Samstag, 19. August 2017

Freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat: Der Ausreiseversuch


Oder: Willkommen in Dystopia

Seit Anfang August 2017 ist es nun "amtlich": In Deutschland gibt es ein Gesinnungsstrafrecht, das es erlaubt, Menschen "rechtskräftig" zu verurteilen und jahrelang einzusperren, die keine Straftat begangen haben, sondern denen lediglich "plausibel" unterstellt wird, derartig Schändliches in der Zukunft möglicherweise begehen zu wollen. n-tv berichtete:

In dem Fall ging es um einen Deutschen aus München, der zweimal vergeblich versucht hatte, ins syrische Bürgerkriegsgebiet zu reisen, um dort für einen islamischen Gottesstaat zu kämpfen. Im Oktober 2015 wurde er am Flughafen München festgenommen. Vom dortigen Landgericht wurde der damals 27-Jährige im Mai 2016 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil ist nun rechtskräftig.

Der Bundesgerichtshof [sic!] hat dieses Freisler'sche Urteil bestätigt. So intensiv ich auch nachdenke – mir fällt dazu kein sinnvoller Kommentar ein, den ich hier auch veröffentlichen könnte, ohne ausfällig zu werden. Ich stelle stattdessen einfach die Frage in den Raum, wie man gemeinhin (autoritäre) Staaten bezeichnet, welche die eigenen Staatsbürger aufgrund eines Ausreiseversuches – aus welchen Gründen der auch immer geplant gewesen sein mag – strafrechtlich verfolgen und in den Knast sperren? Ob das Urteil wohl ebenso ausgefallen wäre, wenn dem Mann nicht die Ausbildung in einem "Terror-Camp" in Syrien, sondern beispielsweise in einem "Terror-Wolkenkratzer" der menschenfeindlichen Bankmafia an der Wallstreet als Ziel unterstellt worden wäre – oder gar eine Teilnahme am Krieg auf Seiten der "gemäßigten Rebellen" [*lol*] in Nahost oder sonstwo? – Die Antwort liegt klar auf der Hand.

Es ist nicht allzu weit hergeholt, dass demnächst auch wieder Schwerstkriminelle wie ich vor Gericht gestellt und weggesperrt werden, denn ich träume ja – wenn auch ohne jede Hoffnung – nach wie vor von einer sozialistischen Revolution, die dieses furchtbare kapitalistische System endlich, endlich in die finstere Kanalisation der Geschichte spült, wo es schon so lange hingehört – und das sogar öffentlich und ganz und gar nicht "verdeckt". Wie lange mag es noch dauern, bis wieder einmal nicht mehr "erst" der Ausreiseversuch "geahndet" wird, sondern die Männer in den schwarzen Mänteln schon lange vorher hämmernd vor der Türe stehen? – Cogito ergo criminalis sum?

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Wer läutet draußen an der Tür?

Wer läutet draußen an der Tür,
kaum dass es sich erhellt?
Ich geh schon, Schatz. Der Bub hat nur
die Semmeln hingestellt.

Wer läutet draußen an der Tür?
Bleib nur; ich geh, mein Kind.
Es war ein Mann, der fragte an
beim Nachbarn, wer wir sind.

Wer läutet draußen an der Tür?
Lass ruhig die Wanne voll.
Die Post war da; der Brief ist nicht
dabei, der kommen soll.

Wer läutet draußen an der Tür?
Leg du die Betten aus.
Der Hausbesorger wars; wir solln
am Ersten aus dem Haus.

Wer läutet draußen an der Tür?
Die Fuchsien blühn so nah.
Pack, Liebste, mir mein Waschzeug ein
und wein nicht: sie sind da.

(Theodor Kramer [1897-1958], geschrieben am 18. Juni 1938, in: "Gesammelte Gedichte Bd. 1-3", 1989)

11 Kommentare:

Stefan Rose hat gesagt…

Jetzt meinte einer angesichts dessen, was in Barcelona tragischerweise geschehen ist, der IS sei auf dem Schlachtfeld allein nicht zu besiegen. *Gesichtshand* Man sollte beizeiten daran erinnern, was der kluge George F. Kennan einst sagte:
"There is, let me assure you, nothing in nature more egocentric than embattled democracy. It soon becomes the victim of its own propaganda. It then tends to attach to its own cause an absolute value which distorts its own vision [...] Its enemy becomes the embodiment of all evil. Its own side is the centre of all virtue." - Kalter Krieger war er, aber wo er recht hat, hat er recht.

Troptard hat gesagt…

Hallo Charlie,

ich habe beim epikur etwas hinterlassen, mehr gedacht als Anregung, um sich mit den derzeit doch stark widerstrebenden Positionen in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen und auch deshalb, weil ich den Eindruck habe, dass es nicht nur unter den Linken, wenn diese Begrifflichkeit noch zutreffen sollte, sehr verbissene Auseinandersetzungen gibt, die für mich sehr oft auch nicht immer nachvollziehbar sind.

Ich bin mir dann auch nicht mehr sicher, ob "wir", damit meine ich diesen verbliebenen Rest der Linken nicht bereits ebenso der neoliberalen Ideologie verfallen sind, untereinander eine Konkurrenz der Ideen und Gedanken auszutragen, uns damit verschleissen ohne allerdings einen "emanzipatorischen Gewinn" daraus ziehen zu können.

Ich bin inzwischen mehr im Internet als früher unterwegs und mir fällt immer wieder auf, wie sich auch in "unverdächtigen" keineswegs sozialkritischen Blogs die Fronten sich sehr schnell verhärten, sobald es Eindringlinge gibt, die das eigene Weltbild erschüttern könnten.
Da wird die eigene Toleranzschwelle sehr schnell auf die Probe gestellt und nach dem Zensor gerufen.

Wenn ich das so alles auf mich einwirken lasse, ohne beteiligt zu sein, so traue ich den Menschen inzwischen immer weniger zu, bin eigentlich nur noch erschüttert und denke, mit "Euch"wird das nie und nimmer was noch werden.

Allerdings bin ich Pessimist und erwarte, dass ich endlich mal entäuscht werde.

Troptard hat gesagt…

Damit ich nicht falsch vertanden werde!

Ich habe nichts dagegen, wenn man sich vor den Wahlen auch mal Wahlplakate heraussucht, die man für besonders preiswürdig für ihre dummdreisten Botschaften nimmt, wie jetzt auch beim Flatter.

Aber an wen richten sich diese Botschaften eigentlich? Wenn nicht an dijenigen, die darin noch eine Aussage erkennen wollen. Ich fühle mich eben nicht angesprochen und selbst gelungene Satire erinnert mich nur daran, dass ich das doch irgendwann schon einmal so ähnlich... wann war das doch gleich ? Ach Ja!

Die Wahl ist längst entschieden und eigentlich könnte nur noch Donald Trump als Wahlhelfer für die AfD etwas Power in die unendliche deutsche Langeweile aus Vollbeschäftigung, Lohnzuwächsen, Rekord-Exportüberschüssen und heimeliger Waldschrad-Idylle bringen.

Und da glaubst Du, dass Du mit Deinen Einlassungen über einen freiheitlich und dazu auch noch demokratisch verfassten Rechtsstaat noch irgendjemand hinter dem Ofen hervorholen kannst?

Ist die Mehrheit der freiheitlich, demokratisch und rechtsstaatlich organisierten Gesellschaft daran noch interessiert?


Charlie hat gesagt…

@ Troptard: "Und da glaubst Du, dass Du mit Deinen Einlassungen über einen freiheitlich und dazu auch noch demokratisch verfassten Rechtsstaat noch irgendjemand hinter dem Ofen hervorholen kannst?"

Nein, das glaube ich nicht.

Liebe Grüße!

altautonomer hat gesagt…

Troptard: Bei unserer politischen Elite handelt es sich um persönlichekitsgestörte Charaktermasken mit enormen Persönlichkeitsstörungen. Wie sonst ist es möglich, Typen wie Trump oder Erdogan auf "eine Armlänge" (Kölner Sylvesternacht) an sich heranzulassen, geschweige denn, mit ihnen "diplomatisch" zu korrespondieren. Von solchen Undertakern ließe ich mir nicht mal eine Bionade einschütten. Ihre Stiefellecker in den unteren Hierarchiebenen und in den Medien, sind nicht besser. Es gibt genügend Beispiele für das schräge Verhalten von prominenten klugen Denkern, linken Gallionsfiguren und Autoren, die sich mit den Herrschenden gemein machen, weil es inen schmeichelt, ihre Eitelkeit füttert, anstatt ihnen auf Chariteetreffen, Preisverleihungen oder Messeeröffnungen bis hin zur Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst (Gysi in Aachen 2017 in Begleitung von Bodo Ramelow) gehöreig den Marsch zu blasen.

Die auf den Wahlplakaten abgebildeten Politiker machen ausnahmslos auf Volksnähe und Bürgerfreundlichekt. Medienpräsenz ist für sie so etwas wie die zur Zeit härteste Währung um die sich die Bagage balgt. Nach der Wahl sind wir für sie ein Dreck. Sie für mich aber schon vorher.

Literaturbild schööön hat gesagt…

Charlies einfache literarische Bilder:

Ich stelle stattdessen einfach die Frage in den Raum

Schön! Stell noch einen Stuhl und Tisch in den Raum und spendier der Frage ein Jägerschnitzel. Blumenvase auf dem Tisch bitte nicht vergessen!

Troptard hat gesagt…

@ altautonomer,

"Die auf den Wahlplakaten abgebildeten Politiker machen ausnahmslos auf Volksnähe und Bürgerfreundlichkeit." Meinst Du?

Ich mach jetzt mal den Rechtsradikalen!
"Die wissen doch noch nicht einmal wie man das Wort Volksnähe schreibt. Die benötigen doch Maskenbildner, um ihnen so etwas wie Freundlichkeit in ihre egozentrischen Gesichter zu manipulieren und Wahlstrategieberater, die dem "Volk auf's Maul schauen" (Martin Luther), um überhaupt eine wenig Ahnung davon zu bekommen, was das Volk so denkt und will."

Ganz schön daneben gedacht?! Diese Parteifuzzis wissen eben doch ziemlich genau, dass es nicht viel braucht, um die eigene Klientel zu bedienen. Verarmung im Rentenalter steht dann für soziale Gerechtigkeit und Vorankommen durch eigene Leistung für den Sozialdarwinismus. So bekommt jede Klientel immer wieder die abgedroschenen Phrasen vorgehalten, auf die sie so gerne anspringt.

Nach der Wahl wissen dann alle ganz genau, was sie auch vorher schon wussten: Keine Soziale Gerechtigkeit und auch keine Leistung, die sich lohnen wird, jedenfalls nicht für die tapferen "Kreuzchenritter". Aber es war doch wirklich mal wieder schön, diese Inszenierung, die vielen Talkshows davor und danach, die vielen Analysen von Experten und, und und.

Das wirklich Beruhigende ist nur, das alles so bleibt wie es ist. Nur bei der Inneren Sicherheit, da gibt es grossen Bedarf.

Liebe Grüsse



Charlie hat gesagt…

@ Troptard: Möglicherweise hast Du den Altautonomen hier etwas missverstanden: Mithilfe der Formulierung "Die (...) Politiker machen ausnahmslos auf Volksnähe und Bürgerfreundlichkeit (...)" wollte er wohl - so verstehe ich seine Einlassung jedenfalls - exakt auf diese schrille Diskrepanz zwischen "Sein und Schein" hinweisen, die auch Du benennst.

Selbstverständlich bleibt alles so, wie es ist - daran wird im Rahmen dieses Katastrophensystems auch keine Wahl (die man ehrlicherweise "Wahlsimulation" oder einfach "infantiles Kasperletheater" nennen müsste) mehr etwas ändern. "Beruhigend" finde ich das beileibe nicht - aber das hast Du vermutlich ohnehin sarkastisch oder zynisch gemeint, gelle? ;-)

Liebe Grüße!

altautonomer hat gesagt…

Troptard: Ich wollte damit sagen, dass diese Heuchler immer wieder versuchen, die Wählerinnen und Wähler mit markigen Parolen einzulullen. Diesmal scheint es ihnen nicht so recht zu gelingen.

Troptard hat gesagt…

@Charlie, @altautonomer,

habe ich genau richtig verstanden und das voll in Ordnung gefunden, was das Altauto geschrieben hat. Liebe Grüsse

Fluchtwagenfahrer hat gesagt…

Moin Charles,
sieht so aus als wenn du gesundheitlich auf dem aufsteigendem bist. Gut so.

Ansonsten @all
Nach der Wahl ist vor der Wahl!!

p.s. in Gänze, sagt Punxsutawney Phil