Dienstag, 28. Februar 2017

Mediale Propaganda, oder: Matschepampe im Schädel


Man stelle sich folgendes Szenario vor: Ein Mensch steht am Herd, legt seine rechte Hand flach auf eine Kochplatte und stellt den entsprechenden Regler sodann auf die maximale Stufe. Schon nach kurzer Zeit verspürt er eine zunächst wohlige Wärme, die sich allerdings flugs zur schmerzhaften Hitze steigert, so dass er sehr schnell vor der Wahl steht, die Hand entweder wegzuziehen oder sich schwere Verbrennungen zuzuziehen.

Das klingt arg nach Kindergarten und Sandkastenphilosophie, ich weiß – aber es ist dennoch exakt dasselbe Szenario, das von den Massenmedien der kapitalistischen Welt und deren Erklär-Experten tagaus, tagein als gleichsam unumstößliche "Wahrheit" verkündet wird wie eine religiöse Litanei, wobei der Teil bezüglich der Verbrennungen meist weggelassen oder beschönigt wird. Bei n-tv las ich vor einiger Zeit exemplarisch:

Laut von Oxfam zusammengestellten Daten besitzen die acht reichsten Menschen der Welt – allesamt Männer – gemeinsam ein ähnlich großes Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit. Das reichste Prozent der Menschheit besitzt demnach seit 2015 mehr als der gesamte Rest.

Ei der daus, denkt sich der geneigte, vielleicht sogar hoffnungsfrohe Leser, hat die Presse vielleicht endlich begriffen, dass das kapitalistische System wohl doch nicht der Weisheit letzter Schluss ist? – Aber nein, hier kann gleich wieder Entwarnung gegeben werden, denn wie gewohnt fehlt in diesen Berichten stets die Ursachenanalyse und erst recht das logische Fazit. Im zitierten Beispiel wird gar die "Entwicklungsorganisation Oxfam", von der die Daten stammen, vorgeschoben, um die "Gründe" für diesen katastrophalen Zustand zu benennen:

Die Organisation macht für die Ungleichheit politische und unternehmerische Fehlentwicklungen verantwortlich. Sie fordert, dass Staaten stärker kooperieren anstatt gegeneinander in einen Wettbewerb um die niedrigsten Unternehmenssteuern zu treten. Gleichzeitig sollen sie unternehmerisches Handeln fördern, das sich weniger auf Kapitalgeber und stärker auf Arbeiter und Umweltkosten konzentriert.

Da bleibt kein Auge trocken und kein Hirn intakt: Der Begriff "Fehlentwicklungen" sowie die Forderungen nach "weniger Wettbewerb" im selben Atemzug mit dem "unternehmerischen Handeln" wirken in diesem Zusammenhang wie ein robuster, laufender Sahnequirl, der den LeserInnen in den zuvor geöffneten Schädel gehalten wird. Merken die Figuren, die bei "Oxfam" solche Klopper heraushauen, sowie die Papageien in den Presseagenturen und Medienhäusern, die den Mist munter verbreiten, eigentlich nicht, was sie da tun? Lässt man ihnen keine Wahl? Oder tun sie es gar aus Überzeugung?

Anders gefragt: Gibt es auf diesem Höllenplaneten tatsächlich vereinzelt Menschen, die allen Ernstes glauben, dass die kapitalistische Katastrophe – die im Übrigen nicht nur aus der "ungleichen Verteilung" von Reichtum bzw. Privatbesitz besteht, sondern weitaus größere gesellschaftliche, soziale, ökologische und natürlich auch ökonomische Dimensionen umfasst – tatsächlich auf "politischen und unternehmerischen Fehlentwicklungen" beruht? Dies implizierte ja – um zum Eingangsbeispiel zurückzukehren –, dass es im "Normalfalle" gar nicht zur Verbrennung der Hand käme. – Die logischen Brüche in diesem irrwitzigen Kauderwelsch, das ich nur als dümmliche Propaganda werten kann, sind dermaßen offensichtlich, dass es mir ein völliges Rätsel ist, wieso diese ständig wiederkehrenden Litaneien nicht ein großes, schallendes Gelächter im Land verursachen.

Und morgen lesen Sie bei n-tv & Co., wie Sie es spielend leicht fertigbringen, ein wohliges Gefühl zu entwickeln, wenn Sie entspannt in der Badewanne sitzen und den auf Hochtouren laufenden Föhn beherzt ins duftende Wasser werfen.

Wenn der Dachstuhl brennt, nützt weder Beten noch den Fußboden Scheuern. Immerhin ist Beten praktischer.

(Karl Kraus, in "Aphorismen", 1915)

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Ich habe noch fünfzehn Pfennig



(Lithografie von Honoré Daumier [1808-1879], aus der Serie "Emotions parisiennes" aus den Jahren 1839-42, unbekannter Verbleib)

3 Kommentare:

Arbo hat gesagt…

>>Merken die Figuren, die bei "Oxfam" solche Klopper heraushauen, sowie die Papageien in den Presseagenturen und Medienhäusern, die den Mist munter verbreiten, eigentlich nicht, was sie da tun?<<

Kennst Du die Studie von Uwe Krüger und den sogenannten Bildungstrichter (PDF)? Insofern würde ich mal sagen: Ja, die merken das nicht.

Du musst das verstehen: Da wird einem - wie Du schön schreibst - die Marktpropaganda in den Schädel gequirlt. Für die gibt es nur "Fehlentwicklungen", d.h. dass "das System" ständig optimierungsfähig ist. Das ist systemimmanent. Absolute Grenzen sind dort gar nicht denkbar. Da geht immer (noch) was, immer darf's etwas mehr oder weniger sein. (Denk z.B. an die Diskussionen von Löhnen, die weit unterhalb des Existenzminimums noch viel zu hoch sein können, um "marktfähig" zu sein...)

Ohne das Fass hier aufmachen zu wollen: Ich glaube, dass das auch viel damit zusammenhängt, wenig gesellschaftliche Umbrüche selbst - existenziell - erlebt zu haben. Stichwort "kalter Krieg": Der Westen hat halt gewonnen, capitalism first und so...

Im Grunde steht uns da eine gehörige Portion Bildung in's Haus. Aber da sieht's auch übel aus, weil die kapitalistischen Sahnequirls heute schon direkt nach den Junghirnen gieren. Die Quelle habe ich gerade nicht zur Hand, aber Schlagworte wie Schulfach Wirtschaft und Bertelsmann sollten reichen. Oder halt - im Gegenzug - die Diskussion um diese Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung, die ja auf Druck der Wirtschaftslobby - in vorauseilendem Gehorsam - von der Bundesregierung vorläufig zurückgenommen wurde (nun aber wieder abzurufen ist).

>>Im zitierten Beispiel wird gar die "Entwicklungsorganisation Oxfam", von der die Daten stammen, vorgeschoben, um die "Gründe" für diesen katastrophalen Zustand zu benennen:<<

Ja, das ist eine 'schöne' Diskreditierungsstrategie, könnte glatt bei Schopenhauer abgeschaut sein (Trick 16, argumenta ad hominem). Das hast Du auch oft bei Ökonomen wie Hickel, Bofinger oder Gustav Horn. (Die sind mE noch nicht mal wirklich anti-kapitalistisch, aber das aufgeschreckte Reh wittert halt überall Gefahr, wenn's nicht ganz so konform läuft.) Da war auch oft von "Gewerkschaftsökonomen" die Rede. Oder im Falle von Horn wird oft vom "gewerkschaftsnahen Institut" gesprochen. Letzteres mag insofern OK sein, als heute oft auch z.B. bei Hüther vom "arbeitgebernahen Institut" gesprochen wird, aber das war nicht immer so.

Das bestätigt dann Deinen Eindruck in zweiter Weise: Es wird nämlich total unreflektiert der negative Stereotyp übernommen. Ob Oxfam oder Gewerkschaft, alles negativ, wirtschaftfeindlich usw. ... also bäh und somit "unseriös".

LG
Arbo

jakebaby hat gesagt…

Dazu ein leicht *hinkender Vergleich.

Nachdem Trump die ersten 2 Drittel seines Kabinets plaziert hatte, wurde eine einfache Rechnung aufgemacht, dass dieses grobe Dutzend, an zumeist Milliardaeren, locker mehr besitzt, denn das erste Drittel, 42 Millionen, amerikanischer Haushalte.

Kurz darauf kam, unter anderen, noch Nummer 50 der Forbesreichestenliste mit 16,5 Milliarden ins Kabinet etc. ... wonach dann der Vergleich Richtung 50/50 tendiert.

*Hinkend wird der Vergleich, wenn die unterste Haelfte++ der amerikanischen Haushalte zumeist total overmaxed verschuldet ist und somit schon mal kein Guthaben verzeichnen kann. .... Irgendwo muss man ja mal mit der Erklaerung von 20 Billionen/Trillionen$ Schulden anfangen. Die zaehlen also gar nicht, da sie wesentlich weniger wie Nichts besitzen.
Ab da kann man dann anfangen auszurechnen, wie gross der Anteil des amerikanischen Volkes sein muss, um alleine den Wohlstand seiner Regierung zu egalisieren. ...

Nur mal So.

Gruss
Jake

dlog hat gesagt…

"Politische und unternehmerische Fehlentwicklungen".

Hmja, so kann man es natürlich auch nennen ... Unser Wirtschaftssystem ist schon klasse, aber leider wird auch Schindluder damit getrieben ...