Mittwoch, 21. Juni 2017

"Dagegen war Kohl modern"


Über Verstorbene soll man stets nur Gutes berichten, ich weiß. Ich gebe zu, dass mir das im Fall des jüngst verblichenen Helmut Kohl äußerst schwer fällt – auch wenn ich dem Ratschlag des Kollegen von den Fliegenden Brettern, der meint, man solle vielleicht noch etwas warten, einiges abgewinnen kann.

So rücksichtsvoll ist die kapitalistische Presse indes nicht, und deshalb kann ich gar nicht anders als hier auf den meines Erachtens bislang gelungensten Nachruf auf den bleiernen, pfälzischen Monarchen der 80er und 90er Jahre hinzuweisen, der in der verödeten Presselandschaft dieser untergehenden Pseudozivilisation zu finden ist. Überraschend ist dabei weniger, dass es sich bei diesem Autor um einen ehemaligen Chefredakteur des Titanic-Magazins handelt; die Kohl'schen Ausmaße der gehirnvernichtenden Groteske werden erst dann richtig ausgeschöpft, wenn man bemerkt, dass der Mann inzwischen Kolumnist bei Springers kapitalistischem Kampfblatt "Die Welt" ist.

Sicher, wir sind allesamt käuflich und mehr oder minder billige Huren – ich warte ja nach wie vor noch auf ein hübsches Angebot, das mich aus meiner materiellen Not befreit, während ich meine Seele dem Maschmeyer, den Quandts, Klattens oder Springers verkaufe und gleichzeitig irgendeinen schlabberigen, stinkenden Penis oral bearbeite – aber wie man vom Chefredaktionssessel der Titanic zur Welt gelangen kann, wird mir trotz alledem ewig ein Rätsel bleiben, während ich mich nach dem ekeligen Blowjob noch stundenlang übergebe.

Nichtsdestotrotz ist der Text sehr lesenswert, der in dem folgenden Fazit kulminiert:

Wir hätten es noch Jahrzehnte so weitertreiben können. Von unserer Seite bestand wirklich überhaupt kein Grund, den Mann 1998 eiskalt abzuwählen und dafür diesen windigen Hund aus Hannover als König Hartz IV einzusetzen. Aber das deutsche Volk wollte sich zur Abwechslung mal wieder von Sozialdemokraten verraten lassen. / Doch mit Schröder wurde es nie wieder so gut wie mit Kohl. Und Angela Merkel konnte man zwar durchaus ein paar lustige Hüte aufsetzen und ihr als Zonen-Gabi sogar mal eine Gurke in die Hand drücken. Aber sie erreichte einfach nicht diese satirische Wucht, die man nun einmal nur mit einem absolutistischen Herrscher wie Kohl hinbekam. Kohl verkörperte, sobald er auf einem "Titanic"-Cover auftauchte, in einer Gestalt sowohl die herrschenden Verhältnisse als auch die Kritik daran. Das wird ihm leider keiner mehr nachmachen.

Man sollte vielleicht besser noch etwas warten. Zumindest solange, bis die erste Generation der Maden ihren Job erledigt und der "Birne" mindestens die Haut vom nicht mehr ganz so ausladenden Birnen-Body weggefressen hat. Andererseits kannte Helmut seinerseits ja ebenfalls kein Maß und ist stets in die Vollen, also mitten ins Braune, gesprungen, auf dass das Blut nur so spritzte. Mit Spermageschmack auf der Zunge und gruseligen Gedanken an eine lange vergangene Zeit sehne ich mich nun in die Saumagenzeit zurück, in der mir zumindest Schauderhaftigkeiten wie die Merkel, die emotionslose "Misere", die eisige von der Leyen, der Faschist Maas oder der empathie- und intelligenzfreie Seidenklops Siggi Gabriel erspart geblieben sind.

Man wird wahrlich sehr bescheiden, wenn man sieht, was sich da heutzutage in Politikerkreisen herumdrückt. Es war der Freitag, der vor 17 Jahren angesichts des Schröder'schen Katastrophenkurses ("Agenda 2010") titelte: "Dagegen war Kohl modern". Dem kann auch die Titanic nichts weiter hinzufügen.


(Titanic)

6 Kommentare:

Stefan Rose hat gesagt…

Über das, was da jetzt post mortem abgeht, hat auch Kollege Eberling Bedenkenswertes geschrieben. Offenbar ist der Welt Viktor Orban als Festredner erspart geblieben...

Charlie hat gesagt…

@ Stefan: Orban wäre aus meiner Sicht genau der passende Laudator gewesen. ;-) Wer könnte dem Dicken besser Tribut zollen als ein Rechtsradikaler?

Liebe Grüße!

Troptard hat gesagt…

"Sicher, wir sind allesamt käuflich und mehr oder minder billige Huren"

Lieber Charlie, ich denke, dass Du das mit den billigen Huren am Ende des Satzes nicht so ganz ernst gemeint hast oder etwa doch?

Natürlich werden wir alle käuflich, wenn uns nichts anderes übrig bleibt, als unsere Arbeitskraft zu verkaufen und bei denen zu verdingen, die über das Kapital verfügen; aber billige Huren? Da bin ich doch eher für die Bezeichnung "dankbare Knechte".

Und was den Helmut Kohl betrifft, so bringe ich den aus der Erinnerung eigentlich nur noch mit der Wiedervereinigung in Verbindung (mit den blühenden Landschaften), aber ebenso denke ich dabei an den grossen Sozzen Willy Brandt( da wächst zusammen, was zusammen gehört).

Wobei der Sozze das völkische Bedürfnis der Wiedervereinigung viel besser getroffen hat, nämlich die Schmach der Niederlage der Volksgemeinschaft im Faschismus durch die Wiedervereinigung endgültig zu überwinden ( Wir sind ein Volk!).

Helmut Kohl ist Geschichte und wird, selbst wenn ihm die bürgerliche Gesellschaft einen Gedenktag und eine Pilgerstätte zugesteht, das Schicksal aller Verstorbenen erleiden, dass sie nach zwei Generationen in Vergessenheit geraten.

Und dass die Sozzen, die parlamentarischen Linken, dem Kapital besser nützlich sein können als die Liberalen, dafür muss man diese Liberalen nicht erhöhen, sondern allesamt in eine Tonne kloppen.

Vielleicht passt das hier noch rein: "Ein 110 Millionen-Geschenk für die Pharmaindustrie": Die Gesundheitsministerin von Macron will beschliessen, dass künftig nicht nur drei Impfungen für französiche Kinder verpflichtend sein sollen, sondern insgesamt elf.

Die bisherige Dreierimpfung wird bisher allgemein verpflichtend unmittelbar nach der Geburt durchgeführt. Jetzt ist beabsichtigt eine Impfung mit elf verschiedenen Impfstoffen ebenso verpflichtend nach der Geburt einzuführen.

Bekannt geworden ist, das die Ministerin für Gesundheit in Macrons Regierung bisher auf der Gehaltsliste verschiedener Pharmakonzerne stand.

Und bedauerlicherweise haben bereits drei Minister-/Ministerinnen von Macron ihren Rücktritt erklärt, weil im öffentlichen Bewusstsein die Vetternwirtschaft in der Demokratie noch für wesensfremd gehalten werden und nicht als Gütezeichen für eine funktionierende Demokratie.

@ Charlie, wäre das nicht eine Aufgabe für Dich, da ein neues öffentliches Bewusstsein zu schaffen, ohne am Schnuller zu lutschen?

Ich darf das nicht mehr, wegen der Grenzen, die man als Rentner zuverdienen darf.

Liebe Grüsse!








Charlie hat gesagt…

@ Troptard: Das mit den "billigen Huren" meinte ich durchaus ernst - ich selber sehe mich jedenfalls so, denn ich bin an einem Punkt angelangt, an dem mir schon regelmäßige Almosen genügen würden, um mein Lästermaul zu halten, wenn ich dadurch dem staatlichen Hartz-Terror entgehen könnte. Ich vermute, dass dies viele ebenfalls Betroffene ganz ähnlich empfinden.

Zu der "Vetternwirtschaft", die Du beispielhaft erwähnst, mag ich gar nichts mehr schreiben. Wer heute noch immer glaubt, Korruption sei eine "Ausnahme" in westlichen Demokratiesimulationen und nicht etwa die Regel, darf auch getrost darauf warten, dass in ein paar Monaten das Christkind wieder Geschenke bringt.

Und wenn ich 16 Jahre Helmut Kohl tatsächlich "würdigen" müsste (Gott sei Dank muss ich das nicht!), wäre eine dystopische Trilogie epischen Ausmaßes die Folge. Ich glaube, ich bin nicht der einzige, der heilfroh ist, dass dies nicht geschehen wird. ;-)

Was Du mit der "Aufgabe" für mich gemeint hast, weiß ich allerdings nicht - soll ich etwa Minister in Macrons neuem Regime werden? :D - Dazu ist mein Französisch zu schlecht und meine Bereitschaft, mich zu prostituieren, dann doch zu gering. ;-) Ich eigne mich ja noch nicht einmal zum Kofferträger für die Linkspartei.

Liebe Grüße!

Troptard hat gesagt…

Hallo Charlie,

dann werde ich doch mal wieder "Butter bei die Fische machen" und hoffen, dass andere mir folgen werden. Du kennst ja das Procedère inzwischen.

Und sei nicht so empfindlich. Die korrupte politische Bande ist es gewiss nicht und all diejenigen, die sich bei den Wahlen so ins Zeug gelegt haben, besonders von Links, die sind jetzt alle so schön weggetaucht.

Was ebenso praktisch für "deutsche Linke" ist, weil man sich mit dem eigenem Scheitern nicht weiter auseinandersetzen muss und immer dorthin schauen kann , wo diese deutsche Linke immer wieder Ansatzpunkte für linke Politik findet, und darin ist sie wirklich geschult, dass sie sich zurücklehnen will, ohne selbst aktiv zu werden.

LG

Charlie hat gesagt…

@ Troptard: Du hast ja so recht. Ich kenne mich in der politisch-gesellschaftlichen Realität Frankreichs zwar nicht so gut aus, erkenne da aber exakt dieselben Reflexe, die auch in Deutschland seit Jahren zu beobachten sind: Die Linke duckt sich weg und nimmt schlicht und ergreifend nicht zur Kenntnis, wie episch - und vor allem: weshalb - sie gescheitert ist.

Angesichts der vielen strammen ParteisoldatInnen der europäischen Linksparteien, die auch (aber nicht nur) in Deutschland unbeirrt dem Stumpfsinn des "kleineren Übels" folgen, ist hier nirgends Besserung in Sicht.

Eigentlich ist es an der Zeit, schlicht festzustellen: "Flasche leer. Ich habe fertig." - Ich weiß auch nicht, wieso ich trotzdem immer weiter schreibe und mich aufrege. Auf meinem Grabstein mag dereinst stehen: "Hier liegt einer, der sogar sein eigenes Grab vollgekotzt hat, weil ihn die politische Wirklichkeit dieser verkommenen Welt so angewidert hat."

Bewirken wird das indes ebenfalls nichts.

Liebe Grüße nach Frankreich!