Freitag, 16. Oktober 2015

Herbstwind


Ein literarischer Einwurf

Endlich saß er. Er hatte lange gebraucht, um den langen Weg von seiner Wohnung in einem Außenbezirk der Stadt, in den es ihn aufgrund der kargen Rente verschlagen hatte, bis zu diesem Tempel des körperlichen Wohlbefindens zurückzulegen, und er war stolz darauf, diesen Marathon ohne fremde Hilfe bewältigt zu haben.

Während er es sich auf der Liege in der Wellness-Oase bequem machte, dachte er über seinen bevorstehenden 78. Geburtstag nach und überflog im Geiste noch einmal die Liste seiner Lieben, die er für diesen Tag in seine unansehnliche Zwei-Raum-Wohnung eingeladen hatte. Viele waren nicht mehr übrig - der Tod hatte seine Auswahl längst getroffen und machte keine Anstalten, damit wieder aufzuhören. Vier waren es noch, die ihm geblieben waren - und zum Glück waren seine beiden besten Freunde darunter, die zwar beide ihre Ehepartner jüngst verloren hatten und ihm in Gesprächen danach sehr verwirrt und deprimiert vorgekommen waren, aber dennoch zugesagt hatten.

Er kannte das nur zu gut. Als seine Frau gestorben war, damals vor zehn Jahren, war auch er in ein dunkles Loch gefallen, aus dem er nur mit allergrößter Mühe und der Hilfe von Freunden wieder herausgefunden hatte. Bei diesem Gedanken huschte ihm ein dunkles Lächeln über das Gesicht, denn unwillkürlich erinnerte er sich an die lange zurückliegende Zeit, als er Julia kennengelernt hatte. Er war damals ein regelrechter Frauenheld gewesen und hatte wild und ausschweifend gelebt - erst Julia hatte es vermocht, diesem zwar aufregenden, aber oberflächlichen Leben ein Ende zu setzen und etwas ganz Neues zu beginnen. Die tiefe Liebe, die ihn mit dieser Frau verbunden hatte, prägte ihn bis heute - auch noch zehn Jahre nach ihrem Tod.

Inzwischen hatte er aber zurückgefunden ins Leben und genoss seinen Ruhestand, soweit es ihm die zunehmenden körperlichen und materiellen Einschränkungen erlaubten. Er war abgestürzt, gewiss - vom einstigen Wohlstand, dem eigenen Häuschen und dem einst großen Freundeskreis war nicht viel geblieben - aber er hatte sich in seiner stetig kleiner werdenden Welt arrangiert. An seinem Geburtstag wollte er seine Freunde - wie er es früher so oft getan hatte - mit kulinarischen, selbst zubereiteten Köstlichkeiten überraschen. Schon seit vielen Monaten sparte er fleißig für dieses Ziel.

So kreisten seine Gedanken, während er sich wohlig auf der Liege in der Oase räkelte, und noch machte er sich keine Gedanken um den beschwerlichen Rückweg zu seiner Wohnung, der in einigen Stunden vor ihm lag. Stattdessen fischte er in der Tasche neben der Liege mühsam nach dem Laptop, das ihm seine Tochter, die so weit entfernt wohnte, vor einem Jahr geschenkt hatte und mit dem er inzwischen richtig gut zurecht kam - und las entsetzt den Text "Geisterbahn olé" von einem Autor namens Kiezneurotiker.

Erschrocken und beschämt sah er sich um - und erhob sich mühsam, aber möglichst schnell, um seinen vom Alter gezeichneten Körper den ästhetischen Adlerblicken seiner streng starrenden, jüngeren Mitmenschen zu entziehen. Als er Stunden später endlich zuhause angekommen war, zitterte er am ganzen Körper und schob es auf den kalten, wie mit Messern schneidenden Herbstwind, dass seine Augen beim Einschlafen unablässig tränten.

7 Kommentare:

Irgendwas mit Provinz hat gesagt…

Ja da hat er ein wenig überdreht.
Aber er hat die Größe, deinen Beitrag zu verlinken.

jakebaby hat gesagt…

https://www.youtube.com/watch?v=18TWdhxoGSc

altautonomer hat gesagt…

Sachen gibts!
Beim Kiezy hatte ich geschrieben: "Nackt- und Eintrittsverbot für alle, die morphologisch nicht in die Kategeoie zwischen Arnold Schwarzenegger und Jan Frodeno (Iron-Man Hawai 2015) passen? Dieser Text ist keineswegs lustig sondern einfach nur zynisch. So gerne, wie es mir leid tut."

Die Bloggerin Annika hatte die gleichen Bedenklen: "Ein Brötchen zwischen den Beinen einer Frau ist keine persönliche Errungenschaft und ein aus der Form geratener Sack kein schuldhaft erworbenes Ästhetik-Defizit. Tempi passati.
Sich über schrumpelige Geschlechtsmerkmale auszukotzen... du weißt es doch besser."

Das meinte sie aber wohl nicht ernst. Denn unter einem Kommentar von mir auf Ihrer Plattform

"altautonomer15. Oktober 2015 um 23:53
Ich wollte damit sagen, dass das Ergebnis eines Belastungs-EKG nur eine begrenzte Aussagekraft hat. Wenn mir ein Doc pauschal sagt, es ei alles in Ordnung (z. B. beim Blutbild), werde ich prinzipiell misstrauisch und erwarte Details und deren Interpretation.

Vermutlich weißt Du nicht einmal, wie viel Watt Du max. getreten hast. Beim letzten Herzcheck kam ich (Jahrgang 47) auf 361 Watt (prahl........).

Die Karotis wird übrigens nicht abgehört, sondern es wird sonografisch die Intima gemessen, die einen Hinweis auf den allgemeinen Gefäßzustand gibt. (War wahrscheinlich jetzt auch wieder nicht nötig.)"

bekam ich folgende Antwort:

"JULiANE16. Oktober 2015 um 01:42
Na, wenn das nicht unser Bloggersdorfer Obertroll ist!
Schwing deinen alten, faltigen Arsch hier raus! Keiner will Dich mehr in seiner Kommentarleiste haben, schnallst du das nicht?!
Wie blöd kann man bitteschön sein, einer ausgewiesenen Schisserin (sorry, Annika!) zu verklickern, dass grundsätzlich alles, was Arzt und Maschine als Ergebnis liefern anzuzweifeln ist?!"

http://annikahansen7.blogspot.de/2015/10/die-glucklichste-frau-der-welt.html

Drehen momentan wohl alle etwas am Rad! Herbstdepression!

MT hat gesagt…

@altautonomer
Wow, das ist ja mal heftig. Nicht schön, sowas. Ich meine natürlich den fiesen Kommentar an Dich von dieser Juliane. Ich finde, wenn man als Kommentator so angegriffen wird, dann sollte der Blogger/die Bloggerin auch einschreiten und sowas nicht dulden, aber das ist meine Meinung. Es ist als Leser/Kommentator manchmal vielleicht etwas schwer, den richtigen Ton zu finden. Und viele Dinge werden auch mißinterpretiert. Das ist leider bei allen Texten so, da man oft den versteckten Sarkasmus oder Ironie nicht versteht oder einfach sich vielleicht falsch ausdrückt und dem anderen auf den Schlips tritt. Man kennt sich ja nicht und weiß dann auch nicht, wie der Andere das gemeint hat. Das soll aber keine Kritik an Dich sein, sondern allgemein das Problem der nonverbalen/virtuellen Kommunikation darstellen.

Deswegen bin ich der Meinung, dass man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen sollte. Manchmal hat man einfach einen schlechten Tag und drückt sich nicht so aus, wie man es im Nachhinein gerne hätte. Ist mir leider auch schon passiert. Gehört aber irgendwie dazu und man lernt ja auch daraus. Der liebe KN überzeichnet gerne und wir alle wissen das. Trotdem lese ich ihn sehr gerne, da er in meinen Augen seine Eindrücke ehrlich beschreibt und das gefällt mir.

Ich lese auch hier gerne mit. Ich lese sowieso viele Blogs. Ich stimme bei vielen Artikeln nicht überein und die meisten Blogs sind auch sehr einseitig, da ja oft nur subjektive Eindrücke aufgeschrieben werden. Trotzdem bin ich froh, dass es sie gibt. Ich mag es aber nicht, wenn man jemanden als Troll bezeichnet, nur weil einem die Meinung nicht passt. Verstehe diese ganze Troll-Paranoia eh nicht. Die meisten sind doch keine Trolls, sondern Leser, die sich ihre Gedanken machen und sie dann manchmal aufschreiben. Mehr nicht.

Charlie hat gesagt…

@ Irgendwas mit Provinz: Ob es etwas mit "Größe" zu tun hat, die Blogroll einfach so zu belassen wie sie vorher schon war, sei mal dahingestellt. ;-)

Es ist allerdings richtig, dass der Kiezneurotiker außerordentlich souverän und vorbildlich mit Kritik (womit nicht Pöbeleien gemeint sind) umgeht - und das nicht erst seit heute.

altautonomer hat gesagt…

MT: Danke, das konnte ich jetzt gebrauchen.

MT hat gesagt…

@altauti

Nichts zu danken. Ich finde sowas geht gar nicht.

@charlie

Hast Recht damit, dass der Kiezi gut mit Kritik umgeht. Ist nicht selbstverständlich.