Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutete dort die Glocken.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrte Gespenster ab,
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich
Auferstanden aus Staub für ihn.
Nichts von alledem ist wahr.
Erst vor kurzem sah ich ihn
Im Garten seines Hauses vor der Stadt.
Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
Das wächst nicht so schnell, dass sich einer verbergen könnte
Im Wald des Vergessens. Gut zu sehen war
Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
Die neben ihm stand im Blumenkleid
Das kleine Mädchen an ihrer Hand
Der Knabe der auf seinem Rücken saß
Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.
Sehr gut erkennbar war er selbst
Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht
Verzerrt vor Lachen, weil der Photograph
Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.
(Marie Luise Kaschnitz [1901-1974], in: "Gesammelte Werke, Bd. 5: Gedichte", Suhrkamp 1985; geschrieben und erstveröffentlicht 1951)
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Anmerkung: Heute vor 70 Jahren - am 6. August 1945 - wurde auf Geheiß des damaligen Präsidenten der USA, Harry Truman, die erste Atombombe, die kriegerischen Zwecken diente, über der japanischen Stadt Hiroshima gezündet. Drei Tage später folgte die zweite, noch verheerendere Bombe, welche die Stadt Nagasaki in Schutt und Asche legte. Dieses beispiellose Kriegsverbrechen kostete mehreren hunderttausend Menschen - größtenteils natürlich Zivilisten - das Leben. Neben den unmittelbar Getöteten starben ebenso viele an den Folgen der Verbrennungen und radioaktiven Verstrahlung. Bei n-tv gibt es eine Fotoreihe, die einen kleinen, aber keineswegs umfassenden Einblick in das Ausmaß der Zerstörungen bietet.
Paul Tibbets war der Name des Piloten, der im Cockpit des Flugzeuges saß, das die erste Bombe nach Hiroshima transportierte. Er hat seine Tat - zumindest öffentlich - bis zu seinem Tode 2007 nie bereut. Dasselbe gilt freilich für die Verantwortlichen der damaligen US-Regierung.
Heute sind unsere amerikanischen Freunde längst wieder bereit. Kürzlich las ich einen Bericht über das "Center for Strategic and International Studies" (CSIS), in dem es unter anderem heißt:
Der CSIS-Bericht argumentiert, hochentwickelte taktische Atomwaffen würden es Washington ermöglichen, kleinere Atomkriege anzudrohen und zu führen, ohne sich von der Gefahr eines nuklearen Holocausts abschrecken zu lassen.
Und diese Kriminellen meinen das ernst.
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