Montag, 26. April 2010

Dein Feind: der Sozialschmarotzer

Peter Sloterdijk möchte die Sozialsysteme abschaffen, Guido Westerwelle bewertet die Hartz-IV-Reformen als Einladung zu spätrömischer Dekadenz. Dass die Unterschichten des Müßiggangs verdächtigt werden, hat eine lange Tradition.

Der Erwerbstätige hat ein schweres Los. Er wird jeden Morgen vom Wecker geweckt und hat auf dem Weg zur Arbeit nur einen Gedanken: "Wann ist endlich Feierabend?" Er will den Tag nicht gelebt haben. Dazu die quälende Vorstellung, dass Arbeitslose sich gerade der Wollust hingeben, Kaffee, Zeitung, Radio, Philosophieren, Spielen, ein Buch, in der Sonne Liegen ... Genug! Kaum hatte Guido Westerwelle (FDP) die spätrömische Dekadenz angeprangert, legte die "Bild"-Zeitung gegen "Hartz-IV-Abzocker" los. (...)

Medien, Politiker, Schädelmesser, die ganze Versammlung politischer Ideologen lässt kein gutes Haar an Arbeitslosen. Im Prinzip geht das seit 3.000 Jahren so. In "Werke und Tage" schreibt Hesiod, der Dichter bäuerlichen Lebens: "Der ist den Göttern und Menschen verhasst, der ohne zu wirken hinlebt; gleicht er doch den faulnichtsnutzigen Drohnen."

Die Ökonomie basierte auch 700 Jahre vor Christus schon auf dem Diebstahl von Arbeitszeit. Das eitle Leben der Adligen hing davon ab, was die Geknechteten für sie pflanzten und werkten. Aristoteles merkte zynisch an, mit Bauern lasse sich gut Demokratie machen, denn "weil sie arm sind und arbeiten müssen, haben sie kaum die Muße, an Versammlungen teilzunehmen". Die Herrschaften waren also Schmarotzer, und ihr Einfall, Unterschichten des Müßiggangs zu verdächtigen, ist einfach genial.

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Anmerkung: Ein wichtiger, gut geschriebener Artikel, der wesentliche Informationen - nicht nur in Bezug auf den wieder aufkeimenden Faschismus, der diesmal insbesondere die Verlierer des kapitalistischen Systems in den Fokus nimmt - kompakt zusammenfasst und erläutert. Sehr lesenswert. Es fehlt zwar der direkte Hinweis darauf, dass die wirklichen Sozialschmarotzer - also diejenigen, die immer weniger in die Sozialkassen einzahlen und diesen Beitrag am liebsten ganz kappen würden - nicht unter den Ärmsten der Armen zu finden sind. Aber trotzdem kommt der Autor zu dem richtigen und wichtigen Schluss: "Die Demütigung der Arbeitslosen ist also ein gesellschaftliches Erziehungsmodell zur Disziplinierung aller Erwerbstätigen. Sie sollen sich täglich sagen: Da möchte ich nie hin, lieber unterwerfe ich mich allen Bedingungen. Aus diesem Grund werden ständig schlampige Arbeitslose im Fernsehen vorgeführt. Es wäre leicht, besoffene Buchhalter oder Werbetexter aufzutreiben, noch leichter Arbeitslose, die über Kunst, Literatur, Lust- und Realitätsprinzip philosophieren. Aber das würde keiner verstehen, außerdem sollen die Schaffenden glauben, dass Arbeitslosigkeit blöde macht und nicht ihre Arbeit. Diese Fiktion ist für den Hamster im Laufrad genauso wichtig wie die Bestrafung Arbeitsloser durch Geldentzug, Arbeitszwang und Pranger." Diesen Artikel bitte weiterempfehlen!

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