Donnerstag, 23. Februar 2012

Der alltägliche Hartz-Terror

  1. Mitarbeiter eines Berliner Jobcenters spionieren einem Musiker im Internet nach, statt ihm zu helfen.

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  2. Fefes Blog ist ja, insbesondere was die Absurditäten diverser Behörden angeht, eine Fundgrube. Immer wieder gibt es dort Hinweise auf die teilweise schon sehr bemühten Versuche der Arbeitsagenturen/Jobcenter etc., den Leistungsbeziehern zu unterstellen, sie hätten Einkünfte oder Vermögen nicht angegeben. Die Möglichkeiten, auf solche Ideen zu kommen, sind mannigfaltig. Mal reicht die Kleidung (eigenes Erlebnis: Die Tatsache, dass ich mir Strassohrringe plus eine Kunstpelzjacke leisten konnte, machte stutzig und führte zu Nachfragen), mal ein vorhandenes Auto, mal die Nichterreichbarkeit zu "normalen Arbeitsstunden".

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Anmerkung: Der betroffene Musiker hat das Schreiben des Jobcenters in seinem Blog veröffentlicht - man sollte sich die Lektüre tatsächlich antun, wenn man einen Eindruck davon bekommen möchte, wie diese Behörde mit den auf sie angewiesenen Menschen umgeht. Üblicher Weise sind einem solchen Schreiben noch einige Seiten voller Paragraphen, Gesetzestexte und Rechtsfolgen angehängt, die allesamt zum Inhalt haben, dass man seine Existenzberechtigung verliert, wenn man den Befehlen der Behörde nicht nachkommt. Eine "normale" Mitteilung des Jobcenters, die meistens ein oder zwei relevante Sätze enthält, umfasst also in der Regel ein drei- bis fünfseitiges Schreiben, das eher einem Marschbefehl gleicht.

Inzwischen wird also auch nachgeforscht, was die "Kunden" des Jobcenters im Internet schreiben - und wenn das der Behörde nicht genehm ist, was sie dort entdeckt, wird der betroffene Bürger flugs zum "Gespräch eingeladen" (selbstverständlich unter Androhung des Entzuges der Existenzberechtigung, falls er diese "Einladung" nicht annehmen sollte, wie gesagt) und muss sich rechtfertigen. Man kann - um ein altes Tucholsky-Zitat erneut zu benutzen - wahrlich nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte. So sieht die neoliberale Vorstellung von "Freiheit" und einem "demokratischen Rechtsstaat" aus. Was unterscheidet diese Vorgehensweise doch gleich von diktatorischen Unrechtsstaaten? Wie kann es überhaupt sein, dass ein Jobcenter (!!), das dafür da sein sollte, unfreiwillig arbeitslos gewordenen Menschen eine neue, adäquate Anstellung zu vermitteln und in der Zwischenzeit die materielle Existenz dieses Menschen sicherzustellen, sich für die Gesinnung des Betroffenen interessiert und diese auch noch zum Gegenstand irgendwelcher Gespräche und Aufforderungen macht? Allmählich können Betroffene wohl verstehen, wie sich Juden und andere Verfolgte in Deutschland zu Beginn des Nazi-Terrors gefühlt haben mögen. Das sind heute erneut die ersten Auswüchse eines staatlichen Faschismus, wie er widerwärtiger kaum sein könnte.

In diesem Zusammenhang sei auch kurz ein Fall aus meinem eigenen Umfeld genannt: Ein erkranktes Hartz-Opfer war einige Zeit krankheitsbedingt nicht mobil und teilte dies dem Jobcenter anhand ärztlicher Atteste auch mit. Als er es wagte, einen "Gesprächstermin", der zu diesem Zeitpunkt ohnehin sinnfrei war, mit dem Hinweis auf diese Atteste abzusagen, änderte das Jobcenter kurzerhand die Auszahlung der kärglichen Bezüge - sie sollten ab sofort nicht mehr überwiesen, sondern in Form von Schecks zweimal monatlich persönlich (!) beim Jobcenter abgeholt werden. Einzig die Intervention eines Bürgervereins, der maßgeblich von der Linkspartei getragen wird, verhinderte dies in letzter Sekunde.

Derlei Beispiele gibt es bundesweit zuhauf. Jeden Tag müssen Menschen sich mit der behördlichen Willkür, der Schnüffelei, der Bevormundung und der beispiellosen Inkompetenz dieses Amtes herumschlagen - und sind dabei immer existenziell bedroht, weil die Zahlungen für den Lebensunterhalt, die Miete und die Krankenversicherung jederzeit eingestellt werden können (und oft genug auch wirklich eingestellt werden). Um sich einen ersten Eindruck vom Ausmaß dieser gesellschaftlichen und sozialen Katastrophe zu verschaffen, reicht schon ein Blick in entsprechende Hilfeforen im Internet (beispielsweise Tacheles). Mit einem "demokratischen Rechts- und Sozialstaat" hat das nichts mehr zu tun.

Wer sich schon einmal gefragt hat, wann denn wohl die gesammelten Daten bei diesen Behörden gelöscht werden, erhält hier die wenig erstaunliche Antwort: Nie. Die Begründung ist allerdings ebenso abenteuerlich wie grotesk: "Eine Löschung findet nicht statt, da diese technisch nicht möglich sei." - Und solche Leute maßen sich an, u.a. auch Computerexperten in Arbeit vermitteln zu wollen? Da knallt auch die letzte entgeisterte Stirn blutig auf die Tischplatte.



Nachtrag 27.02.12: In der Neuen Rheinischen Zeitung findet sich ein ergänzender Text, der ebenfalls den flächendeckend betriebenen Versand von rechtswidrigen Bescheiden der Jobcenter zum Thema hat.

6 Kommentare:

Dede hat gesagt…

Das bestätigt alle meine Vorurteile gegenüber den JobCenter. Mensch was bin ich froh daß ich mit denen nix zu tun hab. Ich kenn ja genug Leute die mir davon erzählen und das ist nie (!!!) was Positives. Das einzige was die anscheinend machen, ist den Leuten Knüppel zwischen die Beine zu schmeißen und sie zu schickanieren wo es nur geht.

Einer hat mir erzählt (der ist gelernter Netzwerktechniker und seit zwei Jahren auf Jobsuche) daß er im Winter 2010/11 nen 1-Euro-Job als Schneeschipper machen sollte. Mit der (mündlichen) Begründung daß es zu wenig Leute bei der Stadt gibt die das machen. Er hat sich geweigert weil das keine "zusätzliche" Arbeit ist wie es das Gesetz wohl vorschreibt, aber das Amt hat ihm trotzdem alle Bezüge gesperrt. Er musste erst zum Gericht rennen damit er wieder Geld bekommt. In der Zwischenzeit wär er fast aus seiner Wohnung geflogen weil die Miete ja nicht bezahlt wurde.

Sowas hab ich schon so oft gehört. Was ist das bloß für ein Land in dem wir leben. Das Beispiel was du da bringst ist auch so ein Fall. Die Leute in den Ämtern müsste man strengstens bestrafen, die sowas machen!!! Man fragt sich da ja nur noch: Sind die Ämter eigentlich für die Bürger da oder ist es nicht eher umgekehrt heutzutage?

Und wie das mit diesem Berliner Musiker weitergegangen ist würd mich ja auch sehr interessieren. Gibts da irgendwo Infos?

Charlie hat gesagt…

Es gibt unzählige solcher Geschichten, das sind keinesfalls Einzel- oder Ausnahmefälle. Diese Behörden handeln gezielt und flächendeckend so.

Was den Musiker "Tapete" angeht: Auf seiner Homepage kannst Du ein bisschen dazu lesen. Da inzwischen wohl auch ein Anwalt eingeschaltet worden ist, ist der Fall offenbar noch nicht abgeschlossen.

Anabelle hat gesagt…

Das ist wieder mal so ein Fall, wo mir einfach die Hutschnur hochgeht. Was maßen sich diese Behördenpupser denn bitte an? Und wenn der Mann im Internet geschrieben hätte, dass er an rosafarbene Elefanten glaubt - was bitte geht das diese Behörde an?? Die Zeichen des Untergangs könnten deutlicher nicht mehr werden.

Die Geschichten mit den Schecks oder dem Schneeschippen sind auch unfassbar. Das liest sich alles so, als würde es direkt aus einem Unrechtsstaat stammen. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass wir in einem solchen leben.

Anonym hat gesagt…

Wirklich ein sehr vorteihaftes Merkel-Bild :-))))) Der Alten möcht ich so gerne mal ....... (aber das sag ich hie rjetzt besser nicht).

Charlie hat gesagt…

Diese Vermutung liegt nahe, Anabelle.

Dede hat gesagt…

Danke für den Link, Charlie. Ich hab zwischenzeitlich schon wieder neue Horrorstorys von Bekannten gehört. Das hört offenbar nicht auf, das geht immer weiter, dieses Amt ist hochgradig kriminell.