
Allerdings betrifft dieses Problem nicht nur junge Menschen - es gehören zunehmend auch ältere und alte Personen mit guter oder auch sehr guter Bildung zu den "Aussortierten" und "Prekären", völlig unabhängig davon, wie lange sie zuvor als brave Arbeitssklaven den Profit der "Elite" erwirtschaftet haben. Im Rahmen meiner Mitarbeit in einem Bürgerverein, der Hartz-Terror-Opfer unterstützt, sind mir unzählige solcher Menschen begegnet, die aus einem "sicheren" bürgerlichen Leben urplötzlich in die existenzielle Not der staatlich verordneten Zwangsverarmung, Zwangsarbeit und behördlichen Willkür gerutscht sind und daran regelmäßig zerbrechen.
Anders als junge Menschen hat beispielsweise ein Fünfzigjähriger, der zuvor als Ingenieur, angestellter Lehrer oder Verwaltungsangestellter in diesem System tätig war, keinerlei Chance mehr, einen neuen, gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden - die Perspektiven dieser Menschen beschränken sich regelmäßig darauf, sich in der staatlich verordneten Armut und dem damit einhergehenden behördlichen Terror der "Jobcenter" dauerhaft einrichten zu müssen. Was im Text, bezogen auf junge Menschen, beschrieben wird, gilt erst recht für Ältere: Es kommt in der Regel schlicht nicht vor, dass einem Fünfzigjährigen vom "Jobcenter" ein seiner Ausbildung und Erfahrung angemessener Arbeitsplatz "vermittelt" wird - die "Arbeit" der "Jobcenter" beschränkt sich (gewollt) auf Schikane, Drangsalierung, Überwachung und das statistische Verstecken der Betroffenen, indem sie fortlaufend zu lächerlichen "Maßnahmen" und "Fortbildungen" gezwungen werden. Erst vor ein paar Monaten habe ich einen ehemals in einem großen Betrieb als Systemadministrator tätigen Menschen kennen gelernt, der vom "Jobcenter" dazu genötigt werden sollte, an einem "Grundkurs Office-Anwendungen" (Dauer: drei Monate) teilzunehmen. Es war, wie immer in solchen Fällen, eine Anrufung des Sozialgerichtes notwendig, um diesen Irrsinn zu stoppen. Ein anderes Beispiel ist der ehemalige Leiter der Werbeabteilung einer großen Firma, der nach dem Konkurs des Betriebes schließlich ebenfalls beim "Jobcenter" landete, sich auf dessen Geheiß bei einer kleinen Werbeagentur als (unbezahlter) Praktikant bewerben sollte, dies wortgewaltig verweigerte und daraufhin totalsanktioniert wurde. Auch diesen Irrsinn musste ein Sozialgericht beenden. Das sind keine Einzel-, sondern Regelfälle.
Eine gute Bildung ist in diesem kranken System weder für junge, noch für ältere Menschen ein Garant für Wohlstand oder materielle Sicherheit - und die Zahl derer, die aufgrund ihrer Bildung auch heute noch einen halbwegs guten Platz im perversen Ausbeutersystem ergattern können, nimmt genauso ab wie die Qualität der Bildungsmöglichkeiten. Die Zahl der grotesken Fälle wächst dafür stetig - und all das ist kein Zufall und auch kein "Versehen", sondern eines der nicht öffentlich erklärten Ziele des neoliberalen Hartz-Terrors.
Im Kapitalismus war, ist und bleibt einzig die Ausprägung der rücksichtslosen, eigenwohlorientierten, kriminellen Energie das Maß der Dinge, das vielleicht zum perversen Wohlstand auf Kosten aller anderen führt. Bildung hat damit nichts zu tun.
---
Folgen der Teuerung
"Ich kann mir keine Zeitung mehr leisten. Ich lese jeden Tag ein Kapitel aus dem Buche Hiob ... da habe ich dasselbe."
(Zeichnung von Wilhelm Schulz [1865–1952], in "Simplicissimus", Heft 5 vom 27.04.1921)
9 Kommentare:
Danke für den Link, ich habe mir den guten Artikel durchgelesen und auch eine ganze Reihe der Kommentare, die, wie üblich, einiges über ihre Verfasser aussagen.
Wenigstens einer ging auf die Ringburg-Problematik ein - Mittelmäßige machen Karriere, sehr gute Unterschichtler eben nicht.
http://georgtsapereaude.blogspot.com.es/2012/10/die-ringburg.html
Wurde nicht im wunderbaren Westen kritisiert, dass im China der Kulturrevolutionszeit die Akademiker auf die Felder geschickt wurden? Jetzt sollen sie zu Amazon, um dort denen ohne Berufsbildung die Jobs wegzunehmen.
Dankeschön für diesen Artikel! Es tut unglaublich gut zu spüren, dass nicht alle Mitbürger auf die Lügen unseres Systems und seiner Medien reinfallen.
Jedes mal, wenn ich diesen verf...ten RTL Spendenmarathon und seine "wir bauen Schulen"-Schei..e sehe, kommts mir hoch. (Sorry für die Fäkalsprache, die muss hier sein)
Und das mit den gut ausgebildeten Hartz4lern kann ich auch bestätigen. Bin selbst eine. War SysAdmin und IT-Dozent. Musste 3 x Bewerbertraining (Word) machen, bei der Caritas lernen, wie man Briefe kopiert und mir bei Mercedes Benz anhören, dass ich meinen Kaffee aufm Klo kochen soll, weil ich ja nur ne 1€-Kraft bin. Zum Glück hat das Ganze mein Herz so gestresst, dass ich jetzt in Frührente bin! Dann lassen sie einen in Ruhe. Kann man nur jedem empfehlen...
@ Ex-Vermieter: Ich habe beim Schreiben überlegt, ob ich auf die Kommentare zum Text beim Freitag eingehen soll - aber wie Du völlig richtig bemerkst, sagen viele davon tatsächlich weitaus mehr über die Geisteshaltung der jeweiligen Urheber, dafür aber umso weniger zum Thema aus. Deshalb habe ich das ausgeklammert.
Vielen Dank auch für Deinen Hinweis auf das "Ringburg"-Modell, das ich vor längerer Zeit hier auch schon einmal vorgestellt habe - den Link finde ich auf die Schnelle nicht. Ich habe die Studie von der Uni Münster seinerzeit mit großem Interesse und Bedrücken gelesen - und mich (damals) noch arg gewundert, weshalb sie so gar keine Resonanz in den Medien und der Politik erfahren hat ... heute bin ich da (leider) weiter.
Liebe Grüße!
@ Anonym: Die Frührente ist ja leider auch nur eine Form der Flucht vor dem behördlichen Terror, die zudem in vielen (den meisten?) Fallen gleichfalls dauerhafte Armut bedeutet. Eine wirkliche Lösung kann und darf das also nicht sein, solange die Rente in jeder Form den Betroffenen nicht endlich auch ein menschenwürdiges Leben jenseits der Armut ermöglicht.
Ich verstehe es allerdings nur allzu gut, dass dieser Weg vielen Betroffenen als "kleineres Übel" erscheint. So weit sind wir schon in diesem heruntergekommenen Land des wütenden Kapitalismus - Menschen wählen die dauerhafte Armut, um bloß den menschenfeindlichen Nachstellungen, Schikanen und Zwangsmaßnahmen der "Jobcenter" zu entgehen.
Ich weiß aus meiner Arbeit aber auch, dass es oftmals ein erklärtes Ziel der "Jobcenter"-Schergen ist, Menschen schon ab einem Alter von 45 in die Frührente zu drängen: Auch auf diese Weise lässt sich wunderbar die Arbeitslosenstatistik manipulieren - und das auch noch äußerst billig.
Die Frührente ist angesichts des heutigen lächerlichen Rentenstandards nach meiner Meinung ein äußerst zweischneidiges Schwert. Wenn man einmal drin ist, kommt man da kaum wieder heraus.
Liebe Grüße!
@Charlie
Ja genau! Die Frührente ist das kleinere Übel. Aber wenn ich doch sowieso keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt habe und die Rente aufstocken kann, kommt es am Ende aufs Gleiche, nur ohne Sanktionen, raus. Ich hab 5 Jahre gekämpft mit den Jobcentern. Irgendwann hat man einfach keine Kraft mehr.
Ich hab aus der Not eine Tugend gemacht. Bin Voll-Aussteiger geworden. Lebe aufm Land, koche selbst und gesund (hab ja Zeit), kann endlich alle Bücher dieser Welt lesen und versuche aus Überzeugung jeglichen Konsum weitestgehend einzuschränken. Geld ist nicht alles und wir haben eh von Allem zu viel. Ja, man muss umdenken. Aber dann funktionierts gut. Bin ENDLICH zufrieden!
PS:
was nicht heißen soll, dass ich unser System gutheiße!!! Es ist menschenverachtend, grundgesetzbrechend, faschistisch und unsolidarisch.
Aber soll ich gegen Windmühlen kämpfen...?
@ Anonym:
Der Kampf gegen Windmühlen lohnt nicht, am allerwenigsten für Einzelkämpfer. Stattdessen hat sich auch für mich die rigorose Abkehr von Idealen der Konsum-Geilheits-Gesellschaft als Treffer herausgestellt, wenn man das Ziel hat, zufrieden zu sein.
@ Anonym: Erst einmal freut es mich sehr, dass Du Deinen individuellen Weg zur Zufriedenheit im Rahmen dieses furchtbaren Systems gefunden hast - das können heutzutage wohl nur sehr wenige Menschen behaupten, insbesondere solche, die der staatlichen Zwangsverarmung ausgesetzt sind.
Ebenso teile ich Deine Konsumkritik in vollem Umfang - auch wenn ich selbst es nicht schaffe, auf Dinge wie meinen PC, das Internet, Bücher, Musik, Spiele, Filme, Malerei etc. zu verzichten. Vieles davon ist leider noch immer nur gegen Geld zu haben, so dass ich statt dessen auf Überflüssiges wie beispielsweise Handy, Smartphone, Reisen, Gefrierschrank oder sonstigen (nicht nur technischen) Schnickschnack verzichte. Mit diesem Mittelweg komme ich inzwischen halbwegs klar.
Das ändert aber nichts daran, dass ich nach wie vor der Meinung bin, dass in einem System, das unablässig absurden, stetig wachsenden Superreichtum in den Händen einer winzigen Minderheit produziert, jeder Mensch ein von materiellen Sorgen freies Leben führen können muss. Damit meine ich gerade nicht den Konsum sinnfreier Dinge - ich persönlich würde beispielsweise so gerne mal wieder das Burgund oder St. Petersburg besuchen, regelmäßig ins Theater gehen und Konzerte besuchen oder mir endlich ein voll funktionsfähiges Klavier anschaffen (sofern ich den Platz dazu hätte) ... das alles ist freilich auch Konsum, allerdings ein, wie ich finde, durchaus nicht verwerflicher.
Aber auch hier gilt: Was für den einen überflüssiger Tand ist, ist für einen anderen vielleicht ein glühender Herzenswunsch - und umgekehrt.
Solange dieses System existiert, darf die Zwangsverarmung so vieler Menschen nicht hingenommen werden - ebenso wie die bittere Armut des Großteils der Menschheit, die außerhalb der Enklave des kapitalistischen Westens lebt, nicht hingenommen werden darf.
Diese Anmerkung ist - ich hoffe, das ist auch so angekommen - nicht als Kritik an Deinem Weg gemeint, sondern als Ergänzung.
Solange es Superreichtum gibt, ist Armut ein perverses Verbrechen an der Menschlichkeit.
Liebe Grüße!
@Charlie
Hab Deine Antwort auch überhaupt nicht als Kritik aufgefasst!!! :-)
Und ich unterschreibe dir JEDEN deiner Sätze.
So'n bisschen kämpferisch bin ich immernoch. Im kleinen Rahmen halt.
Deshalb hier vielleicht ein Tipp zum "zivilen Ungehorsam", den ich sehr cool finde und auch mitmache:
Gute "subversive" Artikel als Flyer ausdrucken, z.B. zum Thema Hartz4, GDL-Streik, oder Ukraine/Syrien etc und dann ganz zufällig in der Bahn, beim Amt oder beim Arzt im Wartezimmer "vergessen". So ne kleine Gegeninfo zu Spiegelbild- und Konsorten-Hetze.
Kommentar veröffentlichen